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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Der Bildhauer Wander Bertoni besitzt 3.000 verschiedene Eier

Fruchtbarkeits- und Heilssymbol

Von Beatrix Neiss

Wie sehr bewundern wir die Orte unseres heutigen Wissens. Orte, die immer höher, immer weiter und komplexer beschrieben werden. Betrachten wir ein Problem, benutzen wir die Sprache, unsere denkende Sprache des Analysierens, des Zerlegens und Sezierens. Um etwas zerlegen und zerteilen zu können muss ein Etwas, eine Form vorhanden sein. Vielleicht liegt der Beginn in der Geste des Webens, Strickens und Knotens. Beobachten wir die Vögel beim Nestbauen, sehen wir, wie sie mit Schnäbeln ihre Nester verweben, verknoten und flechten.

Daraus entsteht eine tragfähige Form. So könnte der Ursprung der Geometrie ein verborgener Anfang sein, ein Beginn, der weiter zurückliegt als die Ankunft des Wortes. Jenseits dieses Wortes liegt der Wunsch, etwas zu begreifen. Die Erfahrung nennen es die einen, das Vergessen des Erlernten nennen es die anderen. Danach folgt die Benennung. Künstler haben seit jeher diesen Fragen nachgespürt. Sie sind in die Formenwelt der eigenen Erinnerung gegangen, um danach ihren Ausdruck zu finden. Aber auf diesem Weg begegnen sie der Last der Komplexität. Stückweise wird sie entflochten, ohne das Ergebnis zu kennen. Ohne das Ergebnis zu denken.

Der Geist des Materials

So ist vielleicht auch der Bildhauer Constantin Brancusi zu verstehen, der bei seiner Suche nach der ursprünglichen, reinen Form in den 30er-Jahren sagte: "Während du den Stein behaust, entdeckst du den Geist des Materials und seine Eigenschaften. Deine Hand denkt und folgt den Gedanken des Materials."

Das Ergebnis seiner Suche war: das Ei. Ezra Pound meinte dazu: "Ich denke, dass Brancusi so weit abstrahierte, bis er eine Form fand, die jenseits aller Schwere lag und freier war als alle anderen geometrischen Formen." Ähnliche Ergebnisse finden sich in den Arbeiten von Barbara Hepworth, die bei Brancusi eine Art "Bestätigung ihrer Konzeptionen" fand und dies mit den Worten zum Ausdruck brachte: ". . . in seinem Atelier hatte ich das wunderbare Gefühl der Ewigkeit . . ."

Ist es der Mythos der Ewigkeit, der in der Eiform verborgen liegt? Was bedeutet das Ei für unsere Rituale und Feste heute?

Das "kosmische Ei"

Mit diesen Fragen fand ich den Weg zu einem der renommiertesten österreichischen Bildhauer der Gegenwart: Wander Bertoni. Gleichzeitig besitzt er eine der umfangreichsten Eiersammlungen - von Grabbeigaben bis zum Kitsch. In einigen seiner Arbeiten, den "Pomona-Paraphrasen" - benannt nach der altitalienischen Gottheit der Baumfrüchte - findet man immer wieder das männliche und weibliche Prinzip vereint als Zwittergeschöpf, den so genannten Hermaphrodit.

Die Doppelbedeutung liegt ebenso im Lingam, einem Hermaphrodit, der in den tantrischen Tempeln verehrt wird. Bertonis "indisches Tagebuch" erzählt vom so genannten "kosmischen Ei" und seiner Bedeutung als altes Fruchtbarkeitssymbol. Was bedeutet das Ei für den Sammler Bertoni?

Während des Besuchs in der "Gritsch-Mühle" bei Winden im Burgenland wird der Umfang und die Mannigfaltigkeit der Sammlung immer deutlicher. Wer einmal in Kontakt mit den unterschiedlichsten "Eierkuriositäten" gekommen ist, der "beginnt womöglich selber zu sammeln", meint Bertoni schmunzelnd. Am Anfang stand für ihn das Interesse für die Trägermaterialien, Holz, Stein, Bronze, Keramik, Glas, ganz im Sinne des Bildhauers. Die Stücke waren durchwegs "Geschenke von Freunden und Bekannten".

Da sich Bertoni selbst als Perfektionist begreift, war der Schritt zu Auktionen, Sammlerbörsen und Museen nicht weit. Das Gebiet wurde grenzenlos und "als zwingende Notwendigkeit" begann der Sammler sich mit der Symbolik des Eis zu beschäftigen. Die meisten Eier wurden als "Opfer- und Grabbeigaben verwendet oder als Fruchtbarkeits- und Heilssymbol", erklärt Bertoni und fügt hinzu, dass das Ei in der Geschichte der Menschheit wahrscheinlich eines der "wichtigsten Symbole für Geburt, Auferstehung und Hoffnung" sei.

Und damit wären wir unweigerlich in unserem Kulturkreis gelandet. Die Sammlung Bertoni enthält wunderschöne, mit feinstem Pinsel gemalte Ikonen auf Ei, Motive aus der russisch-orthodoxen Kirche. Neben einem Ei als Geschenk an die Gläubigen als Zeichen dafür, dass "der Wahrhaftige auferstanden ist", liegt ein Ei aus der Ukraine - ein "steinernes Zeugnis der ältesten Fruchtbarkeitssymbole", das laut Bertoni die reine Ornamentalik bei weitem übersteigt und uns hinführt zu einer "kraftvollen Symbolik". Auch Herrscherhäuser liebten die Eiergeschenke, die allerdings aufgrund ihrer Einfassung mit Gold und Edelsteinen damals wie heute für private Sammler unerschwinglich waren.

Leicht wehmütig denkt Bertoni daran, wie ihm vor Jahren ein versteinertes Straußenei aus Madagaskar zu einem astronomischen Preis angeboten wurde. Er musste schweren Herzens ablehnen. Seine Lieblingsstücke lässt sich Bertoni noch immer gerne schenken, seien es ein klassisches venezianisches Motiv, ein feines chinesisches oder einfach Kitsch, der von irgendeinem Touristenstand mitgebracht wurde. Ein Sammler freut sich, "weil es wieder eine Kuriosität" ist oder eine Rarität - wie zum Beispiel das Ei einer Gans, das von Seefahrern auf einer langen Reise kunstvoll bearbeitet wurde und als Motiv den Kampf mit den so genannten Seeungeheuern zeigt.

Wie passt das Sammeln und Hüten einer so umfassenden Privatsammlung zu einem Künstler? "Ich hasste Sammler immer. Für mich waren das Fanatiker, die mit meinem Ansatz von Besitzlosigkeit als Ausdruck von Freiheit nichts zu tun hatten." Freilich ist Bertoni jetzt etwas milder gestimmt. Seine Sammlung umfasst mittlerweile rund 3.000 Stück - und eines ist origineller als das andere.

Zeitlich reihen sich die Jahrhunderte Ei an Ei - in den unterschiedlichsten Größen und Darstellungen. Die Faszination für das Sammeln erklärt sich schon allein aus der Vielfalt an Möglichkeiten.

Glückwunsch auf Ei

Naturei oder Kunstei, geritzt, geschliffen, bemalt, beklebt, ziseliert, zu einem Objekt verformt, eingearbeitet in eine ganze Darstellungsgruppe, oder als Salz- und Pfefferstreuer für die tägliche Verwendung gedacht. Bertoni hält vorsichtig ein bunt verziertes Ei in der einen Hand. Mit der anderen Hand zieht er ein Spruchband aus dem Inneren des Eis hervor. Wünsche, Glückwünsche zur Hochzeit, zum Geburtstag, für das Osterfest, Liebesgedichte und ähnliches ersetzten früher die Glückwunschkarte oder den E-Mail-Gruß.

"Die Kugel ist die absolute Form. Wird die Kugel zusammengedrückt, entsteht das Ei." Bertoni erklärte seinen Studentinnen und Studenten bereits vor Jahren anhand dieses Beispieles den Beginn für Ausdruck per se. Obwohl der Künstler in seinen Arbeiten zumeist andere Archetypen verfolgt, wie etwa die Säule, ist sein Interesse für die Synthese von männlichen und weiblichen Prinzipien spürbar, wenn er meint: "Minarette, Türme, das waren immer schon männliche Prinzipien. Die Kirche allerdings - ecclesia - ist die Mutter, also weiblich."

Geplantes Eiermuseum

Überlegt man die Bedeutung des Wortes "religio", kommt man schlecht umhin, Verbindung und Verbundenheit, die Sehnsucht nach dem so genannten Einswerden mit allen Dingen und Lebewesen zu spüren. Dieses Spüren ist auch in den Augen des Sammlers zu sehen, wenn er an seine nächste Vision denkt, neben seinem "Bertoni-Kunstmuseum" ein Eiermuseum zu bauen. In Turmform. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass bildende Künstler auf der Suche nach Harmonie, Übereinstimmung von Form und Inhalt und letztendlich auch Klarheit in ihrem Schaffensprozess in irgend einer Art zur Eiform gelangen. Steht doch das Ei in fast allen Kulturen - bei den Peruanern genauso wie bei den Indern und Griechen - als Ausgangspunkt des Schaffens. Beim Weggehen von Wander Bertoni denke ich an das Paradoxon der Worte und stecke wie selbstverständlich einen eiförmigen Stein in die Tasche - dort am Rande des Baches.

Quasi als Erinnerung an die Begegnung.

Freitag, 29. März 2002

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