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Vor 125 Jahren wurde die 1. Wiener Hochquellwasserleitung eingeweiht

Wasser für werdende Großstädter

Von Günther Luxbacher

Wasserwägen, Wasserverkäufer, auf dem Kopf getragene Bottiche, randvoll mit der lebensnotwendigen Flüssigkeit gehörten bis ins späte 19. Jahrhundert zum Alltag auf den Straßen der Wiener
Vorstadt. Gestank war normaler Bestandteil urbanen Lebens, Seuchenwellen kamen in kurzen Abständen. Besonders die Cholera dezimierte ganze Grätzel. Der spitzzüngige Feuilletonist der „Neuen Freien
Presse", Daniel Spitzer machte die Cholera vor allem in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts immer wieder zum Thema schwarzen Humors. Als die preußische Armee mit ihren neuen
Zündnadelgewehren die österreichischen Truppen samt ihren alten Hinterladern besiegt hatten und Wien besetzten, deutete er die Cholera zynisch in eine Art Waffe um: „Es liegt ein gewißer Trost für
uns darin, daß wir gegenüber dem Zündnadel-Sicherheits-Bewußtsein der Preußen einen so prächtigen Hinterladungswitz zu entfalten verstehen."

Dabei war damals noch nicht geklärt, wie die Krankheitserreger übertragen wurden, denn es gab zwei medizinische Parteien, die eine vertrat die Theorie der giftigen Gase, die andere, zu der der
Chemiker Robert Koch gehörte, die „Trinkwassertheorie". Erst während der großen Hamburger Choleraepidemie 1892 konnte geklärt werden, daß die Keime durch das Trinkwasser übertragen wurden.

Wien begann jedoch schon zuvor Züge einer Großstadt zu zeigen. Untrügliche Anzeichen dafür waren der endgültige Beschluß zum Abriß der Stadtbefestigungen, ein neuer Anlauf in der Donauregulierung
sowie die Anmeldung Wiens als Austragungsort der Weltausstellung 1873. Da mit der erhöhten Bautätigkeit seit dem Fall der Basteien in den wirtschaftlich prosperierenden sechziger Jahren die bereits
vorhandene Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung nicht mehr reichte, sollte eine der größten Wasserleitungen Europas während der angepeilten Weltausstellung eröffnet werden. Der Maler Franz Alt sollte das
Projekt, den vergegenständlichten Optimismus der Ingenieure, in einem Panoramabild darstellen. Alt hatte mit der eingängigen, leicht faßbaren Darstellung aufgrund der Dimensionen der technischen
Großprojekte seine Probleme: „Die Hochquellwasserleitung vom Kaiserbrunnen bis Wien konnte ich nur stationenweise zusammensuchen und sie gibt ebensowenig wie die Donauregulierung und die
Weltausstellung in der Vogelperspektive ein Bild, da man sie nicht mit einem Blick übersehen kann."

Stadtpolitik und Technik

Damit spricht Alt das grundlegende Problem aus künstlerischer Sicht an. Derartige Großprojekte durchzusetzen, umzusetzen und plausibel darzustellen war ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen,
noch dazu, wo es um ein öffentliches kommunales Projekt ging und nicht um eine weitere privat finanzierte Wasserleitung für eine Minderheit. Bis zum damaligen Zeitpunkt war die Installierung eines
technischen Netzwerkes im städtischen Bereich nur im Falle der Wiener Gasbeleuchtung gelungen und diese war weitgehend von einer englischen Gesellschaft, also ebenfalls privat, installiert worden.
1855 bot eine andere englische Gesellschaft die Realisierung einer Wiener Wasserversorgung an, doch nun wurden die Bedenken aufgrund der damit verknüpften Forderungen lauter, obwohl kaum ein
österreichischer Beamter Erfahrung im Umgang mit Projekten in derartiger Größenordnung hatte.

Nahm man alle Hausbrunnen und alten Wasserleitungen zusammen, so lieferten sie nicht mehr als

20.000 m³ Wasser täglich, während eine Versiebenfachung dieser Menge als wünschenswert angesehen wurde. Wenn sich Städte in gesellschaftlicher Sicht durch Zusammenballung von Menschen konstituierten,
dann taten sie dies in materieller Sicht durch gesicherten allgemeinen Massenkonsum von Wasser und Licht.

Mit der 1. Hochquellwasserleitung beschritt Wien den Weg zur modernen Großstadt. Das Wiener Stadtbauamt lud 1861 durch Bekanntmachung in der „Wiener Zeitung" alle Ingenieure, die bereits
Erfahrungen mit dem Bau von Wasserleitungen gemacht hatten ein, Offerte vorzulegen. Niemand traute sich, einen ernsthaften Vorschlag zur Erschließung des Kaiserbrunnens zu machen, erst der ehemalige
Kustos des Naturhistorischen Museums, der politisch tätige Wiener Geologe Eduard Suess, wagte es. Wie in der Frage der Donauregulierung wurde eine Kommission gebildet, die allerdings ein bißchen
flotter als diese seit 1850 tätige Gruppe ans Werk ging. Ab 1863 nahm Suess an deren Sitzungen teil und es gelang dem jüdischen Wissenschafter Geldmittel für Vorstudien zu erhalten. In seinen 1916
veröffentlichten Erinnerungen bemerkt Suess, daß die technischen Leistungen insbesondere auf seinen Mitarbeiter Karl Junker zurückgingen, der Erfahrungen bei den Nivellierungsarbeiten des Suezkanals
im österreichischen Konsortium unter Alois Negrelli erlangen konnte (letztlich bekamen dort andere Interessensgruppen die Oberhand).

Junker zeichnete die zirka 100 km lange Wasserleitungsstraße, andere die Behälteranlagen und das Verteilungssystem für das Wiener Rohrnetz, ein Projekt, für das Suess vom damaligen Bürgermeister
Andreas Zelinka als „Narr" bezeichnet wurde. Nach einer Quellenbesichtigung in Stixenstein 1864 wurde sogar eine detaillierte chemische Analyse des Wassers in Kaiserbrunn, einem der Kaiserfamilie
gehörenden Quellgebiet im Schneebergmassiv, durchgeführt. Die damaligen Werte in einem handschriftlich geführten Heft sind heute im Wasserleitungsmuseum Kaiserbrunn zu sehen.

Nach einer sechsstündigen Sitzung des Gemeinderates am 12. Juli 1864 brachte Suess in einer Koalition mit Bürgermeister Dr. Freiherr Cajetan von Felder und einem Hofrat vom obersten Rechnungshof das
Unglaubliche zustande, das Einverständnis des Gemeinderates zum ersten kommunalen Großprojekt. Die Feinde blieben freilich nicht aus. Konrad Ley, der Bezirksvorsteher des zweiten Gemeindebezirkes
meinte, daß bisher die Donau gereicht hatte und wohl auch in Zukunft reichen werde, sogar von Bestechungsversuchen mit dem Ziel der Projektaufgabe war die Rede, wie der Historiker der Wiener
Wasserversorgung, Josef Donner, festhält.

Nach zweijähriger guter Ablage des Aktes betreffend die Überlassung des in kaiserlichen Besitz befindlichen Kaiserbrunnens legte das Finanzministerium der Gemeinde einen Vertragsentwurf vor, der
allerdings nicht im Sinne des Kaisers war. Allerorten herrschten Zweifel, ob das Projekt finanzierbar wäre. Weitere Monate wurden nötig, um bei Hofe zu sondieren und schließlich 1867 eine
Protesteingabe an den Kaiser und diverse andere Stellen zu richten. In diesem Jahr wackelte das Projekt wohl am heftigsten, bis man sich endlich Mitte 1868 einigte. Im Anschluß an den kaiserlichen
Beschluß konnte auch das Grundstück des Grafen Hoyos-Sprinzenstein, das die Stixensteiner Quellen beherbergte, für die Gemeinde Wien erworben werden.

Bald begannen sich jedoch die niederösterreichischen Gemeinden querzulegen. Sie befürchteten, daß den Quellen zuviel Wasser entzogen würde. Im März 1869 war auch dieses Hindernis durch einen Erlaß
des Innenministeriums beseitigt worden. Im selben Jahr wurde mit der Vergabe der Baulose begonnen. Nicht zu unterschätzen war die Wirkung des Großvorhabens auch auf die Baustoffindustrie, namentlich
auf Unternehmer wie dem „Ziegelbaron" Drasche.

Man darf annehmen, daß auch in der Bevölkerung große Vorbehalte gegen die neue Art der Versorgung vorhanden waren, hatte man bisher doch Wasser kostenlos aus dem nächsten Brunnen geholt, während mit
einem derartigen Projekt Wasser zu einer Ware und nur zu einem wirtschaftlichen Tarif zu haben sein würde. Hinzu kam, daß mit der gesteigerten Einleitung von Wasser ein weiteres aufwendiges und
kostspieliges bauliches System notwendig wurde, nämlich die Beseitigung von Abwasser in Form eines neuen Netzwerkes, der Kanalisation.

Soziale Dynamik

Am 24. Oktober 1873 wurde die

1. Wiener Hochquellwasserleitung feierlich eröffnet. Nach der Drehung am Wechsel stieg eine Wasserfontaine 40 bis 50 m hoch mit einem Regenbogen in Richtung Sonne. Der Hochstrahlbrunnen-Eröffnung in
der Gartenanlage vor dem Schwarzenberg-Palais wohnten neben Suess auch der Kaiser samt Hofstaat bei. Für eine Vorführung als Attraktion auf der Weltausstellung langte es zeitlich nicht mehr. Die
Wiener hatten nun ausreichend gesundes Quellwasser zur Verfügung, die Typhus- und Cholerafälle wurden schlagartig weniger. Mit der Realisierung der Gefällswasserleitung (keine Pumpen notwendig) hatte
die Wiener Stadtverwaltung international einmaliges geleistet.

Städte werden zu Großstädten

In Berlin war etwa 15 Jahre vorher ein zentrales Wasserwerk in Betrieb genommen worden, das allerdings von einer privaten englischen Gesellschaft, der „Berlin Waterworks Company" gebaut und
betrieben wurde. Auch in anderen Städten erwiesen sich die fünfziger und sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als die Jahre des Übergangs von alten Städten zu Großstädten, deren Versorgung mit
Rohstoffen verschiedener Art auf eine solide Basis zu stellen war.

Im wesentlich kleineren Essen beispielsweise war der Beschluß im Dezember 1863 gefallen, der Wasserproblematik durch ein zentrales Wasserleitungsnetz von der Ruhr in die Stadt Herr zu werden.
Finanziert wurde dieses Projekt durch Gelder aus der Kasse des Stahlindustriellen Krupp, die er der Gemeinde zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellte. Der Nachteil der Essener Anlage war
allerdings der Betrieb von mehreren Pumpstationen und die geringe Qualität und sogar Quantität der Flüssigkeit.

Wien war hingegen in der Lage, hochqualitatives Wasser in ausreichender Menge ohne Pumpen zu erhalten. Einziger Nachteil war die Überbrückung von besagten 100 km. Daß dieses Projekt gelang, kann als
Anzeichen der Herausbildung einer modernen Leistungsverwaltung anstelle der alten obrigkeitlichen Hoheits- und Vermögensverwaltung gesehen werden.

Finanziert wurde das Projekt ebenfalls aus Anleihen. In den Jahren des Baues und unmittelbar danach, als wesentliche Erweiterungen fällig wurden und das Stadtnetz ausgebaut werden mußte, stieg der
Anteil, den die Gemeindeverwaltung für Rückzahlung und Zinsen für die Wasserversorgung ausgeben mußte von 2,4 Prozent in den Jahren 1862 bis 1866 auf 16,6 Prozent in den Jahren 1872 bis 1876. In den
folgenden Jahren sank dieser Wert allerdings wieder erheblich, um mit dem Bau der

2. Hochquellwasserleitung wieder, aber diesmal nicht mehr so stark anzusteigen. In den ausgabenstarken Jahren war das Budget der liberalen Stadtregierung etwa so stark gewachsen wie die zusätzlichen
Ausgaben für die Wasserversorgung, sodaß die Mehrausgaben gedeckt waren. Dafür konnten 1880 bereits 75 Prozent der damals zu Wien zählenden Häuser, d. h. jene innerhalb des Gürtels, versorgt werden
(meistens pro Stockwerk ein Auslaß als Bassena), bloß in Teilen der heutigen Bezirke 2., 20. und 21. mußte man länger warten. Die damaligen Vororte konnten erst durch die

2. Hochquellwasserleitung versorgt werden, die 1911 weitgehend abgeschlossen wurde. Doch hatten andere Budgetposten, wie Ausbau von Straßen und Gaswerk bzw. die zusammenhängenden Projekte
Wienflußregulierung und Stadtbahnbau, die Bedeutung der Wasserversorgung relativiert. Nennenswerte Kosten für die Elektrifizierung entstanden in Wien spät, da man länger als in anderen Städten auf
Gas als wichtigsten Energieträger setzte.

Logistische Probleme

Doch zunächst sah es so aus, als ob das Konzept von Suess ein Flop würde. Die Quellen erwiesen sich gleich nach der Eröffnung 1873 als qualitativ hochwertig, aber nicht so ergiebig wie geschätzt.
Zähneknirschend mußte man alte Wasserleitungen wieder in Betrieb nehmen und bei Pottschach Grundwasserpumpen montieren und Wasser von dort in das Netz einspeisen, bis man im Schneeberggebiet
zusätzliche Quellen gefaßt hatte. Doch dieser Vorgang dauerte lange. Die Anlieger bildeten eine geschlossene Front und beriefen sich auf das neue Reichswassergesetz von 1869, das ihnen eine
bedeutende Parteienstellung gab. Der Kampf währte zwei Jahrzehnte.

Währenddessen wurde im wachsenden Wien 1886 abermals das Wasser knapp. Weitere Provisorien, wie die Entnahme von Schwarzawasser mußten gefunden werden. Als die Ableitung neuer Quellen endlich möglich
war, begann man in Wien bereits über eine neue Wasserleitung, diesmal aus dem steirischen Bereich nachzudenken und erst diese zweite Hochquellwasserleitung ließ die Cholera vollständig verschwinden.
Das Beispiel der technischen Realisierung kontinuierlicher, umfassender Wasserversorgung ist so als Nagelprobe für neue rechtsstaatliche Abläufe und damit als das erste entscheidende Projekt Wiener
Stadtmodernisierung zu sehen.

In den dreißiger Jahren war Hochquellwasser fast flächendeckend in Wien zu haben, wobei an den Verbrauchsmengen auffällt, daß im Durchschnittshaushalt der Inneren Stadt im Jahr 1934 etwa sechs Mal
soviel Wasser verbraucht wurde wie in einem Vergleichshaushalt im 20. oder 21. Bezirk, was auch eine Folge unterschiedlicher Ausstattung mit Entnahmestellen und die unterschiedliche Anzahl von Bädern
war. An diesen ersten Modernisierungsschub, der ein grundlegender Anstoß war, konnten damit eine Reihe weiterer anschließen und so eine beachtliche wirtschaftliche und letztlich soziale Dynamik
entfalten.

Freitag, 23. Oktober 1998

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