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Schattenseiten einer Glitzerwelt

Maulwürfe im Donauzentrum

Von Uwe Mauch

Die Verkäuferin im weißen Arbeitsmantel, eine kleingewachsene, drahtige Person,
kommt aus dem rückwärtigen Büro geschossen. Während sie nur einen Moment lang
Lieferscheine und Preislisten kontrolliert hat, hat sich vor der Kassa des Schuhgeschäfts
eine Menschenschlange gebildet.

Die einen wollen zahlen, die anderen beraten werden. Ein typischer Samstagvormittag
im Wiener Donauzentrum. Rosa E., seit 15 Jahren hier angestellt, bemüht sich redlich,
ihre Emotionen nicht zu zeigen.

Im Augenwinkel sieht die Frau ständig neue Kunden auf sich zukommen. Das
Donauzentrum in Kagran, laut einer Marktstudie der Nielsen GmbH. der größte
Einkaufspalast Wiens, zieht täglich 35.000 Menschen an. Ihnen stehen knapp 1.000
VerkäuferInnen gegenüber.

Das Einkaufszentrum per se gilt als eine Errungenschaft der Moderne: So wurden
alleine in Österreich in den vergangenen zwei Jahrzehnten über 100 Shopping-Citys
eröffnet. Die einen in den Stadtzentren, die anderen draußen auf der grünen Wiese,
entlang der Ausfahrtsstraßen. Auf mehr als 1 Mill. ² Verkaufsfläche werden pro Jahr -
laut Nielsen - 50 Mrd. Schilling umgesetzt.

Der Kunde ist König (solange er Schillingscheine oder Kreditkarten vorlegen kann).
Glitzernd die Auslagen und Lichtspots, randvoll die Regale, ruhelos die Rolltreppen. Ein
stilisierter Beserlpark im Erdgeschoß, dezent rieselnde Musik aus dem Lautsprecher,
belegte Brötchen, hier und dort ein Gewinnspiel - die Versuchung ist allgegenwärtig.

"Die Innenarchitekten der Betreibergesellschaften haben mehr auf die
Bedürfnisse der Konsumenten als auf das Wohlbefinden der Angestellten
abgezielt", erklärt die Soziologin Gertie Steinkellner, die in einer Pilotstudie die
Arbeitsbedingungen in Wiener Shopping-Citys untersucht hat. "Daß zufriedene
Mitarbeiter bare Münze sein können, wurde dabei offensichtlich nicht bedacht."

Mit leisem Surren bläst die Klimaanlage gefilterte und gekühlte Luft durch die
Versorgungsrohre des nach außen abgeschlossenen Gebäudes. "Ständig hab' ich den
feinen Luftzug im Rücken", ärgert sich die Verkäuferin im Schuhgeschäft. "Meine
Kreuzschmerzen kommen auch nicht von ungefähr."

Die Luft der Shopping-City ist arm an Sauerstoff, dafür reich an Gerüchen. Manchmal
vermischt sich der Pizza-Parmesan mit dem Fisch aus der Nordsee. Als unangenehm
empfinden die meisten Angestellten auch die große Trockenheit. "Ich hab' das Gefühl,
wir sind hier in der Sahara", sagt eine Sportartikelverkäuferin. Die Gesichtshaut der
Mittdreißigerin trocknet rascher aus als ihr lieb ist. Ihr Gegenrezept: "Kiloweise
Hautcreme, ich bin Stammkundin in der Parfümerie drüben."

Auch die immerstrahlenden Spots und Neonröhren an den Wänden können den
Gesichtsausdruck der sportlich gekleideten Frau nicht aufhellen. "Im Gegenteil, wir
wissen eigentlich nie, wie es draußen ist, ob es regnet oder ob die Sonne scheint.
Wir arbeiten wie Maulwürfe unter der Erde."

Die Augen verschwollen, der Hals und auch die Psyche ausgebrannt, Schuppen auf der
Kopfhaut, diffuses Kopfweh. Bei ihren Recherchen hat Soziologin Steinkellner einen
ganzen Katalog an Beschwerden erfahren. "Die Leute wirken hektisch, unruhig,
aggressiv, manche lustlos oder in sich gekehrt." Ihre Enttäuschungen am
Arbeitsplatz beeinträchtigen auch Lebensstil und Zukunftsperspektiven.

"Probleme haben vor allem die älteren Kollegen im Haus", meint ein
Möbelverkäufer mit 30 Jahren Berufserfahrung. "Die Arbeit wird immer mehr. Es ist
kaum noch Zeit, einen Kunden anständig zu bedienen. Mir kann es ja wurscht
sein", fügt er hinzu, "ich geh' in 19 Monaten in Pension."

Wenig Aussicht auf Veränderung hat dagegen die einsame Lederwarenverkäuferin in
ihrem gerade 4x4 m engen Kobel. Zwischen Koffern und Reisetaschen eingepfercht,
wirkt sie wie ein Teil der Dekoration. "Manchmal komm' ich mir vor wie eine
Schaufensterpuppe. Die Leute kommen rein, grapschen alles an und gehen
wieder. Oft frag' ich mich, warum ich eigentlich noch da bin." In ihrem Mini-Laden
gibt es kein WC, keinen Rückzugsraum, keine Klo- und keine Mittagspause.

Seit mehr als 20 Jahren warten die Angestellten im Donauzentrum auf Aufenthaltsraum,
Betriebsarzt und Kindergarten - Mindeststandards in jedem Großbetrieb. In der
Zwischenzeit sind über den Einkaufsstädten des Landes dunkle Wolken aufgezogen.
Der Bauboom der achtziger Jahre ist Vergangenheit, der Markt scheint gesättigt,
Konkurrenz kommt jetzt auch von den wiederauflebenden Einkaufsstraßen. Martin
Mech~eis, für den Handel zuständiger Sekretär in der Wirtschaftskammer, erwartet
einen Trend "in Richtung kleinere, multifunktionale Einheiten".

Auch ein langer Einkaufssamstag neigt sich einmal dem Ende zu. Frau E., die
Verkäuferin im Schuhladen, bündelt Geldscheine, zählt zusammen, schließt dann die
Kassa. Noch fünf Minuten bis zum Feierabend. Sie freut sich auf die frische Luft
draußen - und auf ihre eigenen vier Wände. Freunde und Bekannte wird sie am
Wochenende nicht treffen. "Wenn ich hier rauskomme, hab' ich genug von den
Leuten, da will ich mit meinem Mann alleine sein. Ich brauch' die Ruhe. Am
Montag geht's wieder von vorne los."

Die Shopping-City-Studie der Soziologin Gerti Steinkellner ist als Diplomarbeit an der
Uni Wien einsehbar.

Montag, 25. Mai 1998

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