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Wien und der Wienfluss -Geschichte einer langen Beziehung

Lebensader mit Tücken

Von Alexander Glück

Bei der Durchführung von Kanalausbesserungsarbeiten im Wienflusse nächst der Schönbrunner Schloßbrücke wurden am 15. des Monats einige verweste Menschenteile aufgefunden. Diese dürften von Personen herrühren, die während des Krieges bei Fliegeralarm Zuflucht suchten und durch Bombentreffer getötet wurden.

So stand es am 23. Juli 1946 in der "Wiener Zeitung": Zeichen für die Not und Verzweiflung der Menschen im Krieg. Die Wien ist der Fluss, an dem die Stadt eigentlich liegt, denn zur Zeit ihrer Entstehung war die Donau eine weitläufige Auen- und Inselwelt. Dennoch ist es kein Zufall, dass die Stadt gerade am Vereinigungspunkt beider Wasser entstand. Der rund 34 Kilometer lange Wienfluss hat eine wechselvolle Geschichte und kommt auf seiner Reise durch die verschiedensten Gegenden, ehe er das letzte Stück seines Weges zum Donaukanal in einem schäbig gewordenen Kanal zurücklegen muss, der unter dem Naschmarkt verläuft.

Stadt und Fluss

Wiens Geschichte war schon immer eng mit dem Wienfluss verknüpft. Er entspringt am Fuße des Kaiserbrunnberges im Wienerwald. Schon die Römer fürchteten sein Überschwemmungspotenzial und errichteten ein großes Wasserbecken, um die angelegten Straßen zu schützen. Der Wienfluss war ein Bindeglied zwischen den stationierten Truppen an der Limesgrenze und dem südlicheren Hinterland. Kein Wunder also, dass der Fluss als Schifffahrtsweg nutzbar gemacht wurde. Sein Name leitet sich von Vedunia (Waldbach) ab und stammt aus der Zeit um 400 v. Chr. Die Stadt benannte man dann kurzerhand nach dem Fluss, so stand beides schon relativ früh fest. Immer wieder im Wandel war dagegen der Fluss selbst, denn alle Kulturen, die hier siedelten, waren mit ihm nicht recht zufrieden - zuletzt die technikbesessenen Ingenieure des 19. Jahrhunderts und nun die Planer groß angelegter Renaturierungsmaßnahmen.

Bis ins späte 19. Jahrhundert hatte die Wien romantische Auen durchflossen, Wäscherinnen schwenkten die Laken im klaren Wasser, und Fischer holten schmackhafte Fische heraus. Da und dort ein Flößer, eine alte Mühle vielleicht, und im Winter Schlittschuhfreuden auf den zugefrorenen seichten Auen. Aber die historische Wien konnte für den Menschen auch sehr unangenehm werden: Ihr Durchsatz erreichte bei Hochwasser zuweilen das Zweitausendfache der normalen Wassermenge.

Mit solchen Überschwemmungen haben alle zu leben gelernt, nur nicht der Mensch. Und so ging er bald daran, die Natur in die engen Grenzen seiner Vorstellungen zu zwängen. In tragischer Erinnerung war lange Zeit die Flut vom 4. Juli 1670: Der Fluss war so schnell angestiegen, dass viele im Schlaf überrascht wurden und in ihren Häusern ertranken. 1785 durchflutete der Fluss Keller und Erdgeschoß des Schlosses Schönbrunn. Schon im 18. Jahrhundert wurde daher der Ruf nach gründlichen Regulierungen laut: Im Jahre 1713 erstellte der Architekt Adam Gußmann ein Projekt, den Wienfluss in geordnete Bahnen zu lenken, und 1781 entwarf der Hofstatuarius

Wilhelm Bayer einen weiteren

Plan zur Regulierung, aber beide Pläne kamen nie zur Ausführung. Lediglich einige Uferabschnitte wurden bepflanzt, und man ließ durch Sträflinge ein tieferes, ordentliches Flussbett graben. Anfang des 19. Jahrhunderts begann man sich ernstlich mit der Regulierung zu befassen. 1814 wurde beschlossen, den Flusslauf einzubetten, allerdings nur in der Stadt und deren unmittelbarem Einflussgebiet. 1817 waren die Arbeiten zwischen Schönbrunn und dem Stubentor an der Stadtmauer beendet. Aber nicht nur die Hochwasser waren gefährlich, sondern auch etwas anderes - die Cholera.

Eine tödliche Katastrophe nahm 1830 ihren Anfang. Da der Fluss zu dieser Zeit noch nicht ausreichend reguliert war, war es nur eine Frage der Zeit, wann die Cholera zum Ausbruch kommen würde. Unrat und Kot, aber auch Tierkadaver waren die Auslöser der Epidemie, die wie eine Furie in die Stadt griff. Allein im Jahre 1830 starben in Wien 2.000 Menschen an der Seuche. Noch stand die Medizin der rasanten Ausbreitung dieser Darmkrankheit hilflos gegenüber. Die meisten Kranken starben spätestens nach einigen Wochen, viele schon binnen weniger Tage, an der Austrocknung ihres Körpers. Die kaiserlichen Wohnsitze, Schönbrunn und das Schloss Belvedere, waren für die Dauer der Epidemie von der Umwelt völlig abgeschirmt. Damit die krankheitserregenden Abwässer nicht in den Wienfluss gelangten, wurden ein parallel laufender Kanal, der so genannte Cholerakanal, errichtet, den man heute noch besichtigen kann. Seine Kapazität war jedoch begrenzt. Bei stärkeren Regenfällen ging der Kanal über, und der gesamte Unrat gelangte in den Wienfluss - eine gefährliche Infektionsfalle.

Die Sanierung

Nach dem Abklingen der Epidemie nahm man als erstes den Bau von Sammelkanälen in Angriff. Sie sollten die Abwässer aufnehmen und erst kurz vor der Mündung in die Donau in den Wienfluss einspeisen. Die dringend erforderliche Sanierung des Flusses war außerdem Teil eines Arbeitsbeschaffungsprogramms: Beim Kanalbau fanden rund 5.000 Menschen Arbeit.

Der Wienfluss hatte im 18. Jahrhundert lange auch mit industriellen Abwässern etlicher Betriebe zu kämpfen, die sich in den vorangegangenen Jahrzehnten vermehrt am Ufer des Flusses niedergelassen hatten. Vor allem diejenigen Gewerbe, welche viel Wasser für ihre Arbeit brauchen, siedelten traditionell am Flussufer. So wurde der Fluss zur Kloake, und bald sah der Wiener Magistrat die Situation am Wienfluss als gesundheitsgefährdend an. Aus verschiedenen Gründen arbeitete man weiter an der Regulierung des Flusses, was bis zur teilweisen Überwölbung führen sollte. Im Westen der Stadt wurde der Wienfluss mit Wehranlagen und Staubecken gebändigt, die Ufer mit Mauern begrenzt und die Sohle vertieft.

Die Regulierung des Wienflusses wurde in den Jahren 1895 bis 1906 abgeschlossen. Auf einer Länge von 2,3 Kilometern fließt die Wien seither unterirdisch, gleich einem Stadtkanal. Das längste Teilstück der Einwölbung befindet sich im innerstädtischen Bereich. Dass man den Fluss zudeckelte, lag auch daran, dass man auf diesem letzten Teilstück einen prachtvollen Kaiserboulevard errichten wollte, der bis heute dem Naschmarkt ein mondänes Gepräge zu geben versucht. Wie es dort unten aussah, berichtete der sozial engagierte Reporter Max Winter schon vor fast hundert Jahren: "Im Hauptkanal. Bei der Annäherung an die Ausmündung des Gassen- in den Hauptkanal höre ich schon das Rauschen des Wassers, das in diesem Sammelbett dem Wienfluß zueilt. Nach kurzer Rast bei einem Luftschacht - die Elektrischen fahren über unseren Häuptern - arbeiten wir uns gegen den Strom in die Linzerstraße und dann diese hinauf bis zur Westbahnbrücke. In starkem Gefälle jagen die Sammelwässer dem Wienbett zu. Das Wasser reicht uns jetzt bis halbscheit zu den Knien. Die Strömung hat ziemliche Gewalt. Das kümmert mich aber wenig, kann ich jetzt doch fast aufrecht gehen. Nur um einige Zentimeter - zehn vielleicht - muß ich mich kleiner machen. Mit gesenktem Kopf arbeite ich mich vorwärts. Hier ist es kalt, doppelt kalt nach der schweißtreibenden Schlieftour. 'Machen Sie sich nur guat zua!' mahnt mein Führer. Im Weiterschreiten erzählt er mir vom 'Kalten', dem Wiensammelkanal, der so groß sei, daß ein Heuwagen durchfahren könnte. 'Aber kalt ists dort, daß Sie scheppern vor Kälte. Und das Wasser geht sich bis zum G'scham. Das wär' nix für uns. Da bräuchten wir hohe Aufziager."

War Winters Tour mit dem Specklmoritz noch eine absolute Besonderheit (die nur noch in einem zweiten Fall, der großen Sozialreportage Emil Klägers, eine Entsprechung findet), finden seit einigen Jahren regelmäßige Führungen im Bereich des unterirdischen Wienflusses statt. Bewohner trifft man dabei keine mehr. Nachdem ein Wiener Aktionskünstler mit der Veranstaltung von Fackeltouren durch die Wiener Kanalisation begonnen hatte, wurden auch die Stadtverwaltung sowie eine private Fremdenführerin auf diesen Markt aufmerksam und gehen mit Besuchergruppen unter Tage. Die Besichtigungen der Unterwelt Wiens haben ihre Ursache in den Planungen zur Umgestaltung der Wienfluss-Kubaturen, die von einer Realisierung jedoch noch weit entfernt sind. Bald wurden die Angebote bekannt, die Nachfrage stieg, und man veranstaltete große Führungen mit zahlreichen Besuchern, kostü-mierten Gestalten und Sicherheitsdienst. Von Anfang an waren diese Führungen keine sterilen Besichtigungen, sondern Begegnungen mit einer erdachten Gegenwelt, in denen die Besucher träumen und phantasieren können. Der Abstieg in den Wiener Untergrund wird so zur Reise in den eigenen.

"Die Banerstrotter"

Zu Max Winters Zeiten waren unterirdische Führungen noch nicht so lukrativ wie heute: " 'Das ist ein hartes Brot, wenn einer von Gebeinen leben muß, die er im Kanal findet. Da wissen die glücklichen Leut', die in Fabriken oder auf dem Bau arbeiten, gar nix davon von so einer Plage. Bis Sie da ein paar Kilo Knochen beisammen haben, glauben Sie eh schon, daß sich das Kreuz abbricht. Zwanzig Kreuzer fürs Kilo wäre noch schlecht bezahlt und die Banerstrotter kriegen zwei Kreuzer. Wenn jemand auf einen Gulden kommen will, muß er sechzig, siebzig Kilo hochschleppen. Da gehört Humor dazu. Die Knochen sind völlig durchnäßt, also muß er sie erst trocknen lassen, bevor er sie nach Atzgersdorf bringen kann. So ein Gulden ist schwer verdient . . .' So erzählt er mir, während er in dem bald klareren, bald jauchigen Kanalwasser nach den Schätzen sucht."

Wer heute zu den Gestrandeten der Gesellschaft gehört, hat überirdisch viel mehr Erfolg. Nicht nur in sozialgeschichtlicher Hinsicht ist die Wien interessant, sondern auch als Verkehrsweg, der sich auch heute noch entlang dieser wichtigen Stadtachse abspielt. Seitdem der Mensch begann, sesshaft zu werden und Siedlungen zu bauen, legt er es darauf an, in der Nähe des Wassers zu sein. Als die Siedlungen weiterwuchsen, waren Flüsse und Bäche die wichtigsten Entwicklungsachsen und blieben - so sie nicht im Laufe der Zeit umgeleitet oder zugedeckt wurden - bis heute bedeutende natürliche Strukturlinien der Städte.

Eine solche Strukturlinie von größter Bedeutung ist das Wiental. Es ist Ader für das Wasser der Wienerwaldbäche, für die Abwässer aus dem Stadtgebiet, für den frischen Westwind und könnte auch natürliche Wanderroute für zahlreiche Tierarten sein. In erster Linie aber pulsiert das Leben als motorisierter Individualverkehr durch das Wiental. Neben der Verbesserung von Hochwasserschutz und Gewässergüte und der Wiederherstellung der ökologischen Funktionsfähigkeit wird bei den jetzigen Umgestaltungsprojekten versucht, den Wienfluss stärker in das Stadtbild einzubeziehen und den Menschen "ihren" Fluss näher zu bringen.

Bereits Otto Wagner legte die Stadtbahntrasse entlang der Wien an. Später kam zum öffentlichen Verkehr der Autoverkehr und entlang dem Wiental bündelte sich der gesamte übergeordnete Ost-West-Verkehr der Stadt. Das gewaltige Verkehrsaufkommen bringt es mit sich, dass der Wienfluss über weite Strecken unerreichbar und daher als Fluss nicht wahrnehmbar ist. Zum anderen ist das Wiental im Stadtbereich für Fußgänger und Radfahrer äußerst unattraktiv. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die totale Stadt angestrebt wurde, sollte der Fluss ganz aus dem Stadtbild verschwinden, und die so gewonnene Fläche anderwärtig genutzt werden. Die Achse blieb daher im Stadtbild erhalten und zeugt bis heute vom Verlauf des Wienflusses, der seinerseits unsichtbar gemacht wurde. Heute verfolgt die Stadtplanung ein entgegengesetztes Ziel, nämlich die Betonung der natürlichen Strukturelemente der Stadt. Bezogen auf den Wienfluss bedeutet das, Maßnahmen zu treffen, die die Gestaltqualität des Flusses und seiner Ufer verbessern. Allerdings: Auch heute noch vertraut der Mensch auf seine Überlegenheit gegenüber der Natur, ersinnt Überlaufsysteme, Sammelkanäle und geplante Biotope - und zwingt damit den Fluss auf noch raffiniertere Weise als seine Vorväter.

Im Zuge der geplanten Neugestaltung des Wienflusses bietet sich immerhin ein großes stadtstrukturelles Entwicklungspotenzial. Direkt am Wasser könnte eine hochwertige Fuß- und Radwegverbindung geschaffen werden. Eine derartige Verbindungsachse für Fußgänger und Radfahrer würde gleich mehrere Aufgaben erfüllen. Zum einen könnten die Grünräume im Westen der Stadt, aber auch innerstädtische Grünanlagen wie etwa Schönbrunn oder der Auer-Welsbach-Park wesentlich besser erreicht werden. Zum anderen wäre ein Fuß- und Radweg am Wienfluss selbst ein hochwertiges Naherholungsgebiet, so wie es am Liesingbach bereits Wirklichkeit ist.

Freitag, 03. Mai 2002

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