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Karl Pearson und Egon Pearson: Wie Vater und Sohn eine Wissenschaft etablierten

Enthusiastische Statistiker

Von Thomas Benesch

Karl Pearson wurde am 27. März 1857 in London geboren und lebte bis zu seinem Tod am 27. April 1936 in Coldharbour, Surrey. Er war britischer Mathematiker und Philosoph, verkörperte jedoch weit mehr als diese beiden Fachrichtungen. Schon Pearsons Ausbildungsweg berührte eine ungewöhnlich breite Mischung von Wissenschaften. Er studierte Mathematik in Cambridge, beschäftigte sich jedoch ebenso intensiv mit philosophischen und theologischen Fragestellungen. Spinoza las er so begeistert wie Goethe oder Dante und liebte auch den Meinungsaustausch mit Ethikstudenten. Hingegen hasste er die zu seiner Zeit an der Universität zwingend vorgeschriebenen Gottesdienste. Erfolgreich kämpfte er um eine Änderung der Regeln – und erstaunte seine Theologie-Professoren dann umso mehr, als er weiterhin zu den Messen und Religions-Lehrveranstaltungen kam, nachdem die Teilnahme nichtmehr vepflichtend war. Für ihn machte es einen großen Unterschied, ob er freiwillig oder aus Zwang am Gottesdienst teilnahm.

Germanist und Soziologe

Im Jahr 1879 absolvierte er die Universität mit dem "Third Wrangler", dem höchsten mathematischen Abschlusszertifikat, das ein Cambrigde-Student erwerben kann. Danach bildete er sich an den deutschen Universitäten Heidelberg und Berlin weiter.

Diese Zeit nutzte Pearson für das Studium der Physik, der Metaphysik, der Soziologie und der Deutschen Literatur. Er galt so sehr als Fachmann der Deutschen Literatur, dass ihm nach seiner Rückkehr 1880 eine Stelle im Germanistik-Institut der Cambridge Universität angeboten wurde. Er nahm sie schließlich an, um auch noch Mittel- und Althochdeutsch zu studieren. Pearson schrieb über sich selbst in seinem ersten Werk: "Ich stürme von der Mathematik und Technologie zur Philosophie, von dort weiter zu unseren alten Freunden, den Poeten; und dann – überbeansprucht von soviel Idealismus – habe ich Lust wieder praktisch zu werden und kehre zurück zur Technik. Haben Sie jemals versucht zu begreifen, wie viel es in unserer Welt gibt und wert ist, mehr darüber zu wissen? Es gibt soviel zu studieren, nichts ist unwürdig dazu – einfach unglaublich, es geht über meinen Verstand!"

Zusätzlich zu den oben genannten Interessen entschied sich Pearson noch, Jus zu studieren, um in die Fußstapfen seines Vaters treten zu können. Dieser war Barrister gewesen, also plädierender Anwalt an britischen Gerichten. Er absolvierte dieses Fach ebenso selbstverständlich wie erfolgreich, wurde 1882 sogar gerufen, um der "Britischen Bar" einzutreten. Zum Praktizieren kam er in diesem Fach jedoch nie.

Ungezählte wissenschaftliche Werke gehen auf das Konto von Karl Pearson, Essays, Artikel und Rückblicke ebenso wie Substitute für Mathematikprofessoren am King’s College und dem University College in London, wo er die meiste Zeit seiner Karriere verbrachte und 1885 einen Lehrstuhl einnahm. Die Jahre 1884 bis 1890 waren besonders produktiv – er gab Unterricht in Statistik, Dynamik und Mechanik, vervollständigte drei große Buchprojekte und gründete den ,"Frauen und Männer-Club", in welchem die Rolle der Geschlechter in der Wissenschaft diskutiert wurde. Dort lernte er auch seine spätere Ehefrau Maria Sharpe, kennen. Sie heirateten 1890, die Ehe brachte drei Kinder, Sigrid Loetitia, Egon und Helga, hervor.

Pearsons zentrale Konzepte bilden noch heute die Basis für frequentistische Statistik – ungeachtet dessen, dass er sich der Statistik erst recht spät, etwa ab 1894, widmete. Den Anstoß, sich überhaupt mit Statistik zu befassen, gab die Freundschaft mit dem gleichaltrigen W. F. R. Weldon, der als Professor der Zoologie an der Universität tätig war.

Offenheit und Neugier

Weldon stellte Fragen, die Pearson mit bemerkenswerten Beiträgen beantworten konnte. Ein Buch von Weldon und Galton weckte Pearsons Neugier für Prozesse von Vererbbarkeit und Evolution und er entwickelte mathematische Methoden, um diese zu studieren. In den Jahren 1893 bis 1912 schrieb er 18 Aufsätze, welche seine wertvollsten Lesitungen auf den Feldern der Regressionsanalyse, des Korrelationskoeffizienten und des Chi-Quadrat-Tests zusammenfassen.

Sein Chi-Quadrat-Test war das Endprodukt eines Versuches, die Normalverteilung von ihrer zentralen Position zu verdrängen. Pearson’s Buch "The Grammar of Science" (1892) gilt insbesonders deswegen als bemerkenswert, weil es einige Ideen zur Relativitätstheorie bereits vorausgesehen und diese damit beschleunigt hat.

Mit Weldon gründete Pearson später das "Statistic Journal Biometrika" , das er auch als Strategie gegen die Ignoranz der Biologen verstand. Diese waren zu jener Zeit grundsätzlich nicht bereit, biologische Rückschlüsse aufgrund mathematischer Analysen in ihren Lösungssätzen zu akzeptieren. Pearson – damals sehr mit dem Thema beschäftigt -- präsentierte 1896 der Königlich Wissenschaftlichen Gesellschaft einen Artikel über Erbmasse und legte mit Hilfe der Mathematik und einer riesigen Menge gesammelten Datenmaterials Beweise vor. Aufgrund dieses Artikels wurde er 1898 zum Mitglied der Royal Society ernannt und erhielt 1900 auch die Darwin-Medaille für seine Arbeit zuerkannt. Geschäftstüchtig machte er sich den Erfolg zunutze und veröffentlichte das Magazin "Biometrika". Die Biologen konnten mittlerweile einen Wissenschaftler "aus ihren eigenen Reihen" nicht mehr ignorieren, so war auch Pearsons Einstieg in diese Materie geschafft. Die erste Ausgabe des Journals erschien 1901 und Pearson blieb bis zu seinem Tod, 35 Jahre später, Herausgeber.

Von 1906 an war Pearson sehr um ein "Postgraduate Centre" bemüht. Seinem Dafürhalten nach sollte ". . . Statistik als eigener Zweig der Angewandten Mathematik, als Technik und Nomenklatur gelten. Es sollen Statistiker als Männer der Wissenschaft gesehen werden – nicht wie die derzeit arbeitenden Dilettanten, die – ohne ernsthaften Bezug zum Wissen und gänzlich ohne adäquate Ausbildung – nicht mehr können als sich in der Differentialrechnung zu versuchen und ansonsten vollkommen unwissend der Mathematik gegenüber stehen." Pearsons wissenschaftlicher Beitrag zur Statistik machte ihn in der Folge noch populärer. Beispielsweise geht auf ihn der Korrelationskoeffizient zurück, der auch als "Braivais-Pearson-Korrelation" oder "Produkt-Moment-Korrelation" bekannt wurde. Die Übertragung auf sozialwissenschaftliche Phänomene, der Pearson wenig Chancen einräumte, erfolgte später durch einen seinen Schüler Yule.

Im Jahr 1894 wandte sich Pearson – wissenschaftlich – dem Glücksspiel zu. Er analysierte Roulette-Spielergebnisse, die aus den Casinos von Monte Carlo stammten. Die Resultate wiesen Eigenschaften auf, die nicht mit den Gesetzen der statistischen Theorie übereinstimmten. Für Pearson lag die Vermutung nahe, dass etwas "faul" war mit dem Roulette in Monte Carlo. Er schlug vor, umgehend die Spielstätten zu schließen und mit den freigesetzten Mitteln die Wissenschaft zu fördern. Sein Appell verhallte aber ungehört.

Sein wissenschaftliches Wirken machte Pearson zum bedeutendsten Statistiker der Welt. Als hochintelligente Persönlichkeit konnte er seine Themen einer großen Hörerschaft ebeso begeisternd und verständlich vortragen wie einer kleinen Gruppe von Studenten. In dem Kreis seiner Schüler entstand oft eine enthusiastische Stimmung, auch konnte niemand im Institut Loyalität so großzügig erwidern wie er.

Doch hatte Pearson auch Schattenseiten: Er galt als dominant, und hatte trotz seines intensiven und aufrichtigen Glaubens an die Freiheit der Gedanken die Neigung, intellektuell gegensätzliche Anschauungen auf Stupidität oder moralische Defekte zurückzuführen.

Im Schatten des Vaters

Geprägt von der starken Persönlichkeit des Vaters wuchs Egon Pearson (1895 bis 1980) heran. Aufgrund eines Herzleidens wuchs er äußerst behütet auf, verbrachte viel Zeit zu Hause und vergötterte seinen Vater. Schon als Fünfjähriger kannte er die Bemühungen seines Vaters um das Magazin "Biometrika" und "gründete . . . ein eigenes Journal, welches mit Kreide vollgekritzelt war", wie er später selbst erzählte.

Egons Leben war wie das seines Vaters vollkommen der Wissenschaft gewidmet: nachdem er die Dragon School in Oxford absolviert hatte, studierte er im Winchester College und ging nach seinem Abschluss 1914 auf das Trinity College Cambridge. Während des Krieges arbeitet er für das Schifffahrts-Ministerium und den Admiralstab, um 1920 wieder nach Cambridge zurückzukehren. Zu aller Überraschung engagierte er sich nun aber nicht in der Statistik, sondern in der Solarphysik. Dennoch wurde er vor allem in Fragen und Theorien rund um die Statistik konsultiert.

Forschen statt Lehren

Im Jahr 1921 trat Egon Pearson als Lektor ins Institut für Angewandte Statistik an der Seite seines Vater ein. Dieser versuchte jedoch Egons Vorlesungen zu verhindern und so besuchte Egon die Lehrveranstaltungen seines Vaters und begann eine Fülle hochwertiger Forschungsarbeiten in Statistik zu publizieren. Im Jahr 1924 wurde Egon Co-Herausgeber von "Biometrika", bis ihm der Vater 1926 endlich "erlaubte", die Lehrtätigkeit aufzunehmen.

Egons Freund Jerzy Neyman berichtete über ihn damals: "Pearson ist ein introvertierter junger Mann, der sich aus mehreren Gründen minderwertig fühlt. Er wuchs im großen Schatten von Karl Pearson auf, wurde als Kind liebevoll umsorgt und durfte nicht in den Krieg ziehen. Dadurch fühlte er sich in Cambridge von seinen gleichaltrigen Kameraden ausgeschlossen. Weiters vermutete er, dass sein Vater ihn verachtete, weil er nicht mit demselben mathematischen Grad abgeschlossen hatte. Auch, nachdem er ein Mitarbeiter seines Vaters geworden war, wohnte er weiterhin zu Hause, seine sozialen Kontakte blieben auf die Familie beschränkt."

Von 1928 bis 1938 arbeitete Egon intensiv mit Neyman zusammen. Beide beschäftigten sich mit Studien über Probleme beim Testen von Hypothesen und erschufen eine mathematische Theorie von Tests, welche die Frequenz von fehlerhaften Rückschlüssen bezüglich Hypothesen verringern sollte. Die Neyman-Pearson-Theorie zum Testen von statistischen Hypothesen wurde ein integraler Bestandteil jeder Statistiklehre.

Das Jahr 1931 verbrachte Egon in den Vereinigten Staaten und hielt dort Vorlesungen in Iowa ab. Daneben führte er Diskussionen mit den Bell-Telephon-Laboratorien in New York, welche im darauf folgenden Jahr zur Einführung von Qualitätskontrollen in der Industrie führten. In diesem Jahr gab Karl Pearson seinen Lehrstuhl in Statistik an der Londoner Universität ab und ging in Pension.

Die Organisation der Institute wurde danach – zum großen Ärger Karls – zweigeteilt in den "Galton-Chair" mit einem Vorstand namens Fisher, der ein Kritiker und Kontrahent Karls war, und dem Institut für Angewandte Statistik, dem Egon Pearson vorstand. Eine Situation, die auch für Egon unangenehm war und ihm Gewissenskonflikte bescherte, hatte er doch im Lauf seiner Forschungen mit Neyman feststellen müssen, dass einige Erkenntnisse seines Vaters nicht korrekt waren, Fisher also im Recht war.

Trotz der Konflikte, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, dem alleinigen Weiterführen des Magazins "Biometrika" nach des Vaters Tod im Jahr 1936 und der eigenen Familiengründung begann Egon Pearson die beiden Hauptwerke seines Vaters zu überarbeiten: die Tabellen für Statistik und Biometrie. Er tat dies gemeinsam mit H. O. Hartley, Band 1 erschien im Jahre 1954, gefolgt vom zweiten Band im Jahr 1972. Während der Kriegsjahre arbeitete Pearson für die Verordnungsbehörde und verfasste statistische Analysen über die Zersplitterung von getroffenen Flugzeugen und ähnlichen Materialien. Seiner Aussage zufolge arbeitete er gern "zwischen Bombenangriffen und fliegenden Raketen" . 1946 erhielt er dafür sogar eine Auszeichnung.

Späte Würdigung

Obwohl stets im Schatten von Karl Pearson wurde auch Egon Pearsons wissenschaftliche Arbeit in der Statistik und Biometrie als bahnbrechend gewürdigt. Er erhielt zahlreiche Ordensverleihungen, Preise und Auszeichnungen und wurde 1966 auch zum Mitglied der Royal Society ernannt. Egon Pearson genoss diese Phase seines Lebens sehr – endlich hatte er beruflich die Erfüllung und Anerkennung gefunden nach der er lange gestrebt hatte.

Aufgrund seiner Krankheit hatte er sich von Kindheit an als Außenstehender gefühlt, unvollkommen und schwach. Manche seiner Zeitgenossen schätzten ihn vielleicht gerade deshalb: "Pearson war eine erhabene und majestätische Respektsperson" , schreibt einer von ihnen.

"Er hatte ein ruhiges Auftreten, und trotz eines beinahe scheuen Wesens einen unglaublich hartnäckigen und zähen Geist. Diese Eigenschaften halfen ihm gewiss, eine unparteiische Haltung während des Disputes seines Vaters mit Fisher beizubehalten, ebenso wie seine gesundheitlichen Probleme, seine schwache körperliche Konstitution und eine lebenslange Herzkrankheit zu ertragen. Seine Arbeiten und publizierten Beiträge waren geprägt von Klarheit, kombiniert mit einer reflektierten Einfachheit und einem überlegten Beurteilungsvermögen – niemals wurde eine Schlussfolgerung weiter verfolgt als die Beweisführung es rechtfertigte."

Siehe auch Thomas Beneschs Buch "Anschauliche und verständliche Datenbeschreibung". NWV Verlag Wien, 2005.

Thomas Benesch, geboren 1971, ist Medizinstatistiker an der Universität Wien.

Freitag, 26. August 2005

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