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Reicher Nachschub von oben macht Meteorite zur Massenware

Außerirdische in der Wüste

Von Christian Pinter

Statistisch betrachtet, müsste alle paar Jahre zumindest ein sehr kleiner "Außerirdischer" in Wien landen. Gefunden wurde hier aber nie einer. Selbst aus ganz Österreich sind bloß fünf bekannt. Denn in unübersichtlichen oder vegetationsreichen Gebieten macht man Meteorite kaum aus.

Nach langem Flug durch das All treffen die kosmischen Besucher mit mindestens 43.000 km/h auf unseren Planeten. Die Abbremsung in der Lufthülle ist enorm. Viele Geschosse halten dem Stress nicht stand, zerplatzen Kilometer über Grund in zahlreiche Fragmente. Fast ihre gesamte Bewegungsenergie wird in Wärme verwandelt. Die Oberflächen schmelzen. Schließlich gehen die Objekte in freien Fall über. Dabei erstarrt die erhitzte Haut wieder, bildet die eigentümliche millimeterdünne Schmelzkruste. Beim Aufprall mit etwa

160 km/h können die Massen nochmals zersplittern.

Anfangs verrät die dunkle Schmelzkruste gelandete Meteorite. Doch in feuchten Regionen verwittert sie rasch. Dann vermag nur das Auge des Experten die Exoten von irdischem Gestein zu unterscheiden. Irgendwann fallen nicht geborgene Exemplare der Vergessenheit anheim.

Schwierige Inventur

Der Meteoritenkatalog des Natural History Museum in London machte seit 1923 fünfmal weltweite Inventur. 1966 hatte er gerade 2.000 Einträge; im Herbst 2000 musste er jedoch schon 25.600 Meteorite unterbringen. Die Fundraten waren förmlich explodiert. Schuld trug zunächst der kälteste, windigste und unzugänglichste Kontinent der Erde: Seit den Siebzigerjahren brechen vor allem japanische und US-amerikanische Meteoritenfahnder immer wieder zu aufwendigen Expeditionen in die Antarktis auf. Dort ist die Luft noch trockener als in der Sahara.

Das antarktische Gletschereis schiebt sich jedes Jahr einige Meter Richtung Küste weiter. Trifft es auf eine natürliche Barriere, wird es aufgestaut und nach oben gedrückt. Der stetige Wind trägt es ab. Meteorite, seit zehn- bis hunderttausend Jahren eingeschlossen, werden an solchen Plätzen konzentriert freigelegt.

Der höchst willkommene Sammelmechanismus verwischt leider auch Spuren. Er verschleiert den eigentlichen Absturzort des Himmelssteins, mischt die Fragmente und Splitter jedes einzelnen mit denen anderer. Chemische Analysen zeigen: jeweils zwei bis zehn Fundstücke dürften zum selben Meteoritenfall gehören. Mittlerweile bilden die 30.000 Exemplare aus der Eiswüste schon einen tonnenschweren Schatz. Er bleibt zur Gänze in den Händen der Wissenschaft. Nichts davon landet am privaten Sammlermarkt.

Vor ein paar Jahren erhielt die Antarktis Konkurrenz. Kleine, private Suchteams machten sich mit ihren Geländewägen in die Sahara auf. Ihre Destinationen: vegetationslose, weithin überschaubare Ebenen, die nur von kleinen, hellen Steinen bedeckt sind; Flächen, die der Wüstenwind von Staub und Sand befreit hat. Nur wenige Gebiete in der Sahara sind so.

Manche der meist französischen Wüstenfahrer plaudern gerne aus der Praxis. Zunächst macht man sich mit den vorherrschenden Farben des Bodens vertraut. Dann hält man im steinigen Meer aus grauen und braunen Tönen Ausschau nach einem ungewöhnlich dunklen Objekt. Im idealen Gelände lässt sich ein solches aus bis zu 100 m Distanz erspähen. Aus der Nähe betrachtet, entpuppt es sich oft als Schatten, als Stück eines zerfetzten Reifens, als Blechkanister, als Kamelkot. Oder nur als dunkler irdischer Stein.

Erst nach einigen hundertmal Bücken ertönt der erste Jubelschrei. Der Wüstenmeteorit liegt dort, wo er vor tausend oder zehntausend Jahren gefallen ist. Möglich, dass ihm der lange Aufenthalt schon zugesetzt, ihm ein verwittertes Antlitz verpasst hat. In jedem Fall hält man die Koordinaten fest, macht Fotos und Notizen. Anschließend wird das Gebiet nach weiteren Fragmenten abgesucht. Ein sehr gutes Terrain lässt auf einen Treffer pro 20 Quadratkilometer hoffen. Mit viel Glück ist der Wagen am Ende des Tages um 30 Kilo schwerer.

So kehrten einige Expeditionen schließlich mit 200 Kilogramm aus der Sahara heim. Andere fanden dort bloß das Abenteuer. Ein kaputter Motor, eine Viper, Überfälle, mancherorts Minen - trotz Satellitenkarten und GPS-Navigation ist die Wüste gefährlich geblieben.

Der "Meteoriten-Rush" in der Sahara begann 1986 in Libyen, mit Funden in Daraj, Hammadah al Hamra und später Dar al Gani. Allein dieses Plateau brachte es bisher auf fast 900 Treffer. Einzelne Regionen des später vom Terror gequälten Algerien steuerten zwischen 1989 und 1993 noch 400 Exemplare bei. Seit 1998 gibt es zahlreiche Fundmeldungen aus Marokko - dort suchen vor allem Einheimische. Viele europäische Wüstenfahnder kehren Nordafrika bereits wieder den Rücken; seit 1999 wenden sie sich Wüstengebieten im Oman zu, an der Ostspitze der arabischen Halbinsel gelegen. Dhofar, Jiddat al Harasis und Sayh al Uhaymir heißen dort ihre Ziele.

Fazit: Kannte man bis 1985 aus Libyen, Algerien, Marokko und dem Oman gerade 30 Meteorite, so sind es heute mehr als 2.400. Im September 2001 wurde die jüngste offizielle Liste publiziert.

Von den letzten 1.376 Funden in aller Welt stammte fast die Hälfte, nämlich 48 Prozent, aus den vier genannten arabischen Staaten. Das sind ebenso viele Exemplare, wie im gleichen Zeitraum aus der Antarktis einlangten. Europa ist mit einem Anteil von 2 Promille geradezu bedeutungslos geworden.

Zeitmaschinen

Meteorite sind "Zeitmaschinen". Meist eine halbe Milliarde Jahre älter als jedes irdische Gestein, geben sie Einblick in jene Bedingungen, die im solaren Urnebel herrschten. Sie lassen Forscher gleichsam in die Krippe unseres Sonnensystems schauen. Die Gewöhnlichen Chondrite stellen das Gros der Sendboten. Chondrite faszinieren mit millimeterkleinen Silikatkügelchen. Die Entstehung dieser Chondren ist umstritten. Doch allein ihre Existenz beweist, dass die Steine seit über 4,5 Milliarden Jahren kaum verändert wurden. Sonst wären die Kügelchen wieder verschwunden.

Die Heimat fast aller Meteorite liegt draußen zwischen Mars und Jupiter. Dort ziehen abertausende Kleinplaneten um die Sonne. Die kleinsten bestehen noch heute aus chondritischem Material. Doch solche ab einigen hundert Kilometer Durchmesser erhitzten sich gleich nach ihrer Geburt durch den Zerfall radioaktiver Elemente. Sie schmolzen, differenzierten wie die Erde. Bei diesem Prozess wurden die Chondren zerstört. Nickel und Eisen flossen ins Zentrum. Darüber erstarrte die Gesteinsschmelze, hüllte den Eisenkern in einen silikatischen Mantel. Gegenseitige Kollisionen zerschmetterten viele Kleinplaneten. Manche Bruchstücke gerieten auf Erdkurs, liegen heute in den Meteoritensammlungen.

Die Chondrite sind Proben der kleinsten Himmelskörper. Die seltenen, chondrenlosen Achondrite stammen aus dem Steinmantel einst mächtigerer, differenzierter Kleinplaneten. Eisenmeteorite kommen aus deren Kern, Steineisenmeteorite aus dem Übergangsbereich von Steinmantel und Eisenkern. Der Fall dieser beiden Meteoritentypen galt immer schon als besonders außergewöhnliches Ereignis. Bei Funden in der Antarktis und der Sahara sind Eisen- und Steineisenmeteorite aber überraschend deutlich unterrepräsentiert. Grund: unbekannt.

Zu den Sendungen aus dem Kleinplanetenreich gesellen sich noch ein paar "Spezialzustellungen". Gewaltige Einschläge auf dem Mond und dem Mars beförderten auch ein klein wenig von deren Krustenmaterial auf Erdkurs. Der ganze Fundus außerirdischer Materialproben, Mond- und Marsmeteorite inklusive, wurde mittlerweile in Dutzende Haupt- und Untergruppen gegliedert. Manche Gruppen umfassen nur ganz wenige Vertreter, andere Dutzende, Hunderte oder sogar Tausende. Der Marktwert eines Meteoriten hängt unter anderem davon ab, wie selten Material seiner Gruppe aufgefunden wird.

Im Oktober 2001 strömten 35.000 Besucher zu den alljährlichen Mineralientagen nach München, zur größten europäischen Messe für Mineralien, Fossilien und Schmucksteine. Unter den 740 Händlern wirkten jene wenigen, die sich auf Meteorite spezialisiert haben, fast verloren. Dennoch brachten gerade sie das älteste und exotischste Gestein mit.

Bis vor kurzem erklangen an ihren Ständen noch Worte wie "Sikhote-Alin", "Canyon Diablo", "Campo del Cielo", "Tatahouine", "Juancheng" oder "Millbillillie". Denn traditionsgemäß werden Meteorite nach ihrem Fundort getauft - gleichsam "nach dem nächsten Postamt". Die geheimnisvoll klingenden Namen aus aller Welt vergrößerten das Flair der Himmelssteine zusätzlich.

In extrem dünnbesiedelten Gebieten müssen statt dessen die Bezeichnungen der weiträumigen Fundregionen oder deren Abkürzungen Pate stehen - ergänzt mit einer fortlaufenden Nummer. Stammt ein Meteorit aus Dar al Gani, Sayh al Uhaymir oder Dhofar, wird recht prosaisch vom "DaG 801", "SaU 093" oder "Dho 312" gesprochen. Seit dem Vorjahr hört man fast nur noch solche "Nummern". Denn die Wüstenmeteorite dominieren jetzt klar den Markt.

Früher wurde außerirdisches Material untersucht, bevor es in den Handel kam. Fachlabors teilten es einer der vielen Untergruppen zu, bestimmten damit auch den Marktwert mit. Heute fließt der Strom aus den Wüsten so reichlich, dass Händler manchmal nur die interessantesten Stücke zur Analyse schicken. Sie kann schwerwiegende Folgen haben: In München machte die Geschichte eines Tuareg im Niger die Runde, der einen über 3 kg schweren Fund verschenkte; er entpuppte sich als besonders rarer Achondrit und wird jetzt um 400 US-Dollar gehandelt - pro Gramm, versteht sich.

Scheint ein Meteorit hingegen bloß zu einer der häufigsten Gattungen der gewöhnlichen Chondrite zu zählen, wird oft auf die zeitaufwendige Klassifikation verzichtet. Er geht ohne Fachanalyse über den Ladentisch und damit auch ohne offiziellen Namen. Ein Laborbefund ist nämlich nötig, damit die 1933 gegründete Meteoritical Society einen neuen Meteoriten formell anerkennt. Auch der Fundort sollte ihr gemeldet werden. Doch der ist bei den Wüstenmeteoriten nicht immer erkennbar. Ein französisches Entdeckertrio hält ihn zumindest vorerst geheim; um ihn nicht zu verraten, tragen seine Meteorite Namen wie "Sahara 00215".

Noch unklarer kann die Herkunft bei jenen Exemplaren sein, die die Meteoritical Society nur dem ziemlich großräumigen Gebiet "Northwest Africa" (kurz "NWA") zuordnet. In Marokko liefern Nomaden nämlich dunkle Steine gegen Honorar bei örtlichen Mineralienverkäufern ab. Diese gelangen dann direkt oder über Zwischenhändler nach Europa. Viele der vermeintlichen "Marokkaner" dürften in Wahrheit aus Algerien, Mauretanien, Mali, Niger oder dem Tschad stammen. "Ich kaufe von Beduinen", erläutert ein Franzose. "Sie holen die Meteorite aus der Kiste. Bestünde ich auf detaillierten Angaben, erzählte man mir irgend

etwas." Allerdings werden die Fundorte mitunter auch ganz bewusst verschleiert - aus Angst vor möglichen Konkurrenten.

Geteilter Markt

Eigentlich sollte der Nachschub aus der Wüste die Meteoritenpreise ins Purzeln bringen. Tatsächlich: "20 Säcke Chondrite warten im Auto. Wie wärs mit 100 Dollar das Kilo?" - solche Angebote ließen Himmelssteine in München wie Massenware aussehen. Walnussgroße Stücke wechselten dort um umgerechnet 15 Euro den Besitzer. Ein Händler verschenkte kleine Splitter aus dem Oman sogar an Kinder, deren Taschengeld zum Kauf nicht reichte.

Allerdings betrifft der Preisverfall primär Wüstenmeteorite - und dort auch nur die häufigsten Typen. Preise anderer Meteorite zeigen sich wenig beeindruckt. Es scheint, als wäre es zu einer Teilung des Markts gekommen.

"Ich werde mein Material sicher nicht gegen solche Meteorite eintauschen", winkte einer der ganz wenigen Händler ab, die nicht auf den Wüstenzug aufgesprungen sind. Er hofft, dass sein außerirdisches Material aus anderen Teilen der Welt im Wert sogar noch steigen wird. Speziell, wenn es sich dabei um historische, beobachtete Meteoritenfälle handelt, um die dünn gesäten europäischen Funde oder um Exemplare, die forschungsgeschichtlich bedeutsam sind.

Umstritten ist, wie lange der Wüstenrausch anhalten kann. Manche meinen, fern der Oasen läge wohl noch genug Material für Jahrzehnte. Andere klagen bereits über "abgegraste" Fundgebiete.

Freitag, 14. Dezember 2001

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