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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Eine neue Manager-Generation bereitet sich auf die Führungsetagen vor / Von Holger Rust

Die sanften Rebellen

In seltenen spielerischen Momenten wird unerwartet deutlich, mit welch verkrampfter Ernsthaftigkeit wir den Beruf betreiben, obwohl wir uns - je höher wir steigen, desto öfter - Players nennen, mitunter sogar Global Players. Es sind Momente, in denen wir uns vor den anderen produzieren - und plötzlich alle Beteiligten merken, wie sie sich wechselseitig großes Theater vorspielen. Die Rollen dieser angestrengten Komödie folgen einem rigiden Schema: Die einen geben die harten Strategen, die Entscheider, die die Welt auf zwei Stellen hinter dem Komma beherrschen und mit klaren Modellen des Marktes und berechenbarer Zukunftsvision auf die mathematische Berechenbarkeit von Formeln reduzieren.

Die anderen geben den einsamen Wolf, den Jobhopper, einen dieser Unabhängigen, die während der New-Economy-Hysterie lautstark als "Ich-Aktie" oder "Ich-AG" gefeiert wurden, Repräsentanten eines elitären Business-Söldnerheers, das sich erhaben fühlt über die Werte der Kollegialität und der langfristigen Loyalität, Karrieristen und Darwinisten im Evolutionsprozess des kurzfristigen Erfolgs. Ein Rollenmuster, von Trendforschern für ihre postmodern gestimmte Klientel in die Welt gesetzt, eine modische Attitüde: Anything goes - und ich bin es, der das alles kann und alles bewältigt. Früher nannte man so eine Haltung "arrogant".

Doch immer häufiger weichen die starren Rollen auf, weil jemand in der Runde ist, der dieses Spiel nicht mitspielt und die anderen an die Zeit erinnert, als sie noch anders waren: kollegial, fröhlich, offen für fantasievolle Initiativen, die durch Individualität geprägt waren und nicht aus den Vokabelsammlungen der Managementmoden stammten. Die "Portfolio-Workers", wie sie auch genannt wurden, sind weniger geworden, weil sie in Zeiten angespannter Wirtschaftslagen kaum noch die Freiräume finden, die ihnen gewährt wurden, als man großspurig von der "idea based economy" und dem "Erfahrungswissen der Mitarbeiter" schwärmte, theoretisch zumindest.

Die Schnelligkeit, mit der man diese freien Geister domestizierte und wieder in die Korsetts der kennzahlgeprägten Effizienzmodelle zwängte, zeigt, wie wenig von den großartigen Sonntagsreden zu halten war. Fantasie, Kreativität, ideenbasierte Wirtschaft, Essayismus, die Motivation, Grenzen ausloten zu dürfen, gegen den Strich oder quer zu denken - allesamt Schalmeientöne, kaum noch hörbar auf der zerkratzten Platte von gestern.

Aber sie sind noch da, diese freien Geister. Mehr noch: diese Essayisten formieren sich gerade jetzt, sowohl an den Universitäten als auch in den Unternehmen. Sicher, es ist unübersehbar, dass viele jener, die gestern noch vollmundig von Kreativität und essayistischem Zugang zu den Problemen sprachen, heute ins Lager der Formalisten oder Karrieristen gewechselt sind. Doch diese Fluchtbewegung hat andere ermutigt, sich vehement zur Wehr zu setzen. Was wir in nächster Zeit, zwischen 2004 und 2014, in diesem Jahrzehnt mit krummen Zahleneckwerten, erleben werden, wird ein Mentalitätskampf sein, an dessen Ende sich die "Dritte Kultur" im Management etabliert haben wird: das essayistische Mentalitätsmilieu.

Es ist keine feste Gruppe, keine "Generation". Es sind Menschen, die in ganz unterschiedlichen Biotopen leben, aber doch auf eine gleichartige Weise denken - Studenten der Wirtschaftswissenschaft, die sich mit weltweiten Protesten gegen die Verkalkung ihrer Wissenschaft durch eine dominierende Mathematik aussprechen. Theaterprinzipale, die Arbeitsplätze schaffen, weil sie neue Wege der Publikumsattraktion gehen wollen. Altmanager, die entdecken, dass es sich lohnt, über moralische Prinzipien nachzudenken - kurzum alle, die bereit und willens sind, die Kommunikation mit anderen zu wagen, die nicht zu ihrem unmittelbaren Umkreis zählen.

Die Mitglieder dieses Mentalitätsmilieus stehen in klarer Konfrontation zu den verhärteten Geistern der Kennzahlformalisten auf der einen und den karrieristischen Egomanen auf der anderen Seite, was aber nicht heißt, dass sie nicht zählen können - und auch nicht, dass sie eine schöne Karriere ablehnen. Um ihre Position im Kontext des heutigen beruflichen Handelns zu bestimmen, sollen zunächst diese beiden klassischen und zur Zeit noch dominierenden Kulturen des Managements skizziert werden.

Das formalistische Milieu

Der professionelle Habitus des amtierenden Managements schlägt sich in allerlei wechselnden Moden nieder, erzeugt ein eigenes schematisches Denken und einen eigentümlichen, fachmännischen Jargon, der im Wesentlichen aus bedeutungsvoll klingenden Anglizismen besteht. Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen, so lange diese theoretischen Ideen auch als solche wahrgenommen werden. Doch die zu Zeiten fast monatlich wechselnden Managementmoden gelten in zunehmendem Maße als Handlungsorientierungen und verkommen nach und nach zu lächerlichen Karikaturen, zu unsinnigen Analogien. Als sich zeigte, dass diese Modelle nichts waren als theoretische Planspiele, Idealtypen oder schlichter Unsinn, hob die Suche nach neuen Modellen mit Aktualitäts- und Zukunftsgarantie an.

Zunächst suchte man in der Wissenschaft. Akademisch inspirierte Publizisten und seriöse Berater verbreiteten die Ideen der strategischen Führungskonzepte, verdichteten sie in praktischen Schlagworten vom Reengineering bis zum Komplexitätsmanagement. Dahinter steckten noch halbwegs klare Gedanken, wie ein Unternehmen zu führen sei. Doch bald sprangen Trittbrettfahrer auf und vereinfachten die Modelle, als wäre es möglich, Erfolge und Zukünfte nach vorgefertigten Rezepten zu gestalten. In einer letzten Stufe der Vermarktungslogik, die zu bittersten Trivialitäten führt, entwickeln sich schräge Analogien von allenfalls karikaturistischem Wert: Fibeln und Fabeln überschwemmen den Markt und erzeugten das Gefühl, man verpasst etwas, wenn man diesem Trend und jener Richtung nicht folge.

Die Genealogie solcher Ideen, die in Millionenauflagen und, von einer eilfertigen Presse bejubelt, unters Managementvolk gestreut werden, führt am Ende zu der Frage, wie so etwas möglich ist - und warum alles, was läuft, kriecht und fliegt - Fischverkäufer, Putzmänner, Stare, Wölfe usw. -, in diesen Fibeln einer Klientel unterbreitet wird, die doch eigentlich kraft ihres geschulten Verstandes handeln sollte. Die Antwort ist damit schon gegeben: Diese Klientel ist in der fraglosen Akzeptanz von Modellen geschult. Ihr sind im Studium mathematische Modelle als Illusionen einer beherrschbaren Wirklichkeit vermittelt worden. Das Problem der Faszination für einfache Regeln und Rezepte: Der Sinn für die Differenziertheit der Welt geht verloren. Die Modelle werden zum Selbstzweck.

Das heißt nicht, dass der Versuch, Erfolgsprinzipien in zukunftssichere Regelwerke zu bannen, grundsätzlich falsch wäre. Falsch ist der Gehorsam, der es nicht mehr erlaubt, diese Formalismen nur als Hilfskonstruktionen zu betrachten. Dieser Gehorsam gegenüber der Idee, es gäbe umfassend taugliche Konzepte fürs Management, ist eines der typischen Merkmale des formalistischen Mentalitätsmilieus.

Als der Begriff "Ich-Aktie" lanciert wurde, beschrieb er noch eine Art von Edel-Karrierismus, geboren aus der individuellen Kompetenz, aus einem, wie Trendforscher munkelten, persönlichen Portfolio, das man meistbietend auf dem Markt der hochklassigen Jobs verkaufen könnte. Hochnäsig dachte niemand daran, die klassische Laufbahn der Karrieren zu absolvieren, also zu lernen und sich mit anderen gemeinsam zu engagieren. Immer noch kursiert diese Version der Ich-AG, der Nobel-Ich-AG, wenngleich das Modell in der Konzeption des deutschen Hartz-Konzepts zur Bezeichnung einer neuen Hoffnung für durchschnittliche Arbeitslose degradiert wurde.

Die Krise der Karrieristen

Im Lauf der Entwicklung des einst so noblen Begriffs erhärtete sich ein Verdacht, der immer schon mit dem Begriff der Ich-AG verbunden war: Diese Individualisten sind unstet. Sie sind nur für temporäre Dienstleistungen am Rande des eigentlichen Geschehens zu gebrauchen. Ihre mangelnde Bereitschaft zur Loyalität, ihre geringe Integration in die Unternehmen, ihr Sonderstatus im Kollegium, die fehlende Berechenbarkeit, vor allem aber die Tatsache, dass sie, die nur als Projektarbeiter antreten, in die wichtigen Geheimnisse eines Unternehmens eingeweiht werden, all das wird ihnen jegliche Karriere versperren. An der Zukunftsgestaltung eines Unternehmens, einer Branche, an der konstruktiven Entwicklung der Wirtschaftskultur nehmen sie nicht teil.

Es ist verständlich, dass sich nach einer kurzen Phase der Euphorie Verzweiflung breit machte. Flugs wurde daraus auch wieder ein publizistische Mode: Verzichtkultur und Quarterlife-Krise wurden als wesentliche Charaktermerkmale dieser jungen Generation geortet, die im grauen Individualismus der Chancenlosigkeit herumirrt und sich doch nicht aus den wichtigtuerischen Verhaltensweisen lösen kann, die dieses egozentrische Mentalitätsmilieu charakterisiert. Jeder sucht seinen eigenen Weg, mehr als die Ich-AG fällt aber niemandem ein, weil auch die Vordenker, jene Gurus und Trendforscher, die sich vor den Karren gespannt haben, jedes Thema in den Bann dieses Konzepts ziehen. Es gibt nur den Weg der Anpassung oder den des Verzichts, wie es scheint. Doch die Essayisten zeigen einen dritten Weg.

Französische Revolution

Ihr Fanal ist eine Petition, verfasst von Studenten und den Professoren der Universität von Paris im Juni des Jahres 2000 überreicht. Der Inhalt: Massive Kritik an der Ausbildung, die sich vor allem auf die mathematischen Modellwelten der neoklassischen Wirtschaftstheorie gründet; kritische Auseinandersetzung mit der Realitätsferne der Fallstudien; die Forderung nach Einbeziehung soziologischer, kulturwissenschaftlicher, philosophischer Fragen in die Ausbildung; der Wunsch zu begreifen, in welchem künftigen Kontext man arbeiten wird.

Dass sie ihr Metier verstehen, zeigte sich schon in der Wahl des Etiketts für diese neue Bewegung: "Postautisten". Nach MarketingGesichtspunkten eine perfekte Bezeichnung. Professoren und Politiker, Zeitungen und Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen nahmen den Impuls auf, unterstützten

die Idee einer sanften Rebellion gegen das formalistische Mentalitätsmilieu, eine Website wurde entworfen (http://www.paecon.net ), und so nahm der Gedanke des neuen Essayismus seinen globalen Lauf. Doch sind es nicht nur Studierende, die dieses neue Mentalitätsmilieu prägen, in dem die Gedanken - neben den harten Erfordernissen der planvollen Strategien - essayistisch ausschweifen. Die Studenten stehen für eine intellektuelle Aufbruchsstimmung, die sich bei allen jungen Nachwuchskräften und der künftigen Exekutive zeigt.

Hier offenbart sich das weltweite Unbehagen sowohl am starren Formalismus als auch am sprunghaften Individualismus der beiden anderen Mentalitätsmilieus. Diese studentische Initiative besitzt eine lange Tradition und weist in manchen Ideen und Formulierungen eine verblüffende Parallelität zu jener von 1968 auf. Ein fundamentaler Unterschied besteht allerdings: Was die heutige Bewegung sucht, ist die Synthese, die Vermittlung von Fantasie und Verantwortung mit den harten Notwendigkeiten der Wirtschaftswelt. Vor allem will sie aber eine verantwortungsvolle und doch persönlich und finanziell befriedigende Karriere.

Dass eine Gruppe von Studierenden versucht, die gute alte Wirtschaftswissenschaft umzukrempeln, und zwar ohne jene Fundamentalkritik, wie sie in den späten Sechzigerjahren formuliert wurde, erfreut das Herz und verspricht Spannung, professionelle Unterhaltung, Konfrontationen, intellektuelle Putsch- Fortsetzung auf Seite 4

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versuche, Managementrebellion und Gegenreformation - alles, was ein Business-Drama braucht. Die Frage ist nur: Sind die Bestrebungen dieser jungen Leute repräsentativ? Und noch eine zweite Frage stellt sich, wenn man die Geschichte der Studentenbewegungen betrachtet: Wird diese essayistische Mentalität überleben, wenn es um die nun doch wieder nur spärlich vorhandenen Karrierechancen geht, und wenn der Druck der Führung Anpassung verlangt?

Die Antwort: Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie bei der Stange bleiben. Dieser Optimismus gründet sich auf verschiedene Erhebungen - Fragen nach den Erwartungen, die junge Spitzenkräfte haben, nach ihrem Selbstverständnis, nach ihrer Einschätzung des heutigen Managements, nach Moral und Ethik und nach den Lebensträumen. Die Studien, vom Autor dieser Zeilen zwischen 1999 und 2003 durchgeführt, und weitere Studien großer deutscher Personaldienstleister wie Access geben präzise Auskunft über die Mentalität derer, die bereits drei bis vier Jahre im Beruf tätig und auf dem Weg nach oben sind. Sie wollen Entwicklungsmöglichkeiten, kollegiale Teams und verantwortungsvolle Führung, egal, ob sie Ingenieure, EDV- und IT-Experten oder Kaufleute sind. Ihr Lebensmodell gründet noch immer auf dem Wunsch, was zu erlernen. Aus diesem Grund üben die großen Unternehmen eine dauerhafte Faszination auf sie aus, weil sie Vielfalt und Beweglichkeit versprechen. Deswegen sehen sich die betriebswirtschaftlichen Enzyklopädisten erst dann am Ziel, wenn sie den gesamten Prozess der Wertschöpfung überschauen, durchschauen und bewältigen. Dann erst wollen sie an die Führung.

Sie sind aber schon heute davon überzeugt, dass sie diese Führungsrolle weit besser ausfüllen als die amtierenden CEOs. Die Konfrontation könnte deutlicher nicht sein, sie zeigt sich im Bild von der

idealen Führungskraft ebenso wie in der Frage nach der Gestaltung des beruflichen Alltags gemeinsam mit Kollegen und Mitarbeitern und in der ethischen Fundierung der Karriere und des Wirtschaftens. Mit statistischer Signifikanz entsteht das Porträt des essayistischen Milieus, das überdauern könnte und Impulse für die Zukunft liefert. Die "Wir-Menschen" sind auf dem Weg an die Spitze, Menschen, die sich wohl dabei fühlen, Entscheidungen kooperativ zu entwickeln, kollegial zu arbeiten, ethische Standards zu beachten - und das alles, ohne die wirtschaftlichen Notwendigkeiten aus dem Blick zu verlieren.

Holger Rust ist Professor für Soziologie an der Universität Hannover und

wissenschaftlicher Berater von Unternehmen im In- und Ausland (Zudem

ständiger EXTRA-Glossist auf Seite 2!). Eine Beschreibung und Diskussion der drei Management-Milieus, die empirischen Grundlagen dazu und ein Konzept lebendiger Kommunikation, in dem

das "Prinzip des Wienerischen" den Ausgangspunkt bildet, nämlich ansatzlos miteinander ins Gespräch zu kommen - und dieses Gespräch auch dort zu suchen, wo man nicht unter Gleichgesinnten ist, all das findet sich in seinem Buch:

Holger Rust: Die sanften Management-rebellen. Wie der Nachwuchs die Chefetagen aufmischen will. Gabler Verlag, Wiesbaden 2003, 191 Seiten.

Freitag, 16. Jänner 2004

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