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Zellklumpen oder Embryo?

Wie die neueste Stammzellenforschung ethische Einwände zu umgehen versucht
Illustration
- Der Embryo, gezeichnet von Leonardo da Vinci.  Bild: Archiv

Der Embryo, gezeichnet von Leonardo da Vinci. Bild: Archiv

Von Peter Markl

Vielleicht nähert man sich dem Thema am besten mit einer kleinen Geschichte, die sich Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg und Experte für die rechtlichen und ethischen Aspekte der Forschung an embryonalen Stammzellen (ES), ausgedacht hat: Eine medizinisch technische Assistentin unterwirft eine künstlich befruchtete Eizelle, die einer Frau implantiert werden soll, einer Qualitätskontrolle. Sie will durch einen Labortest ausschließen, dass der Embryo mit einem schweren genetischen Defekt behaftet ist.

Die Arbeit beginnt mit dem notwendigen ersten Schritt: Mit einer Mikropipette entnimmt die Assistentin einem Embryo, das in diesem Stadium aus nur vier Zellen besteht, eine Zelle zur Diagnose. Dann wird sie jedoch eine Zeit lang von der weiteren Durchführung der genetischen Analyse abgelenkt, und steckt die Zelle nach der Unterbrechung zu den drei anderen Zellen zurück, wo sie wieder in den Vier-Zell-Verband integriert wird. Natürlich hätte das Diagnoseverfahren nicht unterbrochen werden dürfen, aber nach zwei Stunden wird dann die Präimplantationsdiagnose durchgeführt. Man findet keinen genetischen Defekt, implantiert zwei Tage später den Embryo seiner Mutter und nach neun Monaten kommt ein gesundes Baby auf die Welt.

Wo ist das Problem?

Anhänger der These, dass selbst schon dem frühen Embryo aufgrund seiner späteren Entwicklungsphasen ein eigenes moralisches Recht auf Leben zugesprochen werden müsse, könnten angesichts dieser Geschichte zu einer Moralpredigt ansetzen. Ihrer Ansicht nach hätte die arglose Assistentin mindestens drei gravierende und nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz sogar strafrechtlich zu ahndende Delikte begangen: Sie hätte einen Embryo "zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck" missbraucht – was strafbar ist. Sie hätte – was noch schlimmer ist – durch das Abtrennen der einen Blastomeren-Zelle, die ja selbst immer noch ein Embryo ist, einen zweiten genetisch identischen Embryo erzeugt, wobei zwei eineiige Zwillinge entstanden – der Embryo wäre also geklont worden und das ist strafbar.

Das Schlimmste jedoch kommt erst: Indem die Assistentin die eine Blastomere wieder mit den drei anderen vereinte, hätte sie einen Embryo und damit ein selbst in diesem Stadium schon zu schützendes menschliches Wesen vorsätzlich vernichtet – und das sollte, dieser etwas verqueren Logik entsprechend, genau so bestraft werden, wie wenn jemand einen von zwei eineiigen Zwillingen tötet.

Viele Naturwissenschaftler würden in diesem hypothetischen Vorfall zwar eine unnötig riskante Vorgangsweise sehen, aber kaum etwas moralisch Verwerfliches oder gar Strafbares – schließlich wurde niemandem ein Schaden zugefügt. Wissenschaftler empfinden es als ziemlich irritierend, dass selbst ihre arglose Routine jetzt von Scharen spezialisierter Bioethiker, Moraltheologen (der verschiedensten Provenienz) sowie von Verfassungs- und Strafrechtlern argwöhnisch beobachtet wird, wobei die meisten von ihnen spezielle Interessen einzelner Pressure Groups verfolgen.

Selbst Michael Gazzaniga, einer der führenden Neurophysiologen und konservatives Mitglied von Präsident Bushs Beirat für Bioethik, hat jüngst seine Ungeduld über die nicht endenden Diskussionen publik gemacht. Als der Bioethik-Beirat des Präsidenten 2004 in einer Stellungnahme zur Stammzellenforschung konstatierte, dass die abgestufte Zuerkennung von Lebensrechten fragwürdig sei, weil es von der befruchteten Eizelle zum erwachsenen Organismus eine kontinuierliche Entwicklung gebe, schrieb Gazzaniga: "Das Kontinuitätsargument behauptet, dass sich ein befruchtetes Ei zu einer Person weiter entwickeln wird und deshalb auch die Rechte eines Individuums beanspruchen darf, weil es ganz unzweifelhaft ist, dass mit der Befruchtung das individuelle Leben eines Menschen beginnt. Wenn man aber nicht dazu bereit ist, die Details der auf die Befruchtung folgenden Stadien der Entwicklung zu betrachten, dann gebraucht man ein Argument, gegen das es kein Gegenargument mehr gibt. Entweder man glaubt daran, oder nicht. Wer so argumentiert, versucht zu suggerieren, dass alle, die in der Heiligkeit des menschlichen Lebens einen Wert sehen, über den Anfang dieses Lebens einer Meinung sein müssten, aber das ist nicht der Fall."

In den USA wurde die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens in den vergangenen Monaten wieder intensiv diskutiert, weil der konservativ geprägte amerikanische Kompromiss in der Stammzellenforschung fragwürdig geworden ist. 2001 hatte die USRegierung beschlossen, dass in den USA auch staatlich finanzierte Forschungsinstitute an der Erkundung des medizinischen Potentials der Stammzellen arbeiten dürfen – allerdings nur unter Verwendung von Stammzellen aus einer begrenzten Zahl von Zell-Linien.

Das Interesse der Medizin

Embryonale Stammzellen (ES) sind die primitivsten Zellen, die man in der Entwicklung von Wirbeltieren findet: Sie sind "pluripotent", d. h. sie haben die Möglichkeit, sich im Lauf der Zelldifferenzierung zur ganzen Vielfalt der spezialisierten Körperzellen weiter zu entwickeln. Das macht sie für die Medizin so faszinierend: Sie sind ein Mittel zur Erforschung der Zelldifferenzierungsmechanismen, in deren Verlauf die spezialisierten Gewebe entstehen, und sie tragen dazu bei, die degenerativen Erkrankungen, die bei der älter werdenen Bevölkerung häufiger werden, besser zu verstehen und möglicherweise auch zu heilen.

Pluripotente Stammzellen müssen aus ganz frühen Embryonen gewonnen werden, die zu dem Zeitpunkt noch kaum integrierte Zellklumpen aus 4 bis 16 Zellen sind. (Nach etwa 14 Tagen wird die Zellaggregation aus rund 100 Zellen bestehen und erst dann hat sie die Größe eines i-Punkts auf dieser Seite). Solche Embryonen, die sich noch nicht im Uterus eingenistet haben, bestehen aus einer äußeren Hülle aus Zellen, welche die Einnistung möglich machen, und einem Inneren, das aus embryonalen Stammzellen besteht. Wer sie gewinnen will, muss Stammzellen aus dem Inneren entfernen. Dabei wird der Embryo getötet und kann sich danach nicht mehr in den Uterus einnisten.

Legitime Forschungen

Weil aber bei diesem Verfahren Embryonen vernichtet werden, hat man in einer ganzen Reihe von Ländern die Gewinnung neuer Stammzell-Linien gesetzlich verboten. Nicht so in den USA. Dort ist es den staatlich finanzierten Forschungsgruppen verboten, Embryonen zu erzeugen, um aus ihnen neue Zell-Linien embryonaler Stammzellen zu züchten. Denn gemäß der engen Definition vom Beginn des Lebens würde hier menschliches Leben vernichtet. Jetzt zeigt sich, was vorausgesagt worden war: Die US-Forschung scheint – etwa verglichen mit den durch keine Einschränkung behinderten Forschern in Korea oder Israel – ins Hintertreffen zu geraten, weil einige der "erlaubten" Stammzell-Linien defekt sind, was den Möglichkeiten der Forschung Grenzen setzt.

In dieser Situation wurden in den letzten Monaten Entwicklungsarbeiten forciert, welche nur das Ziel haben, einen Weg zur Herstellung embryonaler Stammzellen zu finden, der die ethischen Einwände gegen die Zerstörung der Embryonen außer Kraft setzt. Die Tricks, mit denen das gelingt, scheinen allerdings etwas fragwürdig zu sein – gerechtfertigt sind sie nur dadurch, dass die kritischen Einwände von bestimmten Interessengruppen erhoben werden und dass die neuen Methoden geeignet sind, Fortschritte in der regenerativen Medizin herbeizuführen.

Die neuen Methoden beruhen auf Ideen, welche unter den Experten – auch im Bioethik-Beirat des amerikanischen Präsidenten – lange diskutiert worden sind, bevor sie letzten Dezember zum ersten Mal in der Zeitschrift "Science" einem breiten Publikum präsentiert wurden.

Die erste der beiden Methoden ist eigentlich eine Abwandlung von Verfahren, die bei der pränatalen Diagnostik durchgeführt werden. Schon dort hat man die Technik entwickelt, einer befruchteten Eizelle, welche sich durch Einfurchung bereits in das Acht-Zell-Stadium weiterentwickelt hat, eine dieser Zellen – eine sogenannte "Blastomere" – zu entnehmen. Die übrigen Zellen entwickeln sich dann zu einem großen Zellhaufen – der sogenannten "Blastozyte" – weiter, die in den Uterus implantiert werden kann und sich dort zu einem ausgewachsenen Fötus weiterentwickelt. Der ursprüngliche Embryo wird dadurch nicht zerstört, so dass man selbst dann nicht versucht ist, von der Zerstörung menschlichen Lebens zu reden, wenn man Zellen aus diesen extrem frühen Entwicklungsstadien eines Organismus als gesetzlich zu schützendes menschliches Leben ansieht.

Neue Stammzellen

Einem Team um Robert Lanza von Advanced Cell Technology (ACT) in Massachusetts ist es nun gelungen, aus frühen Mäuseembryonen Stammzellen zu isolieren und in Zellkulturen weiter zu züchten, ohne die Embryonen zu zerstören. Die Autoren schlagen vor, diesen Weg auch mit menschlichen Embryonen zu erkunden. Man könnte dazu Embryonen verwenden, die bei den Methoden zur künstlichen Befruchtung mit anschließender Gendiagnostik ohnehin entstehen – nach dem Urteil der Autoren wäre der Preis dafür nur ein geringfügiges zusätzliches Risiko für die Entwicklung des Embryos.

Die Methode hat allerdings bisher noch einen Nachteil: Die Gene in den entstehenden Stammzell-Linien sind die Gene der Mutter und des Vaters. In der medizinischen Forschung träumt man aber davon, Stammzell-Linien in die Hand zu bekommen, welche nur die Gene eines einzigen Individuums enthalten. Mit einer solchen Zell-Linie, gewonnen von einem Patienten mit einem genetischen Defekt, könnte man im Detail studieren, wie sich der Defekt auswirkt. Es war zwar schon bisher möglich, derart spezifische Stammzellen zu erzeugen, aber dazu bedurfte es der Technik des Kerntransfers, die zu einer Zerstörung des Embryos führte. Man entfernt dazu etwa aus einer Hautzelle des Spenders den Zellkern und injiziert ihn in eine Eizelle, welche man vorher von ihren eigenen Chromosomen befreit hat.

Es gelingt dann mit einigen Tricks, dieses Artefakt dazu zu bewegen, embryonenähnliche Blastozyten zu bilden, und im Lauf dieses Prozesses auch den eingebrachten Kern zu deprogrammieren. Danach werden nicht mehr vorwiegend Hautzell-Gene aktiviert, sondern ein viel weniger differenzierter Gen-Satz. Im Inneren einer solchen "embroidalen" Blastozyte sitzen wieder Zellen, die sich zu totipotenten Stammzellen entwickeln können. Bei allen bisher getesteten Spezies ist die "Rückprogrammierung" des ursprünglichen Hautzell-Kerns nur in sehr seltenen Fällen so perfekt, dass diese "Pseudoblastozyten" sich – in einen Uterus implantiert – bis zur Geburt weiterentwickeln könnten.

Völlig ausgeschlossen ist das allerdings nicht, was wiederum den Argwohn der Kritiker wachgerufen hat. Sie wenden ein, dass selbst diese Embroid-Blastozyten noch das Entwicklungspotential hätten, um dessen Schutz es ihnen geht. Man hat daher nach einer Methode gesucht, die alle bedenklichen Entwicklungen von vornherein ausschließen könnte, und sie scheint nun gefunden zu sein: die alternative Kerntransfer-Methode. William Hurlbut, selbst Arzt und Mitglied von Bushs Bioethik-Beirat, meint, damit seien auch die letzten ethischen Zweifel ausgeräumt. Der Trick der Methode besteht darin, im Kern der Spender-Hautzelle ein Gen – das sogenannte CDx2-Gen – auszuschalten.

Wenn dieses Gen nicht funktioniert, kann sich die durch den alternativen Kerntransfer entstehende "embroide" Balstozyte unmöglich in einen Uterus einnisten. William Hurlbut sieht das als die Lösung des Problems: "Ohne dieses CDx2-Gen fehlt diesen Zellklumpen die grundlegende Fähigkeit, die weitere Entwicklung zu organisieren. Es scheint mir vernünftig, zu sagen, dass dieses Artefakt kein ‚Mensch‘ mehr ist".

Tadeusz Pacholszyk vom Nationalen Katholischen Bioethik-Zentrum in Philadelphia ist allerdings anderer Ansicht: "Das CDx2-Gen abzuschalten schafft zwar einen schwer behinderten Embryo, aber ein Embryo bleibt es trotzdem".

Peter Markl ist Professor für Analytische Chemie an der Universität Wien, wo er auch Methodik der Naturwissenschaften lehrte.

Freitag, 04. November 2005

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