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Der Glaubenskrieg rund um den Korken und seine Alternativen

Heikle Verschlusssache

Von Martin Scheid

Samstagabend. Sie sitzen zu zweit im Restaurant. Kerzenlicht, feines Gedeck. Die Vorspeise hat den Appetit angeregt, ihr Lieblingswein wird bestellt. Der Ober öffnet gekonnt, lässt sie am Korken riechen. Obwohl sie eigentlich keinen Korkgeruch empfinden können, nicken sie zustimmend. Das Lamm schmeckt hervorragend, die Polentascheiben sind knusprig, nur ihr Lieblingsroter fällt aus dem Rahmen. Der Sommelier ist bestürzt, bringt eine neue Flasche vom selben Jahrgang und tatsächlich, jetzt stimmt wieder alles. Der erste Wein hatte etwas. Ein Fehlton, entschuldigt sich der Sommelier, wahrscheinlich der Korken, murmelt er kopfschüttelnd.

Seinen Gästen sagt er es nicht, aber unter Kollegen ist es kein Geheimnis, dass bis zu 30 Prozent der Weine derart unliebsam auffallen. In den meisten Fällen wird dem Korken die Urheberschaft für alle dumpfen, muffigen Fehlaromen unterstellt. "Über die Korken ärgere ich mich eigentlich schon immer", beginnt Johannes Hirsch aus Kammern im Kamptal seinen Unmut über die Korkqualitäten zu äußern. Zu oft schon hat ein "maskierter oder schleichender Kork", wie solche Fehlgeschmäcker in der Fachsprache heißen, den Gaumen und die Nase des Winzers irritiert. Die Schuld wird oft ihm gegeben, obwohl es eindeutig der Korken ist, ärgert sich der junge Hirsch - und geht sogar so weit, die Sache mit dem russischen Roulett zu vergleichen: "Von 12 Flaschen haben sicher 2 einen Korkton", resümiert er und fragt herausfordernd, wer sich das heute noch leisten könne.

Eine englische Untersuchung im Jahr 2002 ergab, dass bei 14.000 verkosteten Weinen 3,4 Prozent eindeutige Fehltöne aufwiesen. Alle reklamierten Flaschen waren mit Korken verschlossen.

Verzweifelte Sommeliers

Letztlich sind es die Korkproduzenten, die bei Reklamationen für den Schaden haften. Die Realität schaut aber anders aus. Dem Gast wird, sollte er mit einer Flasche nicht zufrieden sein, in der Regel ein neuer Wein serviert. Auch der Wirt wird vom Lieferanten auf dem Kulanzweg die eine oder andere Flasche ersetzt bekommen. Reklamiert hingegen der Winzer beim Korkhändler wegen einer ganzen Charge von fehlerhaften Weinen, muss er ein langes Prozedere mit unsicherem Ausgang in Kauf nehmen.

Ersatz hin oder her, meint Adolf Schmid, Sommelier im 4-Haubenrestaurant Steirereck in Wien: "Wenn ich einen 1976er Mouton Rothschild öffne und der korkt, gibt es keinen Ersatz. Wir gehen täglich mit einigen Flaschen zurück, die Kork haben, und kommen gar nicht nach, alles aufzuzeichnen und zu reklamieren." So könne es jedenfalls nicht weitergehen, meint er einigermaßen verzweifelt.

Trichloranisol (TCA) nennt sich das geruchsintensive Stoffwechselprodukt gewisser Schimmelpilze, das für den so genannten Korkton verantwortlich ist. Bereits die lächerlich geringe Menge von 1,5 mg TCA pro Million Liter genügt, den Wein als ungenießbar zu bezeichnen. Verständlich, dass die Korkproduzenten Portugals und Spaniens ihre ganze Energie in die Forschung zur Verhinderung des Schimmelbefalls von Korkeichen setzen. Millionen Euro wurden investiert, um das leidige TCA aus dem Korkmaterial zu eliminieren. Zu lange habe man sich auf die Vergrößerung der Anbauflächen konzentriert, und zu spät habe die Korkindustrie auf die immer häufigeren Mängel reagiert, gibt Gerhard Schiesser, einer der größten Korkhändler Österreichs, zu. Es werde zwar noch einige Jahre dauern, dann aber wolle man eine 99,9- prozentige Garantie für TCA-freie Korkverschlüsse geben.

Noch dringlicher, als die Qualität zu sichern, ist für die Produzenten aber die Steigerung der Quantität. Die Korkanbauflächen sind zu klein für den rasch wachsenden Bedarf. Eine gute Korkrinde braucht neun Jahre, bis sie reif ist. Zu lange, um die gesamte Weinproduktion in diesem Zeitraum mit Kork zu versorgen. Korkeichenpflanzungen werden deshalb von der EU bereits zu 100% gefördert. Doch selbst wenn die Produktion verdoppelt würde, könnte sie den Bedarf an Flaschenverschlüssen nicht decken. Pro Jahr verlangt der Weinmarkt 400 Millionen zusätzliche Verschlüsse. Der Hauptgrund dafür ist die gesteigerte Weinproduktion Argentiniens, Chiles und Südafrikas. Kunststoff, Kronenkork oder Drehverschluss bieten sich als Alternative an.

Die Sache mit dem Dreh

Der steirische Winzer Herman Seifried wanderte vor 30 Jahren nach Neuseeland aus. In diesem Land ohne Winzervergangenheit bewirtschaftet er heute 170 Hektar Weinfläche. Unbelastet von den Traditionen und Riten der Weintrinker der Alten Welt, geht er pragmatisch an die Sache mit den Verschlüssen heran. Die Qualität der Korken werde von Jahr zu Jahr schlechter, meint er, und die Preise dafür steigen ständig. Daher gibt es für ihn nur mehr eine Alternative - den Drehverschluss. Ob junger frischer Sauvignon Blanc oder erdig schwerer Pinot Noir, alle tragen die Kappe mit dem Gewinde. Sogar seine traditionsbewussten englischen Großkunden ließen sich von der Sache mit dem Dreh überzeugen. Bereits über 60 Anbieter liefern der britischen Lebensmittelkette Tesco Weine mit Drehverschlüssen. Für ihr gutes Geld ist ihnen die einwandfrei Qualität des Weines wichtiger als der nostalgische Ritus beim Öffnen einer Bouteille.

Die Abneigung vieler europäischer Genießer gegen die metallene Kappe bleibt dennoch groß. Zur Feier des Tages eine schöne Flasche Wein wie eine Fruchtsaftflasche aufzudrehen, geht den Traditionalisten zu weit, wird als Respektlosigkeit angesehen. Wo bleibt der Charme der Trinkkultur, wo das leise Plopp beim Herausziehen des feuchten Korkens, fragen Weingenießer der alten Schule. Sie führen den ästhetischen Anblick des Korkens und das haptische Gefühl beim Angreifen des Naturproduktes ins Treffen, aber auch die positiven Alterungserscheinungen bei hochwertigem Wein, die nur durch den Korkverschluss ermöglicht werden.

Der Kunststoffzapfen findet da schon mehr Akzeptanz. Stellt er doch ein Mittelding aus gewohnter Korkform und technologischer Neuerung dar. Seit einigen Jahren ist er auch in Österreich nicht mehr wegzudenken. Seine Vorteile sind offenkundig. Er ist absolut luftdicht, meist billiger als hochwertiger Kork, unbegrenzt verfügbar und vermittelt immer noch etwas vom Gefühl des guten alten Korken. Sein Nachteil: er braucht Gleitmittel, um problemlos aus der Flasche gezogen werden zu können. Die genaue Dosierung dieser Rutschhilfen ist das Problem. Zu wenig davon - und der Gastgeber, Ober oder Sommelier blamiert sich beim Öffnen, wenn der künstliche Kork partout nicht aus der Flasche will. Zu viel davon - und obige Personen blamieren sich abermals, wenn die Korkimitation beim ersten Andruck in das Flascheninnere abgleitet.

Verschluss für junge Weine

Gegner von Kunststoffpfropfen behaupten auch, dass die Gleitmittel geschmacksbeeinträchtigend seien. Die Praxis und mehrfache Studien haben ergeben, dass der Zapfen aus Kunststoff seine Elastizität maximal 18 Monate behält. Danach kommt es zu leichten Veränderungen, die eine Oxidation des Weines ermöglichen. Das ist der Grund, warum er sich nur als Verschluss für Weine eignet, die jung getrunken werden. Und das ist die Masse. Über 80 Prozent der Weine werden spätestens zwei Jahre nach ihrer Abfüllung konsumiert. In der "Neuen Welt", wie der Winzer Herman Seifert weiß, werden sogar 95 Prozent aller Weine innerhalb von 24 Stunden nach dem Kauf geöffnet und getrunken. Das ist auch einer der Gründe, warum Weinpapst Hugh Johnson in der Neuausgabe seines Taschenbuchweinbreviers eine Lanze für alle Korkalternativen bricht. Er empfiehlt den Konsumenten dringend, ihren Alltagswein von Anbietern zu kaufen, die den Mut haben, ihre Erzeugnisse mit Kronenkork, Drehverschluss oder Kunststoffzapfen zu verschließen. "Ist die Romantik eines natürlichen Korkens so viel wert, dass man riskiert, dass 10 Prozent aller Flaschen einen Korkgeschmack bekommen?", fragt Johnson.

Es ist nicht nur Romantik, antworten die meisten Winzer in Bordeaux, der Toskana oder in österreichischen Rotweinanbaugebieten, wenn sie den Korken verteidigen. Weine, die langsam heranreifen sollen, brauchen nach wie vor das Naturprodukt, sagen sie. Bei absoluter Luftabgeschlossenheit hält auch der schönste Burgunder ewig. Wo daber bleibt dann der spannende Moment, in dem sich die allmähliche Reifung durch unvergleichbare Fruchtaromen auf der Zunge zeigt? Wo bleiben die Sekunden, in denen sich das unabsehbare Wechselspiel zwischen Wein, Kork und Luft als geglückt oder missraten erweist?

Johannes Hirsch ist einer derjenigen Winzer, die das Risiko von verdorbenen Flaschen nicht mehr einzugehen bereit sind. Er verschließt sogar die edelsten seiner Weine mit Drehverschluss, wie etwa den Heiligenstein Riesling oder den Lamm Grünen Veltliner mit einem Reifepotential von 20 Jahren. Wer die schlanke Flasche sieht, kommt kaum auf den Gedanken, dass sich unter der eleganten Metallhaube ein Drehverschluss verbirgt. Als Ersatz für die klassische Öffnungszeremonie mit dem so liebgewonnen Plopp-Geräusch empfiehlt der innovative Winzer das behutsame Dekantieren. Dann bekommt jeder, was er braucht: der Konsument das Gefühl des edlen, einmaligen Augenblicks, der Gastgeber die Sicherheit, kein böses TCA zu kredenzen, und der Winzer die ehrenvolle Aufgabe, nicht mehr dem Korken die Schuld für fehlerhaften Geschmack zu geben, sondern vor der eigenen Kellertüre zu kehren.

Freitag, 24. Oktober 2003

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