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Vor 20 Jahren starb der Chemiker und Physiker Engelbert Broda

Politisch engagierte Wissenschaft

Von Peter Markl

Am 26. Oktober 1983, dem Nationalfeiertag, erlag Engelbert Broda während einer Wanderung, zu der er an diesem strahlenden Herbsttag schon früh aufgebrochen war, in der von ihm geliebten Witzelsdorfer Au einem plötzlichen Herzversagen. Freunde und Kollegen haben an dieser Stelle, im heutigen Nationalpark Donauauen gelegen, 1993 eine Platane gepflanzt. Eine kleine Tafel erinnert an den einsamen Tod eines Wissenschaftlers, der sein Land geliebt hat und für das Wiedererstehen Österreichs nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der Emigration gekämpft hat wie wenige Andere.

Man kann vielen der nach 1983 Geborenen kaum klarmachen, wie sehr die politische Geschichte das Leben derjenigen geprägt hat, die wie Engelbert Broda 1910 geboren wurden. Jene politische Haltung, die in manchen Kreisen gelegentlich noch als "unpolitisch" akzeptiert wird, war ihm nie möglich. Seine ersten Erinnerungen fallen in die Jahre nach dem Ende eines verheerenden Krieges, in denen die Schatten autoritärer Ideologien immer drohender auf das anfangs von bitterer Armut und später zunehmend auch von selbstzerstörerischen politischen und sozialen Kämpfen gezeichnete kleine Land fielen - bis es Opfer der Nationalsozialisten wurde, die den nächsten Weltkrieg auslösten.

Engelbert Broda wurde als erster Sohn des angesehenen Wiener Rechtsanwalts Ernst Broda und seiner Frau Viola geboren. In der väterlichen Linie seines Vaters gab es einen berühmten Rabbiner in Prag und in der mütterlichen Linie des Vaters acht Generationen früher Abraham Auspitz, der als "Haupt der mährischen Judenschaft zur Zeit Maria Theresias, bei ihr zeitweise in Ungnade" in den Geschichtsbüchern vermerkt ist. Der Trauerzug beim Begräbnis Kaiser Franz Josefs 1916 gehörte zu Engelbert Brodas frühesten bleibenden Erinnerungen.

Brodas Mutter, Viola Pabst, kam aus einer katholischen Familie von Eisenbahnangestellten; ihr Vater war in der Nähe von Znaim geboren worden und brachte es später zum Stationsvorsteher am Wiener Ostbahnhof. Viola aber wurde 1898 Schauspielerin und trat am Wiener Bürgertheater und am Hoftheater von Mecklenburg-Schwerin auf. Sie heiratete Ernst Broda an jenem Tag, an dem er zum Dr. jur. promovierte. Das junge Paar war in einen wohlhabenden, respektierten, vielseitigen und politisch wachen Gesellschaftskreis eingebunden, in dem Sozialdemokraten und Liberale die damals in Wien geformten neuen politischen Ideen vertraten. (Einer Anekdote zufolge fungierte die Familie vor 1914 sogar einige Zeit lang als Postamt für einen russischen Emigranten namens Leo Trotzki.)

Frühe Prägungen

Der Zusammenbruch der Monarchie hatte für Brodas Familie keine unmittelbaren finanziellen Auswirkungen, aber 1924 zehrte die Inflation Ernst Brodas Vermögen endgültig auf. Der Krieg hat allerdings zwei Menschen geprägt, die auf den jungen Engelbert Broda in den Zwischenkriegsjahren sehr großen Einfluss hatten: seinen Onkel G. W. Pabst, der später ein international anerkannter Filmregisseur wurde, und Egon Schönhof, der an der Ostfront in russische Gefangenschaft geraten war, die russische Revolution erlebt hatte - und zu einem überzeugten Kommunisten geworden war.

E.B., wie ihn seine Freunde nannten, hat später seinem Sohn gesagt, dass es der Umgang mit diesen beiden älteren und politisch erfahrenen Männern war, der ihn dazu brachte, sich als Kommunist zu betrachten. Kontakt zur kommunistische Partei scheint er jedoch erst in seinen ersten Studienjahren aufgenommen zu haben.

Das Eintreten gegen die drohende Naziherrschaft im Rahmen der kommunistischen Partei begann schon bald sein Leben zu bestimmen. Schon 1933, als er sein in Wien begonnenes Chemiestudium in Berlin fortsetzte, wurde er von der Gestapo für zehn Tage inhaftiert und dann aus Deutschland ausgewiesen. (Es war nur die erste einer Reihe von Inhaftierungen, die er wegen seiner politischen Tätigkeiten in Berlin und Wien und 1939 auch zwei Mal - als möglicherweise "feindlicher" Ausländer - nach der Emigration in England über sich ergehen lassen musste.) In den Berliner Tagen, so hat er später gesagt, sei ihm erst wirklich bewusst geworden, wie sehr er mit Österreichs Geschichte und Mentalität verwurzelt war.

Den Überzeugungen treu

Im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder Christian, dem späteren sozialdemokratischen Justizminister, hat Engelbert den Kontakt zur kommunistischen Partei nie ganz abgebrochen, aber sich in seinen letzten drei Jahrzehnten von jeder Parteiarbeit zurückgezogen. Von einem offenen und ostentativen Bruch mit der kommunistischen Partei hielt ihn in den letzten Jahrzehnten seines Lebens vor allem eine Art Treue ab: Treue zu den gelebten Idealen seiner Jugend und Loyalität zu den Gefährten seines Kampfes gegen die Nationalsozialisten.

Was ihm jetzt politisch wichtig war, waren in erser Lineie Fragen jenseits jeder Parteipolitik - Fragen nach der spezifischen gesellschaftlichen Verantwortung der Naturwissenschaftler, der Rüstungskontrolle und Abrüstung und zuletzt Umweltfragen, vor allem sein Eintreten für die Nutzung der Sonnenenergie. Er konnte nur schlecht länger als einige Tage ohne Zeitungen leben: täglich überflog (oder las) er ein halbes Dutzend von ihnen, und er war stolz darauf, dass er nach 1947 kein einziges Exemplar der "Wiener Zeitung" versäumt hatte - sie musste ihm aufgehoben werden, wenn er verreist war.

Die Zeit in England war die zweite, sein Leben nachhaltig prägende Periode, weil damals die Themen auftauchten, die ihn für den Rest seines Lebens beschäftigen sollten. Er fand 1940 im Medical Research Council am University College in London Eingang in eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Umsetzung von Licht in chemische Energie beschäftigte. Broda hat damals eine Arbeit geschrieben, auf die er später sehr stolz war: Er hatte eine Methode gefunden, Sehpurpur (Rhodopsin) in Lösung zu bringen und damit einer weiteren Untersuchung zugänglich zu machen - eine der entscheidenden Vorarbeiten zur Aufklärung der chemischen Mechanismen des Sehens. Man kann darin einen ersten Kontakt mit dem Thema der Nutzung der Sonnenenergie sehen, die Broda in seinen letzten Jahren so beschäftigte.

1941 wurde diese Arbeiten aber abgebrochen, als Broda an das berühmte Cavendish-Laboratorium in Cambridge einberufen wurde, um in einer Gruppe vorwiegend ausländischer Wissenschaftler über Radioaktivität und Kernspaltung zu arbeiten. Man war sich damals in Großbritannien weder darüber klar, ob die Kernspaltung überhaupt militärische Relevanz bekommen könnte, noch wie viel Entwicklungszeit dafür notwendig wäre. Alle englischen Wissenschaftler, die diese Fragen hätten klären können, waren jedoch bereits zu unmittelbar kriegswichtigen Projekten wie der Entwicklung der Radarsysteme oder der U-Boot- und Minenabwehr einberufen worden. Als 1942 Teile des "Tube Alloy Project", so der Deckname des Unternehmens, nach Kanada übersiedelten, entschied sich Broda dafür, in England zu bleiben - eine Entscheidung, die es ihm vielleicht erspart hat, direkt an Projekten zum Bau der ersten Atombomben teilzunehmen.

Es war vor allem in dieser Zeit und in den Bibliotheken der Colleges von Cambridge, dass Engelbert Broda auf die intellektuelle Liebe seines Lebens stieß. Er war damals einer der Leiter der sehr aktiven Cambridger Gruppe der "Freien Österreichischen Bewegung". In einer Zeit, in der noch umstritten war, ob Österreich als Staat nach dem Kriegsende wiedererstehen sollte, begann Broda Belege für die Eigenständigkeit und kulturelle Bedeutung Österreichs - über die Musik und andere Künste hinaus - zu sammeln. Und dabei stieß er auf die Schriften Ludwig Boltzmanns, den er bis dahin nur als großen Physiker gekannt hatte. Wenn es heute allgemein anerkannt ist, dass Boltzmann eine faszinierende Persönlichkeit und ein großer evolutionärer Erkenntnistheoretiker war, so geht das vor allem auf den schmalen Band "Ludwig Boltzmann. Mensch, Physiker, Philosoph" zurück, den Broda 1955 bei Deuticke veröffentlicht hat. 1979 erschien die von ihm betreute Neuherausgabe der populären Schriften Boltzmanns.

Die Beschäftigung mit der österreichischen Wissenschaftsgeschichte, die heute wahrhaft international geworden ist, war in den ersten Nachkriegsjahrzehnten vielfach noch geprägt von einer Verklärung der Verhältnisse während der Regierungszeit des Kaisers Franz Joseph - eine Tendenz, die Broda in wissenschaftshistorischen Essays zu korrigieren versuchte, etwa in seiner 1979 erschienenen Arbeit "Warum war es in Österreich um die Naturwissenschaft so schlecht bestellt?"

Nach seiner Rückkehr an die Wiener Universität hatte Broda seine wissenschaftlich fruchtbarste Zeit. Er begann, seine Kenntnisse der physikalischen Chemie und Radiochemie zur Untersuchung lebender Systeme einzusetzen. Seine herausragende, international renommierte Leistung war sein 1975 erschienenes Buch über die "Evolution bioenergetischer Prozesse" - eine souveräne Zusammenschau all dessen, was man bis dahin über die Evolution jener Prozesse wusste, mit deren Hilfe sich Organismen die Sonnenenergie nutzbar machen.

Kontrolle des Wettrüstens

Sein Eintreten für die Sonnenenergie stand in einem weiteren Kontext: die Erfahrungen mit dem Bau und dem Einsatz der Atombomben hatten ihn davon überzeugt, dass Wissenschaftler ihren Mitbürgern gegenüber die spezifische Verpflichtung haben, sie über die Möglichkeit eines Missbrauches ihrer Forschungsresultate zu informieren - wie es Broda seinem großen englischen Vorbild John Haldane folgend in Hunderten von populären Artikeln getan hat - und dass Wissenschaftler sich für die verantwortungsvolle Umsetzung ihrer Forschungsresultate auch politisch einzusetzen haben.

Broda schloss sich der Pugwash-Bewegung an und wurde 1969 zum geschäftsführenden Vizepräsidenten und 1979 zum Präsidenten der "Vereinigung österreichischer Wissenschafter", des österreichischen Zweigs der Pugwash-Bewegung, gewählt. Diese Bewegung war 1957 und damit am Höhepunkt des Kalten Krieges auf Initiative von Albert Einstein und Bertrand Russel als eine Bewegung von Wissenschaftlern zur Kontrolle des nuklearen Wettrüstens ins Leben gerufen worden. (Sie hat seither ihre Tätigkeit vor allem auch auf Umweltfragen ausgeweitet.) Pugwash und ihr charismatischer langjähriger Präsident Joseph (mittlerweile Sir Joseph) Rotblat haben bei der Vorbereitung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen wichtige technische Vorarbeit geleistet und sind 1995 "für ihre Arbeiten zur Einschränkung der Rolle der Nuklearwaffen in der internationalen Politik und zur vollständigen Abschaffung dieser Waffen auf lange Frist" zu gleichen Teilen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Was die bei Pugwash Engagierten eint, ist die Überzeugung, die Politik habe sich durch die Möglichkeit, nukleare Bomben zu bauen, irreversibel geändert - und die einzige verantwortbare politische Reaktion darauf sei der vollständige Abbau der nuklearen Arsenale. Broda - und mit ihm viele andere in der Pugwash-Bewegung - warnten darüber hinaus vor einem weltweiten Einsatz der Kernenergie, weil selbst nach der Ächtung der Kernwaffen spaltbares Material weiterhin verfügbar wäre, das aus zivilen Kernenergieprogrammen illegal abzweigt werden könnte.

Obwohl er kein absoluter Gegner des Einsatzes der Kernenergie war, hat Broda in der Diskussion um das Kernkraftwerk Zwentendorf in vielen Vorträgen vor den langfristigen Folgen des Einsatzes der Kernenergie gewarnt und dafür plädiert, von ihrem Einsatz in Österreich abzusehen, weil er keine Notwendigkeit dafür sah.

Er hat immer wieder darauf hingewiesen, dass man das Potential der Sonnenenergie noch gar nicht realistisch einschätzen könnte, weil - verglichen mit der Kernenergie - so wenig in Sonnenenergieforschung investiert worden sei - ein Urteil, dessen Gültigkeit sich durch die Entwicklung seither vollends bestätigt hat.

Er, der große Naturwissenschaft als kulturelle Leistung liebte und in der Technik eine Hoffnung für die Zukunft der Menschheit sah, vergaß nie, dass es daneben auch andere Werte abzuwägen galt. Im Oktober 1971, als im Gebiet von Dürnstein ein Wasserkraftwerk errichtet werden sollte, das die herrliche Kulturlandschaft irreversibel zerstört hätte, schlug er in einem Brief an alle Wachauer Bürgermeister die Gründung eines Komitees zum Schutz der Wachau vor. Es hat ihn stolz gemacht, dass er für seinen Beitrag zur Rettung der Wachau 1979 den Österreichischen Naturschutzpreis erhielt.

E.B. war trotz aller Freundschaften, die ihm sehr wichtig waren und die er hegte, letztlich ein zurückgezogener Mensch. Selbst bei engeren Freunden schien er sich nicht so zu Hause zu fühlen wie in seinem einfachen Zimmer am Institut, wo er für unvermittelt auftretende Besucher Exemplare von Joseph Roths Roman "Radetzkymarsch" bereit hielt. Diese Distanz war schon seinen englischen Kollegen aufgefallen, die in ihm auch "eine unerschöpfliche Quelle nutzlosen Wissens" sahen und seinen Widerwillen, an Gesprächen über das Wetter teilzunehmen, bemerkten.

Er hatte eine genaue Vorstellung von einem Tagesablauf in einer für ihn maßgeschneiderten Hölle: "Frühstück im Bett, vormittags Einkäufe, nachmittag Annahme von Geschenken und am Abend der Besuch in einer Disco." Erst Gitta Deutsch, Tochter des Musikwissenschaftlers Otto Erich Deutsch, Lyrikerin und Übersetzerin von hohen Graden und die geliebte Gefährtin seiner letzten Jahrzehnte, vermochte ihn zu einem entspannteren und bequemeren Lebensstil zu bewegen. Ihr Schmerz über seinen plötzlichen Tod hat sich in einem erschütternden Reigen von Gedichten niedergeschlagen.

E.B. hatte geplant, Memoiren zu schreiben, aber er war nie dazu gekommen, weil sich immer Dringenderes dazwischen geschoben hatte. Sein Notizbuch zeigt, dass er in der Woche nach seinem Tod einen neuen Anlauf nehmen wollte.

Freitag, 24. Oktober 2003

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