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Die "New America Foundation" als neues "Think Tank"-Modell

Risikokapitalist am Ideenmarkt

Von Peter Haffner

Ted Halstead war 25, als er seine erste Denkfabrik, "Redefining Progress", gründete. Er hatte ein Darlehen von 15.000 Dollar, zwei Kollegen und eine Idee, wie man das Wirtschaftswachstum neu messen könnte, indem man ökologische Faktoren einbezieht. Die renommierte Monatszeitschrift "The Atlantic Monthly" machte daraus eine Titelstory, Ted war über Nacht ein gefragter Talkgast in Radio und Fernsehen - und damit interessant für Leute, die ihr Geld in viel versprechende Talente investieren.

Heute ist Ted Halstead Präsident der "New America Foundation" (NAF), einer von ihm 1999 gegründeten Denkfabrik mit einem Budget von 3,5 Millionen Dollar und einem Direktorium, dem Größen wie der Nationalökonom Francis Fukuyama, der Harvard-Jurist Randall Kennedy oder der Unternehmer Eric Schmidt, Boss der Internet-Suchmaschine Google, angehören. Die "New America Foundation" steht im Ruf, die aufregendste Denkfabrik der USA zu sein, versammelt sie doch laut Ansicht des britischen Magazins "The Economist" "die hellsten Köpfe unter vierzig".

Zentrum für Intellektuelle

Ted Halstead, nun 35 und mit angegrautem Haar, ist nicht der Typ, der sich auf Lorbeeren ausruht. In seinem Büro am Dupont Circle in Washington D.C., wo die "New America Foundation" ihren Sitz hat, erläutert er, worauf er aus ist: ein Gravitationszentrum für ambitiöse junge Intellektuelle zu schaffen, die sich keiner Partei, sondern der Lösung sozialer, ökonomischer und gesellschaftspolitischer Probleme verpflichtet fühlen. Universitäten, auf Spezialisierung ausgerichtet, sind kein geeigneter Platz dafür. "Konservative Philanthropen haben vor Jahrzehnten erkannt, wie wichtig Ideen sind, und Think Tanks gegründet", sagt Halstead, "und heute ernten sie die Früchte ihres Engagements". Zusammen mit Michael Lind, der von der konservativen "Heritage Foundation" gekommen und es müde war, Daten zu vorgefertigten Meinungen zu liefern, schrieb Halstead das Buch "The Radical Center", ein beredtes Plädoyer für frische Ideen jenseits parteipolitischer Denkschablonen.

Die erste neue Idee, die Ted Halstead hatte, betraf das Modell der Denkfabrik selbst. Amerikas "Think Tanks" produzieren üblicherweise Studien, mit denen sie Politiker und Regierungsmitglieder versorgen, die diese dann als Argumentationshilfe einsetzen. Ein zu schwacher Wirkungsgrad, fand Halstead. Zusammen mit dem Rektor der Harvard University, an deren Kennedy School of Government er studierte, erarbeitete er ein neues Modell, das darauf beruht, die Medienkanäle direkt zu nutzen.

So überlässt etwa "The Atlantic Monthly" der NAF jeweils die Gestaltung ihrer Neujahrs-Doppelnummer, in der - zwei Wochen vor der traditionellen Rede des Präsidenten an die Nation - die Stipendiaten über "The Real State of the Union" schreiben. Das Themenspektrum reicht von der Gesundheitsversorgung über Arbeit und Familie bis zum Kapitalmarkt. Trophäen gleich schmücken Titelgeschichten weiterer Zeitschriften und Artikel in führenden Blättern die Wände des Konferenzraumes des Instituts, das auf seiner Website über seinen intellektuellen Ausstoß akribisch Statistik führt. "Obschon unser Budget viel kleiner ist als das anderer Denkfabriken, sind wir in Leitmedien wie der 'New York Times' oder der 'Los Angeles Times' präsenter", sagt Halstead. Die NAF arbeitet auch mit dem Buchverlag "Basic Books" zusammen, dessen Bücher - im Unterschied zu trockenen Instituts-Studien - von den Medien rezensiert werden. In Washington, wo Denkfabriken und Lobbys um politischen Einfluss wetteifern, gehört die NAF mittlerweile zu den ernst zu nehmenden Mitspielern.

Zwanzig Fellows nimmt die Denkfabrik pro Jahr auf, zehn davon arbeiten am Hauptsitz, der Rest zu Hause. Ein volles Stipendium beträgt zwischen 55.000 und 75.000 Dollar im Jahr. Wer eines bekommt, kann schreiben, was er will. Das Institut hilft, Kontakte zu Medien zu knüpfen, und sorgt für eine Atmosphäre intellektueller Gemeinschaft, in der Gedankenaustausch und gegenseitige Hilfe im Vordergrund stehen. "Ich verstehe mich als Risikokapitalist am Ideenmarkt", sagt Halstead. Gefragt sind Leute, die nicht nur Probleme analysieren können, sondern auch Lösungen vorzuschlagen haben. Einer von Halsteads eigenen Vorschlägen lautet, jedem Bürger bei seiner

Geburt 6.000 Dollar Startkapital

zu geben, mit dem er im Alter von 20 Jahren eine Collegeausbildung finanzieren, ein Firma gründen oder ein Haus kaufen kann.

Um die Aufnahme an die NAF kann man sich bewerben, doch die meisten Fellows sind mit einer Empfehlung gekommen - ausgestellt von Journalisten, Akademikern, Redenschreibern von Politikern. Von 40 Kandidaten wird nur einer angenommen. "Die besten Leute finden wir selbst", sagt Halstead, der ständig auf Talentsuche ist. Und auf Geldsuche. Das Budget ist zwar stetig gestiegen, doch "fundraising" - die in Amerika allgegenwärtige Art von Geldbeschaffung - ist mit dem Niedergang des Aktienmarktes schwieriger geworden. Zwei Drittel des Budgets tragen Stiftungen bei, ein Drittel individuelle Spender.

Mit zwei Millionen Dollar pro Jahr ist die "Packard Foundation" der größte Spendengeber; der Philanthrop John Whitehead, nach eigener Aussage ein "Republikaner ohne Partei", ist mit einer halben Million Dollar der bedeutendste Einzelspender. "Wir nehmen kein Geld, an das Bedingungen geknüpft sind", sagt Halstead. Obschon es nicht einfach sei, in Washington unabhängig zu bleiben, wo man ständig mit Senatoren und Präsidentschaftskandidaten zusammenkomme, die manchmal zu Freunden würden. "Ich will mir die Freiheit bewahren, sie zu brüskieren", sagt Halstead.

Zweitägiges "Denkfest"

Zweimal jährlich trifft sich das Direktorium zur Lagebesprechung, und einmal im Jahr wird ein zweitägiges "Denkfest" veranstaltet, zu dem Redner von auswärts geladen werden. Die 14 DirektoriumsMitglieder - Unabhängige, moderate Konservative und gemäßigte Linke - veranstalten ihrerseits Dinner mit Gästen, die sie als Geldgeber zu gewinnen suchen. Rund 70 thematische Anlässe pro Jahr werden für ein größeres Publikum organisiert.

Karen Kornbluh, die das "Work and Family"-Programm der NAF leitet, hat selbst als Stipendiatin angefangen; zuvor hatte sie unter der Clinton-Regierung im Finanzministerium gearbeitet. Nachdem sie Mutter zweier Kinder geworden war, begann sie sich mit Familienfragen zu befassen. Das Familienverständnis nicht nur der gegenwärtigen Regierung, meint sie, habe mit der amerikanischen Familie von heute wenig gemein, in der meist beide Elternteile arbeiten. "Das müssen wir ins Bewusstsein bringen", sagt Karen, die den Begriff der "Jonglierfamilie" geprägt hat, der von Kommentatoren und dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Howard Dean aufgenommen worden ist. Obschon die USA längst keine Agrargesellschaft mehr sind, schließen die Schulen immer noch um drei Uhr nachmittags und sind fast drei Monate im Sommer zu.

Insgesamt sechs solcher programmatischer Schwerpunkte werden längerfristig verfolgt, von der Bildungsreform bis zur globalen Wirtschaftspolitik. In Kooperation mit dem World Economic Forum in Davos will die NAF einen neuen "Sozialvertrag" ausarbeiten - ausgehend von der Erkenntnis, dass Europa und Amerika gesellschaftspolitisch von einander lernen können.

Ted Halstead, der auch perfekt Französisch spricht, kennt beide Kontinente und ihre Psychologien aus eigener Erfahrung. In Chicago geboren, ist er in Brüssel aufgewachsen und mit 18 nach Amerika gekommen. Er hat europäische Lebensqualität schätzen gelernt, möchte aber den amerikanischen Unternehmensgeist und die größere Risikobereitschaft nicht missen, die nicht zuletzt auch ihm zu einer Karriere verholfen haben, wie sie in Europa nicht möglich wäre. Dieses Jahr will die NAF eine Dependance in Kalifornien eröffnen, jenem Staat, der als die Innovationsmaschine Amerikas gilt. Dort warten nicht nur reiche Geldgeber, sondern auch viele Probleme: Die Krise des potentesten Bundesstaates gilt als Vorbote dessen, was auf andere zukommen wird.

Freitag, 16. Jänner 2004

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