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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die Diskussion über die Haltbarkeit des Rasse-Begriffs ist wieder aufgeflammt

Mehr als nur Schwarz-Weiß-Denken?

Von Peter Markl

Es ist eine schon seit längerer Zeit unter Experten - vor allem in den USA - kontrovers geführte Diskussion: Kann der vorbelastete Begriff "Rasse" in der Medizin eine Rolle spielen - oder ist er nicht nur völlig verzichtbar, sondern auch von destruktiver sozialer Brisanz? Spätestens mit dem jährlichen Treffen der amerikanischen Humangenetiker Ende Oktober in Toronto hat die Diskussion wieder eine größere Öffentlichkeit erreicht, und wurde durch einen im angesehenen "New England Journal of Medicine" veröffentlichten Artikel über die fragwürdige Art, wie das Herz-Medikament "BiDil" beworben wird, weiter aktualisiert.

BiDil ist eine Kombination von zwei Wirkstoffen, die Jay N. Cohn von der Universität Minnesota vor etwa 30 Jahren erstmals vorgeschlagen hat. Ein erster klinischer Versuch mit einer Gruppe von Patienten, welche repräsentativ für die ganze Bevölkerung waren, fiel nicht sehr ermutigend aus. Einige Jahre später hat Cohn jedoch die damals erarbeiteten Daten neu analysiert und dabei mit statistischen Methoden untersucht, ob es unter den Versuchspersonen nicht doch eine Gruppe von Patienten gegeben hat, bei denen das Kombinationsmedikament wirksam war. Und tatsächlich gab es einen Cluster von Patienten, bei denen das der Fall war: Es waren Afro-Amerikaner.

Das war politisch brisant, denn man hat Belege dafür, dass unter Afro-Amerikanern der Tod durch Herzversagen überproportional häufig ist. Trotzdem waren Afro-Amerikaner in klinischen Versuchen bisher unterrepräsentiert gewesen, und es gab Indizien dafür, dass die gut getesteten Medikamente bei ihnen weniger effizient waren als bei anderen Patienten.

Biologische Basis für "Rasse"?

Die für die Zulassung von Medikamenten in den USA zuständige Food and Drug Administration (FDA) wollte den Verdacht, selektiv vorzugehen, vom Tisch haben und stimmte einem neuen klinischen Versuch zu, der nun mit Hilfe der Association of Black Cardiologists durchgeführt wurde. Man behandelte alle Versuchspersonen mit den bisher bewährten Medikamenten, teilte sie aber in zwei Gruppen ein, von denen eine zusätzlich noch BiDil erhielt, die andere nur ein Placebo. Dieser Versuch musste vor der Zeit abgebrochen werden, weil es in der mit BiDil behandelten Gruppe 43 Prozent weniger Todesfälle gab als in der Gruppe, die nur ein Placebo erhalten hatte. Das war auch in einem weiteren Kontext brisant, denn es warf die Frage auf, ob "Rasse" nicht doch eine biologische Basis hat?

In dieser Form ist die Frage natürlich unsinnig gestellt, denn jeder Organismus hat eine genetische "Basis", schließlich entwickelt er sich ja in Wechselwirkung seiner Gene mit der Umwelt. Wesentlich präziser ist die Frage, ob die Unterschiede zwischen verschiedenen "Rassen" genetisch determiniert sind - und darauf gibt es seit der bahnbrechenden Arbeit des Harvard-Populationsgenetikers Richard Lewontin, veröffentlicht 1972 und damit lange vor der Ära der Genomanalyse, eine klare Antwort: Ja, es gibt Subpopulationen unter den Menschen, die sich als Gruppe von anderen Subpopulationen genetisch unterscheiden. Diese genetischen Unterschiede sind allerdings gering. Wenn man alle genetischen Unterschiede zwischen Menschen betrachtet, sind es nur 6 bis 15 Prozent dieser Unterschiede, die zwei Menschen verschiedener solcher Subpopulationen ("Rassen") genetisch von einander unterscheiden.

Den Rest der genetischen Unterschiede findet man zwischen Menschen aus derselben Subpopulation. Wenn durch einen magischen Akt mit Ausnahme einer einzigen lokalen Subpopulation alle menschlichen Subpopulationen verschwunden wären, würde doch der ganz überwiegende Teil der genetischen Variation allein innerhalb dieser einen Population erhalten bleiben. Die meisten Genetiker haben daraus geschlossen, dass die genetischen Unterschiede zwischen Subpopulationen keine wesentlichen Aspekte einer Person sind.

Richard Lewontin kam daher schon 1972 zu dem Schluss: "Eine Unterteilung der Menschen in 'Rassen' hat keinerlei sozialen Wert und wirkt sich auf die sozialen und zwischenmenschlichen Beziehungen entschieden destruktiv aus. Da man heute sieht, dass eine Unterteilung in Rassen praktisch weder genetisch noch taxonomisch von Bedeutung ist, kann es keine Rechtfertigung dafür geben, sie weiter zu verwenden."

Richard Dawkins, renommierter englischer Biologe (und Essayist von Weltrang), hat unlängst daran erinnert, dass Amerikaner trotzdem auf Fragebögen immer wieder aufgefordert werden, anzugeben, welcher "Ethnizität" sie sich zurechnen: da gilt es etwa anzukreuzen, ob man sich für einen "Kaukasier" (kein Europäer weiß genau, was damit gemeint ist), "Afro-Amerikaner", "nativen Amerikaner" oder "Hispanier" oder "irgendetwas anderes" hält.

Unter den amerikanischen Medizinern haben sich zwei verschiedene Ansichten darüber gebildet, ob es noch vertretbar ist, die wissenschaftlich überholten und sehr vagen Begriffe weiter zu verwenden. Wenn schon, dann nur für eine Übergangszeit, bis es mit den Mitteln der heutigen Gen-Analytik schnell und billig geworden ist, für jeden einzelnen Patienten genetische Dispositionen zur Entwicklung bestimmter Erkrankungen zu bestimmen.

Verwischte Zusammenhänge

Im Mai 2003 haben sich führende Genmediziner im Human Genome Center der Howard University in Washington D.C. getroffen, um den Stand der Wissenschaft in Sachen "Variationen im menschlichen Genom und 'Rasse'" zu diskutieren. Francis Collins, einer der führenden Wissenschaftler im Human Genome Programm, ging dabei auf den Zusammengang zwischen "Rasse" und "Ethnizität" ein:

"Man muss vor allem darauf hinweisen, dass es keine allgemein akzeptierten Definitionen von 'Rasse' oder 'Ethnizität' gibt. Beide Begriffe tragen komplexe Konnotationen, die nicht nur kulturelle Einflüsse, die Geschichte und den sozioökonomischen und politischen Status widerspiegeln, sondern auch sehr wichtige und variable Verbindungen zu der geografischen Herkunft. In den letzten Jahren hat es jedoch eine ganze Reihe von gut gemeinten Statements von Wissenschaftlern gegeben, welche man so verstehen könnte, als ob es keinen wie immer gearteten Zusammenhang zwischen einer selbst zugeschriebenen 'Rasse' oder 'Ethnizität' und der Häufigkeit bestimmter genetischer Varianten gäbe. Es mehren sich jedoch die wissenschaftlichen Belege dafür, dass genetische Variationen dazu verwendet werden können, mit einiger Präzision die geografische Herkunft eines Menschen zu ermitteln - zumindest dann, wenn alle seine Großeltern aus demselben Teil der Welt stammten. Streng genommen, stimmt es daher nicht, wenn man behauptet, dass es zwischen 'Rasse' oder 'Ethnizität' und der Biologie eines Menschen keinerlei Zusammenhang gibt. Man muss jedoch betonen, dass dieser Zusammenhang im Allgemeinen schon wegen der vielen nicht-genetischen Einflussgrößen auf 'Rasse' ganz verwischt ist, wozu noch kommt, dass schon die Grenzen zwischen Populationen nicht scharf definiert sind und die Vorfahren vieler Menschen aus vielen verschiedenen Regionen der Welt kommen."

Der Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand eines Menschen und der selbst zugeschriebenen Ethnizität ist noch viel loser. Drei Ursachenstränge spielen dabei eine Rolle: Ob jemand erkrankt, hängt natürlich auch davon ab, ob er ein krankmachendes Gen geerbt hat und wie dieses Gen mit dem Gensortiment zusammenstimmt, mit dem er auf Grund der geografischen Herkunft seiner Vorfahren geboren wurde. Dazu kommen aber auch ganz entscheidende nicht-genetische Faktoren wie Erziehung, die Kultur, in der man lebt, sowie der sozioökonomische Status, welcher auch den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen bestimmt.

All das hält jedoch die Fürsprecher einer Beibehaltung der Begriffe "Rasse" oder "Ethnizität" in den USA nicht davon ab, sie doch für hilfreich zu halten; und das selbst in den Fällen, in denen unterschiedliche Gene für die Unterschiede in der Erkrankungswahrscheinlichkeit kaum verantwortlich gemacht werden können. Die beiden Begriffe stehen dann eben nur stellvertretend für die eigentlichen kausalen Ursachen - genetisch oder nicht: Irgendwo inmitten der verschiedenartigen Konnotationen, die beim Rassenbegriff mitschwingen, liegt ein Indiz für die eigentlichen kausalen Ursachen der Erkrankung verborgen.

Die Gegner der Beibehaltung der vorbelasteten Begriffe sehen in ihrer Stellvertreter-Rolle die Einladung zu sozial brisanten Missverständnissen, denen kein Vorteil gegenübersteht. Im Gegenteil: Für sie sind "Rasse" oder "Ethnizität" derart dubios, dass ihre weitere Verwendung nur den Effekt haben kann, die Suche nach den wirklichen Ursachen weiter zu verzögern und den Verbindungen zwischen Rasse und Gesundheit den Anschein größerer Legitimität zu verleihen, als sie es verdienen.

Informativ und destruktiv

Richard Dawkins vermutet, dass es kontraproduktiv ist, dem Begriff "Rasse" jeden Informationsgehalt abzusprechen, wie es Richard Lewontin tut. (Dawkins stimmt natürlich mit Lewontin und fast allen heutigen Wissenschaftlern darin überein, dass die Klassifikation von Menschen nach "Rassen" sozial destruktiv ist - vor allem, wenn sie dazu herhalten soll, eine unterschiedliche und diskriminierende Behandlung von Menschen zu rechtfertigen.) Was seiner Meinung nach nicht stimmt, ist die Behauptung, dass der Begriff "Rasse" überhaupt keinen Informationsgehalt besitze. Der Informationsgehalt eines Satzes ist umso größer, je mehr er von der vor Eintreffen der Information vorhandenen Unsicherheit beseitigt. Wenn man von jemandem sagt, er sei "Afro-Amerikaner", dann erwartet man eine Reihe von Merkmalen, etwa eine mehr oder minder dunkle Hautfarbe. So irrelevant dieses Merkmal für die Fähigkeiten eines Menschen auch ist - die Unsicherheit in Bezug auf seine Hautfarbe ist gesunken.

Mehr noch: Lewontin hat übersehen, dass der Informationsgehalt im Genom einer Subpopulation nicht nur in den einzelnen Genen liegt, sondern in Korrelationen in der Häufigkeit ihres Auftretens. Wenn eine bestimmte Genkombination in einer Subpopulation häufig auftritt, so korreliert damit, dass auch eine andere Genkombination in dieser Subpopulation häufig zu treffen ist. (Wenn ich darüber informiert wurde, dass jemand eine Chinesin ist, so erwarte ich nicht nur, dass sie wahrscheinlich schwarze glatte Haare hat, sondern auch, dass ihre Augen wahrscheinlich schlitzaugenähnlich sein werden).

Der englische Genetiker A.W.F. Edwards hat unlängst daran erinnert, dass diese Erkenntnis den großen Genetikern zu Beginn des vorigen Jahrhunderts durchaus präsent war - auch wenn die einzelnen Merkmale innerhalb einer Gruppe nur sehr wenig Variation zeigen, können sich die verschiedenen Gruppen in der Stärke dieser Korrelationen stark unterscheiden und daher von naiven Betrachtern als unterschiedlich gesehen werden. (So unterschiedlich wie etwa ein durchschnittlicher weißer Norweger von einem durchschnittlichen Westafrikaner mit extrem dunkler Hautfarbe.) Was diese beiden Gruppen von Menschen unterscheidet, sind nicht so sehr die einzelnen Gene, sondern die Häufigkeit des korrelierten Auftretens bestimmter Genkombinationen. Der englische Statistiker R. A. Fisher schrieb dazu schon 1925: "Lokale Rassen können sich als Populationen sehr stark voneinander unterscheiden, obwohl sich alle Merkmale der einzelnen Individuen überlappen." Und J. C. Gower schrieb im gleichen Jahr, als Lewontin den Rassenbegriff als informationsleer und sozialschädlich ablehnte: "Der menschliche Geist kann verschiedene Gruppen deshalb unterscheiden, weil es innerhalb dieser postulierten Gruppen korrelierte Merkmale gibt."

Unterschiede in derartigen Mustern genetischer Korrelationen sind daher nicht nur soziale Konstrukte, und nicht nur bizarre Wahnideen, die künstlich am Leben gehalten werden, weil sie die Gruppenidentät stärken und zur Unterdrückung anderer Gruppen instrumentalisiert werden können. Richard Dawkins hat kürzlich die Frage aufgeworfen, wieso menschliche Subpopulationen sich so sehr in äußerlich leicht erkennbaren Merkmalen - etwa der Hautfarbe - unterscheiden. Die gängige Erklärung für die Entwicklung menschlicher Subpopulationen erklärt das nur unbefriedigend. Natürlich sind die Subpopulationen Anpassungen an bestimmte Klimabedingungen, Umwelten und Lebensweisen. Schließlich müssen die verschiedenen Klimabedingungen, mit denen Menschen seit ihrem Aufbruch aus Afrika fertig werden mussten, einen starken Selektionsdruck ausgeübt haben, etwa auf die Gene, welche die Hautfarbe bestimmen oder den Wärmehaushalt steuern. Dawkins vermutet jedoch, dass noch etwas dazu gekommen sein könnte: eine sexuelle Selektion, die an äußerlich sichtbaren Merkmalen ansetzt. (Schon Darwin hat mit ähnlichen Gedanken gespielt).

Kulturgeprägte Spezies Mensch

Dawkins stellt also die These zur Diskussion, dass die bei Menschen so erhöhte Sichtbarkeit von Merkmalen sich wesentlich auch durch sexuelle Selektion entwickelt hat. Und das ganz spezifisch im Fall der Menschen, weil sie eine stark kulturgeprägte Spezies sind: Mit wem wir uns paaren, wird stark von unserer kulturellen Tradition bestimmt. Unsere Kulturen - und manchmal auch unsere Religionen - ermutigen uns dazu, Outsider zu diskriminieren, so dass die Unterschiede von an der Oberfläche sichtbaren Merkmalen, welche es unseren Vorfahren möglich machten, Insider von Outsidern zu unterscheiden, weit über jede Proportion zu den wirklichen genetischen Unterschieden hinaus verstärkt wurden. Selbst wenn es um Biologie geht, sind Menschen also nicht "Natur pur".

Literatur:

Nicolas Wade: Race-Based Medicine Continued, "New York Times" vom 14. 11. 2004;

"Nature Genetics" Vol. 36, No.11s, November 2004. Genetics for the Human race: 10 Artikel und Kommentare über "Rasse" und menschliches Genom.

A.W.F. Edwards: Human genetic diversity: Lewontin's Fallacy. Bioessays 25.8, 798-801, 2003.

Richard Dawkins: The Grasshoppers Tale, Seite 397-414 in "The Ancestors Tale, A Pilgrimage to the Dawn of Evolution". Houghton Miflin Company, Boston, New York; 2004.

Freitag, 19. November 2004

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