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Das maschinelle Messen der Glaubwürdigkeit ist fehlerhaft

Wie wahr ist der Lügendetektor?

Von Peter Markl

Schon die Zurüstung wirkt für europäische Beobachter reichlich mittelalterlich und die Gläubigkeit, mit der die amerikanischen Nachfahren der "Inquisitoren" das Gerät in Anschlag bringen, erst recht. Ganz im Stil der Inquisition beginnt die Prozedur mit dem "Herzeigen der Instrumente", wobei man heute bei der Anwendung des "Lügendetektors" natürlich auf einen Anflug von objektiver "Wissenschaftlichkeit" Wert legt. Der Verhörexperte wird den Verdächtigen vor Beginn des eigentlichen Tests anweisen, doch einmal zu lügen, damit der Polygraph geeicht werden kann - etwa, indem jemand auf die Frage, ob man verheiratet sei, entschieden mit "Nein" antwortet, obwohl das doch nicht wahr ist. Die an der Haut angebrachten Sensoren registrieren die dabei auftretenden Änderungen bei Atemfrequenz, Herzschlag und elektrischer Leitfähigkeit der Haut. Man wird das Ergebnis dem Verdächtigen präsentieren und ihn dadurch ziemlich sicher davon überzeugen, dass der Apparat unfehlbar sei und man seiner Gegenwart besser nicht lügen sollte.

Den Experte selbst interessiert das Ergebnis nicht. Denn schon das Trainingshandbuch des Polygraphen informiert ihn ja, dass diese Prozedur nur ein Trick ist, um die Versuchsperson zu beeindrucken - die Information kommt von wo anders her. Verhörexperten sind darauf trainiert, die Verdächtigen genau zu beobachten, um andere Anzeichen für Lügen zu registrieren, etwa Änderungen in der Stimme und Verhaltensauffälligkeiten - alles Indizien, die mindestens so aussagekräftig sind, wie die so beeindruckend objektiv registrierten physiologischen Messwerte.

Messung und Interpretation

Was auch immer bei polygraphischen Untersuchungen herauskommen sollte: es ist das Resultat der objektiven Messungen und der viel subjektiveren Interpretation des Verhaltens der Verdächtigen im Licht der psychologischen Schulung des Verhörexperten. Es stimmt natürlich, dass physiologische Veränderungen auftreten können, wenn man während eines Verhörs lügt: da beginnen die Hände zu schwitzen und der Puls jagt hoch. Aber das passiert auch fast allen einigermaßen schuldlosen und ehrlichen, aber nervösen Personen, die man unter psychologischen Druck setzt, an ein Gerät anschnallt und mit Fragen bombardiert, auf die sie nur mit "Ja" oder "Nein" antworten dürfen.

Man hat daher die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse polygraphischer Verhöre bezweifelt, seit es die Geräte gibt. Sie wurden 1915 von dem Psychologen William Marston vorgeschlagen und waren nicht seine einzige Erfindung - er ist auch der Vater von "Wonder Woman", einer der ersten Super-Heldinnen der Comic Strips. Man fühlt sich dadurch in ein mysteriöses Umfeld versetzt, sodass man nicht überrascht wäre, bald auf eine Version von Stanley Kubricks Dr. Strangelove zu treffen.

Und so ist es auch: Es waren bis vor kurzem vor allem die amerikanischen Atombombenlabors, welche auf den Routine-Einsatz von Polygraphen eingeschworen waren. Noch bis zum September

2003 führte man dort auf der Suche nach undichten Stellen an die 20.000 Lügendetektor-Untersuchungen durch. Dann aber kam der lang erwartete Bericht der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften mit dem ernüchternden Resultat, dass es nur wenige wissenschaftliche Belege dafür gebe, dass Lügendetektoren tatsächlich, das heißt mit messbarer Wahrscheinlichkeit Lügen erkennen könnten. Seither führt man selbst in den Kernwaffenlabors nur mehr etwa 4.500 Polygraphie-Tests pro Jahr durch.

Daneben gibt es allerdings noch einige andere US-Behörden, in denen man gelegentlich bei Sicherheitsuntersuchungen Polygraphen einsetzt. Aber der Enthusiasmus dafür war schon im Schwinden, als 1998 der Oberste Gerichtshof der USA entschied, dass es den einzelnen Bundesstaaten überlassen bleibe zu entscheiden, ob der Gebrauch von Lügendetektoren als Beweismittel vor Gericht einzuschränken sei. Mittlerweile sind die meisten Staaten dazu übergegangen, den Einsatz vor Gericht ganz zu untersagen. Selbst Andrew Ryan, Forschungsdirektor am Polygraphie-Institut des US-Verteidigungsministeriums, will heute nichts mehr davon wissen, dass man mit Polygraphen einzelne Lügen entlarven könne: "Wir interessieren uns heute für die Glaubwürdigkeit der Leute im Ganzen. Das ist ein viel weiterer Kontext."

Der Verlust des letzten Restes von Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Lügendetektoren ist natürlich in Zeiten wie diesen, in denen der "Krieg gegen den Terror" viele Amerikaner in einen psychologischen Belagerungszustand versetzt hat, eine schmerzliche Erfahrung. Sie träumen immer noch von einer Maschine, die selbst von jemandem, der in einem Ausbildungslager im Reich des Bösen ein Spezialtraining absolviert hat, nicht zu übertölpeln wäre.

Das Schlimme ist nur, dass die Wissenschaft in Bezug auf die Realisierung eines solchen Detektors nachhaltig skeptisch bleibt. Mehr noch, viele Beobachter bezweifeln, dass die heute diskutierten Ansätze je zu vertrauenswürdigen Messmethoden führen würden. Das liegt nicht so sehr an den Messverfahren selbst, als vielmehr an den Schwierigkeiten, die Aussagekraft ihrer Daten realistisch zu bewerten.

Selbst wenn es gelingen sollte, wenigstens im Prinzip zu zeigen, dass informationstragende Signale erzeugt werden können, braucht man noch aufwändige Tests, um ihre Interpretation zu untermauern. Dazu aber braucht man unabhängige Institutionen, welche diese Tests planen und durchführen. Jetzt hat man nur methodische Ansätze, an die vor allem jene glauben, welche an ihrer Weiterentwicklung arbeiten und an positiven Resultaten interessiert sind, weil sie bereits Patente darauf haben.

"Fingerabdruck des Gehirns"

Lawrence Farwell ist ein solcher Fall. Er ist Neurowissenschaftler und Besitzer eines Patentes für eine Maschine, die einen "Fingerabdruck des Gehirns" erzeugen kann, der - so behauptet Farwell - so etwas wie einen Blick in das Gehirn anderer ermöglicht: kein "Lügendetektor", aber doch fast unfehlbar, wenn es darum geht, objektiv zu ermitteln, ob eine bestimmte Information im Hirn der Versuchsperson gespeichert ist. Seit er und seine Maschine vor vier Jahren bei einem spektakulären Mordprozess als "Experten" beigezogen worden waren, kann er über Mangel an Publicity nicht klagen. Gerade jetzt macht er wieder eine Runde durch die Fernseh-Talkshows - von "Good Morning America" der ABC bis zu CNN.

Was er sich patentieren ließ, war eine Methode zur Auswertung des seit Jahrzehnten bekannten elektrischen Feldes, das die synchronisierte Aktivität von Millionen von Neuronen erzeugt, nachdem diese Aktivität durch ein zeitlich gut definiertes Ereignis ausgelöst worden ist. Man kann diese Felder mit Elektroden an der Kopfhaut abtasten und ihre zeitlichen Änderungen registrieren. Wo diese Signale auftreten und wie sie sich mit der Zeit ändern, lässt Rückschlüsse darüber zu, wo die ausgelösten neuronalen Aktivierungsmuster erzeugt wurden und welche Funktion die aktivierten Neuronen haben. So taucht in der registrierten Signalspur etwa 300 Millisekunden nach dem auslösenden Ereignis ein Peak auf, den man P300 getauft hat. 1955 wurde nachgewiesen, dass er mit der Tätigkeit von Neuronen beim Speichern oder Wiederabrufen von Gedächtnisinhalten zu tun hat.

Farwell und Donkin haben dann 1991 in ausgeklügelten Laborversuchen gezeigt, dass man durch das Auftauchen von P300-Peaks zeigen kann, dass eine Versuchsperson von Details eines kurz vorher durchlebten Verbrechens Kenntnis hat: dieser Peak taucht auch dann auf, wenn der Verdächtige dies leugnet. Das gelingt, wenn man den Verdächtigen Elektroden anlegt und ihn dann auf einem Computerschirm mit Begriffen konfrontiert, welche sich auf Details beziehen, die nur jemand kennen kann, der mit der Tat zu tun hatte. Wenn etwa bei einem Mord jemand erschossen wurde, wird man die Namen einer Reihe von Schusswaffenerzeugern einspielen. Wenn der Verdächtige weiß, dass die Mordwaffe von einer bestimmten Firma stammt, wird 300 Millisekunden nach dem Auftauchen des Namens der Firma in seiner Signalspur ein P300-Peak auftauchen, auch wenn der Verdächtige leugnet, mit dem Mord irgendetwas zu tun zu haben.

Lawrence Farwell sieht in der Fahndung nach "Schläfern" oder Spionen eines der Hauptabsatzgebiete seiner neuronalen "Fingerabdrücke". Er vermutet, dass jemand, der in einem Terroristen-Trainingslager mit Hilfe der "Heiligen Schriften" des Terrors konditioniert wurde, sich mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit durch das Auftauchen von P300-Peaks in den Signalspuren verraten würde, wenn inmitten langer Versuchsreihen auch Vokabeln aus diesem Umfeld präsentiert werden.

Kritiker des Verfahrens räumen zwar ein, dass bei Labortests hinreichend verlässliche Informationen zustande kämen, weisen jedoch darauf hin, dass von einem artifiziellen Labortest zu einem praxisnahen Test ein sehr weiter Weg sei. Es gibt bisher erst einen einzigen einigermaßen praxisnahen Test, dessen Resultate veröffentlicht wurden, und dabei war die Trefferquote des Verfahrens nur wenig höher als bei purem Raten. Die Gründe dafür sind unschwer zu finden: es gibt viele Einflussfaktoren, welche die P300-Peaks verändern können.

Tests leicht zu manipulieren

Da P300 beim Abrufen gespeicherter Information aus dem Gedächtnis erzeugt wird, muss man die Information vorher im Gedächtnis gespeichert haben, und damit werden alle die Fragen relevant, welche mit pathologischen Verzerrungen beim Speichern oder Wiederabrufen zusammenhängen - oder mit dem Verblassen von Gedächtnisinhalten mit der Zeit oder unter dem Einfluss von Drogen. Dazu kommt, dass P300-Tests relativ einfach manipuliert werden können. Peter Rosenfeld von der Northwestern University in Illinois hat eine Gruppe von Studenten zu Zeugen eines fingierten Verbrechens gemacht und sie dann mit einer Auflage dem P300-Test ausgesetzt: die Studenten sollten sich vorstellen, dass sie beim Auftauchen jedes neuen Wortes einen Schlag ins Gesicht bekommen würden.

Das Resultat war ernüchternd: zwei Drittel der Studenten produzierten einen P300-Peak auch bei völlig harmlosen Reizworten. Ein solcher Test ist natürlich kaum brauchbar. Lawrence Farwell sieht das etwas anders. Er betont, dass bei den Tests ja nicht nur ein vereinzeltes Reizwort abgefragt würde, sondern eine ganze Reihe von Testworten, und es doch sehr unwahrscheinlich sei, dass dabei jemand etwa sechs falsche Positiva liefern sollte. Darüber hinaus gibt es auch Versuche, Computertomographen, welche funktionelle magnetische Kernresonanzsignale messen und ein Bild von der Verteilung der neuronalen Aktivität im Gehirn liefern, als Lügendetektoren einzusetzen. Einige Vorversuche weisen darauf hin, dass es Hirnregionen geben könnte, die nur dann aktiviert werden, wenn man lügt, nicht aber, wenn man sich einer Lüge nicht bewusst ist.

Letztlich messen Computertomographen die Durchblutungsverhältnisse in den Hirnregionen - also das, was auch Infrarot-Scanner messen, welche schon kleine Veränderungen in der Durchströmung der Kapillaren von Blutgefäßen im Gesicht von Menschen detektieren können. Man wird mit solchen Detektoren sicher auch Lügner entlarven können, welche es in der Kunst, zu lügen, ohne rot zu werden, weit gebracht haben. Aber beim heutigen Stand der Entwicklung scheinen sie etwa so viele falsche positive Tests zu liefern wie die "klassischen" Polygraphen, auch wenn sie wesentlich bequemer anzuwenden sind - schon im nächsten Sommer wird man ein Testmodell ähnlich den gebräuchlichen Fotoautomaten zum Einsatz bringen.

Verräterische Augen?

Im amerikanischen Verteidigungsministerium ist man übrigens dabei zu untersuchen, ob man nicht auch aus den Augenbewegungen einer Person etwas darüber herausfinden könnte, ob jemand etwas zu verbergen habe. Die Augen verweilen nämlich unwillkürlich - so die zugrunde liegende Theorie - um einige Tausendstel Sekunden kürzer auf einem bekannten Objekt als auf einem noch unbekannten Gegenstand. Ein Terrorist wird sich - so vermutet man - daher bei einem Foto des Lagers, in dem er ausgebildet wurde, um Tausendstelsekunden kürzer aufhalten als bei einem Foto von irgendeinem anderen Lager, das er vorher nie zu Gesicht bekommen hat.

Auch wenn einige der instrumentellen Ansätze, vor allem in Kombination mit anderen Methoden, einmal hinreichend vertrauenswürdig werden könnten - eines ist nach dem Urteil aller Experten zur Zeit gewiss nicht in Sicht: eine Maschine, die so zuverlässig arbeitet, dass ihre Resultate keiner Interpretation durch ausgebildete (aber dennoch fehleranfällige) Experten mehr bedürfen.

Der Bericht des Amerikanischen Forschungsrats sieht ein Haupthindernis auf dem Weg zu objektiveren Verfahren in ihrer unabhängigen Prüfung. Weder diejenigen, die mit ihnen Geld verdienen wollen, noch die Regierungsbehörden, die sie einsetzen wollen, sind dafür gute Adressen. Es muss eine klare Trennung geben zwischen denjenigen, die an einem positiven Resultat interessiert sind, und denen, welche die Verifikationstests planen und ihre Durchführung überwachen. Jonathan Knight merkt in "Nature" dazu trocken an: "Ob Gerechtigkeit und Sicherheit von der Einführung neuer Methoden profitieren werden, hängt davon ab, ob es genügend Belege für ihre Vertrauenswürdigkeit gibt."

Sonst bleibt bei der Anwendung nicht hinreichend verifizierter Tests immer die Frage offen, wer denn da wen hereinlegt.

Literatur:

Jonathan Knight: The truth about lying.

Nature, 15. April 2004. Seiten 679 und 692 bis 694.

National Research Council: The Polygraph and Lie Detection. National Academies Press, Washington D. C., 2003.

Freitag, 23. April 2004

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