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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Erinnerung an einen historischen Streit um Sinn und Unsinn der Lichtwerbung

„Eindrucksvolle Nachtreklame"

Von Günther Luxbacher

1891 beschwerten sich die Stadtverordneten des badischen Rheinfelden beim Bürgermeister, dass sie nichts von einem demnächst zu bauenden Wasserkraftwerk für eine Aluminiumfabrik erfahren
haben. Man wolle wissen, wie viel der Anbieter AEG dafür geboten habe und wieso man nicht früher etwas von dem geplanten Kraftwerk erfahren habe. Die Naturschützer formierten sich, sie waren dagegen,
die wundervollen Stromschnellen wären auf ewig dahin. Dieser Vorgang, vom deutschen Wirtschaftshistoriker Bernhard Stier unlängst beschrieben, darf als eines der ersten Musterbeispiele für das
Ingangkommen öffentlicher Debatten um Großinvestitionen der Elektrizitätswirtschaft gelten. Die Fronten verliefen damals wie heute zwischen Geschäftsinteressen, Naturschonung und tatsächlicher oder
angeblicher wirtschaftlicher Notwendigkeit.

Zu einem der beliebtesten Streitobjekte gehörte damals auch eine Erscheinung, die heute manchmal noch in den Innenstadtbereichen von Kleinstädten für Debatten zwischen Fachleuten sorgt, nämlich große
Werbeanlagen. Neuartige Phänomene wie Streckenwerbung, riesige Plakate entlang der Bahnstrecken, die sich manchmal zu Schilderwäldern auswuchsen, Giebelreklame, aber auch die Lichtwerbung lösten
äußerst kontroversielle Diskussionen um das Verständnis von Moderne vom Anfang des Jahrhunderts bis in die Zeit der Weltwirtschaftskrise aus.

Nervöse Lichtraster

Dabei war kommerzielle Lichtwerbung Anfang des 20. Jahrhunderts durchaus kein unbekanntes Medium. Erste flackernde Werbebotschaften wurden im 19. Jahrhundert durch geschicktes Anordnen von
Gasflämmchen erreicht. Diese durchleuchteten farbige Transparente wie bei Lampions oder formten selbst in rasterförmiger Anordnung eine Werbebotschaft. Den Durchbruch brachte aber das sichtbarste
Massenprodukt der jungen Elektroindustrie, die Glühlampe, die an sich schon das Symbol für das gesamte elektrotechnische System war. Sie wurde massenhaft zu Linien, Schriftzügen oder Rasterflächen
aneinander gereiht · heute würde man von Bildpunkten oder Pixels sprechen.

Damit gelang es der Elektroindustrie im Zuge der Elektrifizierung nicht nur, ihre Produkte zum unverzichtbaren Bestandteil von Modernität zu machen, sondern sie schuf auch das damals neueste
Werbemedium. Demnach wurde der Verbreitungsgrad der Lichtwerbung auch ein Gradmesser für die fortschreitende Kommerzialisierung des Starkstromsystems von Thomas Alva Edison. Beide, die
Elektroindustrie und die Werbebranche, waren eng aneinander gekettet. Der 1876 als junger Mann zum Edison-Team in Menlo-Park gestoßene William J. Hammer war der Erste, der sich mit elektrischen
Lichtzeichen beschäftigte und diese für die Werbebranche attraktiv zu machen versuchte. 1880 baute er einen durchscheinenden Kasten, in dem sich zwei Lampen mit bügelförmigen Fäden aus verkohltem
Karton, der Urform der Edison-Lampe, befanden. Die damit geschaffene erste moderne Lichtwerbung wurde 1882 in der Concert Hall auf der „Crystal Palace Electrical Exhibition" in London
präsentiert, wo Hammer eine Anlage baute, die das blinkende Wort „Edison" zeigte, das aus zirka 100 regelmäßig blinkenden Glühlampenpunkten bestand.

Auf der Hygieneausstellung in Berlin 1883 (einer Ausstellung zur Unfallverhütung in Industrie und Gewerbe) war das Wort „Edison" sogar mit buchstabenweise aufflammender Abfolge zu sehen, das sich
erstmals im Freien befand, was besondere Ansprüche an die Isolationstechnik stellte.

Die Berliner Hygieneausstellung war auch eine der ersten Gelegenheiten, der Berliner Bevölkerung das elektrische Glühlicht vorzustellen, da die „Erste Internationale Elektrische Ausstellung"
1881 in Paris, die Zweite 1882 in München stattgefunden hatte und Wien gerade dabei war, die Dritte auszurichten. Auch wenn der deutsche Lizenznehmer der amerikanischen Edison-Gesellschaft und
späteren General Electric, die Deutsche Edison-Gesellschaft und spätere AEG, sehr rasch dabei war, Entwicklungen der Mutter zu übernehmenen, blieb trotzdem das amerikanische Geschäft ertragreicher.
Aufstrebende Großunternehmen, wie der Hersteller von Gewürzgurken und seit 1876 auch Tomatenketchup, Henry John Heinz, sah die Bedeutung von groß angelegten Werbekampagnen klar vorher und setzte eine
der ersten Lichtwerbeanlagen auf dem New Yorker Broadway in Betrieb. In Deutschland wurde zur selben Zeit noch Kaiser Wilhelm mit seinem aus Glühlampen geformten Namen erfreut. Erst in den späten
1890er-Jahren zog der Kommerz der Werbeindustrie im Verbund mit der Elektroindustrie auch in Deutschland nach.

Die erste nachweislich in Phasen geschaltete Lichtwerbung in Berlin war das so genannte Manolirad einer Zigarettenfirma von 1898. Es bestand aus dem Imperativ „Rauche Manoli", der von einem
Kreis von Glühlampen umgeben wurde, die in Reihe an- und abgeschaltet wurden, sodass der Eindruck des Rotierens entstand. Die Manoli-Werbung wurde in Berlin so bekannt, dass die Firma sogar in
Printmedien mit Fotos ihrer Lichtreklame warb. Darüber hinaus bürgerte sich das rotierende Zeichen bei manchem Berliner als ein über der Schläfe kreisender Zeigefinger mit dem gleichzeitig
ausgesprochenen Satz „Bist du Manoli?" im täglichen Sprachgebrauch ein. Es war diese gesteigerte Popularität, die clevere Unternehmer wie Hermann Bahlsen veranlasste, eine Lichtwerbung in genau
derselben Art (bloß anderem Schriftzug natürlich) zu bestellen. Es waren gerade die Hersteller von „Allerweltsprodukten" wie Ketchup, Zigaretten, Schokolade und alkoholischen Getränken, die auf sich
aufmerksam machen mussten, wollten sie ihre Produkte reichsweit absetzen.

Bis 1907 erlaubten die technischen Möglichkeiten nur Blinklicht, lineares Lauflicht (Manolirad) oder die pauschale Schaltung von fix definierten Glühlampenfeldern. In den ersten Jahren des 20.
Jahrhunderts bestand die typische Lichtwerbeanlage jedoch zusätzlich noch aus einem bemalten Untergrund. Dieses Schild trug die Lampen entlang der abgebildeten Konturen. Man vertraute noch nicht auf
die visuelle Fähigkeit des Publikums, ein Rasterfeld alleine als Bild zu verstehen. Doch noch vor dem Ersten Weltkrieg konnten einzelne Bildpunkte von mit Stiftwalzentrommeln gesteuerten
Schaltapparaten angesteuert werden, ähnlich wie bei den damals modischen automatischen Klavieren.

Den lichtwerbenden Höhepunkt dieser Zeit schuf die Sektfirma Henkell auf der Fassade eines jener Häuser Friedrich-/Ecke Jägerstraße, die schon lange nicht mehr existieren. Urbane Nachtgestalten,
Touristenschwärme und damit meist die Hauptzielgruppe, zahlungskräftiges junges Publikum, konnten dort bewundern, wie ein überdimensionaler Zeichentrickfilm an der Hausfassade ablief. Eine sich
langsam neigende Flasche goss Sekt in einen Kelch, aus dem tausende Glühlampenbläschen bis unter das Dach aufstiegen. Diese Werbung war gleichzeitig Vorahnung der kommenden Konsumgesellschaft, aber
auch letztes Zeichen einer Vorkriegsära, die bald in die jahrelangen Verdunkelungsmaßnahmen des Krieges versank.

Heimatschutz gegen Lichtflut

Bereits in jenen Jahren war die Reaktion verschiedener gesellschaftlicher Gruppen auf die neue Lichtwerbung unterschiedlich. Einerseits war ein Trend zu künstlerisch-ästhetischer Gestaltung der
Anlagen erkennbar, der auf städtischen Straßen und Plätzen einen eigenen, zeitlich begrenzten Zeichenraum entstehen ließ, der für den außerordentlich großen Publikumsandrang vor den Szenarien
verantwortlich war. Andererseits begann sich Widerstand gegen Außenwerbung allgemein, insbesondere aber gegen die Lichtwerbung zu regen. 1902 wurde bereits ein Gesetz gegen die sogenannte
„Verunstaltung" verabschiedet, um landschaftlich wertvolle Gebiete und Ortschaften vor ausufernder Werbung zu schützen. Der 1905 gegründete „Bund Deutscher Heimatschutz" drängte auf einen
Ausbau dieses Gesetzes mit erweiternden Ortssatzungen. Das bedeutete den Beginn eines spezifisch europäischen, jahrzehntelangen Kulturkampfes zwischen beharrenden und modernisierenden Kräften. Bayern
widmete dem genannten Verunstaltungsgesetz sogar einen eigenen Zusatz, der sich dem Schutz des Orts- und Landschaftsbildes gegen verunstaltende Reklame widmete und 1914 sogar ein ausdrückliches
Verbot der Lichtwerbung enthielt. Dagegen setzten die Markenartikelinteressenten ab 1910 den „Verband der Reklameinteressenten", der sich als Schwerpunkt der Agitation für die Außenwerbung
widmete. 1912 und damit etwas zeitversetzt erfolgte die Gründung des Österreichischen Heimatschutzverbandes, der sich vergleichbar entwickelte.

Die Situation spitzte sich zu, als die Gemeinden nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend Interesse an den Abgaben der Betreiber von Lichtwerbeanlagen zeigten, sowie die Elektrizitätswerke am zusätzlichen
Absatz von Lichtstrom. Die Elektroindustrie, die Elektrizitätswirtschaft sowie die Stadtverwaltungen wollten die Lichtwerbung aus diesen Gründen weiter ausbauen.

Einen Auftakt dieser gemeinsamen Interessen bildete die „Berlin im Licht"-Kampagne von 1928 (Wien folgte mit denselben Kampagnen in einigen Jahren Abstand), während der zahlreiche aufwendige
Anlagen an öffentlichen Gebäuden sowie Kaufhäusern installiert wurden. Zu jener Zeit kamen übrigens auch die üppigen Weihnachtsbeleuchtungen in den großen Geschäftsstraßen auf.

Jene Zeit sah die volle Ausbildung aller heute noch gültigen Formen der Lichtwerbung. Gigantische Lichtwerbeanlagen entstanden auf der Basis hoch entwickelter Schalttechnik, die auf riesigen
Glühlampenfeldern abenteuerliche Abfolgen von bunten Szenen entstehen ließen, ohne auf gemalten Hintergrund zurückgreifen zu müssen. 1929 ging die größte Lichtwerbeanlage Europas mit 6000 Lampen,
montiert auf eine 360 m² große Fläche, in Betrieb, die für einen Magenbitter warb. Im selben Jahr wurde eine Anlage für das Waschmittel Persil eröffnet, die durch eine außerordentlich komplexe
Schaltapparatur gesteuert wurde und mehr als die damals bereits sattsam bekannte Persil-Dame zeigte. In einer Abfolge von bunten Szenen wurde der gesamte Waschvorgang eines Hemds, vom Wassereinlassen
in den Zuber, Zugeben des Pulvers, Verrühren und Arbeit am Waschbrett in Echtzeit demonstriert!

In Wien entstand zur selben Zeit eine große Anlage für Gösser-Bier, die in elektrotechnischen Fachzeitschriften detailliert besprochen wurde. In einer Reihe von Veröffentlichungen wurde mehr oder
weniger drohend darauf verwiesen, dass tausende Arbeitsplätze mit dieser Industrie verbunden seien und man daher, bitteschön, nicht einfach gegen die nächtlichen Spektakel sein könne.

Rückzugsgefechte

Dennoch wurde die Kritik der Heimatschützer immer drängender und lauter. Doch angesichts der wirtschaftlichen Argumente erkannten sie allmählich ihre beschränkte Macht. Von da an verlegten sie
sich auf Rückzugsgefechte. Sie verlangten nicht die pauschale Abschaffung der Lichtwerbung, sondern ihre Lokalisierung auf große Städte mit urbanem Nachtleben. Und auch dort sollte nicht das
aufdringliche, unruhig bewegte Flackern bewegter Lichtpunkte dominieren, sondern man solle eine weniger hektische Kultur der Werbung einführen und in kleineren Gemeinden bescheidenere Installationen
anwenden. Auf dieser Basis ließ die Industrie mit sich reden. Die Heimatschutzbewegung verlegte sich darauf, das aus ihrer Sicht kleinere Übel zu fördern, die Leuchtstoffröhre. Denn diese war damals
technisch noch nicht kinematisch schaltbar, was auch heute außerhalb von Las Vegas nur selten anzutreffen ist. Gegen die „Sintflut der Straße", gegen das „Chaos im Straßenbilde" ging es
den Vertretern der im Kern konservativen Bewegung darum, „die Außenreklame zu verbessern und zu veredeln". Als Angelpunkt diente den Kritikern, dass die Architektur und die Fassaden auch in der
Nacht wieder zur Geltung kommen müssten, womit sie erreichten, dass sich viele Architekten hinter ihre Forderungen stellten. Aussagen wie „. . . bei der guten Lichtreklame ist der Bau als Ganzes
an erster Stelle zu nennen" zeigen, dass die konservativen Kritiker negierten, dass Lichtwerbung mit Lampenraster-Feldern bisher darauf aufgebaut hatte, Fassaden zum Verschwinden zu bringen, damit
diese als unsichtbare Träger eines neuen, völlig künstlichen Zeichenraums dienen konnten.

Von der Heimatschutzbewegung als vorbildlich hingestellt wurde eine „fantastisch neue Baukunst" mit „blendender Lichtmasse" und „Lichttürmen", vor allem aber die Lichtwerbung
mittels Leuchtstoffröhre. Deren „Schrift ist auch in der Form ruhig . . . diese Möglichkeit zu eindrucksvoller Nachtreklame sollte viel mehr ausgenutzt werden".

Freitag, 17. Dezember 1999

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