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Wien und die Donau: Zur Geschichte eines gespannten Verhältnisses

Der stadtnahe Naturraum

Von Peter F. N. Hörz

Im Frühjahr des Jahres 1875 hatte Wien Anlaß zum Feiern: Zelebriert wurde ein Sieg, dem kein Krieg und doch ein jahrhundertelanger Kampf gegen einen machtvollen Gegner vorausgegangen war. Die Stadt hatte den Strom besiegt (oder hatte dies zumindest geglaubt), die Donau, an deren Bändigung sich Generationen von Wasserbaumeistern vergeblich versucht hatten.

Es ist der rationale, selbstbewußte und auf die Gestaltung der Zukunft durch Menschenhand vertrauende Geist der frühen Industrialisierungsphase, der sich in der ersten Donauregulierung widerspiegelt. In einer Jubelschrift der Donau-Regulirungs-Commission aus dem Jahr der Vollendung des Projekts heißt es: "Die Commission entschied sich für den Durchstich, da hierdurch der Strom in seinen natürlichen Lauf zurückgebracht, die Ueberschwemmungsgefahr für Wien am gründlichsten behoben und allen gegenwärtigen und künftigen Bedürfnissen, der Communicationsanstalten und der Entwicklung Wiens vollständig Genüge geleistet wird."

Die Kommission hatte mit der Flußregulierung große Erwartungen verknüpft: Die endgültige Verbannung einer "wilden", häufig verheerenden Naturkraft in und am Rande der Stadt, die Optimierung des Schiffsverkehrs, eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur durch den Bau neuer Brücken und schließlich - als renditeversprechendes Zuckerl - die Gewinnung neuer Flächen für die Erweiterung der Stadt.

Freilich reiften nicht alle Blütenträume der damaligen Planer: Anstatt neuer Vorzeigequartiere formierte sich im Bereich des neuen Stroms die Rückseite der Stadt, und auch dies eher schleppend. Dennoch verkörperte die Donauregulierung den Stolz einer von der technologischen Machbarkeit der Dinge überzeugten Epoche.

Der Regulierung vorausgegangen waren endlose, vergebliche und zuweilen verzweifelte Bemühungen, die verheerenden Qualitäten der Donau zu bannen und zugleich ihren Nutzen zu mehren. Nutzen brachte der Fluß etwa in Form eines breiten Angebots an Fisch, Schalen- und Krustentieren, wie man es sonst nur aus Küstenregionen kennt - an alten Darstellungen des Fischmarktes läßt sich dies gut ablesen. Auch als natürlicher Transportweg war der Strom nutzbar, gelangten doch viele Versorgungsgüter - darunter das lebenswichtige Salz - auf dem Wasserweg in die Stadt.

Als verheerende Gewalt zeigte sich die Donau jedoch immer dann, wenn ihre Fluten nicht nur Siedlungen und Produktionsstätten zerstörte, sondern auch die nächste Ernte auf den Äckern des Marchfelds in Gefahr brachte. Und dies geschah in der Geschichte nicht eben selten, wie aus einer alten lokalhistorischen Schrift hervorgeht: "Im Jahre 1235, 1236, 1275, 1281, 1285 und 1295 überstieg die Donau jederzeit beyde Gestade und trat in das Land aus. (. . .) Im Jahre 1402 hielt sie das Land durch zehn Tage unter dem Wasser, und 1505 und 1406 trat sie mehrmals aus ihren Ufern. (. . .) Im Jahre 1508 am 10. Julius und am 10. August ist sie in die ihr nahe gelegenen Oerter und Städte gedrungen, und dieses hatte sie von 1520 an, bis auf das Jahr 1527, fast jährlich versucht . . ."

Natürlich wurde schon in diesen Zeiten nichts unversucht gelassen, um die sich ausdehnende Stadt gegen die Gefahren des Wassers zu sichern. Über Jahrhunderte hinweg jedoch erwies sich jeder Versuch, die verheerenden Kräfte des Stromes von Siedlungen und Anbaugebieten fernzuhalten, als Danaidenarbeit:

Schon seit dem 13. Jahrhundert wurden in dem der Stadt nächsten Donauarm, dem Wiener Arm (der heutige Donaukanal), mit Hilfe sogenannter "Wasserpflüge" regelmäßig Sandbänke abgetragen, um den Durchfluß der Wassermassen sicherzustellen und den Flußarm für die Schiffahrt zu erhalten. Eine Arbeit, die über Jahrhunderte hinweg zu keinem befriedigenden Ergebnis führte: Wiederholt drohte der Wiener Arm durch die Geschiebemengen gänzlich zu verlanden, der Hafen der Stadt vom Fluß abgetrennt zu werden.

Im 14. Jahrhundert wagten sich die Baumeister der Stadt erstmals an den Bau einer festen Brückenverbindung, welche vom Rotenturmtor auf den der Stadt gegenüberliegenden Unteren Werd (die heutige Leopoldstadt) führte. Zweifellos ein Etappensieg gegen die wilde, furchtbare Natur: Der Flußarm konnte trockenen Fußes überquert, anstatt an Furten durchquert werden. Und dennoch: Jedes neue Hochwasser spülte das Bauwerk aufs Neue hinweg . . .

Mitte des 15. Jahrhunderts in die Stadt gelangt, setzte der siegesgewisse Augsburger Wasserbaukünstler Kaspar Hartneid auf das Gelingen seiner Regulierungsideen für den Wiener Arm seinen Kopf und landete, nachdem große Summen für erfolglose Arbeiten ausgegeben worden waren, im Kerker.

Lange Zeit schien der Kampf der Stadt um den Erhalt guter Schifffahrtsverhältnisse und gegen Überschwemmungen aussichtslos: Was in aufwendiger Arbeit errichtet worden war, wurde spätestens durch das nächste Hochwasser zerstört.

Für eine positiv besetzte Wahrnehmung der Donau und der Stromlandschaft konnte vor diesem Hintergrund kein Platz sein. Um den Fluß und die ihn umgebende Landschaft rankten sich Legenden und Mythen, die den gesamten Donauraum zu einem gemiedenen Ort machten und eine Natur, die sich vor allem durch ihre Verheerungen auszeichnete, konnte kaum als "schön" empfunden werden. Dies freilich konnte sich erst wandeln, als technische Innovationen und rationales Denken zunehmend den Alltag bestimmten und deutlich machten, daß die Naturerscheinungen nicht einfach gottgegeben und unwandelbar, sondern vielmehr durch den Menschen selbst gestaltbar wären.

Mit der fortschreitenden Zivilisierung der Donaulandschaft verlor der einst mythifizierte und gefürchtete Bereich an und zwischen den zahllosen Donauarmen seinen bedrohlichen Charakter. Durch menschliche Eingriffe überformt und erträglich gemacht, konnte die Natur nun durchaus auch als "schön" betrachtet werden und zum Aufenthalt in ihrer Mitte einladen.

Die Aristokratie, auf Grund ihrer sozialen Position von der Alltagserfahrung des Natürlichen am weitesten entfernt, hatte die Donaulandschaft für ihre waidmännischen Vergnügen entdeckt und Teile des Donauraums zu Refugien adliger Jagd gemacht. Die im Augarten und in Ebreichsdorf errichteten Jagdschlösser sind Ausdruck einer psychischen Annäherung an die Natur. Hier, inmitten der "freien" Natur, fand der Adel seine "bessere" Gegenwelt zu einem von Etiketten und Verhaltenszwängen geprägten höfischen Leben.

Es ist sicher kein Zufall, daß etwa zeitgleich mit der Ausführung der ersten komplexeren Regulierungsprojekte das Baden an der Donau erstmals wichtig wird. Bis in die frühe Neuzeit hinein hatte sich die Lust am Wasser auf die Badestuben der Stadt beschränkt. Mit der sukzessiven Entzauberung des Donauraumes durch technisch-zivilisatorische Maßnahmen trauten sich immer größere Teile der Bevölkerung die Annäherung an die ehedem als wild und unwirtlich empfundene Natur.

Die Entmythifizierung der Natur und die Rationalisierung des menschlichen Umgangs mit den äußeren Gegebenheiten der Umwelt war für beide Aspekte der Naturwahrnehmung Voraussetzung: Der Mensch traute sich einerseits den ungewünschten Wirkungen der Natur seine eigenen Werke entgegenzusetzen und entwickelte hierzu die technischen Mittel. Man traute sich anderseits aber auch, die Natur genußvoll zu erfahren und je weiter sich das alltägliche Leben aus der unmittelbaren Abhängigkeit von der Natur entfernte, desto stärker wurde das Verlangen nach positiv-sinnlicher Erfahrung der Natur.

Von zunehmender Gefühlsbetonung geprägt sind die künstlerischen Reflexionen von Donau und Aulandschaft seit dem 16. Jahrhundert. Und diese Sentimentalisierung der Natur nimmt in den folgenden zwei Jahrhunderten beträchtlich zu, während der Urbanisierungsprozeß im Wiener Becken kontinuierlich voranschreitet.

Ungeachtet der noch längst nicht vollständig gebannten Hochwassergefahr spricht man im 18. Jahrhundert - wie etwa der Gartentheoretiker Hirschfeld - von der "prächtigen Donau" , worin bereits die Idee von einer "erhabenen" Natur mitschwingt. Es ist dies eine Idee, die an der Schwelle zum bürgerlich geprägten 19. Jahrhundert bestimmend wurde: Die Wahrnehmung der Natur im ausgeglichenen Spannungsfeld zwischen schöner Harmonie und schrecklicher Wildheit. Lustfahrten auf den Donauarmen wurden nun zum schaurig-schönen Erlebnis.

Das Bürgertum, politisch einflußlos und gerade deshalb radikal im Geiste, flüchtete sich in seiner psychischen Not in Wälder und Auen, wo es die ersehnte politisch-gesellschaftliche Gleichheit verwirklicht glaubte. Diese Flucht ins Natürlich-Romantische hat Adalbert Stifter in seiner Beschreibung der Praterlandschaft literarisch nachgezeichnet: "Wir wandern nun auf schmalen Pfaden durch Gebüsche, treten jetzt auf Wiesen heraus, mit großen, schönen Bäumen besetzt; die Abendsonne streift mit roten Fäden durch Laub und Zweige, und die Amsel und der Fink schlagen ihr frisches Lied; der Hase läuft durch das Gras; von der großen Stadt ist nicht ein Pünktchen sichtbar, und es wird uns schwer zu glauben, daß wir noch vor einer halben Stunde im dichtesten Gewühl waren."

Eine solche romantische Sichtweise der Natur stand freilich in krassem Widerspruch zu den realen Entwicklungen im Verlauf der Gründerzeit. Und während sich das sentimentale Bürgertum noch an Rüstern und Silbertpappeln berauschte und in menschenleeren Lichtungen Andacht zur Schönheit der Natur hielt, hoben bereits die Dampfmaschinen das Bett für die regulierte Donau aus. Wo Stifter noch den Hirsch beobachtet hatte, sollte alsbald das Areal zur Erweiterung des Stadtraums abgesteckt werden.

Die Folge war eine zunehmend radikalisierte Großstadtfeindschaft und das Aufkommen agrarromantischer Gegenentwürfe zu einer "überzivilisierten" Gesellschaft in jenen (bildungsbürgerlichen) Schichten, die aus der Industrialisierung keinen unmittelbaren Nutzen ziehen konnten. Eingeklemmt zwischen den beiden vorwärts strebenden Gruppen, Industriekapital und Industrieproletariat, verfiel das Bildungsbürgertum in konservative Kulturkritik, verkrallte sich in eine gefühlsselige Sichtweise der Natur. Der kolorierte Stich vom einsam an einem Donauarm stehenden Fischer machte die sentimentalen Sehnsüchte des Bürgers in der biedermeierlichen Wohnstube manifest.

Von den Nationalsozialisten und ihren zahlreichen biologistisch-völkisch argumentierenden Vordenkern pervertiert und in der Nachkriegszeit lange diskreditiert, erlebte die Idee von der guten, schönen Natur erst vor dem Hintergrund der ökologischen Krise eine Renaissance. Dies hatte auch und gerade im Wiener Donauraum weitreichende Konsequenzen: Das Bild von der freien, unberührten Natur im Kopf, focht die Bürgerbewegung zur Rettung der Lobau gemeinsam vereint mit Journalisten gegen den "totalen Hochwasserschutz" der Stadtplaner und deren Idee von einem parallel zum Strom verlaufende Entlastungsgerinne. Das Überschwemmungsgebiet - Abfallprodukt der ersten Regulierung und grünes Niemandsland im Stadtraum - sollte, so der Tenor der Kritik, als Grünraum erhalten bleiben und nicht der Betonomanie der Stadtväter zum Opfer fallen. Und während große Baumaschinen vor Ort bereits Tatsachen schufen, argumentierten emotional aufgebrachte Aktivisten mit seligen Kindheitserinnerungen vom nackten Bad in der Au und vom Indianerspiel im meterhohen Schilfgras gegen Hochwasserschutz und Stadtentwicklung. Der "Kurier" sprach im Sommer 1973 vom "mutwillig zerstörten Paradies" und die "Kronen-Zeitung" stellte zur gleichen Zeit fest: "Die Großbaustelle Donauinsel gefährdet Wiens Naherholungsgebiet Lobau in seinem Bestand." In einer öffentlichen Diskussion von bislang ungekanntem Ausmaß wurden nicht nur Kommunalpolitiker als "Baummörder" gebrandmarkt, sondern der gültige Wertekonsens insgesamt angegriffen. Donauinsel und Entlastungsgerinne wurden auf diese Weise zwar nicht verhindert, mutierten jedoch vom reinen Stadtentwicklungs- und Hochwasserschutzprojekt zum begrünten Erholungsgebiet. Eine erfolgreiche Idee, wie der Massenansturm Erholungsuchender an schönen Sommerwochenenden zeigt . . .

Das wachsende Umweltbewußtsein hat den Wert des Natürlichen in die Höhe getrieben: In den achtziger Jahren formierten sich in Österreich und Deutschland die Grün-Parteien, unzählige Menschen demonstrierten gegen Nukleartechnologie, Flughafenausbauten und Wasserkraftwerke. Das Pressefoto, das Günther Nenning auf einer Anti-Hainburg-Demo als Auhirsch verkleidet zeigt, steht symbolhaft für die erdigen "biologisch-organischen" Achtziger.

Wenngleich die Leistung dieser Bewegung um die Lösung der ökologischen Probleme auch umstritten sein mag, so hat sie doch die nachmoderne Naturästhetik entscheidend geprägt: Was aus der Natur kommt, daran haben wir heute keinen Zweifel mehr, ist gut. Wir lieben

die Natur, manche von uns inzwischen so sehr, daß sie nur noch Schuhe aus Kunststoffen tragen und selbst die Honigernte als Frevel an der Kreatur betrachten. Wir tun alles, um die Natur zu schonen und möchten sie am liebsten weitgehend in einen - wie auch immer vorgestellten - "Urzustand" zurückversetzen.

Im Verlauf der Neuzeit hat sich das Verhältnis der Stadt zur Donaulandschaft, ebenso wie die Beziehung zwischen Mensch und Natur im weiteren Sinne, grundlegend gewandelt. Dem furchtbaren, gefährlichen Strom zunächst ausgeliefert, brachte der technologisch-gesellschaftliche Fortschritt - besonders in Form der beiden großen Regulierungen - etappenweise den Sieg über die Naturgewalt. Mit jedem weiteren Schritt in Richtung Aufklärung und Rationalisierung jedoch, mit der Beschleunigung des Fortschritts, gewann die Natur als ein Zeichen der Dauerhaftigkeit in Zeiten des Wandels an Bedeutung. Zweifellos wünscht sich niemand ernsthaft die Verwüstungen einer unregulierten, wilden und unberechenbaren Donau zurück. Kein Mensch würde die bedingungslose Abhängigkeit von der Natur idealisieren. Und doch keimen im Moment, da alle Gefahren gebannt scheinen und der Wohlstand gesichert ist, Zweifel am Wert des von Menschen gemachten Fortschritts auf; an der Geschichte des Wiener Donauraums läßt sich dies deutlich ablesen.

Mittwoch, 20. Mai 1998

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