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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Wir wissen sehr viel über die Welt der Wirtschaft, aus Kriminalfilmen in Fernsehen und aus dem Kino

Showdown der Fieslinge

Von Holger Rust

Es ist eine oft zitierte Kalenderweisheit, daß nicht die Tatbestände, sondern
Vorstellungen über die Tatbestände die Auffassungen vom Zustand der
Wirklichkeit bestimmen. Viele dieser Vorstellungen beziehen wir aus den
Massenmedien. Weiter ist es hinlänglich bekannt, daß es nicht nur und nicht
einmal in erster Linie die Informationsangebote sind, die diese Vorstellungen
prägen. Es sind in hohem Maße die inszenierten Wirklichkeiten der
Unterhaltungsendungen. Die Wirklichkeit, die dort geboten wird, ist oft auch
schöner als die wirkliche Wirklichkeit. Die Akteure agieren in überschaubaren
Handlungsgefügen von shakespearehafter Dramatik, und immer geschieht etwas
Spektakuläres.

So wissen wir zum Beispiel vieles über die Welt der Ärzte, Halbgötter in Weiß,
denen das Schicksal allzu oft die Herausforderung in Form rescher
Krankenschwestern an die Seite stellt. Wir wissen, wie die Polizei sich der Horden
unangenehmster Finsterlinge erwehrt. Wir lesen über die Welt der Adligen und
Latifundienbesitzer in schönen österreichischen Landschaften und über
Nordamerika zur Zeit des Wilden Westens.

Die Politik breitet sich vor unser aller Auge aus als Showdown charismatischer
Figuren, die um Aufstieg oder Niedergang zu kämpfen haben, verstrickt im
Netzwerk der Intrigen parteiinterner und gegnerischer Kollegen, jetzt auch in
Buchform nach einer unglaublich aufgeregten Hetzjagd hinter einem anonymen
Autor her, die wiederum selbst höchst medienwirksam inszeniert war. Vor allem
aber fügt sich das Bild, das wir uns von der Wirtschaft machen, zu großen Teilen
aus dem zusammen, was die Massenmedien von ihr berichten.

In den letzten Jahren hat auch der Film den Reiz der Ökonomie entdeckt, zumal
sich das reiche Spektrum der Gefühle im gierigen Gehabe der jungen
Wall-Street-Broker installieren ließ. Kanonischer Leittypus dieser
Yuppie-Generation, die nun endgültig abgedankt hat und nur noch in den
Fälschungen ihrer selbst ein kärgliches und synthetisches Leben fristet, war
Michael Douglas in der Wirklichkeit des Films. "Wall Street". In der wirklichen
Wirklichkeit war und ist es Donald Trump.

Fasziniert betrachteten die Außenseiter, die Stirnen und die Nasen an die
Schaufenstern der Business-Wunderwelt plattgedrückt, wie leicht es sich leben
ließ, wenn man die Wirtschaft zum eigenen Zwecke instrumentalisierte.

Wirtschaft: ein schmutziges Geschäft. Das war und ist die Botschaft dieser
medialen Feuerwerke, zumindest die Botschaft für die, die ernsthaften
Wirtschaftsmedien nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Es war eine Botschaft, die
man suchte, getragen vom Neid auf das Leben an der Spitze, hinter den
dunkelgetönten Scheiben gepanzerter Limousinen und in den Arealen weitläufiger
Parks, in deren Mitte das Traumhaus stand. Mit ehrlicher Arbeit, so die
Botschaft, die sich trefflich auch als Lebensweisheit für den Abreißkalender des
Normalbürgers nutzen läßt, sind keine Reichtümer zu erwerben.

Auch das Fernsehen steuerte seinen Teil dazu bei, vor allem in den 80er Jahren:
Schließlich sahen wir im Fernsehen sattsam, wie es zugeht in der Welt der großen
Unternehmen in Denver, Colorado, und auf dem flachen Land des Superstaates
Texas. Gut und Böse kämpften da miteinander. Finster entschlossen gingen
mafiose Figuren rücksichtslos den Weg, der sie an die Spitze bringen sollte. Sie
trugen Nadelstreif und fuhren vornehme Autos, und in den weitläufigen
Habitaten, in denen sie residierten, fand sich erlesenes Mobiliar aus allerlei
Jahrhunderten. Das simple Muster verführte Millionen und Abermillionen
Menschen in der ganzen Welt. Wirtschaft stellte sich erneut als schmutziges
Geschäft dar, gelenkt von den Inkarnationen des Bösen, faustisch irgendwie.

Auch die Nachfolgeproduktionen verkaufen sich nicht schlecht, die "Schönen und
die Reichen" und der "California Clan". Und sicher ist es keineswegs ein Zufall,
daß die Mörder bei "Columbo", "Derrick" und im "Tatort" überproportional
dem Milieu der Reichen entspringen.

Nur deshalb, weil sich an "Dallas" und an "Dynasty", an "Derrick", "Tatort"
und "Columbo" ablesen läßt, wie eine bereits in Mißkredit geratene Industrie
zusätzlich durch Unterhaltungssendungen attackiert wird, sind diese
Produktionen noch einmal erwähnenswert: Der Erfolg von "Dallas" war zum
Beispiel eine eher hilflose Ausdrucksform der öffentlichen Irritation über die
Rezession der späten siebziger Jahre nach der sogenannten zweiten Ölkrise.

Gab es nicht Informationen zuhauf, daß die Ölkonzerne die größten Gewinne
ihrer Geschichte zogen? Und las man nicht zudem allenthalben, daß da auf
geheimnisvollen Reeden griechische Tanker lagen und mit der Löschung ihrer
Ladung warteten, bis die Preise zu den Sternen hochgeschnalzt waren? So
wurden die Effekte allmählich dramatisch: Unterhaltungsangebote ließen die
ohnehin mächtig angeschlagene Glaubwürdigkeit noch weiter erodieren. Das gab
zumindest Andeutungen von Sicherheit durch Schuldzuweisungen.

Anfang der 80er Jahre reagierten die amerikanischen Unternehmen. Es ist heute
sehr fraglich ob sie richtig reagierten. Denn anfang der 80er Jahre befand man
sich noch in der Steinzeit der Öffentlichkeitsarbeit. Statt der Dialogorientierung
herrschte Konfrontationskurs. Kaiser Aluminium, United Technologies und vor
allem Mobil Oil feuerten damals massive Breitseiten auf die großen
Fernsehgesellschaften ab. Das militante Vokabular ist hier am Platz, weil es zur
Selbstcharakterisierung der Strategie der "advokatorischen Anzeigen" gehörte.
In diesen Anzeigen gingen die Firmen offensiv gegen die Programmpolitik des
Fernsehens vor. In einer Studie durch das (eher konservative) Washingtoner
Media Institute habe man lediglich bei drei Prozent aller in der TV-Unterhaltung
ausgemachter Unternehmer eine Verbindung von sozialer Verantwortung und
wirtschaftlicher Effektivität feststelle können.

"Das jämmerliche Zeugs, das uns die Networks allabendlich als
Fernsehunterhaltung liefern," beinhalte in der Regel "perverse Porträts."
Genützt hat das alles nichts. Wir lieben die Perversionen weiter. Und daß
"Columbo" immer wieder abgespult werden kann, daß wieder einmal die Reichen
von Pacific Palisades und Bel Air in ihren düsteren Machenschaften porträtiert
werden, mag als fernsehgeschichtlichtes Kuriosum und als Märchen aus einer
anderen Welt abgetan werden. Doch auch die "Derricks" und die "Tatorte" leben
weiter von der Idee des bösen Reichen, zumindest zu einem beträchtlichen Teil.
Biedermänner, die fleischverarbeitende Konzerne hochgezogen haben, stecken da
nicht nur mit korrupten Landespolitikern unter einer Decke, sondern sind auch
noch sexuell pervers und lassen sich in zweifelhaften Clubs fesseln und
auspeitschen.

Natürlich: Die biedere Anna Maria ging ihren Weg und die alte Bellheim-Brigade
rettete den angeschlagenen Kaufhauskonzern. Aber sie waren umzingelt von
Wirtschaftshyänen. Mario Adorf emanzipierte sich denn auch in den nächsten
Serie wieder vom Image der Ehrlichkeit und spielte den mafiosen Big Boss,
umgeben von aufstiegswütigen Kriminellen und natürlich wieder einmal
korrupten Politikern.

Wie wirkt das?

Wie wirkt eine solche Darstellung in einer Zeit, in der auf den Bestsellerlisten
mehr und mehr und sicher auch berechtigt, machtvolle Kritiken des
Managements der 80er Jahre auftauchen, Abrechnungen zum Beispiel mit den
"Nieten im Nadelstreif"? Garniert von den literarischen und anschließend
verfilmten Einblicken, die John Grisham in das System der Kanzleien und
Unternehmen bietet? Diese Frage zielt nicht auf die Wirkungen bei den
Wirtschaftskundigen. Sie zielt auf die Breitenwirkung in einer Bevölkerung, die
sich von strukturellen Wandlungserscheinungen durchwegs in ohnmächtiger
Weise individuell betroffen fühlt und nur geringe Möglichkeiten einer rationalen
Auseinandersetzung mit dieser Betroffenheit und den strukturellen
Voraussetzungen besitzt.

Niemand kann daran vorbei, daß Wirtschaftskriminalität und oft auch
haarsträubender und krimineller Dilettantismus herrschen. Und niemand kann
daran vorbei, daß diese wirtschaftlichen Fehlleistungen neben den spektakulären
Morden und Erpressungen und Entführungen allzu wenig Raum in den
Nachrichten einnehmen. Die Frage ist nur, ob nicht Unterhaltung, und zwar gut
gemachte Unterhaltung über solche Aberrationen des Wirtschaftslebens,
Mentalitäten erzeugt, Bilder sich festsetzen läßt, die zumindest einer
wirtschaftsungewohnten Klientel in ihrer Gewichtung falsche Eindrücke bieten.
Das kleine Fernsehmagazin, das sich allwöchentlich wacker bemüht,
Wirtschaftsinformationen unters Volk zu bringen, ist da sicher keine Garantie für
Ausgewogenheit. Ebensowenig sind es die gedruckten Wirtschaftsmedien, die
trotz ihrer zu Teil ambitioniert entgrenzten Themenwahl im weitesten Sinne doch
Special Interest Medien für Special Interest-Audiences bleiben.

Wir lieben als die Perversionen, in den Medien, also werden sie gespielt. Denn die
Medien sind Wirtschaftsunternehmen, die legalen Menschenhandel betreiben: Sie
verkaufen Publikum an die werbetreibende Industrie. Je mehr, desto besser. Für
Experimente bleibt immer weniger Zeit. Und so bleibt eben auch die Frage
unbeantwortet, ob es nicht andere faszinierende Möglichkeiten des Spiels mit der
Wirtschaft gäbe. Schlicht, weil es niemand wirklich ausprobiert.

So fehlt neben dem Fernsehmagazin ein realitätsbezogenes, kritisch
unterhaltsames Programm, meinetwegen auch eine Serie, in der die
Vorstellungen von der Welt mit der Wirklichkeit dieser Welt konfrontiert werden.
Die Massenmedien machen die Wirtschaft unterhaltsam böse oder elitär oder sie
machen sie zu einer Angelegenheit von Spezialinteressen. Die großen
Zusammenhänge werden nicht deutlich. Das Gefüge einer der tragenden Pfeiler
dieser Gesellschaft rückt nur selektiv ins Blickfeld. Was wir also brauchen, ist
mehr Wirtschaft in den Medien, nicht nur in den Wirtschaftsmagazinen und auf
den Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen. Wir brauchen mehr Wirtschaft in der
Unterhaltung, mehr Informationen, die unsere Vorstellungen über die
Tatbestände dadurch beleben, daß die Tatbestände angemessen wiedergegeben
werden und die Vorstellungen mit der Wirklichkeit synchronisiert bleiben.

Neuer konzeptioneller Mut ist gefragt. Autoren sind gefragt, der Faszination des
Wirtschaftlichen in allen Facetten Gerechtigkeit zukommen zu lassen, um eine
Wiederholung jener unrühmlichen Auseinandersetzung zu vermeiden, die die
Krisenzeit der frühen 80er Jahre in den USA durch kraftzehrende Kämpfe eine
weitere Krise bescherte, nämlich die des erodierenden Vertrauens in beide
Bereiche, Wirtschaft und Medien.

Was vor allem fehlt, sind Untersuchungen über die Wirtschaftskompetenz der
Bürger, sind Untersuchungen über ihre Wahrnehmungen, über die Wünsche nach
Information, sind Untersuchungen, die jenseits der Bewertungen gestriger
Sendungen eine solide Basis für die Kreation neuer Ideen bietet.

Immer noch herrscht im allgemeinen ein furchterregender wirtschaftlicher
Analphabetismus, allen Steigerungsraten der Behandlung des Themas in den
Druckmedien zum Trotz. Wir dürfen uns nicht davon blenden lassen, daß der
Zuwachs an Wirtschaftsmedien und Wirtschaftsteilen der tagesaktuellen Medien
in den letzten Jahren überproportional hoch war. Der Effektivitätshorizont dieses
fachlichen Journalismus ist noch nicht groß genug, um den Irritationen, die in
diesen nächsten Jahren unsere europäischen Gesellschaften betreffen werden, zu
kompensieren. Wirtschaft wird zu einem Basisfach, Verständnis wirtschaftlicher
Zusammenhänge wird zu einer Kulturtechnik wie Lesen und Rechnen und
Schreiben.

Daß die Krisensymptome, die nun allenthalben in der Fachpresse diagnostiziert
und in der General Interest-Publizistik verbreitet werden, nicht nur durch die
Kraft von Politikern und Managern therapiert werden können, ist sicher. Denn zu
dieser Therapie gehört auch eine Art öffentlicher Vertrauensvorschuß.

Anders ausgedrückt: Die Vorstellungen über die Tatsachen dürfen nicht allein
sensationellen Fiktionen entstammen. Sie können nur als Konsequenz einer
verantwortungsvolle Arbeit aller Massenmedien und aller publizistischen Genres
entstehen, die sich der Pflege einer pluralistischen Meinungsbildung durch
Information und Unterhaltung verpflichtet fühlen. Das hört sich intellektuell an
und vor allem für jene gedacht, die bildungsbürgerliche Nachhilfestunden
benötigen.

Doch die beflissenen Nachhilfelehrer sollten sich so weit nicht aus dem Fenster
lehnen und an ihre Bücherschränke treten. Dort stapeln sich die Romane
großartiger Schriftsteller von Upton Sinclar und Sinclair Lewis über Alan Silitoe
und David Lodge bis hin zu Simmel und Grisham.

Die Wirtschaft kommt auch in diesem Mediengenre nicht besonders gut weg.

Montag, 25. Mai 1998

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