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Totgelobt und totgeredet: Höchste Zeit, mit der sozialökologischen Steuerreform endlich zu beginnen

Reformstau auf der Ökoschiene

Von Eva Glawischnig

Selbst in den konservativsten Kreisen ist in den letzten Jahren die Erkenntnis gereift, daß zum dringenden Schutz der natürlichen Umwelt die bisher gesetzten und vorwiegend nachsorgenden Maßnahmen, wie z. B. Altlasten reparieren, Katalysator, Filteranlagen oder Kläranlagen usw. nicht ausreichen. Die Dimension der Probleme, die noch vor uns liegen, die radikale Senkung der Material- und Energieintensität, der Ersatz von fossilen Energieträgern, der Übergang zu sauberen Technologien, zu einer Kreislaufwirtschaft, der verstärkte Einsatz nachwachsender Rohstoffe oder die Erhaltung der Artenvielfalt machen massive strukturelle Änderungen notwendig. Umweltschutz als unverzichtbare Notwendigkeit zu vermitteln, war die Aufgabe der siebziger und achtziger Jahre. Umweltpolitik als Chance für Wirtschaft und Beschäftigung zu erkennen, ist die Aufgabe der neunziger Jahre. Darüber scheint sichtbarer und hörbarer Konsens zu bestehen, sieht man einmal von denjenigen ab, die Umweltschutz ebenso wie soziale Standards ausschließlich als Hemmnis im internationalen Wettbewerb sehen.

Tatsache ist, daß in unserem Wirtschaftssystem Umweltverbrauch nichts bzw. wenig kostet und menschliche Arbeit teurer ist: "Die Arbeitsproduktivität ist heute gut 20mal so hoch wie zu Beginn der Industrialisierung. Die Ressourcenproduktivität, also die Menge Wohlstand pro eingesetzter Energie- oder Rohstoffe, ist dazu kläglich zurückgeblieben" , beschreibt es sogar der deutsche Bundespräsident Roman Herzog. Der "Homo oekonomikus" hat dadurch natürlich einen kräftigen Anreiz, Ressourcen und Energie nicht effizient einzusetzen, sondern sie zu verschwenden und beim Einsatz der menschlichen Arbeitskraft zu sparen. Das Einsparen von Arbeitskräften gehört mittlerweile zum "Muß" jeden erfolgreichen Managements. Daß auf diese Weise die Zerstörung der natürlichen und sozialen Grundlagen weiter vorangetrieben wird, beklagen nicht nur Umweltschützer, sondern auch zunehmend die politischen Entscheidungsträger. Das Konzept der sogenannten ökologischen oder sozialökologischen Steuerreform, die von der Grundtendenz her den Verbrauch von Natur belastet und Lohnnebenkosten senkt, wird mittlerweile quer durch das Parteienspektrum als einer der Lösungsansätze in einem vielfältigen Instrumentenmix vertreten, um den notwendigen Strukturwandel einzuleiten. Das ist umso mehr zu beobachten, als sowohl die Instrumente des nachsorgenden Umweltschutzes als unzureichend erkannt worden sind als auch die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung immer stärker spürbar wird.

15 Jahre ist es mittlerweile her, daß der Schweizer Hans Christoph Binswanger, geistiger Vater der ökologischen Steuerreform, das Ende der traditionellen Beschäftigungsdoktrin voraussagte. Wenn die Investitionen zurückgehen, sinkt Angebot und Nachfrage mit Folge der konjunkturellen Arbeitslosigkeit. Wenn die Unternehmen jedoch in Rationalisierungsmaßnahmen investieren, dann würden ebenfalls Arbeitskräfte frei, in dem Ausmaß, wie der Rationalisierungseffekt den Erweiterungseffekt überwiegt. Um aus dieser ausweglosen Situation herauszukommen, schlug Binswanger damals eine Energieabgabe als Beitrag zur Pensionssicherung vor, um damit den Produktionsfaktor Arbeit zu entlasten. Jahrelang ist nun über eine sozialökologische Umgestaltung des Steuersystems diskutiert, eine Vielzahl von Überlegungen angestellt und an Vorschlägen gemacht worden. Auch die soziale Akzeptanz scheint gegeben, wie das überraschende Ergebnis einer von den Grünen durchgeführten Meinungsumfrage gezeigt hat: 27 Prozent der Befragten hatten uneingeschränkt die Einführung einer Energiesteuer bejaht. Bei Zweckbindung der Mittel für Umweltschutzinvestitionen, Senkung der arbeitsbezogenen Steuern oder Budgetsanierung erhöhte sich die Zustimmung der Befragten auf über 70 Prozent (!).

Die Ja-aber-Argumente gegen eine Ökologisierung des Steuersystems, wie z. B. die Behauptung, die Auswirkungen könnten in ihrer Tragweite nicht eingeschätzt werden oder würden zu massiven Fehlentwicklungen führen, entbehren im Grunde einer rationalen Begründung. Im Gegenteil, das Fragezeichen wird immer größer, warum diese Steuerreform nicht schon längst in Angriff genommen wurde. Bei richtiger Durchführung eines Konzeptes, das den Verbrauch von Umwelt verteuert und im Gegenzug Lohnnebenkosten senkt, können bei Nullwirkung auf den privaten Geldbeutel und bei gleichzeitiger Veränderung des Wirtschaftssystems in Richtung Nachhaltigkeit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden. Wenn die ökologische Steuerreform dazu ein Mittel ist - und darüber besteht weitgehend Konsens - warum zögert die Politik also noch? Ist die Steuerreform totgeredet und totgelobt worden?

Eine seltsame Koalition von Verhinderern hat sich gefunden, die einer sozialökologischen Umgestaltung des Steuersystems zwar grundsätzlich applaudieren, aber dann doch mit einer Reihe von teils überholten, teils unrichtigen Argumenten kontern - die Notwendigkeit von internationalem Gleichklang, den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, die Gefährdung energieintensiver Branchen oder die Wirksamkeit eines solchen Vorhabens wird überhaupt in Frage gestellt. Dazu gesellen sich dann noch solche, die meinen, eine sozialökologische Steuerreform sei grundsätzlich abzulehnen, weil sie die Ökologie auf eine reine Marktfrage reduziere und damit ein zerstörerisches System aufrechterhalten werde. Dazu kommt eine Regierungskoalition, der die schwache Konjunktur den letzten politischen Willen und Mut für umwelt- und wirtschaftspolitische Reformen genommen hat.

Mit Juni 1996 wurde in Österreich eine Energieabgabe eingeführt, die so ziemlich allen Grundsätzen einer sozialökologischen Umgestaltung des Steuersystems widerspricht. Obwohl der Gesetzgeber ökologische Gesichtspunkte ins Treffen führte, läßt diese Besteuerung von elektrischer Energie jegliche Differenzierung nach Art der Stromerzeugung vermissen, so daß auch Strom aus Alternativenergieformen (Wind, Photovoltaik, Biomasse, Biogas usw.) einer Besteuerung unterliegt. Allein Erdgas ist unter bestimmten Bedingungen von der Abgabepflicht befreit. Stromerzeugungsanlagen, die die Abwärme nicht nutzen, unterliegen keiner Erdgasabgabepflicht, sehr wohl jedoch die Anlagen, die - ökologisch sinnvoll - die Abwärme für Heizzwecke nutzen. Das bedeutet tatsächlich eine steuerliche Benachteiligung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, ganz abgesehen von den sonstigen Mängeln dieser Besteuerung. Die Unausgegorenheit in Hinblick auf das angeblich intendierte ökologische Ziel ist erstaunlich angesichts der langen Debatte und macht das Motiv der reinen Mittelbeschaffung zum Budgetlöcherstopfen ohne jeglichen Gestaltungswillen sichtbar. Knapp 800.000 Schilling aus diesen Mitteln sollten zweckgebunden Klimaschutzmaßnahmen in den Bundesländern zufließen, in der Realität ereilte die sogenannte Klimaschutzmilliarde jedoch dasselbe Schicksal wie die Nahverkehrsmilliarde. Sie verschwand im allgemeinen Verwaltungsbudget der Länder.

Die Befürchtungen des Schweizer Ökonomen Binswanger 1983 haben sich als völlig richtig herausgestellt. Der gewaltige Strukturfehler im Steuersystem wird immer stärker spürbar. Der Produktionsfaktor Arbeit verteuert sich immer weiter. Während die Belastung eines Arbeitnehmers mit Steuern und Abgaben in Österreich 1982 noch bei 39 Prozent lag, war es 1995 bereits das Rekordniveau von 46 Prozent, Tendenz weiter steigend. Anderseits gibt es in der österreichischen Steuerordnung bei der Beanspruchung von Umweltgütern keine Preise, die die tatsächliche Knappheit des Faktors Umwelt wiedergeben. Gerade die heiße Debatte um die Pensionsreform, die beinahe zur Koalitionsfrage wurde, zeigt die Brisanz der Entwicklung.

Eine der wesentlichen politischen Fragen der nächsten Jahrzehnte ist unleugbar die Energiefrage; der Verbrauch, die Art der Erzeugung und die Verteilung. Eine ökologische Steuerreform setzt daher als ersten Hebel bei der Energiebesteuerung an. Der Energieverbrauch der Welt wächst und wächst, die Prognosen lassen eine Fortsetzung dieser Entwicklung erwarten. Der Weltenergieverbrauch wird von 1990 bis 2050 auf das 1,5- bis 3fache steigen. Die Zuwächse werden überwiegend fossil gedeckt werden. Zu dieser Prognose kommt das vom Weltenergierat (WEC) beauftragte Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse. Die aktuelle Situation ist von einer erheblichen Ungleichverteilung der Wirtschaftsleistung und des Energieverbrauches gekennzeichnet, auch in Zukunft wird der Anstieg des Pro-Kopf-Verbrauches in den OECD-Ländern größer sein als der Gesamtverbrauch pro Kopf in den Entwicklungsländern, rechnet etwa Manfred Heindler von der Energieverwertungsagentur das bedrückende Szenario vor. Der mit diesen Prognosen verbundene Ressourcenverbrauch läßt die mit dieser Entwicklung verbundenen ökologischen und sozialen Auswirkungen als mit Sicherheit nicht tragfähig erscheinen. Die von den Menschen verursachten CO2-Emissionen müßten zumindest um 60 Prozent reduziert werden, um eine gefährliche Störung des Klimasystems zu verhindern. Dazu ist anzumerken, daß es sich bei den CO2-Emissionen nicht um ein Einzelproblem handelt, sondern daß durch diesen Leitindikator ein massiver Eingriff in ökologische Zusammenhänge angezeigt wird, der nicht berechenbare Auswirkungen haben kann.

Unbestreitbar ist, daß die verschiedenen Vorschläge zu Ökosteuern vielfältige rechtliche und institutionelle Fragen aufwerfen. Viele Einzelregelungen harmonieren nicht ohne weiteres mit der Lenkungsidee einer ökologischen Durchdringung des Steuer- und Abgabensystems. Jedoch sind prinzipielle juristische oder institutionelle Hindernisse bei der Umgestaltung nicht erkennbar.

Unbestreitbar ist auch, daß eine sozialökologische Steuerreform nicht das einzige, absolute Instrument sein kann, um unter verstärkter Schonung der natürlichen Ressourcen das wirtschaftliche und soziale Gefüge umzugestalten. Dazu sind eine Fülle von Maßnahmen notwendig. Die Ökologisierung des Steuersystems ist nur eine davon. Auch die Arbeitslosigkeit wird durch die Steuerreform nicht wie von Zauberhand verschwinden. Dazu ist selbstverständlich eine "Neu-fair-Teilung" der Arbeit notwendig, eine geänderte Investitions- und Infrastrukturpolitik. Eine Bildungsoffensive gehört da ebenso dazu wie nichterwerbsarbeitszentrierte Grundsicherungsmodelle. Selbstverständlich sind die energieintensiven Branchen mit höheren Energiepreisen konfrontiert. Übergangsfristen und Anpassungshilfen sind jedoch in fast allen Konzepten vorgesehen.

Zielrichtung von Ökosteuern oder insbesondere einer Energiesteuer ist nicht vordergründig der dramatische Einbruch des Energieverbrauches auf ein vorindustrielles Niveau. Das zu unterstellen und damit den Wegfall der Einnahmen und das ökonomische Scheitern der Steuerreform zu prognostizieren, ist Nonsens. Es geht darum, die weiteren Verbrauchserhöhungen abzufangen, zu stabilisieren und dann schrittweise an eine Senkung zu gehen. Der schlagartige Entfall des Steueraufkommens, der immer wieder als Argument für die Naivität einer solchen Steuer ins Treffen geführt wird, ist völlig aus der Luft gegriffen. Vergessen werden auch meist die positiven technologiepolitischen Folgewirkungen, das Mehr an Innovation und die verbesserten Marktchancen für umweltfreundliche Produkte und Produktionsweisen.

Auch das wiederholte Rufen nach einer Einführung im internationalen Gleichklang, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden, hält einer Überprüfung nicht stand. Es gibt kein einheitliches europäisches Steuersystem, keine einheitlichen europäischen Energiepreise, keinen internationalen Gleichklang. In einzelnen Staaten Europas gibt es seit Beginn der neunziger Jahre eine Vielzahl unterschiedlicher Steuern und Abgaben, die direkt oder indirekt auf ökologische Verbesserungen zielen. So gibt es in Belgien, Dänemark, Nor-

wegen und Schweden bereits CO2-

bzw. Energiesteuern. Die Einführung erfolgte ohne internationalen Gleichklang und ohne Schwächung der dort heimischen Wirtschaft. Schweden gilt als erstes Land mit Ansätzen zu einer umfassenden ökologischen Steuerreform, die bereits Lenkungseffekt erkennen läßt. Im Gegenzug wurden Einkommenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge gesenkt. Das belgische System umgelegt auf Deutschland würde 48 Mrd. DM bringen, was 17 Prozent des deutschen Aufkommens der Lohn- und Einkommenssteuer ist.

Die letzte und wichtigste Frage ist, was denn die Alternative zu einem solchen Umbau des Steuersystems wäre? Ist es besser, gar nichts zu tun und zu warten, bis der Kapitalismus als vermeintliches Grundübel der Umweltzerstörung von selber zusammenbricht?! Würde ich diese Meinung vertreten, dann könnte ich als umweltbewußter Mensch ja gar nicht genug Energie und andere Ressourcen verbrauchen, damit das vermeintlich alles zum Guten wendende Ende schneller kommt. Das kann ja wohl keine ernsthafte Handlungsoption sein.

Wichtig ist es, die sozialökologische Steuerreform zu entmythologisieren und einfach schrittweise damit anzufangen.

(Zur Kritik an den Ökosteuern siehe auch Beitrag auf Seite 4.)

Eva Glawischnig ist Umweltsprecherin und -juristin der Wiener Grünen im Rathaus.

Publikationen unter anderem:

"Das EU-Umweltbuch" (Herausgeber GLOBAL 2000) Wien, 1994.

"Anforderungen der österreichischen Umweltpolitik in der Europäischen Union" (Herausgeber GLOBAL 2000), Wien 1994.

Mitautorin Lebensmittelbericht Österreich. Die Entwicklung des Lebensmittelsektors nach dem EU-Beitritt.

(Wiener Zeitung 10/97)

Mittwoch, 20. Mai 1998

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