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Gentechnik in der Landwirtschaft -eine erste Bestandsaufnahme

Riskantes Saatgut

Von Peter Markl

Wenn es um die Durchsetzung staatlicher Kontrollen bei der Freisetzung gentechnisch modifizierter Organismen geht, lässt sich das Europäische Parlament in Straßburg nicht so leicht übertreffen. Druck vom Europäischen Parlament brachte die Europäische Kommission 1998 dazu, alle Genehmigungen vorläufig auszusetzen und eine neue Regelung vorzuschlagen, welche die viel kritisierte Regelung aus dem Jahr 1990 ablösen sollte. Aber selbst der neue Vorschlag ging dem Europäischen Parlament nicht weit genug. Anfang Juni aber hat das Europäische Parlament mit der Europäischen Kommission einen Kompromiss ausgehandelt, welcher dazu führen könnte, dass innerhalb der Europäischen Union die Freisetzung vom gentechnisch modifizierten Organismen mit mehr Vorsicht gehandhabt werden muss als irgendwo anders auf der Welt. Trotzdem werden auch die jüngsten Vorschläge den Streit um die Einführung von gentechnisch modifiziertem Saatgut nicht beilegen können.

Was bisher an Gegenargumenten zu hören war, ist ein komplexes, ineinander verschränktes Geflecht von Argumenten von unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Gewicht: Da gibt es alle die Argumente, welche in gentechnisch modifiziertem Saatgut ein neues Risiko für die menschliche Gesundheit oder das Ökosystem sehen; und es gibt diejenigen, für welche die Einführung gentechnisch modifizierten Saatguts ein weiterer Schritt in Richtung auf die Dominanz großer Konzerne in einer industrialisierten und globalisierten Form der Landwirtschaft ist - etabliert zu Lasten vor allem der armen Bauern in den Entwicklungsländern.

Ihnen beiden wird von den Befürwortern des Einsatzes gentechnisch modifizierten Erbguts entgegengehalten, dass man riskantes Saatgut durch strenge Zulassungsverfahren vom Markt fernhalten könnte und der Einsatz gentechnisch modifizierter Pflanzen unumgänglich werde, wenn man die Hoffung nicht aufgeben will, auch weiterhin die schnell steigende Weltbevölkerung ernähren zu können. Norman Borlaug, einer der Väter der Grünen Revolution, gab 1997, und damit ein Jahr nach der Markteinführung gentechnisch modifizierten Saatguts, im "Wall Street Journal" schlicht zu Protokoll, dass die neue

Techniken die "Welt ernähren" würden.

Ein Argument ist glücklicherweise aus hinreichend informierten Diskussionen verschwunden. Jetzt scheint sich die nicht mehr ganz neue Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass das, was man heute an Hunger in der Welt sieht, nicht darauf zurückgeht, dass die Nahrungsmittelproduktion mit der explosiv ansteigenden Zahl der Menschen nicht Schritt gehalten hat. Dass die Weltbevölkerung von 1960 bis Ende 1999 von etwa 3 Milliarden auf mehr als 6 Milliarden anstieg, ohne dass es - wie von Untergangspropheten immer wieder vorhergesagt - aus Nahrungsmittelmangel zu Hungerkatastrophen kam, ist eine der großen zivilisatorischen Leistungen, die allzu vielen nicht bewusst ist. (Und es ist außer Frage, dass daran die "Grüne Revolution" entscheidenden Anteil hatte.)

Alle heute drohenden und alle in den letzten Jahrzehnten aufgetretenen Hungerkatastrophen waren die empörende Folge von Kriegen, Korruption und eines soziale Ungleichheit fördernden Wirtschaftssystems, in dem die Nahrungsmittel die Hungernden nicht erreichten oder für die Hungernden unbezahlbar geworden waren.

Es ist natürlich noch zu früh für eine wirklich informative Zwischenbilanz über die Auswirkungen der Einführung der Gentechnik in die Agrarmärkte. Ein Autorenteam des englischen "New Scientist" hat es trotzdem versucht. Das Resultat spricht dafür, dass bisher keine der beiden Seiten behaupten kann, eklatant recht behalten zu haben: "Es gab zwar einige Alarmrufe, aber keinen wirklichen Beleg dafür, dass gentechnisch modifizierte Pflanzen in den letzten fünf Jahren Menschen gesundheitlich geschädigt hätten, obwohl solches Saatgut immer häufiger eingesetzt wurde." Heute wachsen solche Pflanzen weltweit auf etwa 52,6 Millionen Hektar Ackerland. Dadurch wurde "die Welt allerdings bisher auch nicht zu einem viel besseren Ort. Gentechnisch modifizierte Pflanzen brachten zwar reale, wenngleich nicht überwältigende Umweltvorteile. Sie haben die Erträge der mechanisierten Bauern in den Industrieländern um einiges erhöht - aber das sind genau die Bauern, welche ohnehin so viel produzieren, dass sie Mühe haben, ihre Produkte lukrativ absetzen zu können."

Das Gesundheitsrisiko

Auch wenn schwere allergische Reaktionen selten sind - man findet etwa 3,2 solche Fälle unter 100.000 Menschen - kommen Nahrungsmittelallergien in den industrialisierten Ländern doch bei 1 bis 2 Prozent der Erwachsenen und 6 bis 8 Prozent der Kinder vor. Sie werden fast immer durch Proteine ausgelöst. Es ist möglich, dass mit einem neu eingeführten Nahrungsmittel auch ein neues Protein in der Nahrung auftaucht, das ein Allergen ist, wobei es natürlich keinen Unterschied macht, ob dieses Protein aus einer gentechnisch modifizierten Pflanze stammt, mit der Einführung einer Pflanze aus der herkömmlichen Züchtung in der Nahrung auftauchte oder einfach auch dadurch, dass eine Pflanze aus einem anderen Erdteil - die Kiwis sind da das prominenteste Beispiel - als exotisches Nahrungsmittel den Markt erobert.

Noch vor Beginn der großen Diskussion um Allergierisiken durch gentechnisch modifizierte Nahrungsmittel war ein Fall kolportiert worden, der so untypisch ist, dass er für die Kontrollmechanismen keinerlei Herausforderung gewesen wäre: Es gibt - etwa in Westafrika - ländliche Gemeinden, deren Bewohner viel zu wenig von der essentiellen Aminosäure Methionin in ihrer Nahrung haben. Man hat daher versucht, ein bestimmtes Gen aus brasilianischen Nüssen in Mais zu transferieren, weil man wusste, dass dieses Gen für ein Protein mit hohem Methioningehalt codiert. Man wusste von diesem Protein aber auch schon vorher, dass es bei manchen Menschen Allergien auslösen kann, und war daher nicht überrascht, dass nach dem gelungenen Gentransfer auch der modifizierte Mais diese Allergien verursachte.

1998 gab es dann den ersten, anfangs ernsthafter scheinenden Verdacht über einen Gesundheitsschaden durch Gentechnik: In einem schottischen Labor hatte damals Arpad Pusztai gentechnisch modifizierte Kartoffeln an Mäuse verfüttert und - wie er behauptete - dadurch Missbildungen ausgelöst. Fast alle Wissenschaftler sind heute der Ansicht, dass diese Experimente so schlecht geplant waren, dass man aus ihnen nichts erschließen konnte; und selbst den sehr wenigen, die diesem Urteil nicht zustimmen, ist es bisher nicht gelungen, überzeugende Belege für

Arpad Pusztais Behauptungen vorzulegen.

Der zweite Verdachtsfall betraf StarLink-Mais, der in den USA zu einer ungeheures Aufsehen erregenden Rückholaktion von Mais-Tacos geführt hat. StarLink-Mais ist dadurch insektenresistenter gemacht worden, dass man in sein Genom eine Gensequenz eingebracht hat, welche für das Protein Cry9c codiert, das im menschlichen Verdauungstrakt längere Zeit stabil bleibt. Daraus hat man den Verdacht abgeleitet, dass es ein Allergen sein könnte, und wie immer in solchen Fällen haben sich auch Menschen gemeldet, welche behaupteten, gegen Cry9c durch den Genuss von StarLink-Mais-Produkten zu Allergikern geworden zu sein. Die amerikanische Umweltbehörde hat, da darüber keine Untersuchungen vorlagen, diesen Mais nur als Futtermittel zugelassen. Trotzdem waren in den Supermärkten zahlreiche Lebensmittel aufgetaucht, in denen StarLink-Mais zu finden war. Die US-Gesundheitsbehörden haben daraufhin das "Center for Desease Control and Prevention" damit beauftragt, diesem Verdacht nachzugehen. Man hat dazu einen Immunoassay entwickelt, mit dem man im Blut der Patienten Antikörper gegen Cry9c aufspüren konnte - wenn Allergien durch dieses Protein hervorgerufen worden wären. Man konnte dabei allerdings nicht das geringste Indiz für eine allergische Reaktion gegen Cry9c finden.

Das gefährdete Ökosystem

Was die zweite große Sorge, die Beeinträchtigung des Ökosystems betrifft, hat kein Fall größeres Aufsehen erregt als der Fall der Monarchfalter. Sie sind fast so etwas wie der Nationalschmetterling der USA. Es schien den extremeren unter den amerikanischen Gentechnik-Gegnern geradezu wie ein Geschenk vom Himmel, als im Sommer 1999 in der über jeden Umweltideologieverdacht erhabenen englischen "Nature" der Bericht eines amerikanischen Forschungsteams erschien, in dem Laborversuche beschrieben wurden, welche dafür sprachen, dass der amerikanische Bt-Mais die Populationen der Monarchfalter tödlich bedrohen könnte.

Bt-Mais ist eine Maisart, in deren Genom man einen Genabschnitt aus dem Bacillus thuringiensis eingebracht hat, der für ein Protein codiert, welches ein natürliches Insektizid ist. Die derart genmanipulierten Pflanzen sollten besser vor Schädlingen wie dem Maiszündler (European Corn borer) geschützt sein. Das amerikanische Forschungsteam zeigte aber, dass die Pollen dieses insektenresistenten Bt-Mais auf einem anfangs abenteuerlich erscheinenden Umweg auch die Populationen der Monarchfalter bedrohen. Die Raupen der Monarchfalter ernähren sich nämlich fast ausschließlich von Milkweed, einer eher unscheinbaren Pflanze, welche die amerikanischen Landwirte als ein Unkraut einstufen, das etwa in der Zeit der Maispollenblüte oft in der Nähe der Maisfelder wächst. Der Wind weht dann die Maispollenkörner natürlich auch auf die Blätter des Milkweeds, wo sie von den Raupen der Monarchfalter gefressen werden.

Und das tut ihnen nicht gut: Im Laborversuch starb die Hälfte der Raupen, die Bt-Maispollen zu fressen bekommen hatten nach etwa vier Tagen, während eine Diät mit der gleichen Dosis an nicht genmanipulierten Mais diese Raupen nicht weiter zu beeinträchtigen schien.

Dieses Ergebnis war auch kein Laborartefakt: Ein Versuch unter Feldbedingungen hat ergeben, dass Monarchraupen im Umkreis von

10 Metern um ein blühendes Maisfeld geschädigt werden.

Das war fraglos ein Gefährdungspotenzial, dessen Größe die amerikanische Umweltbehörde in einem sofort eingeleiteten Forschungsprogramm klarer sehen wollte. Man ging nun daran, die Dosis zu bestimmen, welche den Raupen gefährlich wird, und versuchte die Wahrscheinlichkeit dafür zu ermitteln, dass die Raupen dieser Falter wirklich einer schädigend hohen Dosis ausgesetzt werden würden, indem man ermittelte, wie häufig man Milkweed wirklich in der Umgebung von Maisfeldern findet, ob die Monarchraupen wirklich genau zur Zeit wie die Pollenblüte auftreten oder wie groß der Prozentsatz der Monarch-Populationen ist, der mit diesem Pollen* in Kontakt kommen könnte. Ein Ergebnis dabei war, dass verschiedene Bt-Mais-Sorten, je nach der Effizienz der Expression des Bt-Gens, überraschendend große Unterschiede in der Toxizität aufweisen: während fast alle Bt-Mais-Pollen bis zu einer Konzentration von 1.000 Pollenkörnern pro Quadratzentimeter Blattoberfläche das Gewicht und die Überlebensrate der Raupen nicht beeinträchtigen, sah man beim Bt-Mais-176 bereits bei einer Konzentration von nur 10 Körnern pro Quadratzentimeter einen deutlichen Einfluss. Die kritische Pollendichte von 1.000 Pollenkörnern pro Quadratzentimeter wurde nur in Ausnahmsfällen erreicht - die durchschnittliche Konzentration lag bei 170 pro Quadratzentimeter.

Auf der Grundlage solcher Daten hat man dann errechnet, dass in dem gefährdetsten Bundesstaat Iowa Bt-176-Mais 0,4 Prozent der Monarchfalter-Population bedrohen würde, während dort andere Bt-Maissorten nur 0,05 Prozent der Falterpopulation gefährden würden. Und das gälte selbst dann noch, wenn der Marktanteil von Bt-Mais von heute etwa 25 Prozent auf 80 Prozent steigen würde.

In Kanada hat man überdies einen ersten Beleg dafür gefunden, dass gentechnisch eingebrachte Gene für Herbizidresistenz durch wechselseitige Befruchtung auf verwandte Arten übertragen werden können. Es wurden nämlich Canola-Pflanzen - eine Raps-Art - aufgespürt, die gegen drei verschiedene Herbizide resistent waren, obwohl keine der kommerziell erhältlichen Arten von Raps-Samen mehr als ein Herbizid-Resistenz-Gen enthält.

* Entgegen einem verbreiteten Sprachgebrauch heißt der Blütenstaub in der Botanik "der" Pollen, und die einzelnen Körner Pollenkörner. (Anm. d. Red.)

Literatur: New Scientist vom 18. Mai 2002; Nature Biotechnology Juni 2002.

The Royal Society: Genetically modified plants for food use and human health - an update. Policy document 4/02, Februar 2002 .http://www.royalsoc.ac.ak

Freitag, 21. Juni 2002

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