Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Wie sich französische Ausdrücke im Wiener Wortschatz eingenistet haben

"Des is in Weana sei Schan"

Von Ingeborg Waldinger

Der echte Wiener: Er sitzt beim Heurigen, umhüllt von einer Klangwolke der besonderen Art - dem Wienerlied. Und stimmt der Heurigensänger den "Heagott aus Sta" an, fasst das ans Gemüt. Mit einem anderen Liedertitel gesprochen: Des is in Weana sei Schan. Dass ausgerechnet ein Wort französischer Herkunft des Wieners Wesensart bezeichnet, mag überraschen. "Schan" geht auf das französische Wort "genre" (Art) zurück. Nehmen wir die Fährte nach dem "Wiener Französisch" also beim Heurigen auf. Dialekte haben keine kodifizierte Schreibung; die folgenden, ganz verschiedenen Epochen entstammenden Zitate weisen daher eine uneinheitliche Graphie auf.

Ertönt in den Buschenschenken der Wiener Vorstadt I bin a echta Weana, stimmt meist ein rasch wachsender Gäste-Chor in den Refrain mitein: ". . . so nach'n alten Schlag, der nur a ferme (frz.: fest, kräftig) Gaude, und a a Wein'l mag . . ." Seit jeher schätzt der Wiener auch die Gemütlichkeit. Entsprechend sensibel reagiert er auf Veränderungen eines liebgewonnenen Milieus. Geht die Ära des liab'n Wirtshäusl zu Ende, weil aus dem "Silbernen Kanderl" ein großes Restaurant geworden ist, "mit Spiagln und aufputzte Tafln. Und drinnan, da sitz'n die noblichen (frz. noble: vornehm, adelig) Leit", geht auch ein Stück Zuhause verloren.

Also tröstet man sich über den unaufhaltsamen Wandel der Zeiten hinweg, sucht Zuflucht beim Rebensaft: Jetzt trink ma noch a Flascherl Wein . . . Und is der gar, gibt's ka Genier'n (frz. se gêner: sich schämen), Holloderoh! So tan mir noch amal repetier'n (frz. répéter: wiederholen), Holloderoh!"

Schackl und Schani

Und wo endet das dionysische Experiment? Zuweilen in wohliger Apathie, im gemütsdämpfenden Schwü, wie uns das Lied Heit hab i scho mei Fahn'l erzählt:

"I laß die Welt streit'n, mi kann nix douchier'n (frz. toucher: berühren, erschüttern), es wir ja nöt anderst, wann's glei debattier'n (frz. débattre: besprechen, erörtern). An dieses Konfliktvermeidungspotenzial appelliert auch ein Lied der reschen Wiener Volkssängerin Fanny Hornischer (1845 bis 1911): Halt' di' z'ruck, Schackerl! "Schackl" stellt übrigens die verwienerte Form von frz. Jacques dar, und hat im Wiener Dialekt die Bedeutung "Hilfskraft". Auch der "Schani" hat eine französische Vorlage (Jean), und wer sich bestens unterhält, oder - gut wienerisch - scharliert, entdeckt in der Wortschöpfung den französischen Charles. Die "modernen" Wiener Liedermacher setzen die Tradition erfolgreich fort. Rainhard Fendrichs "Mia san de Hotwole" hat den Charakter eines geflügelten Wortes.

Ob relativ nahe am Original (kurios - frz. curieux: komisch, seltsam), grammatikalisch und phonetisch verwienert (scharmian - frz. charmer; Mamsö - frz. Mademoiselle), mit geänderter Bedeutung (Bagasch/Gesindel - frz.: Bagage/Gepäck) oder gnadenlos verballhornt (balawudscherln - frz. parlez-vous francais?/sprechen Sie Französisch?) - die Frequenz französischer Lehnwörter im Wiener Dialekt ist beachtlich und aus soziolinguistischer Sicht höchst interessant.

Die Mundart der alten Residenzstadt Wien, jenes multikulturellen Schmelztiegels, weist naturgemäß zahlreiche fremdsprachliche Einflüsse auf. Das Slawische, Ungarische, Italienische haben hier ihre Spuren hinterlassen. Ebenso das Jiddische und die Sprache der Roma, auch das Türkische und das Polnische. Und wie kam das Französische in den Topf? Wie fließt eine Sprache von hohem sozialen Prestige in das Alltagsidiom des kleinen Mannes ein? An Europas Höfen parlierte man Französisch, nicht am Wiener Naschmarkt, Brillantengrund oder an der Laimgruben. Nun, schon Prinz Eugen von Savoyen oder der Fürst von Ligne brachten durch ihr Gefolge französische Sitten in die Stadt.

1730 eröffnete Wiens erste französische Buchhandlung. Maria Theresia liebte das Französische außerordentlich, zudem war Kaisergemahl Franz I. ein Lothringer. Die Stadt bot zu jener Zeit gar französisches Theater, und die "francisation", die Französisierung des Wiener Hofes strahlte in weiterer Folge auch auf die Bereiche Mode und Presse ab. Das Großbürgertum passte sein Sprechverhalten eifrig dem unvergleichlichen "Schönbrunnerisch" an. Dann tanzte auch noch der Kongress - und das Französisch der teilnehmenden Diplomaten verfehlte seine Wirkung auf die Wiener nicht. Daneben hat ein weniger höfischer Wortschatz, das Vulgärfranzösisch der napoleonischen Truppen, im Milieu des gedämpften Rotlichts seine Spuren hinterlassen. Gut möglich, aber nicht gesichert, dass sogar das Wort "mutterseelenallein" solchen Ursprungs ist: Angeblich buhlten Napoleons Soldaten mit dem Spruch "moi tout seul - allein" um die Gunst der Wienerinnen . . . Auf Wienerisch könnte das schon muatasöalan geben. Vielleicht handelt es sich aber schlicht um eine Volks- und keine Gelehrtenetymologie.

Fest steht, dass der Wiener Wortschatz bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert ein beträchtliches Quantum an französischen Ausdrücken aufwies. Davon zeugen etwa die legendären, von Joseph Richter und anderen Autoren verfassten "Eipeldauer Briefe". Aus der Perspektive eines gewollt naiven Dorfbewohners aus der Eipeldau (dem heutigen Stadtviertel Leopoldau) wird hier ein äußerst amüsanter Überblick über Geist, Alltag und Mode jener Epoche gegeben. 1794 schreibt der Eipeldauer einem fiktiven Vetter: "Von meiner Frau Gemahlin liegt wieder ein Visitzettel bei. D' Frau Mahm wird's nicht lesen können, weil's Französisch ist. Mein Frau Gemahlin kanns selbst nicht lesen; aber weil halt sich unsere deutsche Noblessi noch immer französische Visitzettel zuschickt, so hat mein Frau Gemahlin halt auch ihren Namen auf französisch stechen lassen."

Endgültig bahnte sich das Französische über das Volkstheater seinen Weg ins breite Publikum. Ob Bäuerle, Meisl, Gleich, Raimund oder Nestroy: viele ihrer Stücke basieren auf französischen Vorlagen, die entsprechend adaptiert, mit Wiener Lokalkolorit ausgestattet wurden. Johann Nestroys Theaterpersonal parodiert das "kakanische" Idiom mit unvergleichlicher Meisterschaft, macht von dieser Sprache und ihren Fremdwörtern ironischen oder falschen Gebrauch. Titus Feuerkopf aus dem "Talisman" etwa erklärt Frau von Cypressenburg den Zweck seiner Perücke: "Ich benütze sie, um die ihr Nervensystem verletzende Couleur zu verdecken." Schnoferl aus "Das Mädel aus der Vorstadt" wiederum stellt Herrn Gigl, welcher seine Heirat mit einer betuchten Witwe auffallend hinauszögert, die Gewissensfrage: "Sich am Verlobungstag retardieren, was zeigt das für'n Ehestand für ein Tempo an?" Herr von Reakzerl aus "Die Freiheit in Krähwinkel" fragt Frau von Frankenstein nach dem eigentlichen Zweck des "splendiden Déjeuner, womit sie uns bewirtet haben."

Selbst manch Nestroysche Figur trägt einen aus dem Französischen herleitbaren Namen: so das antithetisch angelegte Zaubererpaar Schmafu und Schmamock ("Der konfuse Zauberer"). Hier leuchten die französischen Redewendungen je m'en fous und je m'en moque durch; beide bedeuten etwa "das ist mir völlig egal."

Nestroy hat die französische Sprache wie einen Knetteig bearbeitet, mit dem Ergebnis, dass aus dem französischen "déjeuner à la fourchette" das Wienerische dejeuneralaforschetteln für Gabelfrühstücken herauskam, aus "comme il faut" (wie es sich gehört) comifoisch, oder aus "mal à propos" (ungelegen) eben die Malaproposheit, in der auch ein wenig "Bosheit" mitschwingt.

Sprache der "Schwierigen"

Eine nächste Generation literarischer Figuren, die an Wiens Theatern Französisch "parliert", ist aus anderem Holz. Auch beseelt sie ein ganz anderer Geist. Sie spricht die Sprache eines Leutnant Gustl, den die Beleidigung durch einen Bäckermeister um Satisfaktionsfähigkeit, Stand und Verstand zu bringen droht: "So ein Kerl kann sich auf offener Straße prügeln lassen, und es hat keine Folgen, und unsereiner wird unter vier Augen insultiert und ist ein toter Mann. Wenn sich so ein Fallot wenigstens schlagen möchte . . ." Dies ist die Sprache der herrschenden "Schwierigen" und der dienenden "Unbestechlichen". Anton Kuh nennt ihr Idiom das "Feudalwienerische", eine "lächelnd-gelassene Sprache, in der die französischen Redensarten brockenweise herumschwimmen und deren Hauptkennzeichen ein Mangel an innerer Beteiligtheit ist". Arthur Schnitzlers und Hugo von Hofmannsthals melancholische Fin-de-Siècle-Repräsentanten sehen das Ende der Habsburger Monarchie nahen - und damit ihre gesellschaftliche Ordnung zerfallen.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg lassen Helmut Qualtinger und Carl Merz mit ihrem "Herrn Karl" wieder tief in die Wiener Volksseele blicken. - Das Französische im Wiener Dialekt lebt fort: "I hab z'haus a Waschbecken . . . Aber ein Meer kommt mir nicht ins Haus . . . weil I hab kan Bedarf für so viel Wasser . . . so a bissel in an Waschbecken oder an Lawur (frz.: lavoir) is grad gnua . . . net?"

Natürlich wird man auch in den Mundartgedichten des unlängst verstorbenen H. C. Artmann fündig. In "wos an weana olas en s gmiad ged" zählt der von Doderer als "echter Sänger der Banlieue" bezeichnete Artmann unter anderem auf: ". . . a foeschs gebis en da basena" (frz. bassin), während es im "blauboad 2" düster heißt: ". . . doch heite bleibt heit/und do gibt s kann bardaun (frz. pardon):/a keazzn a frau und a messa!"

Über das Thema "Wiener Französisch" ließe sich noch des langen dischgariarn (frz. discourir): iba de Bomfinewara (frz. pompes funèbres), es ewige Malea (frz. malheur), es grawatl (frz. cravate), en Rescho (frz. rechaud) oda 's batea (frz. parterre: zu ebener Erde, Parkett. Für "Erdgeschoss" hingegen frz. rez-de-chaussée.) Was dem einen bomade (frz. pommade), will der andere batu (frz. partout) nicht vergessen. Und wer einen leichten Busara (frz. pousser) verursacht, muss gewärtig sein, dakssfrei (frz. taxe: Gebühr) zur Karnali (frz. carnaille) erklärt zu werden.

Und bei einem Melansch (frz. mélange) könnte man noch manches Beispiel aufs Tapet (frz. tapis: Teppich) bringen.

Freitag, 03. August 2001

Aktuell

Die Mutter aller Schaffenskraft
Wenn Eros uns den Kopf verdreht – Über Wesen und Philosophie der Leidenschaft
Schokolade für die Toten
In Mexiko ist Allerseelen ein Familienfest – auch auf dem Friedhof
Gefangen im Netz der Liebe
Das Internet als Kupplerin für Wünsche aller Art – Ein Streifzug durch Online-Angebote

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum