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Was in Wien und Umgebung vor 300 Jahren geschah

Sesseltrager und Kuruzzen

Von David Axmann

Natürlich geschieht immer irgendetwas. In der Geschichte gibt es keine Spielunterbrechung. Allerdings ist das historische Geschehen nicht zu allen Zeiten seines Verlaufs in gleicher Weise dokumentiert: Ereignisse, die für die Zeitgenossen wie für die Nachgeborenen von besonderer Bedeutung waren, sind ausführlicher beschrieben und länger in Erinnerung behalten worden. Kurzum, wie es zum Beispiel im natürlichen Lebenskreislauf gute und schlechte Nussjahre gibt, finden wir auch in der Chronik vergangener Zeiten mehr oder weniger üppige Jahre. Rückblickend betrachtet, war das Jahr 1703 für Wien und Umgebung hinsichtlich seiner "geschichtlichen Wertigkeit" ein eher durchschnittliches. Trotzdem hat sich allerlei getan.

Beginnen wir mit einem Blick auf die Weltgeschichte, deren Auswirkungen selbstverständlich auch in Wien zu spüren waren. Nach dem Tode König Karls II. von Spanien im Jahre 1700 hatte sich die politische Situation in Europa grundlegend geändert. Karl II. hatte in seinem Testament Philipp von Anjou, den Enkel Ludwigs XIV. von Frankreich, als Erben eingesetzt. Entgegen einer 1668 geschlossenen Vereinbarung über die zukünftige Aufteilung Spaniens nahm der französische König für seine Enkel das Testament jedoch an. Da aber der Habsburger-Kaiser Leopold I. seine Rechte nicht ohne weiteres aufgeben wollte, kam es zum Spanischen Erbfolgekrieg. Leopold sandte seinen zweitgeborenen Sohn Karl (den späteren Kaiser Karl VI.) im Jahre 1703 als designierten König spanienwärts: Mit großem Gefolge reiste dieser über Prag, Deutschland und Holland nach England, von wo aus er mit einem holländisch-englischen Heer in Richtung Süden aufbrach.

Rákóczi und Prinz Eugen

Just zu dieser Zeit, 1703 eben, begannen die bis 1709 andauernden Kuruzzen-Einfälle in Teile von Niederösterreich, des Burgenlands und der östlichen Steiermark. Die Kuruzzen, was so viel heißt wie "Kreuzträger", waren ungarische Aufständische, an deren Spitze 1703 der ungarische Magnat Rákóczi Franz (Ferencz) II. getreten war. Dieser 1676 geborene Rákóczi war 1701 der Zusammenarbeit mit den Franzosen beschuldigt und in Wiener Neustadt interniert worden. Zwei Jahre später gelang es ihm, zu flüchten und mit seinen Kuruzzen-Horden Wien und Umgebung in Angst und Schrecken zu versetzen: Deshalb wurde 1704 zum Schutz der Reichshauptstadt der Linienwall errichtet (an dessen Stelle sich heute der Gürtel befindet).

Der Anstoß zur Errichtung dieser Befestigungsanlage kam von Prinz Eugen von Savoyen, der sich ja schon als Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres (seit 1697) in den Türkenkriegen und ab 1700 im Zuge des Spanischen Erbfolgekriegs bei Kämpfen in Italien verdient gemacht hatte. Im Jahre 1703 wurde Prinz Eugen zum Präsident des Hofkriegsrates ernannt. Im selben Jahr erfuhr des Prinzen Stadtpalais eine architektonische Erweiterung. Dieses Stadt- (oder auch Winter-)Palais liegt bekanntlich in der Himmelpfortgasse und ist seit 1848 Sitz des österreichischen Finanzministeriums. 1694 hatte der Prinz um 33.000 Gulden ein Haus in der Trabothgasse (der heutigen Himmelpfortgasse) erworben; 1695 beauftragte er den bekannten Baumeister Fischer von Erlach mit der Planung eines Palais mit sieben Fensterachsen und einem Portal. Der Baubeginn erfolgte 1697. Im Jahre 1703 konnte ein weiteres, östlich gelegenes Grundstück, das so genannte "Ballhaus", erworben und damit das Palais auf zwölf Fensterachsen und mit einem zweiten Portal ausgelegt werden.

Apropos Bauwerke. Wie in Rom steht auch in Wien auf dem Petersplatz die Peterskirche: 1700 hatte die Bruderschaft der Hl. Dreifaltigkeit beschlossen, die alte, baufällige Kirche durch einen Neubau zu ersetzen. Die Pläne entwarf Gabriele Montani, 1703 übernahm Lucas von Hildebrandt die Bauleitung, die er bis zur Fertigstellung des neuen Gotteshauses (1708) innehatte.

Baumeister Andrea Pozzo

Von der Peterskirche ist es nicht weit zur Jesuitenkirche gegenüber der Alten Universität - auch für dieses Gebäude spielt das Jahr 1703 eine wichtige Rolle. Auf Drängen Kaiser Leopolds I. kam der Jesuitenbruder Andrea Pozzo (1642 bis 1709) im Jahre 1702 nach Wien und begann im Jahre darauf mit der Umgestaltung der Universitätskirche. Pozzo hat in die acht Seitenkapellen auf der Höhe des Ansatzes der Stirnbögen Emporen eingezogen, die miteinander verbunden sind. Die beiden Seiten des Langhauses sind durch Pilaster mit reichen Kapitellen gegliedert und tragen einen durchgehenden Architrav. Während Fußböden, Stufen, Balustraden und Türgewände zu ebener Erde in echtem Marmor ausgeführt wurden, sind alle übrigen Bauteile mit Stuckmarmor verziert. All dies trägt dazu bei, dass der Innenraum der Kirche den Charakter eines einheitlich gestalteten "Farbraums" ausstrahlt.

In theatralischer Hinsicht war das Jahr 1703 in Wien bescheiden - immerhin gab es eine Welturaufführung. Der Komponist war Attilio Ariosti; geboren 1666 in Bologna, gestorben 1729 in London, war er von 1697 bis 1703 Hofkomponist in Berlin, dann am Hofe von Anjou, später Generalagent für Italien bei Kaiser Joseph I., feierte 1715/16 Erfolge in Paris und London, die durch Händels Auftreten zurückgedrängt wurden; er schrieb rund 25 Opern, die sich zunächst an Lully, später an Alessandro Scarlatti orientierten. Und dieser Attilio Ariosti hat auch - nach einem Libretto von Pietro Antonio Bernardoni - "La più gloriosa fatica d'Ercole", ein "poemetto drammatico", komponiert, das am 15. November 1703 am Wiener Hof erstmals aufgeführt worden ist.

Etwas abseits des Hofes, in der Taborstraße, spielte das Jahr 1703 ebenfalls eine Rolle. Die Taborstraße hatte als Einfahrtsstraße in die Stadt Wien seit langem große Bedeutung. Unmittelbar vor den Mauern der Stadt lagen schon im 15. Jahrhundert Einkehrgasthöfe für Kaufleute, Kutscher und Fuhrwerker. Im 17. Jahrhundert kam es in der Taborstraße zu einem richtigen "Hotel-Boom" - eine Urkunde aus dem Jahre 1630 verlieh Hausbesitzern am Anfang der Straße das Privileg, "Fremde zu beherbergen und Speisen zu verabreichen gegen Geld". Im Jahre 1703 aber findet sich die erste geschichtliche Erwähnung des heutigen Hotels Stefanie (Taborstraße 12), das damals der Gasthof "Weiße Rose" war.

Ob das erste Kaffeehaus in Wien ebenfalls 1703 eröffnet worden ist (und zwar durch den Armenier Isaak de Luca) oder nicht doch schon sechs Jahre früher, ist in der Lokalgeschichtsschreibung umstritten. Fest steht aber, dass es seit diesem Jahr in Wien die "Sesseltrager" gab, ein modernes öffentliches Verkehrsmittel, das seinen Standplatz am Michaelerplatz gegenüber dem Palais Herberstein hatte.

Pestgelübde der Fleischhauer

Außerhalb der Stadt lag die Wallfahrtskirche "Zur heiligsten Dreifaltigkeit" in Lainz-Speising. 1679 hatte eine gewaltige Pestepidemie die Bewohner Wiens und seiner Umgebung heimgesucht - das Dorfkirchlein wurde zum Ziel geängstigter Christen. Das Personal des Münzamtes gelobte eine jährliche Wallfahrt zum Dreifaltigkeitsheiligtum nach Lainz, und im Jahre 1703 verbanden sich die Mitglieder der Fleischhauer-Innung zu einem Pestgelübde, zu welchem sich bald auch die Hutmacher gesellten.

1703 erhielt übrigens Neulerchenfeld ein eigenes Gemeindestatut und ein Grundbuch. Später bekam Neulerchenfeld - da das Stift Klosterneuburg, welchem die Gemeinde bis 1848 unterstand, den Bewohnern die "Schankgerechtigkeit" (also das Recht, Wein auszuschenken) erteilt hatte - den schmucken Beinamen "Größtes Wirtshaus des Heiligen Römischen Reiches" (bis zu 20.000 Menschen sollen dort an Sonn- und Feiertagen ihr Vergnügen gefunden haben).

Die Marxergasse im dritten Wiener Gemeindebezirk hat weder mit Karl Marx noch mit den Marx Brothers etwas zu tun: sie ist benannt nach dem aus Vorarlberg stammenden Priester Franz Xaver Anton Marxer, geboren im Jahre 1703. Nach dem Besuch des Jesuitengymnasiums in Feldkirch wandte Marxer sich vor allem sozialen Belangen zu. Von Kaiser Karl VI. mit der Reorganisation des Armenwesens betraut, schuf er etwa 1742 das erste Wiener Waisenhaus am Rennweg. 1738 wurde er Domherr zu St. Stephan, 1749 wurde er zum Weihbischof und Generalvikar der Erzdiözese Wien ernannt. Als Dompropst von St. Stephan (ab 1753) fungierte Bischof Marxer auch als Kanzler der Universität Wien; er starb im Jahre 1775.

Blicken wir zum Abschluss ein wenig weiter über Wien hinaus, fassen wir den Begriff Umgebung etwas großzügiger auf - so zeigt es sich, dass die in den Lokalchroniken verbuchten Ereignisse doch immer mit den großen weltpolitischen Entwicklungen zusammenhängen. Da berichtet zum Beispiel die "Zeittafel der Landeshauptstadt Bregenz" für das Jahr 1703: "Im März werden die Franzosen (welche im Zuge des Spanischen Erbfolgekriegs hierher gekommen waren) von einem Aufgebot der Landstände an der Bregenzer Klause abgewehrt." Und die Chronik von Kufstein meldet: "1703 geriet Kufstein in den Strudel des Spanischen Erbfolgekrieges: Bayern drang als Bundesgenosse Frankreichs in Tirol ein und nahm Stadt und Festung, wobei die Kampfhandlungen einen verheerenden Brand auslösten, dem der ganze Untere Stadtplatz und Teile der Festung zum Opfer fielen."

Café Tomaselli

Wacker schlugen sich auch die Männer von Schwaz, insbesondere Jakob Bartl, Bierbrauer und Haubesitzer daselbst. "Im Jahre 1703 errichtete er als Landesschützen-Fähnrich in Schwaz aus Bergknappen und Landstürmern eine Freikompagnie von Scharfschützen, mit der er im Juni 1703 in die Playbacher und Tierseer Schanzen zog. Am 19. Juli 1703 entwaffnete er in Schwaz die churbayrischen Truppen, trug die Innbrücke vor dem Feinde ab und nahm an der Erstürmung von Rattenberg am 21. Juli 1703 tätigen Anteil. Er erhielt hierfür am 12. Jänner 1704 eine kaiserliche Anerkennung."

Von Tirol reisen wir ostwärts nach Salzburg. Wohl jeder Besucher der Mozartstadt kennt das Café Tomaselli. Die wenigsten aber wissen dies: Bereits im Jahre 1703 erhielten der Italiener Caribuni und der Savoyarde Jean Fontaine vom Salzburger Fürsterzbischof Johann Ernst Graf von Thun die Kaffeesiederbefugnis, die die Erlaubnis einschloss, "Cioccolate, Coffé, Rosolio, Thee, Aquavit und andere Wasser-Brennerey-Sachen auszuschenken", und zwar im Hause Goldgasse 5, an einer der allerengsten Stellen in der Altstadt, wo die Häuserwände kaum zweieinhalb Meter voneinander entfernt waren.

Ganz zum Schluss noch ein Abstecher ins Burgenland, nämlich nach Kobersdorf, wo heute zur Sommerzeit Theater gespielt wird, im Jahre 1703 hingegen große Furcht vor den schon erwähnten Kuruzzen herrschte. Die Burg Kobersdorf erhielt infolge der Unzuverlässigkeit der ungarischen Soldaten eine deutsche Besatzung, und die

katholische Pfarre Kobersdorf wurde in diesem Jahr errichtet. Am 14. August 1703 aber hat, wie aus einem Kaufbrief hervorgeht, ein gewisser Paul Schidter einem Johann Matthias Perschitz die heutige Posch-Mühle um 717 Gulden verkauft. Ob das ein gutes Geschäft war, kann man 300 Jahre danach wohl nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.

Freitag, 08. August 2003

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