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Wie Werbe-Imperative das Konsumverhalten beeinflussen

Raunz nicht, Kunde, kauf!

Von Ingeborg Waldinger

Ein bekannter Werbe-Aufruf lautet: "Be inspired!" Dem ist aber zu widersprechen. Haben wir denn nicht ohnedies alle Ideen? Jederzeit. Oder fast immer. Wozu dann dieser Appell, noch dazu im Werbespot eines Handy-Herstellers? Ist etwa Inspiration beim Erwerb oder beim Gebrauch des angebotenen Gerätes vonnöten? Wie auch immer, der Begriff "Inspiration" ist nunmehr also mit dem Produkt verbunden, ob es dem (potenziellen) Konsumenten passt oder nicht.

Werbung überlässt nichts dem Zufall. Die Kosten für die Platzierung eines Produktes sind enorm, der Warenumlauf wird immer schneller, und der Markt zunehmend gesättigt. Das Zeitalter des Brotes ist zu Ende, und wir sind einer Manipulation der Bedürfnisse ausgesetzt, resümiert die Philosophin und Theologin Dorothea Sölle.

Schlichte Information im Stil der Nachkriegszeit-Reklame reicht nicht mehr aus, um eine Ware an den Mann zu bringen. Der Konsument in den Industrieländern kauft nicht mehr nach Gebrauchs-, sondern nach Erlebniswert. Zweckmäßigkeit und Qualität des Gegenstandes (oder der Dienstleistung) werden vorausgesetzt; erst das spezielle Image des Produktes beeinflusst die Kaufentscheidung. Die Qual der Wahl zu erleichtern, ist Aufgabe der Werbung. Keine einfache Aufgabe, denn tagtäglich fluten an die 1.000 Werbebotschaften über uns hinweg. Nur ein kleiner Bruchteil davon erreicht uns. Wir nehmen die Welt bloß selektiv wahr. Was wir sehen und hören wollen, hängt wesentlich von unserer Bildung, persönlichen Erfahrungen, Interessen und Sehnsüchten ab. Damit wir uns für eine Ware "erwärmen", bedarf es schon mehr als kühler Fakten und Daten. Der Konsument will umworben, will geliebt sein.

Die Reklame hält Monologe

"Werben" bedeutet ja im ursprünglichen Sinn des Wortes auch, jemanden zu gewinnen versuchen. Das erfordert Einfühlungsvermögen, Überredungs- und Verführungskunst. Kurzum, viel Psychologie. Werbung und Verbraucher spielen miteinander ein durchaus sinnliches Spiel, etablieren die Fiktion einer persönlichen, nahezu erotischen Beziehung. "Outen Sie sich als Mann!" Ein Schweizer Uhrenhersteller rührt an der Gender-Debatte. Ob da dem Machismo das Wort geredet oder das heikle Thema des sozialen Outings ironisiert wird, sei dahingestellt. Vermutlich spielen beide Aspekte eine Rolle. Je mehrdeutiger eine Aussage, desto interessanter. Die Werbung spricht zu uns. Mal ist sie mit dem Konsumenten per Sie, mal per du. Sie wendet sich an alle - und zugleich an jeden Einzelnen. Allerdings führt sie kein Gespräch, sondern hält Monologe. Im Branchenjargon heißt das "appellative Kommunikation".

Werbung ist imperativ! Das entspricht ihrem Wesen, ihrer Rhetorik. Ihre Urbotschaft lautet: "Mach mit! Kauf!" Ein Werkzeughersteller würde sagen: "Raunz nicht, kauf!" Befehle prasseln von den Plakatwänden, aus den TV- und Radiospots. Die Tonlage reicht von höflich bis schelmisch, von provokant bis drohend. Alle Register werden gezogen, damit eines erreicht werde: Aufmerksamkeit - wie durch das suggestive "Be inspired!" der Handy-Werbung. Vielleicht erregt die Botschaft auch Widerspruch, weil der Angesprochene seine Inspiration weder durch Kauf noch durch Gebrauch einer Ware unter Beweis stellen will. Vielleicht aber weckt der Spot eine diffuse Hoffnung, die angepriesene Ware könnte tatsächlich "anregend" wirken. Beide Reaktionen sind einkalkuliert.

Werbepsychologen wissen um die verborgensten Winkel der Verbraucherseele: der Konsument will frei wählen können. Formeln wie "Testen Sie . . ., vergleichen Sie . . .!" haben Hochsaison. Auch will der Kunde ein "personalisiertes", das heißt auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Modell angeboten bekommen, sich im Kaufakt ein wenig selbst verwirklichen. Nach Jean Baudrillard, dem "Soziologen der modernen Konsumgesellschaft", glaubt der Verbraucher nicht automatisch an das Produkt. Doch er will den Verheißungen der Werbung glauben, will sozusagen die Geschichte vom Weihnachtsmann am Leben erhalten. So festigt sich in ihm der Eindruck einer mütterlichen Instanz, die die Bedürfnisse ihres Kindes kennt - und formuliert. Es geht also um ein Stück Selbstentfaltung, ermöglicht durch das Produkt. Dazu passen Signale wie "Be inspired!" oder "Go create!" vorzüglich - wohl nicht zufällig Losungen und Lockungen internationaler Elektronikriesen. Sich finden, sich darstellen: die Devise eines amerikanischen Zigarettenherstellers: "Express yourself!" So viel Englisch versteht jeder. So viel Hedonismus auch: "Don't dream it, feel it!" steht im Prospekt eines Sportartikelhändlers zu lesen. Und zum Snowboard der Extraklasse gibt's die Lizenz zum Umsetzen der Träume.

Du darfst! Nimm zwei!

Sein Leben genießen, das tun, was einem Freude bereitet, oder sich die geheimsten Wünsche erfüllen: eine schöne Vorstellung, wären da nicht einige Barrieren zu überwinden. Materielle Vorbehalte lassen sich mit den Versicherungen "Sparen Sie . . ., gewinnen Sie . . .!" einigermaßen aus dem Weg räumen. Mentale Schranken erweisen sich als besonders stabil. Immer wieder stellt man sich die Frage: Darf ich? Die Antwort des Marktes wurde zur Marke: "Du darfst!" oder: "Nimm zwei!" Plagende Kalorienprobleme gehören der Vergangenheit an; das zweite Bonbon ist nicht nur gestattet, sondern auch noch gesund. Welch beruhigendes Gefühl, zu dürfen, aber nicht zu müssen: "Alle Imperative nun gebieten entweder hypothetisch oder categorisch", meinte Immanuel Kant. Alles eine Frage der Urteilskraft.

Dabei kann ein (nicht der) kategorischer Imperativ gerade in Genussfragen sehr hilfreich sein. Die Fastfoodkette mit dem gelben Buchstaben im Logo ließ kürzlich ein ganzes Gutschein-Heftchen voller Genussbefehle verteilen. Jedem Bonus ist ein keckes Motto vorangestellt, das Begriffe oder Redewendungen in gewollter Zweideutigkeit präsentiert: "Spendet euch Freude", "Lebt nicht nur von Luft und Liebe", "Genießt gemeinsam Sechs", "Erlebt das erste Mahl". Der letzte Bonus macht Schluss mit lustig und setzt endlich die "wahren Werte" fest: "Beschenkt euch gegenseitig mit praktischen Gutscheinen - soviel euch halt der andere wert ist!"

Werbung ist ein System reiner Konnotation. Sie stellt Bezüge her, verweist auf etwas, das außerhalb des Produktes liegt. Sie weckt das Interesse, die Sehnsucht nach diesem nicht vorhandenen "Außerhalb". Doch auch das Abwesende gehört zum jeweiligen Weltbild. Werbung ist Ausdruck des Lebensgefühls einer Gesellschaft. Die Imperative der Publicity haben daher kurze - und zunehmend immer kürzere Halbwertszeiten. Nehmen wir zum Beispiel diese Creme in der blauen Dose mit dem weißen Schriftzug: für die Nachkriegsgeneration geradezu ein Synonym für Hautpflege. Heute geht es um mehr: "Forever young" ist Wunsch und Gebot in einem. Besagter Creme-Produzent bringt die Sache auf den Punkt: "Vergiss Falten!" verkünden dermatologisch versierte, strahlende Frauen. Sie erklären: "Q 10 Plus . . . hat die Lösung!" In Anlehnung an Hans Magnus Enzensberger könnte man sagen: Keiner weiß genau, was dieses technische Rotwelsch zu bedeuten hat, doch es suggeriert dem Kunden, an den allerletzten sensationellen Forschungsergebnissen teilzuhaben.

Am Thema "Entspannung" wiederum lässt sich gut der Beschleunigungsgrad unserer Zivilisation ablesen. Der gemütlich einladende Ton einer Teewerbung aus den 1970er Jahren steht in krassem Gegensatz zu einer aktuellen Kaugummi-Werbung: das mit weichem Sound unterlegte "Komm nach Haus', ruh'' dich aus . . ." ist passé. Heute heißt es knallhart: "Draufbeißen und Durchatmen!" Ebenso kann der nette Wink, "Lass dir mal ein . . . schmecken!" mit dem kategorischen "Und ex!" nicht Schritt halten. Der aggressive Befehl zum Leeren des Glases erinnert zwar eher an Polterabend- und Hüttenzauberatmosphäre, meint aber einen erfrischenden Joghurtdrink. - Auch Softies sind hart im Nehmen!

Mach mal Pause!

Noch ein Nachsatz zur Getränkeindustrie: Die Losung "Mach mal Pause!" zählt zu jenen Werbeslogans, die sich irgendwann vom Produkt lösen und in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen. Im vorliegenden Fall handelt es sich außerdem um ein seit 1959 geschütztes Warenzeichen der Coca-Cola GmbH. Das weiß auch der in Tunesien geborene Franzose Tawfik Mathlouti. Er "deklinierte" den Namen des globalen Erfrischungsgetränks und produziert seit kurzem das "Mecca-Cola". Ein Verkaufsschlager, der immer mehr europäische Länder erobert. Nicht sein unvergleichlicher Geschmack, sondern seine politische Symbolik ist für den Markterfolg verantwortlich. "Ne buvez plus idiot, buvez engagé" - also: "Trink engagiert, nicht blöd!" lautet die Aufforderung. Sie kommt an, zumal in Zeiten eines weit verbreiteten Antiamerikanismus. Das Wässerchen als Islamistendrink zu punzieren, wäre dennoch delikat. Also liefert der praktizierende Moslem Mathlouti eine geschickte Alternative: "Mecca" meine nicht das islamische Pilgerziel, sondern einen von den Vätern Amerikas ausgemerzten Indianerstamm.

Zwanzig Prozent des Verkaufserlöses von Mecca-Cola sollen übrigens palästinensischen und europäischen Vereinigungen karitativer Natur zugute kommen. Mathlouti ist ein begnadeter Geschäftsmann. Er hat das Gespür für griffige Formeln. Und er befolgt auch den Imperativ für Bosse: "Tue Gutes und rede darüber!"

Freitag, 28. März 2003

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