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Vor 25 Jahren wurde in Österreich ein Meteorit gefunden

Der Fremde von Ybbsitz

Von Christian Pinter

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, in Österreich über einen "Außerirdischen" zu stolpern? Leider praktisch null. Wenn man Geologe ist, stehen die Chancen besser. Dennoch bleibt die Entdeckung eines kosmischen Besuchers hierzulande Zufall. Ein solcher geschah - vor genau 25 Jahren.

Glücksfall

September 1977: Eine Karte der Region um Ybbsitz in Niederösterreich wird neu bearbeitet. Dr. Wolfgang Schnabel von der geologischen Bundesanstalt untersucht das Gestein des 1.123 m hohen Prochenbergs, gut 2 km südöstlich der Marktgemeinde. Am Abend des 17. bricht er die Arbeit unterhalb des Gipfels ab. Zunächst marschiert er auf einem alten Jägersteig talwärts, dann entschließt er sich für eine Abkürzung.

Dr. Schnabel wäre keine Geologe, hätte er den Blick nicht prüfend auf das Gestein zu seinen Füßen geheftet. Plötzlich taucht inmitten der umherliegenden Kalksteine ein dunkelbraunes Objekt auf. Scheinbar ultrabasisches Gestein, wie es 200 m tiefer, unten bei der Waldkapelle, häufig vorkommt. Doch wie soll es den steilen Abhang hinauf gekommen sein? Neugierig wird es ausgegraben. Um den Vergleich mit den Ultrabasiten zu ermöglichen, schlägt der Geologe ein knapp 1,5 kg schweres Handstück ab. Das ist mühsam. Zahlreiche kleine Fragmente splittern ab.

Ein Dünnschliff dieser Probe gelangt im Herbst 1979 ans Institut für Geowissenschaften der Universität Salzburg, wo ihn Prof. Dr. Elisabeth Kirchner mustert. Nicht lange zuvor hat sie in Albuquerque, New Mexico, Meteorite studiert. Sie erkennt die Ähnlichkeit sofort. Kein Zweifel: Das ist kein irdisches Material, sondern solches aus dem Weltall. Man hat einen neuen Meteoriten entdeckt - den erst fünften in Österreich. Ein Glücksfall.

Odyssee

Unsere Sonne wurde vor 4,6 Milliarden Jahren aus einer interstellaren Wolke geboren. Zunächst umgab eine rotierende Gas- und Staubscheibe den jungen Stern. Darin formten sich Billionen kleiner Bausteine von Kilometergröße. In wenigen Jahrmillionen fügten sich diese zu Planeten zusammen. Den Löwenanteil der Materie riss Jupiter an sich. Aus ihm könnte man alle anderen Welten noch zweimal erschaffen.

Mit seiner übermächtigen Anziehungskraft verhinderte der Riese die Geburt eines weiteren Planeten in seiner Nähe. Zwischen Jupiter und unserem Nachbarn Mars blieben Zigtausend Himmelskörper bescheidener Dimension zurück, die sogenannten "Kleinplaneten".

Gelegentlich kommt es zwischen diesen zu fatalen Zusammenstößen mit etwa 18.000 km/h. Die fortgeschleuderten Splitter geraten zum Teil in sehr gefährliche Regionen des Kleinplaneten-Gürtels: In Resonanzzonen, wo Jupiters Gravitation besonders stört. Der Riesenplanet manipuliert die Orbits der Bruchstücke, drückt ihren sonnennächsten Bahnpunkt immer weiter ins innere Planetensystem hinein. Manche Bahnellipsen schneiden dann die Erdbahn. Mitunter steht unser Planet solchen Trümmern im Weg. Diese Erfahrung machte auch der Meteorit von Ybbsitz.

Nach Jahrmillionen langer Irr-

fahrt tauchte der unregelmäßig geformte Brocken mit mindestens 43.000 km/h in die Erdatmosphäre ein. Bei diesem Höllentempo geriet die Luft fast zur Wand. Die enorme Bewegungsenergie wurde vor allem in Hitze verwandelt; rund um das Geschoss leuchtete atmosphärisches Gas hell auf, bildete eine weite Feuerkugel.

In diesem Inferno schmolz die Oberfläche des dahinrasenden Himmelskörpers. In jeder Sekunde schrumpfte er wohl um einen halben Zentimeter. Der Stress war enorm. Bruchstücke spalteten sich ab. Ihrer geringeren Masse wegen wurden sie rascher gebremst. Niemand weiß, wo sie zu Boden stürzten.

Die Hauptmasse wurde weiter geglättet und gerundet. Luftwirbel drückten napfartige Vertiefungen hinein. Die immer dichtere Atmosphäre verstärkte die Abbremsung noch. Einige Kilometer über Grund war die Bewegungsenergie weitgehend verbraucht. Die Leuchterscheinung verschwand. Der Stein stürzte nun, für irdische Betrachter praktisch unsichtbar, im freien Fall herab. Die kurz zuvor noch heiße Oberfläche erstarrte zur glasigen, papierdünnen Schmelzkruste.

Ein dumpfer Aufschlag auf dem Waldboden beendete die Odyssee. Zunächst verriet die dunkle Schmelzkruste den Fremden am Prochenberg noch. Doch die Verwitterung setzte ihr zu. Bald waren bloß Reste davon übrig. Auf den ersten Blick unterschied sich der Exot nun kaum mehr von irdischem Gestein.

Die Bergung

Der Dünnschliff ist in Salzburg eindeutig als Probe eines Himmelsgeschosses identifiziert worden. Doch die Hauptmasse liegt Anfang 1980 noch immer im Wald. Ungeduldig wartet man auf die Schneeschmelze, um sie bergen zu können. Im April ist es soweit. Dr. Schnabel steigt mit einem Mitarbeiter den Hang hinauf. Anhand der Aufzeichnungen findet man den Absturzort wieder. Doch was für eine Enttäuschung: Mittlerweile ist eine Trasse in den Hang gesprengt, eine Forststraße errichtet worden. Zunehmend mutlos suchen die Männer den Waldboden ab.

Nach einer Stunde endlich Erfolg. Acht Meter oberhalb der Straßenböschung stößt man tatsächlich auf den Meteoriten. Auch alle 1977 abgeschlagenen Splitter werden geborgen. Das Hauptstück ist mit rund 19 cm Durchmesser etwa so groß wie ein Handball - aber natürlich viel schwerer. Es wiegt fast 12 kg. Die geologische Bundesanstalt überreicht es dem Naturhistorischen Museum in Wien. Sie erhält dafür, ebenso wie die Marktgemeinde Ybbsitz, einen naturgetreuen Abguss.

Feuerkugel

Das Falldatum des Meteoriten lässt sich nicht sicher ermitteln. Zwei Bewohner von Ybbsitz erinnern sich an Erzählungen über eine kräftige Leuchterscheinung, und zwar an einem Herbsttag in den Fünfzigerjahren. Ein Bruder des Stifts Seitenstetten hielt eine solche aber bereits 1923 fest. Eines dieser Phänomene kann, muss aber nicht in Verbindung mit dem Meteoriten stehen.

Spektakuläre Feuerbälle am Himmel gibt es

ja immer wie-

der. So zog am

10. Mai 2000 ein kosmisches Projektil mit hellen Lichtausbrüchen und lautem Donner über den Osten Österreichs. Auch Wiener wurden Zeuge. Vielleicht stürzte damals ein Meteorit im Weinviertel ab, vielleicht auch nicht. Die meisten Eindringlinge verdampfen beim Höllenritt nämlich zur Gänze.

Am 6. April 2002 erblickte man in Westösterreich eine dramatische Leuchterscheinung am Firmament. Sieben automatische Kameras des Europäischen Feuerkugel-Netzwerks hielten sie fest. Es gelang daher, die Bahn exakt zu rekonstruieren. An diesem Abend drang ein Himmelsgeschoss von einer geschätzten halben Tonne Masse in die Lufthülle ein; mit 75.000 km/h. Nordöstlich von Innsbruck ließ es die Luft in 86 km Höhe hell aufstrahlen - Augenblicke später sogar mit dem Glanz von 150 Vollmonden. Das Licht erlosch in 16 km Höhe weit westlich von Garmisch-Partenkirchen. Planmäßige Suchaktionen förderten jüngst tatsächlich einen Meteoriten mit mattschwarzer Schmelzkruste zu Tage. Fundort: nahe Neuschwanstein.

Raritäten

Beim Fall beobachtet und dann erfolgreich geborgen werden weltweit in jedem Jahr nur drei oder vier Meteorite. Niedergehen dürften aber bis zu 30.000 - mit Massen von jeweils mehr als 100 g. Auf die Fläche Österreichs umgelegt, sollten hier jährlich fünf landen. In gebirgigen oder vegetationsreichen Gebieten ist die Suche offenbar so gut wie aussichtslos. Entsprechend wenige Himmelsboten wurden in unserem Land bisher aufgestöbert. Belgien, Holland, Ungarn, Schweiz oder Portugal liegen mit vier bis acht Funden ähnlich. Griechenland und Irland haben gar nur je einen vorzuweisen.

Als man den Stein von Ybbsitz entdeckte, kannte man weltweit etwa 2.500 Meteorite. Heute sind es gut zehnmal so viele. Doch nur noch

2 Promille aller Neuentdeckungen stammen aus Europa. Der enorme Zuwachs geht vielmehr auf das Konto kalter und heißer Wüsten. In der Antarktis heben sich die dunklen Steine sehr gut vom Weiß des Eises ab; Gletscher sorgen außerdem für einen willkommenen Sammelmechanismus. In Nordafrika und dem Oman existieren einige Gebiete, die nur von kleinen, relativ hellen Steinen bedeckt sind. Dort macht man dunkle Objekte aus weiter Distanz aus.

In Wüstengebieten verlangsamt extreme Trockenheit die Verwitterung: Meteorite überdauern Tausende von Jahren. Der Aufenthalt in relativ feuchten Regionen bekommt ihnen dagegen schlecht. Auch deshalb bleiben Erfolgsmeldungen bei uns rar.

Uralte Körner

Der Stein von Ybbsitz ist der bislang letzte Fund eines Meteoriten in Österreich. Die anderen vier sind rasch aufgezählt: 1768 fiel einer im oberösterreichischen Mauerkirchen zu Boden, 1925 einer in Lanzenkirchen, Niederösterreich. 1932 landete erneut ein Meteorit in Oberösterreich, diesmal in Prambachkirchen. Dazu kommt ein Fund, der 1877 aus Mühlau,

Tirol, gemeldet wurde. Übrigens: 1905 stürzte ein Stein bei Minnichhof ab, hart an der späteren Staatsgrenze zu Ungarn. Er wird heute offiziell dem Nachbarland zugerechnet.

Alle fünf "Österreicher" sind Steinmeteorite, genauer gewöhnliche Chondrite. Sie zählen damit zur häufigsten Gruppe der Himmelsboten. Chondrite verdanken ihren Namen den vielen im Anschnitt erkennbaren, millimeterkleinen Silikatkugeln. Diese heißen "Chondren", nach dem griechischen Wort für "Korn". Die uralten Kügelchen faszinieren Forscher - auch weil die genaue Entstehung umstritten ist. Allein deren Existenz beweist, dass Chondrite später niemals hohen Temperaturen ausgesetzt waren. Sonst wären die Chondren verschwunden.

Steinmeteorite wie jener aus Ybbsitz stellen damit sehr ursprünglich gebliebene Materie aus der Geburtszeit des Sonnensystems dar. Auch die Erde formte sich einst aus ähnlichem Baumaterial. Hier wurde es jedoch umgeschmolzen. Auf unserem Planeten existiert kein vergleichbares Gestein mehr.

Eisenkerne

Die Mutterkörper der Chondrite müssen besonders massenarme Kleinplaneten gewesen sein. Größere Objekte, solche ab ein paar 100 km Durchmesser, erwartete ein ganz anderes Schicksal. Sie erhitzten sich beim Zerfall radioaktiver Elemente. Ihre Materie schmolz. Chondren wurden zerstört. Schwere Elemente sanken ins Zentrum. Ein Kern aus Nickeleisen wurde schließlich von einem steinernen Mantel eingehüllt.

Heftige Kollisionen von Kleinplaneten legten solche Eisenkerne frei, zerbrachen sie teilweise. Deshalb lagern in unseren Sammlungen auch Eisenmeteorite. Diese stürzen viel seltener zur Erde als ihre steinernen Kollegen; ihres ungewöhnlich hohen Gewichts wegen fallen sie aber eher auf.

Bevor Menschen die Fähigkeit zur Metallherstellung erwarben, verwendeten sie Eisenmeteorite. Das Himmelseisen diente zur Herstellung von Messern, Schabern, Äxten, Harpunen, Hämmern oder Schmuckstücken, später von Schwertern oder Dolchen. Selbst heute werden manchmal noch dekorative Messer daraus gefertigt.

Schmiedemeister

Die Geschichte des heute rund 4.000 Einwohner zählenden Ybbsitz im Alpenvorland ist seit dem Mittelalter von der Eisen- und Metallverarbeitung geprägt. 1437 berichtete eine Urkunde schon von der "uralten Werkstatt" in Ybbsitz. 1808 nannte die Marktchronik 63 Schmiedemeister und 20 Hammerwerke. Was wäre geschehen, bestünde der hier gefundene Meteorit nicht aus Stein, sondern aus Eisen, wäre er vor Jahrhunderten auf die Erde gefallen und schon damals entdeckt worden?

Vielleicht hätte er das Schicksal von etlichen anderen Eisenmeteoriten erlitten, wäre einem Schmied als Amboss dienlich gewesen oder in Hufeisen, Nägeln, Klingen oder Werkzeugen aufgegangen. Zum Glück ist dies nicht der Fall. Der Fremde von Ybbsitz ist erhalten geblieben. Er ruht in der Meteoritensammlung des Naturhistorischen Museums, gemeinsam mit 1.700 Proben anderer "Außerirdischer" aus Stein und Eisen.

Freitag, 06. September 2002

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