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Der "Sheikh Zayed Kanal" soll Ägyptens Wüste bewässern

Neuer Nil aus Menschenhand

Von Axel Bojanowski

Dass Ägypten ein Geschenk des Nil ist, wusste bereits Herodot. Fast alle 70 Millionen Einwohner des Landes leben dicht gedrängt im Nildelta auf einer Fläche, die etwas kleiner ist als jene der Schweiz. Jedes Jahr kommen etwa eine Million Menschen hinzu. Der Rest des Landes - etwa 95 Prozent - ist Wüste und beinahe unbewohnt. Doch nicht mehr lange. Das "Toshka-Projekt" - benannt nach der Region, die der "neue Nil" queren wird - soll die Wüste erblühen lassen, Städte sollen entstehen, manche sprechen von einer neuen Zivilisation. Die neuen Siedler in Toshka bekommen das Land fast geschenkt: Knapp 20 Euro kostet eine Fläche von rund fünf Fußballfeldern. Die erste Strecke des neuen Flusses steht bereits unter Wasser, auf einigen Farmen werden inbereits Gemüse und Obst geerntet. Schon wird das Neuland mit dem florierenden Kalifornien verglichen.

Der Kanal wird aus dem Nassersee gespeist, einem 500 Kilometer langen Stausee des Nils am gigantischen Assuan-Staudamm. 21 riesige Pumpen befördern bis zu 25 Millionen Kubikmeter Wasser pro Tag aus dem See. Die Pumpen überwinden dabei in der Regel 50 Meter Höhenunterschied. Das Gefälle ist nötig, um auch noch die entfern

testen Regionen bewässern zu können. Die angeblich weltgrößte Pumpstation (sie kostete 500 Millionen Euro) wurde Anfang des Jahres von Präsident Hosni

Mubarak eingeweiht. Auch nach zehn Jahren Dürre und einem niedrigeren Seepegel könnten die Pumpen das Wasser noch heben.

Die ersten 50 Kilometer des Hauptkanals und zwei von neun geplanten Seitenkanälen wurden kürzlich fertig gestellt; 300 Kilometer müssen noch in die Wüste gegraben werden. Vom Nassersee frisst sich der Kanal langsam Richtung Nordwesten - zunächst hinab in die Toshka-Senke bis ins so genannte Neue Tal - durch Gebiete, die als besonders fruchtbar gelten. Der Kanal ist offen, sechs Meter hoch, auf dem Grund 30 Meter, von Ufer zu Ufer 54 Meter breit.

Täglich kurz nach Sonnenuntergang wird die hausgroße blaue Betoniermaschine angeworfen, die mit ihrem 40 Meter langen Ausleger im Schneckentempo den Kanalgraben betoniert. Das geschieht nachts, weil bei sommerlichen Tagestemperaturen von 50 Grad im Schatten der Beton zu schnell trocknen und daher schon bald brüchig würde. Am Tage schaufeln Bagger und Männer das Bett des neuen Flusses aus. Viele Arbeiter ertragen die Arbeitsbedingungen nur wenige Wochen und geben dann auf.

Auf der benachbarten Kadco-Farm sieht es plötzlich ganz anders aus: Männer ernten Obst und Gemüse auf grünen Plantagen am Ufer eines Nebenarms des "neuen Nils". Der saudische Milliardär Prinz al-Walid Bin Talal investierte mehr als 600 Millionen Euro in den Wüstenboden und beauftragte für einen Teil des Gebietes eine Firma aus den USA mit dem Management einer Farm. Bis vor kurzem betrieb man diese Farm mit Grundwasser. Nun wurde der Seitenarm des Kanals geflutet, mehr Wasser steht zur Verfügung und die Kadco-Farm soll so groß wie München werden. "Die Bedingungen sind ähnlich gut wie in Arizona oder Kalifornien, wo wir ebenfalls mit künstlicher Bewässerung seit langem sehr rentabel anbauen", sagt Kadco-Manager Bob Rush. Prinz al-Walid rechnet in einigen Jahren gar mit 20 Prozent Rendite.

Auch Kleinunternehmer wie Mohamad Ramadan Abd Zah glauben an ihre Chance. Der ausgebildete Landwirt nahm, wie Tausende andere Hochschulabsolventen, das Angebot der Regierung an, Wüstenboden kostenlos zu bepflanzen. Den Jungpionieren wurde zusätzlich ein kleines Häuschen auf ihrem Grundstück zur Verfügung gestellt. Das Gebiet werde frei bleiben von Verschmutzung und Pestiziden, hat Landwirtschaftsminister Youssuf Waly versprochen. Die erhofften fünf Ernten im Jahr meint man gut verkaufen zu können. Gerade Europa komme als Absatzmarkt infrage, erklärt Rush.

Wie in Kalifornien oder Israel werden auch hier die neuen Anbauflächen mit Tröpfchenbewässerung genährt: Aus dem Kanal leiten Schläuche das Wasser zu den Feldern. Dort führen sie in den Boden hinein, wo der Wurzel jeder einzelnen Pflanze in kurzen Abständen eine geringe Menge Feuchtigkeit zugeführt wird. So werden Wasserverluste aufgrund von Verdunstung oder Versickern reduziert. Große Mengen Dünger sollen die Ländereien fruchtbarer machen. Ägypten will seine Produktion von Düngemitteln in den nächsten fünf Jahren verdoppeln.

Die Landwirte sind die Pioniere, andere Gewerbe sollen bald folgen. Bestehende Minerallagerstätten bilden die Voraussetzung für Bergbau- und Metallindustrie. Die verarbeitende Industrie soll ein Viertel der erschlossenen Wüstenregion nutzen. Mit der Ansiedlung von Dienstleistungs- und High-Tech-Firmen wird gerechnet, sogar der Tourismusbranche wird eine rosige Zukunft versprochen.

Der Staat versucht, den Unternehmen die Wüste schmackhaft zu machen: Gewinne bleiben während 20 Jahren steuerfrei. Das wertvolle Wasser wird relativ billig abgegeben. Günstigen Strom liefert der Assuan-Staudamm. Viele Straßen wurden bereits gebaut, Bahnverbindungen sollen folgen.

In den nächsten 14 Jahren sollen entlang des "neuen Nil" 18 Städte für mindestens drei Millionen Menschen entstehen. "Wir werden keine hässlichen Hochhaussiedlungen bauen wie im Norden", sagt Chefingenieur Abdel Ati El Samman.

Das Mammutprojekt belastet die staatlichen Kassen schwer. Allein für den Kanalbau rechnet die Regierung mit Kosten von etwa zwei Milliarden Euro. Insgesamt sollen in die "neue Zivilisation" 90 Milliarden Euro investiert werden, das meiste durch private Investoren. Ökonomen kritisieren allerdings die mangelnde Transparenz und erwarten deutlich höhere Kosten für den Staat. Das Toshka-Projekt sei für die Wirtschaftskrise verantwortlich, klagt nicht nur der Oppostionspolitiker Mahmoud Shazli.

Eine angekündigte Studie über die ökologischen Folgen des Projektes hat die Regierung bisher nicht veröffentlicht. Ökologen warnen davor, dass die Bewässerung den Boden versalzen und unfruchtbar machen könnte. Geld und Wasser seien fehlgeleitet, meint der renommierte Geologe Rushdi Said. Man hätte das bestehende, häufig marode Bewässerungssystem im Nildelta verbessern, Industrie und Bevölkerung dort aussiedeln und das fruchtbare Land ganz für die Landwirtschaft nutzen sollen.

Zudem muss Ägypten darauf achten, die Quelle des Kanals, den Nassersee, nicht allzu sehr auszubeuten. Ein Vertrag mit dem anderen Seeanrainer, dem Sudan, sieht eine gerechte Verteilung des Wassers vor. Schon heute liegt die Nutzungsmenge Ägyptens am oberen Limit. Nun werden diverse Einsparmaßnahmen diskutiert.

Ansonsten gibt es wenig öffentliche Kritik. Was vermutlich daran liegt, dass Präsident Mubarak das Projekt zu seinem Lebenswerk erklärt hat. Viele Ägypter sehen darin wie ihr Präsident "die Hoffnung des 21. Jahrhunderts". Sie verweisen darauf, dass ein anderes umstrittenes Mammutprojekt, der Assuan-Staudamm, das Land vor mehreren Dürrekatastrophen bewahrt habe. Auch auf den Baustellen am Kanal setzt man auf Optimismus: "Blühende Wüstenstädte" verspricht Chefingenieur El Samman. Man hofft, den "neuen Nil" parallel zu seinem Vaterfluss bis zum Mittelmeer verlängern zu können.

Freitag, 25. Juli 2003

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