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Vor 375 Jahren starb der berühmte Astronom und Mathematiker in Regensburg

Johannes Keplers letzte Reise

Im Haus der Familie Billi (2. von rechts) starb Kepler am 15. 11. 1630.

Im Haus der Familie Billi (2. von rechts) starb Kepler am 15. 11. 1630.

Blick auf die Regensburger Altstadt und die berühmte Steinerne Brücke.

Blick auf die Regensburger Altstadt und die berühmte Steinerne Brücke.

Von Christian Pinter (Text und Fotos)

Johannes Kepler gewinnt zehn Tage, als er im Sommer 1613 beim Reichstag in Regensburg eintrifft. Dort gilt nämlich noch der Julianische Kalender. Im Auftrag von Kaiser Matthias sollte der Astronom eine Lanze für die Kalenderreform von 1582 brechen. Die Kurfürsten protestantischen Glaubens sträuben sich dagegen – stammt die Neuerung doch vom Papst. Kepler, selbst Anhänger Luthers, hat sich bestens auf die Aufgabe vorbereitet. Doch die Kalenderfrage kommt kaum zur Sprache. Das Reich hat andere Sorgen.

Stattdessen betritt Kepler den mächtigen Regensburger Dom St. Peter. Dessen kunstvolle Fenster bestehen aus unzähligen Glasstückchen, die von schwarzen Bleiruten zusammengehalten werden. Irgendwo tut sich ein winziges Loch auf, das einen Sonnenstrahl passieren lässt. Dieser fällt auf den Steinboden und zeichnet dort das Bild der Sonne nach. Darin erkennt Kepler die Sonnenflecken, über deren Ursprung man noch lange rätselt.

Gottes Handschrift

Nur wenige Stunden nach seiner Rückkehr aus Regensburg lädt Johannes Kepler zur Hochzeitsfeier nach Eferding. Die junge Tischlerstochter Susanne Reuttinger wird seinen Kindern aus erster Ehe eine gute Mutter sein und ihm alle zwei Jahre ein weiteres Kind schenken. In Linz unterrichtet Kepler die Söhne der Adeligen. Er soll außerdem eine Karte des Landes ob der Enns erstellen. Lieber widmet er sich aber dem Kosmos. Dort sucht er nach Harmonien, um darin Gottes Handschrift zu erkennen. Die beiden ersten Planetengesetze hat er schon 1606 in Prag entdeckt. Nun findet er das dritte, nimmt es 1618 in den letzten Band der "Weltharmonik" auf. Gleichzeitig bricht ein Bürgerkrieg aus, den man später den "Dreißigjährigen" nennen wird.

Erzherzog Ferdinand hatte im Jahr 1600 Johannes Kepler und dessen Glaubensbrüder aus der Steiermark verbannt. Jetzt folgt ausgerechnet er dem verstorbenen Kaiser Matthias nach. Ferdinand verbündet sich mit Maximilian von Bayern, um gegen die protestantischen Stände Böhmens vorzugehen. Dafür erhält Maximilian Oberösterreich als Pfand. So strömen ab 1620 bayerische Soldaten und Jesuiten nach Linz. Wer nicht zum katholischen Glauben konvertiert, muss fort. Als kaiserlicher Mathematiker ist Kepler von diesem Befehl ausgenommen. Dennoch bringt er Frau und Kinder in Regensburg unter.

Die freie Reichsstadt ist eine Art "Enklave" im katholischen Bayern. 1542 trat sie zur Lehre Luthers über, nachdem in der "Neuen Waag" am Hauptplatz die Regensburger Religionsgespräche gescheitert waren. Jetzt ist Regensburg das Ziel jener, die von der Gegenreformation aus Österreich und der Oberpfalz vertrieben werden.

In der Baumhackergasse Nr. 3 beziehen die Keplers Quartier. Johannes reitet rasch weiter in seine schwäbische Heimat. Er steht seiner Mutter in einem Hexenprozess bei. 1622 kehrt die Familie nach Linz zurück. Johannes will dort jenes Werk herausbringen, das er einst Rudolf II., seinem ersten kaiserlichen Patron, versprochen hat. Die Rudolfinischen Tafeln sollen helfen, den Planetenlauf in Vergangenheit und Zukunft zu berechnen.

Noch immer halten die meisten Astronomen die Erde für das ruhende Zentrum des Universums. Kopernikus versetzte die schwere Erdkugel zwar schon 1543 in Bewegung und ließ sie mitsamt den anderen Planeten um die Sonne kreisen. Doch das mutet viele Gelehrte absurd an. Für den Vatikan steht diese Kosmologie gar im Widerspruch zur Bibel: Er hat Keplers "Grundriss der kopernikanischen Astronomie" gerade erst verboten. Trotzdem fußt auch sein neues Tafelwerk darauf – wenngleich Kepler die kopernikanische Lehre inzwischen entscheidend verbessert hat. Er strich die planetaren Kreisbahnen und ersetzte sie, ganz korrekt, durch Ellipsen. Das erlaubt ihm nun eine überzeugend präzise Kalkulation des Planetenlaufs: Erst Kepler verhilft Kopernikus zum Durchbruch.

Nach Regensburg zurück

1626 durchkreuzt der Krieg abermals Keplers Pläne. Protestantische Bauern erheben sich gegen die katholischen Herren. Sie belagern Linz und versuchen, die Stadt auszuhungern. Dabei brennt die Druckerei ab, in der die bereits fertigen Bögen der Rudolfinischen Tafeln lagern. Nun geben die Keplers Linz endgültig auf. Sie ziehen stromaufwärts – wieder nach Regensburg.

Das alte Ratisbona liegt am nördlichsten Punkt der Donau. Es ist Zentrum des Fernhandels mit Venedig, Mailand, Flandern, Barcelona und Kiew. Eisen, Wein, Salz, Felle, Glas und andere Luxusgüter werden hier umgeschlagen. Regensburgs beste Tage sind damals zwar schon vorbei, doch ähnelt die Stadt noch dem Holzschnitt in Hartmann Schedels "Weltchronik" von 1493: Zu den Türmen und Türmchen von Stadtmauer, Kirchen und Kapellen gesellen sich rund 60 vierkantige Haustürme. Zu Reichtum gekommene Handelsfamilien, teils aus der Toskana stammend, setzen damit ein weithin sichtbares Zeichen ihres Wohlstands. Die hohlen Giganten sind bis zu zwölf Geschosse hoch.

Sehr viel bescheidener ist jenes Haus nahe dem Fischmarkt, in das die Familie Kepler einzieht (heute Keplerstraße 2). Die Holzdecke lastet schwer auf den kleinen Zimmern. Johannes zieht alleine weiter, treibt den Druck der Tafeln jetzt in Ulm voran. Ende 1627 überreicht er sie Kaiser Ferdinand II. in Prag.

Drei Kaisern hat Kepler schon gedient. Ein Gutteil des ihm versprochenen Lohns steht noch aus. Auch Ferdinand zahlt die ausständigen fast 12.000 Gulden nicht. Der Krieg setzt andere Prioritäten. Albrecht von Wallenstein will die Reichsschuld übernehmen – falls man ihm Kepler als Privatmathematiker überlässt. Für den astrologiegläubigen Generalissimus der kaiserlichen Truppen hängt irdisches Geschick vom Lauf der Planeten am Himmel ab. Den vermag keiner genauer vorher zu berechnen als Kepler. Im Juli 1628 übersiedelt die Familie des Astronomen nach Schlesien, in Wallensteins Fürstentum Sagan. Schon im November folgt ihnen die Gegenreformation nach.

Wallenstein wird im September 1630 auf Drängen der katholischen Kurfürsten beim Regensburger Reichstag vom Kaiser abgesetzt. Diese Nachricht erschüttert Kepler. Die Reichsschuld bleibt ungetilgt. Und wem könnte er seine Dienste jetzt noch anbieten? In Oberösterreich macht man ihm Hoffnung, es werde zu Martini zur Auszahlung fälliger Zinsen aus Linzer Tagen kommen. Auf dem Weg nach Oberösterreich will Kepler Halt in Regensburg machen, um Kaiser und Hofkasse auf seine prekäre Lage hinzuweisen. Am 8. Oktober bricht er auf; er befindet sich in einer Verfassung, die – so hält sein Schwiegersohn Jakob Bartsch fest – eher an den jüngsten Tag denken lässt als an seine Rückkehr.

Der 58-Jährige durchquert ein vom Krieg gezeichnetes Land. In Leipzig schreibt er seinen letzten Brief, der mit den Worten schließt: "Betet für mich". 600 km reitet Kepler, durch Sturm, Kälte, Regen und Schlamm. Zu Allerseelen tauchen Regensburgs Türme auf. Der einsame Reiter überquert die Donau auf der 336 m langen Steinernen Brücke. Keine gleiche ihr in Deutschland, hatte Hans Sachs 1565 geschwärmt.

Der letzte Weg

Das Tor im dritten Brückenturm gewährt Kepler Zutritt in die Stadt. Gleich beim Amberger Stadl, wo Salz für die Oberpfalz lagert, biegt er rechts zum Wiedfang ab ( wit , einst "gefälltes Holz"). Er kommt an jenem kleinen Haus vorbei, in dem er einst seine Familie untergebracht hat. Dann stößt er auf die ihm ebenfalls vertraute Baumhackergasse. Schließlich passiert er das Runtingerhaus. Dessen einstige Besitzer ließen 2000 teure Glasbutzenscheiben aus Venedig kommen – für die Fenster ihres Festsaals. Vor dem Haus des Kaufmanns Hildebrand Billi steigt Kepler ab. Mit dem ihm vorenthaltenen Lohn hätte er drei, ja vier solcher Bürgerhäuser kaufen können. So jedoch ist er fast mittellos und froh, bei Freunden unterzukommen. Billis Gattin ist ebenfalls vor der Gegenreformation aus Linz geflohen.

Das Ehepaar nimmt den Erschöpften auf. Drei Tage später befällt ihn Fieber. Der Gast liegt vermutlich im Wohnzimmer, wo ein offener Kamin für Wärme sorgt. Der Kaiser hat schon wieder das Schiff bestiegen, um abzureisen. Er schickt Genesungswünsche und 25 Goldgulden. Die Arzneien werden in der gerade erst eröffneten Apotheke zum Elefanten gekauft. Sie helfen dem Kranken ebenso wenig wie der Aderlass. Vom regen Treiben auf der Straße bekommt der Todgeweihte nichts mehr mit. Seine Sinne verwirren sich. Er spricht Unverständliches. Abwechselnd deutet er auf seine Stirn und zum Himmel. Der Streit zwischen den Christen hat ihn zeitlebens bedrückt. Kepler hielt Kontakt zu katholischen Gelehrten. Dies und die Weigerung, die Calvinisten zu verurteilen, machte ihn wiederum bei den eigenen Glaubensbrüdern verdächtig. In Linz schloss man ihn gar vom lutherischen Abendmahl aus. Jetzt spricht ihm der evangelische Pfarrer Sigmund Christoph Donauer Trost zu. Am 15. November stirbt Johannes Kepler.

Das Totenbuch der Neupfarrkirche nennt den 17. als Tag der Beerdigung. Unter großem Geleit geht es zum Friedhof Weih St. Peter. Lutheraner werden nur noch außerhalb der Stadtmauer beerdigt. Donauer hält die Grabrede. Die lateinische Inschrift des Grabsteins hat Kepler selbst entworfen. Einst habe er den Himmel vermessen, heißt es darin, jetzt messe er der Erde Schatten. Man fügt noch die große Bedeutung des "hochangesehenen, hochgelehrten und weltberühmten Mannes" hinzu; ein "Fürst der Astronomie" , der "ganzen Christenheit bekannt". Auch seine Rolle als Mathematiker dreier Kaiser, der Stände in Linz und der Landschaft in Graz wird betont. Wallenstein bleibt unerwähnt.

Das verschollene Grab

Susanne Kepler erfährt Anfang Dezember vom Tod ihres Gatten. Ein mühsames Bittstellen beginnt. In rascher Folge rafft die Pest ihre Söhne Friedmar und Hildebert, ihren Schwiegersohn Bartsch und das Ehepaar Billi dahin. In größter Not lässt sich die Frau mit den verbliebenen Töchtern Cordula und Anna Maria 1636 nochmals in Regensburg nieder. Am 30. August begräbt man sie, ebenfalls am Gottesacker von St. Peter. Das Grab ihres Mannes ist zu diesem Zeitpunkt bereits verschollen. In Erwartung schwedischer Truppen hatten die Kaiserlichen einen der 16 Bögen der Steinernen Brücke gesprengt und mehrere Vororte niedergebrannt. Die Schweden eroberten die Stadt trotzdem. Keplers Grab fiel den Kriegswirren von 1634 zum Opfer.

Der Eingeweihte vermag dennoch, Keplers Spuren heute dennoch zu folgen; speziell in der Gedenkstätte, die man im Sterbehaus (Keplerstraße 5) eingerichtet hat. Der Friedhof Weih St. Peter existiert nicht mehr. Das dortige Kirchlein ist jüngeren Datums. Seit 1994 trägt es eine von der Linzer Johannes Kepler-Universität gestiftete Tafel, die an den "Astronomen, Weltharmoniker und Begründer der christlichen Ökumene" erinnert. Irgendwo in diesem Park liegen die Gebeine von Johannes und Susanne.

1808 ließen Honoratioren hier einen kleinen Rundtempel errichten. Acht dorische Säulen umkränzten eine weiße Kepler-Büste. Fünfzig Jahre später stand der Tempel im Weg, als man die Maximilianstraße verlängerte. Zum Glück wurde das Denkmal auf der anderen Straßenseite wieder errichtet.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien.

Freitag, 11. November 2005

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