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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Ausflüge in die Scheinwelten der zeitgenössischen Wirtschaft

Sanfte Stimmen, gute Laune

Von Piotr Pietrzyk

Unlängst war mein Laptop kaputt. Einfach so. Von der einen Minute auf die andere. Die Daten futsch, das Betriebssystem verschwunden; selbst der freundliche Willkommensgruß ließ vergeblich auf sich warten. Klar, so etwas ist immer ärgerlich. Aber es ist noch ärgerlicher, wenn es sich innerhalb von 24 Monaten um die zweite Reparatur an einem angeblichen high end-Gerät von einem von Selbstbewusstsein nur so strotzenden Markenhersteller handelt. Die Diagnose beim Händler ist eindeutig: "Die Festplatte ist hin". Und wie man das aus der Branche kennt, setzt der Fachmann hinzu: "Neu ist das Gerät ja nicht mehr, wenn sie aber unbedingt wollen, kann man ein neues 'hard drive' einbauen." So weit, so schlecht, denn dieses Abenteuer wird zu einem Festpreis von bald 400 Euro angeboten.

Und in der Tat handelt es sich um ein Abenteuer, um einen Ausflug in die schöne neue Scheinwelt zeitgenössischer Wirtschaftstätigkeit: Anders als noch vor einigen Jahren hat sich nämlich nicht etwa ein Haustechniker des Händlers an meinem Laptop zu schaffen gemacht, sondern irgendein Servicebetrieb irgendwo im europäischen Ausland. Zu diesem Zweck kommt ein Kurierdienst zu mir nach Hause, bringt einen Transportkarton, in den der Laptop gepackt wird und dann verschwindet. Der Mann vom Kurierdienst lächelt und versichert, dass derlei Aktionen schon öfter gut gegangen seien. Wo mein Laptop genau gelandet ist, welche Rechtsform der Reparaturbetrieb hat, wem er gehört und zu welchen Vertragsbedingungen die Reparatur durchgeführt wird, werde ich wohl nie erfahren. Dafür kann ich aber bei einer hotline anrufen und dort für 12 Cents die Minute meine sämtlichen Sorgen los werden und alle meine Fragen stellen.

Plätschermusik im Hörer

Ich greife zum Hörer, wähle und lande zunächst in einer Warteschleife und höre mir die gebührenpflichtige, schäfchenweiche Plätschermusik an. Schließlich ist eine freundliche Telefonistin ganz für mich da. Ihre sanfte Stimme und ihre gute Laune nimmt mir den Schneid, meinen Kropf zu leeren über das Gerät und über die Störanfälligkeit anderer Geräte gleicher Marke. Dafür höre ich, dass mein Laptop-Modell sonst sehr zuverlässig arbeite und nur ganz, ganz selten reklamiert werde, was letztlich impliziert, dass ich entweder meine Maschine schlecht behandelt oder einfach "nur großes Pech gehabt" habe. Weil die Telefonistin bestens informiert ist, vermag sie zu vermelden, dass mein Laptop bereits in der Servicezentrale eingegangen sei und baldmöglichst bearbeitet werde.

Am Rande des Gesprächs erfahre ich eher durch Zufall, dass ich soeben mit einer perfekt deutschsprachigen Dame in Irland telefoniert habe, denn der Hersteller, der meinen Laptop erzeugt hat, sitzt mit seiner Europa-hotline offenbar dort, wo die EU-Förderungen besonders ergiebig sprudeln und billige Telefonistinnen zu finden sind. Zum Abschluss des kuscheligen Telefonats werde ich darüber belehrt, dass ich den Fortschritt der Reparaturarbeiten auch ganz leicht via Internet abfragen kann. Zwei Tage später finde ich tatsächlich unter der genannten Internetadresse den Hinweis, dass das Gerät repariert und demnächst wieder bei mir zu erwarten sei. Und wirklich: Einen weiteren Tag später ist die Maschine wieder in meiner Hand, und sie funktioniert sogar. Fast hätte mich die hotline-Dame aus Irland soweit gebracht, dass ich mich nach Erhalt des reparierten Laptops glücklich gefühlt und die Rechnung als gottgegebene Wirklichkeit in Demut bezahlt hätte. Aber eben nur fast!

Reflektiert man diese Episode aus dem modernen Alltag nüchtern und mit einigem zeitlichen Abstand, so ist nach Abklingen akuter Zornzustände zweierlei bemerkenswert: Erstens die mangelhafte Qualität zahlreicher sündhaft teurer Markenprodukte und der mit diesen in Verbindung stehenden Serviceleistungen. Zweitens der bislang weniger intensiv diskutierte Rückzug der Hersteller und ihrer Institutionen in Sphären der Unberührbarkeit. Der Hersteller - eigentlich für das Produkt verantwortlich - ist unangreifbar geworden, verschanzt sich hinter call centers und Internetseiten und unterhält häufig nur mehr ein Vertriebsbüro für den jeweiligen nationalen Markt. Selbst Beschwerdebriefe müssen mitunter eine Luftpostreise antreten, ehe sie von Leuten beantwortet werden, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als Beschwerdebriefe aus vorgefertigten Textbausteinen zusammen zu setzen. Ruft man eine hotline an, so hat man psychologisch geschultes Personal am Hörer, das jedes einzelne Gespräch derart lenkt, dass das, was der Kunde eigentlich sagen will, ungesagt bleibt und Kritik an einer Gummiwand abprallt.

Und das Management?

Das sitzt weit weg von der Konsumentenwirklichkeit irgendwo in einem wunderschön gestalteten Bürohaus, das von privaten Sicherheitsleuten geschützt wird, und beauftragt Marktforscher damit, lebensnahe Bilder von den Kunden zu liefern. Der real existierende Konsument indessen sitzt auf seinem defekten Produkt und fühlt sich trotz oder gerade wegen hotline und Internetseiten allein gelassen und vor allem machtlos.

Präsent sind die Erzeuger von Konsumgütern in vielen Fällen nur mehr mittelbar. Mittelbar über call center, mittelbar über web pages und vor allem natürlich mittelbar über die allgegenwärtige Werbung. Damit erzeugen die Industrieunternehmen ihre je eigene hermetisch geschlossene Fassade, die der Einzelne nicht zu durchdringen vermag und an der Kritik und Beschwerdeführung meist abperlen wie Regentropfen auf einem geölten Südwester. Und weil sich die Unternehmen offenbar - trotz angeblich ruinösen Wettbewerbs - darin einig zu sein scheinen, dass die Interaktion mit dem (unzufriedenen) Kunden auf ein Mindestmaß beschränkt werden soll, gibt es zwischen den einzelnen Herstellern und Marken auf diesem Feld auch wenig Unterschiede. Selbst die verschiedenen Geschäftsbedingungen lesen sich häufig, als seien sie in ein und derselben Anwaltskanzlei für alle Unternehmen gemeinsam verfasst worden.

Kommunikative Kulissen

So wie Windows oder MacOS Benutzeroberflächen und damit Fassaden bilden, die stellvertretend für die eigentlichen Vorgänge innerhalb des Computers stehen, steht das, was sich Werbeagenturen, Kommunikationsmanagement und PR-Berater als Fassade ausdenken, eigentlich stellvertretend für eine Kapitalgesellschaft mit Produktion, Handel und Serviceleistungen. Eigentlich! Denn so wie wir im Alltag auch die graphischen Oberflächen unserer PCs als den Computer und dessen Arbeitsprozesse selbst wahrnehmen, so glauben wir längst, dass die kommunikativen Kulissen, die uns vorgesetzt werden, das Produkt selbst seien. Und dies gilt beileibe nicht nur für die Computerbranche, sondern für die gesamte Konsumgüterindustrie, und es gilt mithin auch zunehmend für Politiker und politische Parteien. Was zählt, ist vor allem die äußere Erscheinung, ist die kommunikative Fassade, die von Designern und Kommunikationsfachleuten erzeugt wird. Was soll's, wenn der Monitor des Laptops nach ein paar Monaten und die Festplatte nach zwei Jahren hin sind, wenn doch die Geräte einen Design-Preis erhalten haben? Was soll's, wenn die Anzugknöpfe nach einigen Wochen einer nach dem anderen abfallen, wenn es sich dabei um den Anzug eines Herstellers mit klingendem Markennamen handelt? Und überhaupt: Ist es denn eigentlich denkbar, dass es mehr ist, als das individuelle Pech eines unzufriedenen Kunden, solange es gelingt, Ware und Warenzeichen in überirdisch perfekte ästhetische Welten zu stellen? Kann es überhaupt sein, dass die Produkte öfter, als nur gerade bei einem Pechvogel, nicht jene Perfektion aufweisen, die auf Plakatwänden und im TV suggeriert wird? Und was sollte man als verunsicherter Konsument mehr verlangen, als eine salbungsvolle Engelsstimme am anderen Ende der hotline, welche in letzter Konsequenz nichts anderes sagt, als dass die Welt schön und jenseits eines bedauerlichen Einzelfalls alle Erzeugnisse ihres Herstellers wunderbar seien?

Mitte der 90er Jahre - auf dem Höhepunkt der selbst verschuldeten Verspätungsmisere - verlautete aus dem Management der damals frisch privatisierten Deutschen Bahn, dass alle Anstrengungen unternommen würden, das Image des Unternehmens zu verbessern. Wie bitte? Richtig verstanden: Nicht etwa die Beseitigung der Verspätungsursachen, sondern die Verbesserung der Selbstdarstellung und die Perfektionierung der Oberflächen sollte in erster Linie vorgenommen werden! Bucht man indessen ein Ticket für einen Flug mit der Airline des Vertrauens, so stellen viele Passagiere erstaunt fest, dass sie am Ende in die Maschine einer Vertrags- oder Partnerlinie einsteigen, was natürlich nur zum Wohle der Reisenden ist, die freilich, wenn das boarding erst einmal beginnt, keine Zeit mehr haben, um sich über die Qualifikation des carriers zu informieren. Ein bösartiger Miesmacher, wer dabei denkt, die neue Wirtschaftswelt sei ein Potemkinsches Dorf . . .

Längst schon ist die frohe Kunde in den Chefetagen angekommen: Viel wichtiger als das Produkt selbst ist das Image der Marke, unter der das Produkt auf den Markt gebracht wird. Der beste Beweis dafür sind baugleiche TV- und Videogeräte, die in ein und derselben Produktionsstätte in Fernost entstehen, am Ende aber, je nach Markensignet teurer oder billiger verkauft werden. Entscheidend für Markt- und immer öfter auch für Wahlerfolge ist also in aller erster Linie, die Kommunikation, die bildnerische, dramatische und musikalische Präsentation dessen, was verkauft bzw. derer, die gewählt werden sollen. Wie sagte doch vor einigen Jahren schon eine nicht ganz unbekannte Design-Professorin von der Berliner Hochschule der Künste auf kritische Nachfrage: "Es macht nichts, wenn der Ökobleistift aus Tropenholz gefertigt wird, vermittelt doch seine natürliche Anmutungsqualität ein ökologisches Bewusstsein, das zum Nachdenken animiert." Eh klar, das Sein ist wurscht, so lange das Bewusstsein stimmt . . .

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Wir alle lieben demonstrativen Konsum. Wir alle lieben das Spiel mit den Gütern, mit welchen wir Identität ausdrücken wollen. Wir alle wollen ja gerne an bestimmten ästhetischen Welten teilhaben und zu jenen Gruppen gehören, die immer schön sind und nur schöne Dinge an sich und um sich haben. Spätestens beim Flirt im Internet-Chatroom nehmen ja auch viele von uns Formen und Farben an, die - wären sie nicht blanker fake - jede Modelagentur auf Trab bringen würde. Zählen also am Ende doch nur Fassaden? Macht uns das Spiel mit den Benutzeroberflächen nachhaltig froh? Und kann es sein, dass die visualisierte Erlebnisgesellschaft dazu führt, dass am Ende nur noch die Frage offen bleibt: Design oder Nichtsein?

Oberfläche statt Inhalt

Mag sein, dass die himmlischen Benutzeroberflächen, die wundersamen Werbewelten in der säkularisierten Konsumgesellschaft eine Funktion übernehmen, die einst kitschigen Heiligenbildern zugekommen ist. Auch bei diesen galt ja das Prinzip, dass die Benutzeroberfläche stellvertretend für den Inhalt steht. Und es kam ja nicht von ungefähr, dass mitunter gegen diese bildlichen Darstellungen mit dem Lehrsatz vorgegangen wurde: Du sollst dir kein Bildnis machen. Heute freilich schaffen wir Bildnisse für jeden Markenartikel, vom Eis am Stiel bis zur Luxuslimousine, und kaufen mit eigenartiger Lust das zwölfte Paar mangelhafte Hosen, weil wir der ästhetischen Welt teilhaftig werden wollen, in deren Mitte uns die Hosen-Marke präsentiert wird. Nichts gegen Spaßkonsum, ganz sicher nicht; doch wo bleibt der Spaß, wenn auch die zwölfte Hose nach dem dritten Waschen reif für die Kleidersammlung sein wird?

Gewiss, wir leben in einer differenzierten, dynamisierten, unüberblickbar gewordenen und vor allem medial vermittelten Welt, und weil wir selbst immer weniger durchblicken, verlassen wir uns mehr oder minder gezwungenermaßen auf das, was uns via Benutzeroberfläche mitgeteilt wird. Wer vermag denn im Supermarkt schon zu sagen, ob eine Gurke nun bio ist oder fake?

Dass allerdings in dieser Welt der Bilder irgendetwas nicht stimmt, scheinen immer mehr Menschen zu empfinden. Zögerlich deutet sich eine Ästhetik der neuen Ehrlichkeit an: Wer mit offenen Augen in Trendmagazinen à la "Wallpaper" blättert, sieht es wohl: Die Models werden wieder glaubhafter, volksnäher möchte man fast sagen, und die Wirklichkeit, die sie reflektieren, wird ein klein wenig wirklicher. Aber auch der gesellschaftliche mainstream sucht intensiv nach den Realitäten hinter den Benutzeroberflächen: Folgt man aktuellen Studien zu Einstellungen und Wertewandel, so erlebt Authentizität derzeit einen Höhenflug. Lebensziele wie "man selbst sein" oder "ehrlich sein" stehen erstaunlich hoch im Kurs, und mitunter wird - auch und gerade von jungen Leuten - massive Kritik an der Welt des Scheins geübt. Vor diesem Hintergrund wäre Industrie und Politik dringend angeraten, Kommunikation und so genannte Realität verstärkt miteinander kurz zu schließen, Benutzeroberflächen und Inhalte besser miteinander zu verlinken und nicht allein auf die schöne Fassade zu setzen, sondern verstärkt auf ein tragfähiges Mauerwerk.

Freitag, 02. August 2002

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