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Nach 55 Jahren wird Wiens größter Bezirk allmählich urban

Donaustadt wird Donau-City

Von Reinhard Seiß

Am 26. Juni 1946 wurde vom Wiener Landtag die Nachkriegsgrenze zwischen Wien und Niederösterreich beschlossen und im Zuge dessen auch der 22. Wiener Gemeindebezirk mit dem Namen "Donaustadt" aus der Taufe gehoben. Wirklich städtisch gab sich der mit über 100 km² (das entspricht einem Viertel der Gesamtfläche Wiens) weitaus größte aller 23 Bezirke aber nur an wenigen Stellen. Neben Kaisermühlen, das ursprünglich zum 2. Bezirk gehört hatte, bestand die Donaustadt aus sieben Marchfelddörfern, die den meisten Wienern heute nur von Autobahnabfahrten oder U- und S-Bahn-Stationen her ein Begriff sind: Aspern, Hirschstetten, Kagran und Stadlau, Breitenlee, Essling und Süßenbrunn.

Dementsprechend gering war lange Zeit auch die Bedeutung des Bezirks. 1910/11 entstand hier das Flugfeld Wien-Aspern, das nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings wieder aufgelassen wurde und in den 80er-Jahren dem General Motors-Werk Platz bot. Und in den 70er-Jahren verschuf die Errichtung der UNO-City dem 22. Bezirk für einige Zeit öffentliche Aufmerksamkeit. Ansonsten diente die Donaustadt den meisten Wienern aber nur für Erholungszwecke, ob am Gänsehäufel an der Alten Donau oder in der Lobau, durch die die Bundeshauptstadt Anteil am Nationalpark Donau-Auen hat. Otto Wagners Pläne aus dem Jahr 1911 für einen Stadtteil mit 150.000 Einwohnern im XXII. Bezirk schienen als unrealisierbare Visionen Geschichte zu werden.

Klassischer Arbeiterpalast

Zugegeben, es gab - beginnend in den 20er- und 30er-Jahren - durchaus vereinzelte Wohnbauprojekte, manche sogar von wienweiter Relevanz. Die Freihofsiedlung etwa ist mit ihren knapp 1.100 ein- und zweigeschossigen Reihenhäusern die größte in sich geschlossene Siedlungsanlage der Stadt. Sie wurde noch nach dem Prinzip der Selbstversorgung durch Gartenbau konzipiert, verfügte aber trotzdem schon über kommunale Einrichtungen wie ein Versorgungszentrum, ein Schulgebäude oder einen Sportplatz. Urbaner gestaltete sich einige Jahre später bereits der Goethehof - ein klassischer Arbeiterpalast des Roten Wien, unmittelbar an der Alten Donau gelegen, mit zahlreichen Gemeinschaftseinrichtungen, die zum Teil heute noch erhalten sind: mehrere Waschküchen etwa, das Kindertagesheim oder die Stadtbücherei.

Der Goethehof, der benachbarte Marshallhof - eine typische 50er-Jahre-Anlage mit drei 14-geschossigen Wohntürmen - und die umgebende gründerzeitliche Blockrandbebauung machten Kaisermühlen mit seiner kleinstrukturierten Geschäfts- und Dienstleistungsstruktur sowie mehreren Lokalen zum urbanen Herz der Donaustadt. Vor 40 Jahren noch schlug dieses - recht schwache - Herz für einen relativ dünn besiedelten Distrikt mit 57.000 Einwohnern. Die Donaustadt nahm damit Platz 15 unter den 23 Wiener Bezirken ein.

Was in den folgenden Jahrzehnten entstand, trug dem Bezirk nicht zu Unrecht die Bezeichnung "Schlafstadt" ein: Wohnanlagen in teils großem Maßstab, allerdings ohne attraktive öffentliche Verkehrsmittel und ausreichende Arbeitsplätze. Da diese Projekte über den gesamten Bezirk verstreut entstanden, mangelte es oft auch an ausreichender sozialer Infrastruktur, an Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie an der Versorgung mit Handel und Dienstleistungen. Warum aber zogen Menschen dennoch dorthin? Anfänglich wohl deshalb, weil die Neubauwohnungen hier - im Vergleich zu Altbauten "in der Stadt" - einen relativ hohen, modernen Standard sowie ausreichend Wohnraum zu relativ günstigen Preisen boten. Die Grünanlagen in den Siedlungen waren vor allem für Familien mit Kindern attraktiv. Und Verkehrsstaus oder Parkplatzprobleme kannte man noch nicht, weder am Wohn- noch am Arbeitsort.

Die Siedlung Trabrenngründe (bzw. Rennbahngründe) beispielsweise wurde in den frühen 70ern ohne erkennbaren städtebaulichen Kontext als autonomes Gebilde in die Wiese gestellt. Sechs weitläufige Höfe mit 2.400 Wohnungen in Plattenbauten mit bis zu 16 Geschossen wurden mit Kindergarten, Schule und Jugendclub sowie mit einem kleinen Handelszentrum ausgestattet. Dass die Wege zwischen Wohnung und Tiefgarage bzw. Ladenzentrum in der größten Großsiedlung Österreichs zum Teil etwas weit sind, erkennt man an den vielen Einkaufswagen, die in der Siedlung herum stehen. Und an kühleren, windigen Tagen ist ein Aufenthalt in den durchlässigen Wohnhöfen wenig attraktiv.

Überaschenderweise herrscht unter den Bewohnern am Rennbahnweg trotzdem Zufriedenheit. Erst kürzlich wich im Zuge der Sanierung der Siedlung das uniforme Grau der Fassaden einer bunten Bemalung. Vor allem aber schätzt man nach wie vor die Vorteile gegenüber anderen Wohnformen: "Auch wenn viele von außen über die Anlage schimpfen - im Unterschied zur Altstadt können Kinder hier alleine draußen spielen. Und im Gegensatz zu manchen der modernen Hochhäuser haben wir zumindest Freiraum und Aussicht."

Der zunehmende Wohlstand der Bevölkerung, ein stagnierender Bedarf an zusätzlichem Wohnraum sowie sich verändernde städtebauliche Philosophien brachten in den 80er-Jahren auch im 22. Bezirk neue Formen des Wohnbaus mit sich. In der Blütezeit der Postmoderne entstand beispielsweise am Biberhaufenweg eine relativ kleine Siedlung mit zwei- bis dreigeschossigen Häusern, wobei das Bemühen der Architekten vorherrschte, dörfliche Strukturen als planerisches Motiv zu übernehmen. Heinz Tesar schuf im vorderen Bereich einen "Platz", Otto Häuselmayer schloss daran eine "Gasse" an und Carl Pruscha komplettierte das Ensemble mit einem "Anger".

So sympathisch der Gestaltungsreichtum und die ausgewogene Dichte im Inneren der Anlage erscheinen mögen, so verloren wirkt die Siedlung in ihrem Umfeld: Verlässt man das Idyll, steht man quasi auf einer Freilandstraße, abgeschottet durch Plakatwände. Und auf den restlichen drei Seiten umschließt Auwald das synthetische Dorf. Durch rein formale "Urbanität" gelang es offensichtlich nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es hier - wie im gesamten Bezirk - nichts außer Wohnungen gibt.

Platz 2 hinter Favoriten

Die Ostöffnung 1989 brachte für die Donaustadt schließlich die Wende. Die bis dahin schrumpfende Bevölkerungszahl Wiens wuchs durch Zuzug vor allem aus den ehemaligen Kronländern rapide an und man sprach bald von einer zweiten Gründerzeit. 10.000 Wohnungen beschloss die Stadt Wien jährlich zu bauen - die meisten davon nördlich der Donau, da der Südraum ohnehin schon im Vekehr erstickte und kaum noch Freiflächen aufwies. Die Stadt sollte damit auch wieder näher an die Donau rücken und in den beiden transdanubischen Bezirken ein zweites Zentrum erhalten. Heute belegt die Donaustadt mit rund 140.000 Einwohnern - hinter Favoriten - bereits Platz 2 im Einwohner-Ranking der Wiener Bezirke. Und es ist nur mehr eine Frage der Zeit, dass der flächengrößte Stadtteil auch zum bevölkerungsreichsten wird.

In nur wenigen Jahren entstand eine erstaunliche Vielfalt an Bebauungsformen - nicht immer von erstklassiger Architektur, dafür nun meist in zusammenhängenden Gebieten. Vor allem zwischen der Erzherzog-Karl-Straße und der Wulzendorfer Straße reiht sich seit Anfang der 90er-Jahre Wohnanlage an Wohnanlage. Mit verdichtetem Flachbau errichtete etwa Roland Rainer in der Tamariskengasse eine seiner qualitätvollen, fußläufigen Siedlungen im schlichten Stil zeitloser Moderne. Ausschließlich private, nicht einsehbare Grünflächen stehen dabei einem abwechslungsreichen öffentlichen Raum gegenüber - mit wohlproportionierten Plätzen, die Verkehrs-, Aufenthalts-, Spiel- und Kommunikationsort zugleich sind.

Größere Bauformen entstanden zwischen 1996 und 1998 in der so genannten Erzherzog-Karl-Stadt. Hier schufen verschiedene Architekten nach einem Masterplan von Gustav Peichl und Martin Kohlbauer rund 450 Wohnungen und ein breites stadträumliches Spektrum: zweigeschossige Reihenhäuser bis hin zu Achtgeschossern, einen Rundbau ebenso wie Riegel mit Laubengangerschließung, gläserne Verbindungstrakte und Arkaden, Straßen, Gassen und Wege, Mietergärten aber auch einen städtischen Platz. An manchen Stellen wünscht man sich beinahe etwas weniger Abwechslung. Alles in allem steht aber auch hier eine durchaus gelungenes Stück neuer Stadt, nicht zuletzt, da die Straßenbahnlinie 25 einen für die Donaustadt überdurchschnittlich attraktiven öffentlichen Verkehrsanschluss bietet.

Die Standardversorgung ist im gesamten Siedlungskonglomerat - ob direkt vor Ort oder im nahen Umfeld - gegeben: Kindergarten, Volksschule, Apotheke und der beinahe sprichwörtliche "Billa um's Eck". Ein weitergehendes Angebot an Einrichtungen des täglichen Bedarfs hat sich trotz der hohen Bevölkerungsdichte bis dato aber nicht entwickelt. Was den neuen Siedlungen jenseits der Donau heute fehlt, könnte sich bereits in Kürze entwickeln. Denn mit der Verlängerung der U-Bahn-Linien 1 und 2 in den Nordosten Wiens erhält der 22. Bezirk nicht nur hochleistungsfähige öffentliche Verkehrsverbindungen in die Bezirke südlich der Donau.

U-Bahn-Stationen erwiesen sich in den letzten Jahren auch als Kristallisationspunkte für die Entstehung von Arbeitsplätzen, Handels- und Dienstleistungsangeboten. Vor allem die künftige Endstation der U2 sollte ein Impuls für die überfällige Entwicklung eines starken Stadtteilzentrums sein.

Eine hohe Bebauungsdichte und ein U-Bahn-Anschluss sind allerdings noch keine Garantie für städtisches Leben. Der Wohnpark "Alte Donau" - in den Jahren 1997/98 zwischen der U1 und der Wagramer Straße entstanden - besteht aus sechs rund 60 m hohen Türmen, seine Bewohner aber schätzen außer dem Fernblick aus den obersten Apartments vor allem die Möglichkeit, rasch aus der Siedlung herauszukommen: Ins Grüne - fußläufig zur Alten Donau und in den Donaupark; in die Innenstadt - per U-Bahn in 9 Minuten; ins Shopping Center - nur eine U-Bahn-Station zum "Donauzentrum". Der öffentliche Raum im Wohnpark selbst ist viel zu gering dimensioniert und wird von den meisten als "Zumutung" oder als "beklemmend" empfunden. Die sechs Hochhäuser stehen kaum in einem konzeptionellen Zusammenhang, was sich nicht nur zu ebener Erde, sondern auch in den Wohnungen selbst auswirkt: Aus manchen, auch höher gelegenen Räumen sieht man nicht weiter als bis zum Nachbarhaus.

Wiens zweite City

Das unbestritten spektakulärste und potenteste Entwicklungsprojekt von ganz Wien ist die "Donau-City". Mit dem Mischek-Tower (110 m) steht hier das höchste Wohnhaus Österreichs, und auch die anderen Wohnbauten verfügen mit mindestens neun Stockwerken durchaus über City-Format. Hunderttausende Quadratmeter Bürofläche wurden - und werden - zudem auf der Donau-Platte (der Überplattung der Stadtautobahn A22) geschaffen, bedeutende Wirtschafts-, Verwaltungs- und Wissenschaftsfunktionen siedeln sich an diesem Standort an. Hochrangige Straßenverbindungen und die Linie U1 sorgen für eine optimale Verkehrsanbindung. Quasi um's Eck befinden sich eines der größten Kinozentren der Stadt sowie das Freizeit-Eldorado "Copa Cagrana". Und schließlich liegt mit der Donauinsel eines der wichtigsten Naherholungsgebiete Wiens vor der Tür.

Trotz der großstädtischen Dimensionen herrscht keinerlei Anonymität unter den neuen Donaustädtern: Schon nach kurzer Zeit entstand ein Netz nachbarschaftlicher Beziehungen. Als nahezu dörflich wird die Atmosphäre in "Wiens zweiter City" beschrieben. So passt beispielsweise jeder Haustürschlüssel zu jeder Haustür der vielgliedrigen Wohnanlage, damit gegenseitige Besuche und soziale Kontakte gefördert werden. Gemeinschaftseinrichtungen wie eine Sauna, von der Hausverwaltung organisierte Gymnastikstunden oder eine wöchentliche Spielplatzbetreuung für Kinder werden geboten - und genutzt.

Die Ausstattung mit Handels- und Dienstleistungseinrichtungen, mit sozialer Infrastruktur und Gastronomie stellt den Grundbedarf der 3.500 City-Bürger (sowie der derzeit rund 2.500 Beschäftigten) zufrieden. Wer aber mehr einkaufen muss oder sich mit Freunden treffen will, macht vielfach doch lieber noch den kurzen Sprung über die Wagramer Straße ins alte Kaisermühlen - mit seinen kleinen Geschäften und den eingesessenen Gasthäusern, so wie vor 55 Jahren.

Freitag, 03. August 2001

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