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Von Weihnacht über Fastnacht bis zum Hexensabbat - Zur Kulturgeschichte der Dunkelheit

Heilige Nacht, schreckliche Nacht

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Das Treiben der Narren, die Geburt Christi, ein Großteil der Passionsgeschichte und alle damit verbundenen Feste haben einen Zeitfaktor gemeinsam: sie finden hauptsächlich nachts statt. Im Dunkeln
ist die Welt verkehrt und es lässt sich ausgelassen tanzen, im Dunklen verkündete der Engel an die Hirten, und der Komet führte die Könige nächtens nach Bethlehem. Für die Römer kam in der Mitte des
Winters · zur halben Nacht · der Sonnengott zurück und deshalb findet auch das größte Fest der Christen zur Wintersonnenwende statt, der dunkelsten Zeit, in die der Mensch das Licht herbeisehnt. Alle
drei Feste (Fastnacht, Weihnachten und Ostern) hingen schon immer eng zusammen, denn die Fastnacht beginnt im Abstand von 40 Tagen vor Aschermittwoch und richtet sich somit nach Ostern und
Weihnachten.

Christus galt aber auch noch in der Symbolik des Mittelalters als „neue Sonne" neben der Kirche als Mond; unter der Peterskirche in Rom ist ein Mosaik erhalten, auf dem er gleich Helios mit einem
Wagen am Himmel fährt.

Die alten heidnischen Bräuche des Austreibens der Dämonen durch die Narrenumzüge wirken bis in unsere Tage · und Nächte · weiter, auch die Ostereier und der viel jüngere Brauch der Christbäume gehen
auf alte Vorstellungen und Riten zurück. So liegt aber auch nahe, dass die seit dem Mittelalter bekannte Narrenmutter, die ihre Kleidung schützend über ihre Kinder legt, nicht nur mit Eva oder der
Schutzmantelmadonna Gemeinsames hat, sondern auf eine ältere, erstmals auf Vasen und anderen Kultgegenständen auftauchende Frau, die ihren Mantel über ein schwarzes und ein weisses Kind breitet,
reflektiert: Mutter Nacht. Ihre beiden Söhne sind der weiße Schlaf und der schwarze Tod, der eine beglückend, der andere Furcht erregend

Die Nacht ist aber auch aus der poetischen Metapher als Personifikation erstanden, denn das Hören war vor dem Sehsinn wichtiger im Griechischen, daneben existiert sie als geschaute, impersonale Mond-
oder Sternennacht, wobei es nur im Deutschen die Kombination einer weiblichen Nacht mit einem männlichen Mond gibt. Er diente früh bereits zur Erstellung eines Kalenders in der ersten Hochkultur im
Alten Orient, die nach Nächten und nicht nach Tagen zählte. Damals war der Astronom auch Astrologe, erst Albertus Magnus (zirka 1200 bis 1280) hat in dem ihm zugeschriebenen Werk Speculum astronomiae
diese Funktionen getrennt. Der Mondgott stand im Orient lange über dem Sonnengott, und von Ägypten über Rom hat sich die hohe Verehrung dieses Gestirns bis zur heutigen esoterischen Populärkultur
erhalten: Mensch, Tier und Pflanze werden in Mondabhängigkeit gestellt, Holz nach ihm geschnitten, er beeinflusst aber, ohne dieses esoterische Modebewusstsein zu übertreiben, bekanntlich nachhaltig
die Gezeiten des Meeres, die Perioden der Frauen und den Schlaf.

Die Wiener haben das alte Sprichwort „Dumm wie die Nacht" in

„Schiach wia d'Nacht" gewandelt, wobei sie charmanterweise nicht nur jene selbst, sondern auch hässliche Frauen meinen · auch hier blickt die antike synästhetische Vorstellung durch, dass die Nacht
als atmosphärisches Dunkel oder als Frau erkennbar ist.

Doch ist sie vielschichtiger und daher gibt es keinen festgelegten Typus, häufig ist nur die dunkle (blaue, schwarze, braune) Farbe ihres Gewandes und Inkarnats, manchmal fährt sie einen Wagen mit
schwarzen Rossen, trägt einen Mantel, mit dem sie sich verhüllt, aber auch schwarze Flügel, hat neben den zwei Kindern Eule und Fledermaus dabei, eine Höhle als Wohnort. Sie ist Begleiterin und
Führerin in der Unterwelt der Toten und steht für die kosmische All- und Urnacht vor der Ordnung der Zeiten. Als solche existiert sie in allen Schöpfungsmythen gemeinsam mit dem Wasser und dem Nebel
als präexistentes Chaos, aus dem das Leben entsteht.

Die Dichter haben schon immer in lyrischen Versen ihre Schönheit besungen (vom alten Ägypten über Sappho bis Novalis und Grass), aber sprechen auch von ihrem Angesicht (Shakespeare in „Romeo und
Julia"), ihrem feuchten Arm (Schiller), ihrem unbemerkten Fuß (Wieland), ihrem Schoß (Heine, Chamisso). Dick und trüb ist ihre undurchschaubare Erscheinung bei den Mystikern, die die dunkle,
undurchdringliche Nachtmaterie als Gottes Wohnort ansehen, jene göttliche Undurchschaubarkeit macht den Menschen „umnachtet" und leitet zur inneren meditativen Gottesschau. Der Vorstellung einer
irdischen Nacht auf Erden folgt nach der Apokalypse des Johannes ein ewiger himmlischer Tag im himmlischen Jerusalem.

Weil Hochzeiten und Festbankette bis in die Barockzeit nachts stattfanden, gibt es einen „Nachtdank", den die Neuvermählten an die Gäste aussprachen; die protestantische Auffassung machte vor allem
aus Tanz und Spiel zur Feier verwerfliche Beschäftigungen, so dass es dort gemalte Nächte „in malo" und „in bono" gibt. Die Nachtschwärmer, junge Leute, die ruhestörend durch die nächtlichen Städte
ziehen, existieren immer noch, auch der Nachtwächter, wenngleich in anderer Form als noch in den „Nachtwachen" Pseudo-Bonaventuras. Es ist erstaunlich, wie viele Worte sich auf die mit der Nacht
verbundenen Ängste vor Dämonen beziehen: neben den Nachtgesichten oder Visionen sind es Nachtgeister, -gesellen und -gesindel.

Die Nachtfrau (wahrscheinlich eine Art Hexenvorstellung) kennt man nicht mehr, dafür aber Nachtfahr und Nachtmahr, die als Alpträume über die Schlafenden kommen. Dagegen halfen von Anfang an
nächtliche Rituale wie die Nachtmesse, -gebete oder -gesänge, vielleicht auch das Nachtgespräch oder die Nachtmusik. Wen wir heute als „Finsterling" (einen kriminell nachtaktiven Menschen oder einen
Perversen, der nachts umtriebig ist) bezeichnen, der wurde früher als „Nächtling" beschrieben. Viele nächtliche Wortkombinationen lassen auf Jahrhunderte währende Bräuche schließen, die zum Teil
längst vergessen sind, aber von den Brüdern Grimm in ihrem etymologischen Lexikon erhalten wurden.

Die Einstellung der Menschen zur Nacht war immer ambivalent: mit Bannsprüchen und anderen Riten versuchten sie Macht über die Dunkelheit auszuüben, um der Wiederkehr des Lichts am Morgen gewiss zu
sein. Die Neuzeit ist aber auch eine Geschichte der Illumination der Städte, die seit Gaslicht und Elektrifizierung den Sieg über die Dunkelheit davontrugen. Als Städter kennen wir andererseits den
Sternenhimmel kaum noch in seiner Ganzheit, wir haben das nächtliche Tasterlebnis verlernt, unser Gehör ist verkümmert, unsere Augen sind dominant.

Die erste Hochkultur im Zweistromland liefert uns aber in Bildern die Vorstellung der Menschen von der Nacht, die tausende Jahre vor Christi Geburt entstanden sind. Auf einem winzigen Siegelbildchen
aus den Jahren 3000 bis 2800 v. Chr. ist ein Boot mit Fischernetzen auf dem Wasser neben einem Schilfrohr zu sehen; darüber zeigt sich die in diesen Breiten liegende Sichel des Mondes. Das Bild gibt
nicht nur in Kürzeln eine Landschaft bei Mondschein wieder, sondern verrät auch möglicherweise, dass es sich um einen Fischer handelte, der das Siegel verwendete.

Daneben taucht zirka 1770 bis 1760 v. Chr. in den Fresken des Palastes von Mari in Syrien ein Wesen auf, das als erste Personifikation der Nacht verstanden werden kann. Am Ende eines mehrteiligen
Frieses mit dem Mondgott ist ein androgynes, dunkles, maskiertes Wesen in einem Tor zu sehen: es breitet die Arme aus und stieg (heute ist es als Fragment im Louvre) wahrscheinlich aus einem
Wolkenberg, umgeben von einer hellen Aureole vor einem dunklen Hintergrund mit punktförmigen Sternen, wahrscheinlich das Himmelstor. Das atmosphärische Wesen lacht und trägt eine Art Brustpanzer.

Nachthimmel und Totenkult

Noch vielfältiger zeigt sich die Nachtdarstellung im Alten Ägypten in den Gräbern und den Totenbüchern in Wandlungen vom Alten zum Neuen Reich: sogar eine Hieroglyphe in Form eines Himmelsbalken
mit blitzähnlichem Fortsatz steht für das Wort Nacht · die nächtliche Unterwelt ist der erste Abschnitt der Totenreise ins Jenseits, der zweite findet dann am Himmel statt. Die Verstirnung ist auch
noch bei den Römern und Christen eine Idealvorstellung für das, was nach dem Tod kommen kann. Jedoch nicht für Normalsterbliche vorgesehen, haben dort Heroen, später große Politiker und Philosophen,
dann aber Apostel und Heilige Platz. Nachthimmel und Totenkult hängen immer eng zusammen, dazu kommt die astronomische Beschäftigung und das Zählen der Stunden: der dunkelblaue Sternenhimmel der
ägyptischen Gräber zeigt nicht die gesehene Nacht, sondern die Anzahl von Stunden, ist also mehr die symbolische Form der Eigenschaft Himmel. Das gilt auch noch für die byzantinischen und
mittelalterlichen dunkelblauen Bildhintergründe, die nicht Nachthimmel, sondern Sinnbild des Himmels in seiner Ganzheit sind.

Es fällt manchmal schwer, dieses symbolische, von der Anschauung getrennte Denken heute zu verstehen, doch es macht den Blick auf die Nacht reicher. In den Schöpfungsmythen der Völker ist die Nacht
zuerst da · aus ihrem weiblichen, dunklen Mutterschoß entsteht erst der männliche Tag, kommt das Licht und die Ordnung, denn die Urnacht ist chaotisch. Die Mythen eines vor dem Patriarchat
existierenden Matriarchats sind auf diese Legenden zurückzuführen, auf die die realen kleinasiatischen Mutterkulte um Leto und ihre Tochter Artemis in Xanthos und Ephesos sowie in Pergamon zu
beziehen sind. In Ephesos und Pergamon gab es Skulpturen der personifizierten Nacht, die neben dem Kultbild der Artemis standen oder zumindest im Altarbereich · diese Figuren sind verloren und einzig
durch schriftliche Quellen und einen Sockel mit Inschrift (in Pergamon) überliefert. Johann Jacob Bachofen meinte an den hochzivilisierten Völkern der Kreter und Lykier die Thesen eines
„Mutterrechts" anhängig machen zu können. Fest steht aber nur, dass diese eine relativ hohe kulturelle Stellung der Frau in ihrer Gesellschaft erreichten, meist stehen die Ableitungen Bachofens aber
auch mit der matrilinearen Vererbung im Zusammenhang.

Später kam die Nacht als Protomantis in hellenistischer Zeit im Kult und damit auch in der Kunst wieder zu hohen Ehren: Die Nordseite des großen Altars in Pergamon (heute Berlin, Pergamonmuseum) hat
eine die Giganten bekämpfende, heroische, weibliche Gestalt als Mittelpunkt: sie wirft einen Topf, um den sich eine Schlange windet, nach ihren Feinden. Erika Simon erkennt in ihr die Nacht aus der
„Theogonie" des Hesiod. Die Forscherin fand die Nacht auch auf Vasen: wagenfahrend, sich verhüllend, mit Velum über dem Kopf, beflügelt und mit den Sternengöttern in Begleitung. Sie ist aber nur in
Pergamon mit dem Tier der Urmaterie, der Schlange, der man die Herkunft aus dem Schlamm nachsagte, verbunden, und damit ein Bild der Urnacht.

Die Metapher des Verhüllens ist die poetischste Form der bekleideten Personifikation, der Stoff verbirgt auch die Liebenden · und so verliert die Nacht ihre chaotische, schreckliche und feindliche
Natur. Selbst die Kunst und alle Ästhetik kommt aus ihr. Plinius d. Ä. umschreibt das mit seiner Legende der Tochter des Töpfers Butadis, der nach der Zeichnung, die seine Tochter dem Schatten
nachzog, den der Kopf ihres Geliebten an die Wand des Ateliers warf, ein Porträt schuf, indem er den Umriss in Ton verwendete. Die gefühlvolle Dimension, das Gesicht über den Abschied eines Menschen
hinweg zu bewahren, und die Geburt der Kunst aus dem Schatten, lassen Griechenland zur Wiege der Kultur werden; allerdings erwähnt Plinius auch, dass die Ägypter ein früheres Datum für die erste
Kunstäußerung in Anspruch nahmen.

Nachtzeit für Frauen

Wahrscheinlich liegt auch hier ein Teil von Bachofens These begründet, denn es ist eine Frau, die mit der Kunst begann, aus Liebe in der Nacht, beim Schein einer Lampe · damit ist sie die
Kulturbringerin in die brutale Welt des Mannes, der in den Krieg zog. Allerdings hat die schöne Legende später misogyne Ausdeutungen erlebt, denn die Frau nimmt nur den passiven und unschöpferischen
Part in der Geschichte ein, der eigentliche Schöpfer ist Butadis, der von ihrer Nachahmung angeregt wurde. Die Zuweisung des passiven, unschöpferischen Parts hatte lange Zeit Folgen: die Akademien
öffneten sich in Europa erst im 20. Jahrhundert für das weibliche Geschlecht.

Also ist die Geschichte der Nacht auch eine der Vorurteile gegen Frauen? In manchem könnte das vermutet werden, denn die Geschichte der Hexenverfolgungen ist eine nächtliche und eine der negativsten,
die in der Nachtzeit über die Frauen hereinbrach. Man verdächtigte die frühen Kräuterfrauen, die auch die medizinische Versorgung bis ins Spätmittelalter inne hatten, in den Wäldern zusammenzukommen,
auf dem Besen in den Lüften zu reiten, magische Kräfte auf andere auszuüben und als Hebammen Kinder mit Magie zu töten usw. Ähnlich den Juden, den Leprakranken, Muslimen und den Ordensgemeinschaften
der Katharer und Waldenser („Ketzer"), waren die Frauen Sündenböcke, die für Krankheiten, Katastrophen und Todesfälle verantwortlich gemacht wurden. Carlo Ginzburg und viele andere Autoren haben die
„Arbeitslosigkeit" von Teilen des Klerus, die in der Inquisition tätig waren, als Grund für die Schrecklichkeiten angenommen.

Der im 14. Jahrhundert erfundene Hexensabbat integrierte die Verehrung lokaler heidnischer Fruchtbarkeitsgöttinnen, egal ob sie Diana, Holda, Perchta oder Abundia hießen. Die Morde und Folterungen
(„Hexenprobe") dauerten bis in die Zeit der Aufklärung. Berühmte Bilder eines Baldung Grien, Salvator Rosa, Frans Francken II., von Goya, Dürer, Altdorfer bis Kubin überliefern die männliche
Vorstellung des Hexensabbats · für Ginzburg sind sie hybride Resultate zwischen Gelehrten- und Volkskultur. Außerdem hielten sich alte schamanistische Praktiken aus den asiatischen Steppen in der
europäischen Kultur, wobei der nächtliche Kontakt mit den Toten ebenso eine Rolle spielte wie die ekstatische Verwandlung in Tiere oder Flugwesen. Elfen, Feen und andere positive Nachtwesen der
Märchen sind die Gegenbilder zu den dämonisierten Hexen. Die Tiermasken der Perchten erinnern damit auch an die Verbindung zur Göttin Artemis, die als Herrin der Tiere galt · das Austreiben des
Winters ist ein bleibender Ritus, der früher Waldschutzgottheiten dargebracht wurde.

Ein von der Kirche aufbereitetes Gegenbild stellt die Jungfrau Maria dar, die gerade in der Zeit der Hexenverfolgungen besondere Verehrung genoss: sie steht auf der Mondsichel und zerdrückt damit die
Schlange des Bösen, zuweilen trägt sie einen Sternenmantel und kann in dem Bild der Schutzmantelmadonna auch Menschen bedecken wie vormals Mutter Nacht. Die Mondsichel galt vor dem Christentum für
die Jagdgöttin Diana als Symbol der Keuschheit.

Philosophie der Nacht

Ob der Nachtboom, den wir derzeit erleben, mit der Aufwertung des weiblichen Geschlechts oder mit einer Rückkehr zu einer „auditiven Kultur" zusammenhängt, kann hier nicht beantwortet werden;
jedenfalls gibt es in letzter Zeit eine Menge Publikationen zur Nacht aus Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte und Literatur. Walter Seitters philosophische Bearbeitung des Themas beginnt in der
„Zeit des Gehörs" mit den Vorsokratikern und Hesiod, als die Nachtbetrachtung noch positiv war. Thales von Milet, Heraklit und Parmenides denken der Nacht gleiche Wertigkeit zu wie dem Tag, erst
Platons Höhlengleichnis und seine Aufwertung des Sehsinns bringen sie in Misskredit · ein Wertewandel, den der Autor erst mit Heidegger wieder beendet sieht. Wir stehen also wieder am Beginn einer
positiven Nachtbetrachtung, die mit der Beleuchtung der Städte soziologisch ihren Anfang genommen hat · erst dann konnte die äußere Nacht auf eine in unserem Inneren verschoben werden.

Walter Seitter vergisst weder die nachtschwärmerischen Mystiker noch unsere Metapher von der „Nacht des Mittelalters", die seit der Goethe-Zeit existiert: die Jahrhunderte, von denen wir wenig
wissen, versuchen wir mit dem Begriff Nacht als schlecht überlieferten Bereich zu kennzeichnen. Das Licht als des Menschen höchstes Gut · vom Sonnengott Ra über Helios und Christus bis zum Licht der
Vernunft in der Aufklärung · gibt der Nacht gewissermaßen im Umkehrschluss das Epitheton „negativ", wahrscheinlich herrscht deshalb in allen Religionen, im christlichen Mittelalter besonders, viel
Betrieb in der Nacht bei Gebet und Messe. Seitters Buch bietet weiters ein wichtiges Kapitel über die Nacht in der Bibel, aber auch Physik, Volkskundliches und Kunsthistorisches sind ausführlich
bedacht. Seit der Romantik steigerten sich in der Kunst die positiven Nachtvisionen, denn ab hier ist · so Seitter · die offizielle Theologie nicht mehr nachtfeindlich. Ambivalent entstehen aber in
der „Gothic novel" nächtliche Gestalten wie Frankenstein und Dracula.

Kehren wir langsam zu den Prinzipien des Parmenides zurück, der den Menschen aus Licht und Nacht gebildet sah? Nächtliches Studium gilt heute wieder als Zeichen besonderen Fleißes und als ein
Schaffen mit besonderer Inspiration. Die Nacht als Heils- und Gefühlszeit war immer positiv besetzt, besonders zu Weihnachten: viele Bilder der sonnenhellen Kindergestalt Christi werden jedes Jahr in
Erinnerung gerufen · um ihn herum herrscht die sich wandelnde Nachtfarbe: dunkles Blau, Schwarz oder Braun. Letzteres existiert seit der provencialischen Trobadoursdichtung des Mittelalters, kam aber
erst in der barocken Malerei zur Entfaltung. Und neben dem Blau der Romantik steht das Schwarz der Mystiker, von denen der evangelische Vertreter Thomas Müntzer sagte: „Wer nie die Nacht erlitten
hat, kennt nicht die Kunst Gottes."

Nicht weniger betroffen ist Elie Wiesel, der seinen Bericht aus Auschwitz nach der griechischen Metapher der Nyktomachia schlicht „Nacht" nennt.

Literatur:

Walter Seitter: Geschichte der Nacht, philo-Verlag. Bodenheim und Berlin 1999.

Ausstellungs-Katalog „Nacht", München (Haus der Kunst), Benteli Verlag, Bern 1998/99.

Freitag, 17. Dezember 1999

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