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Tycho Brahe gilt als der beste Beobachter aller Zeiten: Vor 400 Jahren schloss er für immer die Augen

Der Herr von Uraniborg

Von Christian Pinter

Drei Jahre nach dem Tod des Nikolaus Kopernikus, am 14. Dezember 1546, erblickt Tycho Brahe auf dem Familienbesitz Knudstrup das Licht der Welt. Das südschwedische Schonen zählt damals zu Dänemark. Der kinderlos gebliebene Bruder des Vaters, Jörgen Brahe, setzt sich durch: der kleine Adelige muss bei ihm aufwachsen. Jörgen sieht in Tycho einen künftigen Staatsmann. Er schickt ihn an die Universitäten von Kopenhagen und Leipzig, wo der junge Däne Rhetorik, Philosophie und Rechtswissenschaft studieren soll.

Tycho erwirbt das klassische Werk des Astronomen Ptolemäus. Bald interessieren ihn die Sterne mehr als das Studium. Jörgen stellt ihm einen Aufpasser bei. Ohne dessen Wissen kauft Tycho weitere himmelskundliche Bücher, macht sich mithilfe eines faustkleinen Himmelsglobus nächtens mit den Sternbildern vertraut.

Im Krebs begegnen einander in den Morgenstunden des August 1563 Jupiter und Saturn. Das enge Planetenrendezvous wird schlecht vorhergesagt. Berechnungen, die auf dem anerkannten Weltbild des Ptolemäus fußen, irren deutlich. Aber auch jene, die der neuen, höchst umstrittenen Lehre des Kopernikus folgen, bleiben unbefriedigend. In dieser Situation vermag nur akribische Himmelsbeobachtung die Astronomie weiter zu bringen, schließt Tycho. Oft bleibt er die ganze Nacht wach. Im Geheimen lotet er mit einem einfachen, hölzernen Winkelmessgerät den Sternenhimmel aus.

Duell mit Folgen

Dänenkönig Friedrich II. stürzt 1565 in Kopenhagen vom Pferd und fällt ins Wasser. Jörgen Brahe, jetzt Vizeadmiral der Flotte, springt hinterher. Der König wird gerettet, doch Jörgen holt sich eine Lungenentzündung und stirbt. Sein Neffe zieht von Universität zu Universität. Aus Wittenberg vertreibt ihn die Pest. In Rostock gerät er 1566 in Streit mit einem Landsmann. Jeder behauptet, der bessere Mathematiker zu sein. Der Disput mündet in einem Duell. Es kostet Tychos Nasenspitze. Mit Haftcreme befestigt er einen Ersatz aus Metall. So sieht ihn Basel und Augsburg. Hier visiert er die Sterne schon mit großen Messgeräten an, ermittelt mit so genannten "Quadranten" und "Sextanten" die Winkelabstände zwischen den Gestirnen.

In einem ehemaligen Benediktinerkloster nahe seines Geburtsorts bei Helsingborg richtet der Protestant ein Laboratorium ein. Er liebt die Alchimie, betrachtet sie als Geheimwissenschaft für noble Männer. Als er am Abend des 11. November 1572 vor die Türe des Labors tritt, bleibt er wie gebannt stehen. Hoch droben im Sternbild Cassiopeia leuchtet ein neues, unbekanntes Gestirn, gleißend wie die Venus. Das "himmlische Wunder" sorgt eineinhalb Jahre lang für Verwirrung.

Kein Mensch kann sich an das Auftauchen eines neuen Sterns erinnern. Das Reich der Fixsterne gilt seit dem Altertum als unveränderbar. Vergängliche Erscheinungen wie etwa Kometen werden der irdischen Sphäre, etwa der Luft, zugeordnet. Brahe überlegt: ein nahes Objekt müsste seine Position zwischen den Sternen aus perspektivischen Gründen ändern, wenn man es abends, zu Mitternacht und morgens anvisiert. Er vermisst den Ort mehrmals, findet keine derartige Verschiebung. Also muss der Lichtpunkt sehr wohl der fernen Sternenwelt angehören.

Für Brahe ist er aus dem matten Nebelband der Milchstraße kondensiert. Er kann nicht ahnen, dass er keine Sternengeburt, sondern die Explosion einer Sonne in 10.000 Lichtjahren Distanz beobachtet. 1573 publiziert er über den vermeintlich "neuen Stern". De nova stella macht ihn über Dänemarks Grenzen hinweg berühmt. Auch sein Zeitgenosse William Shakespeare scheint beeinflusst. Vermutlich ist es genau dieser Stern, der am Beginn der Tragödie Hamlet, Prinz von Dänemark, am Himmel über Helsingör strahlt: die Hofleute Güldenstern und Rosenkranz tragen die Namen von Brahes Vorfahren. Übrigens verwenden Astronomen noch heute den Begriff "Nova", haben ihn sogar zur "Supernova" erweitert.

Tychos Familie missbilligt die Verbindung des Adeligen mit der Bauerntochter Kirsten. Sie wird ihm ab 1573 acht Kinder schenken. Er selbst wirkt ruhelos. In Kassel studiert er mit dem hessischen Landgrafen Wilhelm IV. den Sternenhimmel. Dann reist er nach Basel, Venedig und Augsburg. Er will seine Heimat endgültig verlassen. Doch Landgraf Wilhelm überzeugt Dänenkönig Friedrich II., den begnadeten Astronomen zu halten.

Ein Eiland als Lehen

Vielleicht fühlt sich Friedrich in der Schuld des verstorbenen Jörgen Brahe. Jedenfalls bietet er Tycho 1576 das Eiland Ven als Lehen an - mit all "der Krone Pächtern und Dienern".

Ven, auch "Hven" oder "Hveen" genannt, liegt im Öresund, der Meeresstraße zwischen Seeland und der Südwestküste Schwedens. Etwa 40 Bauernfamilien leben damals auf der kaum 5 mal 3 km kleinen Insel, die heute zu Schweden zählt. Beim abendlichen Fischen erblickt Brahe dort am 13. November 1577 erneut ein sehr helles, unvertrautes Objekt am Abendhimmel. Ein handspannenlanger Schweif schält sich aus der Dämmerung. Der Komet zieht vom Schützen ins Sternbild Pegasus, wo er im folgenden Jänner verblasst.

In Flugblättern wird er als schreckliches Zeichen Gottes beschrieben, das Dürre, Aufruhr, Krieg oder Fürstentod ankündigt. Für Gelehrte ist er abermals nur eine Art "Ausdünstung" der Erde. Tycho wiederholt ähnliche Messungen, wie er sie fünf Jahre zuvor beim neuen Stern angestellt hat. Sie rücken auch den Schweifstern in beachtliche Distanz, sicher viel größer als jene des Mondes. Wieder wird ein altes Dogma erschüttert.

Endlich ist Tychos stolze Sternwarte fertig. Urania, himmlische Muse der Astronomie, steht bei der Namenswahl Pate. Uraniborg beherbergt Tychos Familie sowie mehr als 30 Assistenten, Helfer und Schüler. An der Spitze des zweistöckigen Ziegelbaus dreht sich eine Wetterfahne in der Gestalt des mythischen Flügelrosses Pegasus. Später wird das Observatorium mit der wenige Schritte abseits gelegenen Stjerneborg ergänzt. Die Geräte der "Sternenburg" lassen sich windgeschützt in Vertiefungen betreiben.

Nach Tychos Entwurf entstehen mindestens 28 Messinstrumente aus Holz und Messing in der hauseigenen Werkstatt. Pferde und Windkraft treiben die Drehbänke an. Besonders wichtig ist der Mauerquadrant, ein senkrecht an der Wand monierter Viertelkreis mit 2 m Radius. Seine Skala besticht mit einer neuartigen Teilung. Gestirnhöhen lassen sich damit ungemein präzise ablesen. Oft bestimmt nur noch die eingeschränkte Auflösungsfähigkeit des menschlichen Auges die Qualität der Ergebnisse. Die Sterne müssen freisichtig anvisiert werden; das Fernrohr ist zu Tychos Lebzeiten nicht erfunden.

Der Däne berücksichtigt alles: Gerätefehler, die Wirkung der Erdatmosphäre, menschliche Schwächen. Seine Assistenten arbeiten oft in getrennten Gruppen an der selben Aufgabe. Tycho zieht die Ergebnisse ein, bevor ein Abgleich stattfinden könnte. Schließlich hat er die Position von fast 800 Fixsternen ermittelt - viel präziser als je zuvor. Das feine Fixsternnetz hilft, die Bewegungen der Planeten ebenso mustergültig zu kartieren. Mit freiem Auge wird Brahes Leistung nicht mehr übertroffen.

Die größte Sternwarte Europas, zu der auch Papiermühle, Druckerei und chemisches Laboratorium gehören, genießt legendären Ruf. Friedrich II. stellt Schätzungen zufolge ein Prozent der königlichen Einnahmen für das Projekt ab. Tycho revanchiert sich mit Horoskopen.

Der rothaarige Edelmann herrscht über Ven. Er ist nicht nur selbstbewusst und leidenschaftlich, sondern auch arrogant und jähzornig. Schon beim Bau von Uraniborg hatten die Bauern auf königliche Order hin mitanzupacken. Ihre Klagen über schlechte Behandlung reißen nicht ab. 1580 lässt Friedrich II. die Vorwürfe erstmals prüfen.

Bauern in Eisen

Nach seinem Tod spitzt sich der Konflikt zu. Friedrichs Nachfolger, Christian IV., ist erst elf Jahre alt. Wohl nicht ohne Neid verweisen seine Berater auf die hohen Kosten und den geringen praktischen Nutzen von Uraniborg. Bauern würden von Brahe willkürlich in Eisen gelegt, heißt es. Christian befiehlt ihm zunächst besseren Umgang mit den Untertanen. 1596 streicht er sogar sämtliche Zuwendungen.

Nach zwei Jahrzehnten Arbeit auf Ven verlässt Tycho enttäuscht Dänemark. Er zieht zu einem Freund nach Hamburg, verfasst dort eine reich illustrierte Beschreibung seiner ehemaligen Sternwarte und ihrer Instrumente. Dieses Werk widmet er 1598 schlau Kaiser Rudolf II. in Prag. Tatsächlich verschafft ihm der kaiserliche Leibarzt, den Tycho 22 Jahre zuvor in Regensburg kennen gelernt hat, eine Audienz. Rudolf, Alchimie und Astrologie zugetan, bietet dem heimatlosen Dänen Schutz an.

1599 bezieht Tycho mit Kirsten, sechs Kindern, Helfern und Schülern das Schloss Benatek, 35 km außerhalb der Moldaustadt. Bald jedoch möchte der Kaiser seinen Hofastronomen in der Nähe wissen und erwirbt für ihn das Prager Renaissanceschlösschen des verstorbenen Jakob Kurz. Die Instrumente werden im Belvedere aufgestellt.

Tycho propagiert seine eigene Lehre vom Aufbau des Universums. Die Unzufriedenheit der Astronomen mit den Kosmologien des Ptolemäus und des Kopernikus hilft ihm dabei. Bei Ptolemäus kreist alles täglich um die völlig ruhende Erde im Zentrum des Kosmos: Mond, Sonne, Planeten, Sterne. Das alte Weltbild gibt aber die tatsächlichen Planetenbewegungen am Himmel nur ungenau wieder. Besser funktioniert das Modell des Kopernikus. Doch dort wird die Erde selbst nur zum Planeten, zieht mit den anderen um die alles beherrschende Sonne.

Für Brahe und die meisten seiner Zeitgenossen ist die Erde noch ein schwerer, träger Koloss, unfähig jeder Bewegung. Als Anhänger Luthers nimmt Tycho außerdem die heilige Schrift wörtlich - auch den Psalm 104. Demnach hätte Gott die Erde fest auf Pfeilern gegründet; sie würde niemals wanken. So mischt Tycho Elemente beider Systeme. In seinem Weltentwurf kreisen zwar die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn um die Sonne - doch diese zieht damit einmal pro Tag um die zentrale, unbewegliche Erde. Ebenso alle Sterne.

Brahe hofft, diese Kosmologie verfeinern und mit Hilfe seiner Planetenbeobachtungen auch belegen zu können. Dazu bedarf es eines genialen Mathematikers. Er wird auf den schwäbischen Astronomen Johannes Kepler aufmerksam. Als der Protestant im Sommer 1600 aus Graz vertrieben wird, nimmt ihn Tycho mit offenen Armen als Assistent auf. Kepler soll sich vor allem mit der Marsbahn befassen. Der eifersüchtige Däne gibt ihm die Messergebnisse aber nur spärlich preis.

Im Einklang mit der Bibel

Am 13. Oktober 1601 befällt Tycho nach dem Abendmahl bei Baron Rosenberg Übelkeit. Fieber kommt hinzu. Im Urin ist Blut. Vermutlich hat er ein Blasenleiden; auch von einer Vergiftung wird gemunkelt. Der 54-Jährige fürchtet, sein Leben könne vergeblich scheinen. Mit letzter Kraft beschwört er Kepler, die Planetenbewegungen keinesfalls nach Kopernikus, sondern nach dem tychonischen Weltmodell zu berechnen. Am Morgen des 24. Oktober schließt Brahe für immer die Augen. Er wird in der Prager Teynkirche beigesetzt. Kirsten folgt ihm drei Jahre später.

Christian IV. schenkt Ven seiner Geliebten. Die Uraniborg verfällt; Tychos eigentümlicher Weltentwurf ist hingegen noch Jahrzehnte nach seinem Tod beliebt. Die ruhende Erde steht im Einklang zum Wortlaut der Bibel. Auch Galileis Fernrohrbeobachtungen ab 1609 lassen sich damit gut vereinbaren. So favorisieren bald die einflussreichen Jesuiten, erbitterte Gegner der Reformation, aber an der Wissenschaft interessiert, das Modell des dänischen Protestanten. Ihre Missionare lehren es sogar in China. Kopernikus hingegen setzt man auf den Index.

In Prag tritt Kepler Brahes Nachfolge an. Erst aus Tychos Beobachtungsschatz gelingt es dem Kopernikaner, die wahre Form der Planetenbahnen zu entschlüsseln. Es sind Ellipsen - mit der Sonne im gemeinsamen Brennpunkt. Kepler formuliert die Planetengesetze und berechnet damit 1627 die Positionen der Wandelgestirne am Sternenhimmel sehr genau voraus. Diese Präzision ist ein vortreffliches Argument für Kopernikus. Tychos Mischmodell wird letztlich obsolet. Welch Ironie: gerade Brahes exzellente Himmelsvermessungen bringen seine Kosmologie zu Fall.

Freitag, 19. Oktober 2001

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