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Über amerikanische Feuerwehrfrauen und das "Global Fire Monitoring Center" in Deutschland / Von Christine Brügge

Angriff aufs Feuer

Sechs Uhr morgens in Sacramento, Kalifornien. Die Sonne lugt über die sanft geschwungenen Hügel, als ein Zug von fünf Feuerwehrwagen rasant um die Ecke biegt. Kim Spiess (21) und ihre 15 Kollegen sind auf dem Weg zur Arbeit: Wieder einmal steht ein Wald in Flammen. 40 km davon entfernt und eine Stunde später: Ankunft im Basis-Camp. Ein riesiges Zeltlager, voll ausgestattet mit Kantine, Hospital, Waschsalons und Funkstationen. 2.000 Feuerkämpfer sammeln sich hier, reisen aus allen Teilen Kaliforniens an, da Sacramento, die drittgrößte Feuerwehrwache Amerikas, nicht genügend Leute hat. Captain Mandy Barthol (43) kommt extra aus San Diego: "Der gesamte Westen hat sich in einen Hexenkessel verwandelt. Überall brennt es gleichzeitig, wir arbeiten bis an den Rand der Erschöpfung."

14 Tage lang heißt es: Abwechselnd 24 Stunden Einsatz, ein Tag Pause. Danach werden die Teams ausgetauscht und zu anderen Einsatzorten geschickt, "damit keine Gewohnheit entsteht, die uns sicher fühlen und Fehler machen lässt". Diesmal gilt es 430 km² zu löschen - eine Fläche, so groß wie der Kleinstaat Andorra - und der die Feuerkämpfer mit 4.000 Sandsäcken, 500 Löschfahrzeugen mit jeweils 2.000 l Wasser, vielen mobilen Wassertanks und wenigen Löschflugzeugen gegenüberstehen.

Kampf von allen Seiten

8 Uhr, der Kampf beginnt: Die Fahrzeuge werden mit Wasser gefüllt, Lunchpakete, Unmengen an Getränken und Speiseeis verstaut, dann rücken die Feuerkämpfer aus. Eine Einheit platziert sich an der Front, bekämpft das Feuer von vorn. Eine zweite geht von hinten vor, während die Löschflugzeuge von oben eine Mischung aus Wasser und einer seifenähnlichen Substanz sprengen, die das Feuer von den Bäumen förmlich abglitschen lässt. Kim und Mandy versuchen mit der vierten Einheit bedrohte Siedlungen zu schützen. Bäume und Büsche werden gefällt, damit das Feuer nicht überspringt. Doch zuerst wird eine Sicherheitszone angelegt, "falls alles außer Kontrolle gerät", sagt Kim. Dafür wird ein Gebiet abgebrannt, das in jede Richtung mindestens fünfmal so lang ist wie der höchste Baum der Umgebung, denn "was schon verbrannt ist, brennt nicht noch einmal". Dennoch keine Sicherheitsgarantie: Es gibt Situationen, in denen das Feuer schneller ist als die mutigen Kämpfer laufen können. Was dann? Mandy zeigt auf ein Bündel an ihrem Gürtel: "Ein feuerfestes Zelt, das man innerhalb von Sekunden ausbreiten und überwerfen kann. Darin kann man inmitten des Feuers überleben." Doch bei solch großen Feuern, wie denen von Kalifornien, Montana und Idaho, entwickelt sich eine mörderische Hitze von bis zu 1.000 Grad Celsius. Überlebenschance? Gleich null.

Tatsächlich wird es plötzlich kritisch: Der Wind dreht und und legt an Stärke zu. Ein ohrenbetäubendes Rauschen setzt ein, eine gigantische Feuerwand von 10 m Höhe wälzt sich auf die Siedlung zu, massive Baumreihen von Redwood-Trees knicken wie billige Streichhölzer um. Peng, peng, peng schießen glühende Funken durch die Luft. "Zurück!" - Kim und Mandy jagen von den Häusern hinüber in die Sicherheitszone. Hektische Verteilung von 10 kg schweren Sauerstoffmasken, die die Truppe vor dem Einatmen giftiger Dämpfe schützen. Hastiges Einsteigen in die Fahrzeuge. Funkspruch an das Camp: "Feuer dreht um 60 Grad nach Norden, erfasst Siedlung, wir harren aus." Die Feuerkämpfer blicken bedrückt durch die Windschutzscheiben. Die Flammen springen über, reißen ganze Häuserwände zu Boden, hier und da explodiert etwas.

30 Minuten später: Nichts als verkohlte Ruinen um sie herum. Und während jeder an sein eigenes Zuhause denkt, breitet sich das Fegefeuer hinter ihnen weiter aus. Nach 20 Minuten ist es bereits 3 km entfernt. Das Team widmet sich seinem Mittagessen. Mit ungetrübtem Appetit. "Routine", erklärt Mandy - und: "Zum Glück kommt es nicht oft vor, dass wir Häuser verlieren." Anschließend geht es sofort weiter zur nächsten Siedlung. Und diesmal gewinnen sie den Kampf. Feierabend? Noch lange nicht! Die ganze Nacht hindurch kämpft das Team gegen den höllischen Feuersturm. Als es am nächsten Morgen abgelöst wird, reiben sich Kim und Mandy die geröteten Augen. Wie sie sich fühlen? "Müde", gähnt Kim und Mandy ergänzt: "Aber auch glücklich. Eine Siedlung haben wir verloren, dafür aber drei weitere gerettet." Nach einer ausgiebigen Dusche und einem reichhaltigen Frühstück werfen die beiden einen Blick in die Zeitung. "Es ist wichtig, die Gesamtsituation zu kennen. Wir arbeiten ja immer nur an Detailbereichen."

Am frühen Vormittag fahren die beiden mit ihren Kollegen in ein nahe gelegenes Hotel. Bis zum nächsten Morgen um 5 Uhr dürfen sich die Feuerkämpfer nun dem wohl verdienten Schlaf hingeben, während das Basis Camp wie an jedem Tag die aktuellen Daten an eine Zentralstelle durchgibt, die sie an das "Global Fire Monitoring Center" (GFMC) in Deutschland weiterleitet: Wie groß ist das Feuer? Wie viel wurde gelöscht? Welche Besonderheiten traten auf? Windstärke und Entwicklung des Feuers? Wetterlage und Vegetation?

Das GFMC, das vom Auswärtigen Amt als Beitrag für die Arbeit der Vereinten Nationen finanziert wird, überwacht seit 1998 weltweit Wald- und andere Vegetationsbrände. Kanada, Europa, Indonesien - wenn irgendwo auf der Welt ein Waldbrand ausbricht, gehen hier die Daten ein, werden analysiert und archiviert. Neben der Erstellung eines täglichen globalen Lagebildes aufgrund von Satellitendaten und Berichten internationaler Korrrespondenten vermittelt das GFMC auch Frühwarnungen. Gefahr erkannt - Gefahr gebannt.

Trockene Gewitter schuld

Was hat die diesjährig ungewöhnlich hohe Anzahl von Waldbränden verursacht? Die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Feuerökologie ziehen Bilanz: In den USA waren fehlender Niederschlag, "trockene Gewitter" (Blitzeinschläge, auf die kein Regen folgt) und starke Winde für die Feuer verantwortlich, während es in Südeuropa vorwiegend Brandstiftung und Unachtsamkeit waren. Der Mannheimer Feuerökologe Dr. Christophe Neff macht vor allem Veränderungen im Vegetationsbild für die zunehmende Häufigkeit von Bränden aus. "In großen Teilen des nördlichen Mittelmeerraumes findet in den letzten 50 bis 100 Jahren ein grundlegender Landschaftswandel statt", so der Geograph und Naturwissenschaftler. Immer mehr Gebiete in Südfrankreich, Spanien, Portugal, Griechenland und Italien verbuschen und verwalden. "Dadurch nimmt die Biomasse zu und das Feuerrisiko steigt", erklärt Neff.

Der Ökosystem-Forscher geht davon aus, dass die diesjährige Entwicklung vorhersehbar war, wobei er sich unter anderem auf Erkenntnisse aus Computersimulationsexperimenten mit MEDGROW beruft.

Das Programm simuliert Wachstums- und so genannte Perturbationsprozesse: Formen der "ökologischen Ruhestörung", wie sie zum Beispiel durch Holzeinschlag, Schädlingsfraß, Ackerbau und Feuer entstehen. So lässt sich nachvollziehen, wie Wälder durch Feuer zerstört werden und sich anschließend wieder regenerieren. In realitätsnahen Feuersimulationen kann die Verfügbarkeit an brennbarer Biomasse und damit die Feuerintensität exakt bestimmt bzw. vorhergesagt werden. Vorteil der Technik: Mit MEDGROW können Tausende Hektar Land rund ums Mittelmeer den virtuellen Flammen geopfert werden, ohne dass die reale Landschaft Schaden nimmt. Der virtuelle Feuerfraß und andere mögliche Simulationsexperimente gewähren den Wissenschaftlern wertvolle Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Klimafaktoren, Standortbedingungen, Vegetation und Störfaktoren.

Wie bedrohlich ist also die Zunahme von Wald- und Buschbränden in Südeuropa? "Nicht jedes Feuer bedeutet gleich eine ökologische Katastrophe", wehrt sich der Wissenschaftler gegen eine pauschale Bewertung von Bränden. "Unter ökologischen Gesichtspunkten sind bestimmte Vegetationsfeuer sogar wünschenswert. Für die Naturparks der USA sieht dies jedoch ganz anders aus. Dort haben die verheerenden Brände gezeigt, dass der Mensch der Natur wieder mehr freie Hand lassen sollte", erklärt Neff. Regelmäßige, durch Blitzschlag ausgelöste Waldbrände sind dort Teil eines intakten natürlichen Ökosystems. Sie dünnen das trockene Unterholz aus und rauben einem potenziellen Feuer einen Großteil der Nahrung. Diese natürlichen Feuer wurden in den vergangenen Jahren regelmäßig im Keim erstickt. So sammelt sich mit dem Tot- und Unterholz enorme Mengen an feuergefährlicher Biomasse an. Und brennt der Wald einmal, dann brennt er richtig.

Wirken sich die weltweiten Brände auf das globale Klima aus? Eine Frage, die nicht einheitlich beantwortet werden kann. Das GFMC geht davon aus, dass es auf die Rehabilitation eines Ökosystems ankommt: Erholt es sich, bindet es erneut so viel Kohlenstoff, wie durch das Verbrennen freigesetzt wurde.

Erholt es sich nicht, beeinträchtigt es die Atmosphäre und somit das Klima. Die Brände der Regenwälder jedoch tragen in jedem Fall auf dramatische Weise zur Klimaveränderung bei, da solch enorme Mengen an Kohlenstoff freigesetzt werden, dass sie nicht gebunden werden können.

Feuer ist also nicht gleich Feuer. Um einige Feuerarten sogar nutzen zu können, zündeln die Feuerökologen seit vier Jahren am Weinbaugebiet Kaiserstuhl. Grund: Sie möchten eine Bewaldung und Verbuschung verhindern. Denn ab 2001 werden sechs Jahre lang kontrollierte Feuer gelegt. In Nordeuropa, so die Wissenschaftler, setzt sich das kontrollierte Brennen mehr und mehr als sinnvolles Konzept durch. Allerdings, so räumen sie ein, können menschliches Versagen und natürliche Überraschungen dafür sorgen, dass auch kontrollierte Feuer plötzlich außer Rand und Band geraten. Jüngstes Beispiel: In Los Alamos, New Mexiko, haben sich Feuer vor wenigen Monaten verselbstständigt und zahlreiche Häuser in Schutt und Asche gelegt.

Satellit in Entwicklung

Sobald es um Feuer geht, ist die Gefahr eben nie komplett ausgeschaltet. Um sie möglichst im Keim ersticken zu können, bastelt das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum in Berlin an einem weltweit einmaligen Satelliten. Noch ist das GFMC auf Daten von Wettersatelliten angewiesen, die Wärme- und Lichtsignale erkennen. Und das auch nur bei wolkenfreiem Himmel. Doch der erste Satellit, der mit hoher Präzision Feuer aufspüren und detaillierte Daten zur Erde senden kann, befindet sich bereits kurz vor seinem Abschuss in den Orbit. Geplanter Start: Anfang 2001. Der BIRD, so sein Name, arbeitet mit einem hochsensiblen Infrarotsender, der an der Temperatur die Art eines Feuers erkennt, Schwel- oder einen Hochtemperaturbrand, da er bis zu 1.200 Grad Celsius exakt messen kann. Diese Datenangabe war bisher nicht möglich, da die gegenwärtigen Satelliten

nur eine Bodenpixelgröße von 1,1 × 1,1 km haben: Eine Fläche dieser Größe wird als ein Pixel (ein Punkt auf einem Digitalbild) abgebildet, der mit anderen Pixeln zusammen ein Bild ergibt.

Die Crux: Die aktuelle Bodenpixelgröße lässt kaum eine detaillierte Vorhersage zu, solange es sich nicht bereits um einen Riesenbrand handelt. Dr. Klaus Briess: "Wir können es uns hier nur schwer vorstellen, aber in Ländern wie Kanada, Sibirien, China, Brasilien und den USA haben wir es mit so weitläufigen Gebieten zu tun, dass Brände lange Zeit unbemerkt bleiben und sich in aller Ruhe ausbreiten können."

Die Vision der Forscher: Ein ganzes System von BIRDS in die Umlaufbahn zu bringen, die zusammen die ganze Welt beobachten können. Denn der jetzige BIRD hat zwar eine Bodenpixelgröße von 370 × 370 m, kann aber nicht zur selben Zeit an jedem Ort sein. Mit seinen 92 kg ist er zusätzlich ein Federgewicht im Vergleich zu den 1.000 kg, die bisherige Satelliten mit sich bringen. Geologen, Feuerökologen und Vulkanologen warten bereits weltweit auf seinen Einsatz.

Die Feuerkämpfer dieser Welt wird er nicht arbeitslos machen, ihre Arbeit aber ungemein erleichtern. Zusammen mit den Analysen und Frühwarnungen des GFMC und einer neuen Infrarotkamera, die sich ebenfalls in der Entwicklung befindet, sind so schon bald ganz neue Brandpräventionen möglich. Feuer haben zwar manchmal einen ökologischen Nutzen, dennoch fallen ihnen auch unwiderbringliche Schätze zum Opfer. Und Kim und Mandy haben auch nichts dagegen, öfter mal länger schlafen zu dürfen. Denn in Kalifornien gibt es mit Sicherheit schönere Dinge zu tun, als seltene Redwood-Bäume sterben und verzweifelte Menschen weinen zu sehen.

Freitag, 08. September 2000

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