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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Ein Besuch bei der letzten Blattgoldschlägerei Wiens

Glanz von Meisterhand

Von Alexander Glück

„Getretner Quark / Wird breit, nicht stark." Was 1815 als unauffälliger Aphorismus in Goethes „West-östlichem Divan" daherkam, läßt sich neben vielem anderem
auch auf das Bearbeiten von Gold anwenden. Das Gold wird ebenfalls breit und gleichzeitig sehr dünn, gleich dem Quark. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, daß sich breitgeschlagenes Gold ·
Blattgold · für unzählige Verwendungen eignet. Der Aphorismus bezieht sich allerdings weniger auf Materialien denn auf das Zerreden von Gedanken, Meinungen und Thesen. Dieser Vorgang ist weithin
bekannt, während die Kunst des Goldschlagens sich bis heute nur Eingeweihten eröffnet. Das Bemerkenswerte daran ist nicht nur, daß ein Stück Gold dabei auf die Stärke weniger Atome plattgeklopft
wird, sondern vor allem, daß die Prozesse der Automatisierung und maschinellen Verarbeitung in diesem Handwerk nicht eingesetzt werden können.

Blattgold entsteht heute exakt so, wie es im 16. Jahrhundert in Jost Ammans „Ständebuch" beschrieben und gezeigt wurde, und auch in den Jahrtausenden davor hat sich der Prozeß nur unwesentlich
verändert. Um aus einem Stück Gold eine bestimmte Menge Blattgold herzustellen, braucht man viel Geduld, viel Sorgfalt, sehr viel Kraft und sehr viel Erfahrung. Das Gold wird zunächst geschmolzen und
auf die gewünschte Feinheit legiert. Üblich sind 23 Karat (985/000) und 22 Karat (916/000), die von den österreichischen Behörden penibel nachgeprüft werden. Das flüssige Gold wird zu einem etwa
20 cm langen Barren von gut 1,2 kg gegossen, der zunächst so lange durch ein Walzwerk geführt wird, bis aus ihm ein Blechstreifen von 100 m Länge geworden ist. Dieser Streifen, aus dem 40.000 bis
50.000 hauchdünne Goldblätter entstehen werden, ist nur noch 0,02 mm dick. Anschließend glüht man den Streifen, damit das Material weich wird, und schneidet Quadrate von 3 bis 4 cm ab. Aus jedem
dieser kleinen Quadrate werden später 16 Blatt: Die Rohlinge werden zu etwa 480 Stück zwischen spezielle Trennblätter gelegt und mit einem Hammer geschlagen. Lediglich beim Walzen und beim ersten
Hämmern setzt man heute Maschinen ein, alle weiteren Arbeitsschritte erfolgen wie ehedem von Hand. Die Goldblätter sind nach der ersten Behandlung mit dem Federhammer bereits sehr viel dünner und
breiter; man viertelt sie und legt sie wieder zwischen die Folien, um dieses Paket ein weiteres Mal zu schlagen, und nach diesem Arbeitsschritt viertelt man die Goldblätter nochmals und schlägt sie
wieder, nun mit der Hand. Der Goldschläger muß bei dieser Arbeit abwechselnd mit beiden Händen schlagen, damit die Arbeit gleichmäßig wird. Der Hammer, mit dem er arbeitet, wiegt zwischen 7 und
10 kg, und von dieser Schwerarbeit muß der Handwerker sich immer wieder auf die äußerste Sorgfalt umstellen, mit der er gelegentlich in den Stapel schaut, um die Gleichmäßigkeit und den Fortschritt
seiner Arbeit zu begutachten. Wenn er durch das Blattgold hindurchblicken kann, wenn es gleichmäßig dünn ist und keine Löcher aufweist, ist das Schlagen vollendet. Nun wandern die Pakete weiter, und
jedes Blatt wird auf ein bestimmtes Format geschnitten. Die fertigen Goldhäutchen legt man in kleine Heftchen aus Papier, während der beim Zuschneiden entstehende Abfall entweder an bestimmte
Abnehmer, die solche Goldflocken benötigen, verkauft oder wieder eingeschmolzen wird.

Wenn auch die Arbeit des Goldschlägers sich nicht verändert hat, so wurden bestimmte Materialien doch modernisiert, vor allem die Folien, zwischen denen das Gold beim Schlagen liegt. Früher nahm man
dafür Rinderdärme und Pergament, heute hat man spezielle Kunststoffe. Früher schlug man das Gold noch etwas dünner aus als heute, denn die Oberflächenstruktur der Därme und des Pergaments brachte es
mit sich, daß die Goldfolie mikroskopisch kleine Wellen und Dellen aufwies, die ihr eine gewisse Stabilität gaben. Bei den Kunststoffolien, die heute beim Schlagen zum Einsatz kommen, ist die
Oberfläche sehr viel glatter, weshalb man das Gold etwas dicker hält, damit man es später auch verarbeiten kann. Und verarbeitet wird es in ganz unterschiedlichen Bereichen.

Da sind zunächst einmal die Vergolder, Restauratoren und Kunsthandwerker, die für ihre Arbeit ständig diese feinen Goldfolien benötigen. Buchbinder verwenden die Goldblätter für Prägearbeiten und die
Schnittvergoldung, an besonderen Bauwerken finden sich große Mengen Blattgoldes · außen wie innen. Wird solch ein Gebäude restauriert, sei es das Schloß Schönbrunn oder der Renommiersaal einer großen
Bibliothek wie beispielsweise der des Stiftes Melk, so arbeitet man in der Regel mit echtem Blattgold. Nach Kriegen hatte dieses Handwerk deshalb immer Konjunktur.

Doch auch ein ganz anderer Berufszweig hat die feinen Blätter nötig: die Likörfabrikanten. Seit Hieronymus Brunschwygk zu Beginn der Neuzeit sein grundlegendes zweibändiges „Buch von der Kunst zu
destillieren" publizierte, gehören alkoholische Zubereitungen mit Gold zum festen medizinischen und kulinarischen Programm der Schnapserzeuger. Die Grundlagen dafür gehen auf alte alchemistische
Rezepte und Anschauungen zurück; das aurum potabile · trinkbares Gold · nimmt seit jeher einen besonderen Rang unter den alkoholischen Getränken ein. Heute ist das Danziger Goldwasser der
bekannteste Vertreter einer Getränkegattung, bei der einem Kräuterlikör ein wenig Blattgold zugesetzt wird, das man im Glas betrachten und schließlich mittrinken kann.

Eine weitgereiste Kunst

Die Kunst des Goldschlagens verdanken wir den Indern, die bereits vor 5.000 Jahren diese Fertigkeit entwickelten. Von ihnen kam das Handwerk auf die Japaner, Chinesen und Ägypter. 1450 v. Chr.
verkleidete man ein Grabmal in Theben mit dem glänzenden Material. Auf diese Weise wurde es möglich, etwas golden erscheinen zu lassen, was in Wirklichkeit aus Holz, aus Stein oder aus irgendeinem
Metall besteht. Durch diese Innovation konnte Gold fortan überall dort zur Dekoration verwendet werden, wo das massive Material viel zu teuer oder wie beim Kopfschnitt des meisterhaften Bucheinbandes
überhaupt nicht zu verwenden wäre. Durch die Entwicklung des Blattgoldes wurde Gold zum Dekorationsmittel, zum Farbstoff.

Die Goldschläger waren jahrhundertelang in vielen Städten als Handwerker ansässig, wenn es auch bestimmte Zentren gab. Diese Betriebe waren ausgesprochen klein und bestanden oft nur aus zwei Leuten,
dafür gab es davon sehr viele.

Auch in Wien gab es bis vor einigen Jahrzehnten noch mehrere dieser Werkstätten. Heute existiert davon nur noch eine, die Firma Alois Wamprechtsamer im 14. Bezirk. Gegründet wurde sie am 27. August
1906, der Gründer wurde 1875 in Wildon (Steiermark) als Sohn eines Tischlermeisters geboren. Nach der Schulzeit begann er bei Egger in Graz die Lehre als Goldschläger. Nach der Gesellenprüfung ging
er auf die Wanderschaft, bevor er sich 1906 selbständig machte. Drei Wochen vor der Eröffnung seiner Firma heiratete er Fräulein Sophie Emilie Burghardt. Sie war es, die während des Ersten
Weltkrieges das Geschäft führte; nach der Rückkehr Wamprechtsamers vom Militärdienst mußte die Firma praktisch wieder neu aufgebaut werden. Als die Geschäfte wieder zufriedenstellend liefen, kam mit
dem Zweiten Weltkrieg der nächste große Rückschlag; Wamprechtsamer mußte die Produktion einstellen, da kein Feingold erhältlich war, und er verlor im Krieg seinen einzigen Sohn. Nach dem Krieg
zeichnete sich bereits das Aussterben des Gewerbes ab, und der Firmengründer begann erneut von vorne · mit zwei alten Gesellen und seiner Tochter Anna. Sein Schwiegersohn, Josef Hofmann, kam nach
zweijähriger russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause, erlernte ebenfalls das Handwerk und konnte durch großen persönlichen Einsatz den Betrieb vergrößern. Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg
benötigte man viel Blattgold, weil die Städte Europas zum großen Teil zerstört waren und man gewisse Bauwerke wieder im alten Glanz erstrahlen lassen wollte. Die Staatsoper, das Burgtheater, außerdem
verschiedene Kirchen und Grabdenkmäler wurden mit dem Blattgold der Firma Wamprechtsamer restauriert.

Heute wird die Firma von Josef Hofmanns Sohn Peter und dessen Sohn geführt, also bereits in der dritten und vierten Generation. Und wenn auch im wesentlichen alles beim alten geblieben ist, so sind
doch manche Bereiche modernisiert worden, nicht immer jedoch zur Zufriedenheit der Inhaber. Beispielsweise hatte man sich zwischenzeitlich von einigen historischen Maschinen getrennt, schaffte sie
später jedoch erneut an, weil sich die moderneren Versionen als unzweckmäßig herausstellten. Vor allem im Verwaltungsbereich wurde erfolgreich modernisiert, außerdem hat sich das Angebot etwas
verschoben. Schon in den sechziger Jahren kam Peter Hofmann auf die Idee, Grabschmuck zu verkaufen. Was als kleines Nebengeschäft begann, erlebte in den letzten 20 Jahren einen starken Aufschwung und
macht heute bereits einen beachtlichen Teil des Umsatzes aus. Wamprechtsamer ist heute der führende Anbieter von Grabschmuck in Österreich. Der Trend geht nämlich beim Blattgold nach wie vor zurück:
Die großen Restaurierungen sind abgeschlossen, es sind keine Erneuerungen nötig, allenfalls werden die Vergoldungen gereinigt. Grabsteine werden in letzter Zeit mit Farbe bemalt; da diese Farben
jedoch schnell verwittern und sich zudem kaum vom Untergrund abheben, nimmt man inzwischen auch wieder das bewährte Blattgold.

Konkurrenzkämpfe

Seit den fünfziger Jahren stellen Goldfarbfolien eine starke Konkurrenz dar: Industrielle Massenprägungen, wie man sie etwa bei Bucheinbänden und Bleistiften durchführt, werden heute überhaupt
nicht mehr mit echtem Gold gemacht. Seit etwa 20 Jahren hat sich die Nachfrage jedoch auf einem bestimmten Niveau eingependelt.

Unter den wenigen Goldschlägereien, die heute noch existieren, gibt es einen harten Konkurrenzkampf, und die Preise sind schlecht. Dem kann man auf zweierlei Weise begegnen: entweder durch geringe
oder durch besonders hohe Qualität, wie es hier der Fall ist. Da gleichzeitig das Lohnniveau in Österreich höher als in Deutschland ist und die österreichischen Golderzeugnisse einer sehr scharfen
Reinheitskontrolle unterliegen, hat das hiesige Blattgold zwar seinen Preis, stellt jedoch zugleich ein überragendes und gleichzeitig garantiertes Qualitätsprodukt dar, das von Fachleuten als das
beste der Welt angesehen wird. Ausländische Billiganbieter sparen demgegenüber am Goldgehalt der Legierungen, an den Herstellungsprozessen und an der Endkontrolle, wodurch zuweilen ein poröses, für
gute Vergoldungen ungeeignetes Material entsteht. Durch das in Österreich geltende Punzierungsgesetz kann man sich auf den Feingoldgehalt des inländischen Blattgoldes jederzeit verlassen. Darin liegt
der Grund dafür, daß der österreichische Markt fast ausschließlich zum inländischen Blattgold greift. Oder zum Blattsilber, das ebenfalls von den Goldschlägern hergestellt wird. Manche Firmen
schlagen auch Kupfer, Zinn und andere Metalle. Gold jedoch ist das beste Material für diese Technik, weil es zu seinen spezifischen Eigenschaften gehört, nicht zu oxydieren.

Schlechte Aussichten

Nahezu das gesamte bei Wamprechtsamer beschäftigte Personal wurde im Hause ausgebildet · mehr noch: Die erste europäische Goldschlägerin absolvierte ihre Lehre ebenfalls hier. Diese Ausbildung,
vom Lehrherrn immer als Investition in das eigene Personal verstanden, war für Peter Hofmann jedoch etwas enttäuschend, denn nach der Gesellenprüfung, welche die junge Dame sogar mit Auszeichnung
absolviert hatte, verließ sie die Firma mit dem Hinweis, sie habe ja nur irgendeine Ausbildung benötigt, um andernorts angestellt zu werden · und zwar keineswegs als Goldschlägerin. Die
Berufsaussichten in ihrer Branche sehen Vater und Sohn Hofmann nicht als Empfehlung an junge Leute, diesen Beruf zu erlernen, weil es keine große Nachfrage nach Blattgold gibt und nur noch wenige
Firmen existieren. Diejenigen, die als Goldschläger arbeiten können, sind demzufolge nur wenige.

Um die Jahrhundertwende, als die Firma entstand, war das noch anders. Unter den Stadtbahnbögen, wo der Lärm niemanden störte, wurde in etlichen kleinen Werkstätten Gold geschlagen, und es gab einen
weitaus größeren Markt für Blattgold als heute, auch wegen der damals noch existierenden Herrscherhäuser und aufgrund der Beliebtheit der Blattvergoldung in vielen Branchen. Heute hingegen wird bei
weitem nicht mehr alles vergoldet, was glänzen soll · dennoch kommen die Verbraucher noch immer auf sehr originelle Ideen. Nichts Neues ist es, Pralinen, Kuchen oder sogar Gebratenes mit Blattgold zu
überziehen · das macht man schon seit dem Barock. Aber einen Lampenschirm so zu vergolden, daß er, wenn die Lampe brennt, farbig leuchtet, ansonsten aber golden ist: Das ist eine Idee aus unseren
Tagen. Und immer greifen diejenigen, denen die Qualität ihrer Arbeit ein besonderes Anliegen ist, zu Echtgold, einem gleichermaßen hochwertigen und gesundheitlich völlig unbedenklichen Material. Die
alte Kunst, die heute noch so ausgeübt wird wie schon immer, ist also keineswegs unzeitgemäß. In ihr ist eine uralte und immer noch zeitgemäße Technik zu sehen, sich die Dinge des Lebens zu
vergolden, auch wenn sich mit ihr keine goldene Nase verdienen läßt.

Freitag, 05. März 1999

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