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Stafford Beer, der Begründer der Management-Kybernetik

Beherrschung von Komplexität

Von Pia Pausch

Der heute 74-jährige, weltbekannte Wissenschaftler Stafford Beer ist als Begründer der Management-Kybernetik in Fachkreisen weltweit bekannt. Er ist Philosoph, Mathematiker, Management-Wissenschafter, Unternehmer, Regierungsberater und Präsident der "World Organization of Systems and Cybernetics."

Professor Stafford Beer wurde 1926 in London geboren. Er studierte am University College of London Philosophie, Mathematik und Psychologie und stand bald vor der Entscheidung, Philosoph oder Mathematiker zu werden - bis ihm klar wurde, dass er beide Ziele in der Kybernetik vereinen konnte.

"Die Kybernetik, die Wissenschaft von komplexen Systemen, ihrer Struktur und des Umgangs mit ihnen ist das Kernstück der von Prof. Stafford Beer entwickelten Management-Kybernetik," bestätigt einer der langjährigen Wegbegleiter Beers, Fredmund Malik. Der aus Vorarlberg stammende Begründer und Leiter des Management Zentrums St. Gallen beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der Anwendung von Kybernetik in der Management-Praxis und ist überzeugt, dass "die daraus entwickelten Methoden Führungskräften gänzlich neue Instrumente geben, um ihr größtes Problem zu lösen: die Beherrschung von Komplexität".

Erkenntnisse für die Praxis

Geprägt von den Erkenntnissen Norbert Wieners und Heinz von Foersters, den aus Österreich stammenden "Vätern" der Kybernetik, war es Stafford Beer stets ein Anliegen, seine Erkenntnisse für die Praxis anwendbar zu machen. Seine innovativen Konzepte und Modelle basieren auch auf den Erkenntnissen von Ross Ashby, Warren McCulloch bis hin zu Buckminster Fuller. Auf diesem Fundament hat Beer ein vielfältiges Instrumentarium für die Reduktion von Komplexität in der Praxis entwickelt, das heute auch im Management von großen Organisationen seine Anwendung findet.

Als führender Wissenschaftler auf diesem Gebiet lehrte er über zwei Jahrzehnte an der University of Manchester, darüber hinaus war er an mehr als 20 Universitäten in Europa, Nordamerika und Canada als Gastprofessor tätig. Er ist Doctor of Law h. c. der Concordia University, Montreal, sowie Honorary Professor an der Liverpool John Moores University. Heute ist er Gastprofessor an Universitäten in Großbritannien, Schweden und an der renommierten Universität von St. Gallen. Sie würdigte Beer erst kürzlich mit dem Ehrendoktorat der Wirtschaftswissenschaften "für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiete der Management-Kybernetik, die der Managementlehre vielfältige Impulse gegeben und den St. Galler Systemansatz geprägt haben".

Stafford Beer wusste stets professorale Lehr- und Forschungstätigkeit mit unternehmerischem oder/und politischem Engagement zu verknüpfen. In der Wirtschaft hatte er Führungsfunktionen aller Stufen inne, und er war Berater von bekannten Internationalen Organisationen sowie zahlreicher Regierungen. Derzeit ist er Chairman zweier Unternehmen in England und Canada und Präsident der "World Organization of Systems and Cybernetics."

Die höchsten wissenschaftlichen Anerkennungen blieben ihm nicht versagt: Stafford Beer erhielt für seine Verdienste um die Kybernetik den "Doctor of Sciences" - den höchsten wissenschaftlichen Rang sowie zahlreiche Auszeichnungen in verschiedensten Ländern und Kontinenten, darunter auch in Österreich.

Besuch in Wien

Im Jahr 1984 wurde Beer in Wien vom damaligen österreichischen Bundespräsident mit der "Norbert Wiener Gold Medal of the World Organization of Systems and Cybernetics" ausgezeichnet. Zum ersten Mal seit damals kam Prof. Beer im Frühjahr dieses Jahres wieder nach Wien, um hier einen Vortrag über die Lebensfähigkeit der Systeme zu halten.

"Jeder Versuch, ganzheitliches Denken mit reduktionistischen Mitteln - also 'kurz' - zu beschreiben, wird fehlschlagen." erklärte Professor Beer den Unterschied zwischen Reduktion von Komplexität und der allgemein gebräuchlichen reduktionistischen Denkweise, die mit der Komplexität auch gleich den Inhalt reduziert - und damit quasi das Kind mit dem Bade ausschüttet, "Man spricht immer von der Reduktion auf das Wesentliche - in Wahrheit wird simplifiziert, bis nichts mehr von der Substanz übrigbleibt. Dies gilt nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Medien und insbesondere für die Politik. Doch komplexe Problemstellungen lassen sich nicht durch Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bewältigen".

Auch die Kybernetik bietet keine Wundermittel, schränkte Professor Beer ein, doch sie bietet eine solide und jederzeit nachvollziehbare Basis.

So lautet eine der kybernetischen Grundregeln: Entscheide erst dann über den nächsten Schritt, wenn du die Auswirkungen des Vorhergehenden beobachtet hast. "Das erzeugt Stabilität", so Beer, "doch Stabilität bedeutet nicht Stillstand. Stabilität ist die Grundvoraussetzung für kohärentes Lernen, Lernen ermöglicht Anpassung, Anpassung ermöglicht Evolution. Das ist Lebensfähigkeit."

Auch die Bewegung weg von Hierarchien und hin zu so genannten "flachen" Organisationsstrukturen erfordert eine wissenschaftliche und kybernetische Basis, so Beer: "Das simple Eröffnen einer Mitmachdiskussion endet üblicherweise im Chaos, dominiert von denen, die am lautesten schreien."

Stafford Beer hat Management-Tools für die Anwendung in der Unternehmenspraxis entwickelt, die die gewünschte Demokratie auf eine solide mathematische Basis stellt und die Planungsschritte der Organisation im Sinne eines lebensfähigen Systems unterstützt.

So ist etwa sein Verfahren der "Team Syntegrity" ein auf mathematischen und kybernetischen Prinzipien beruhender Weg, das verteilte und verborgene Wissen in Organisationen wirksam und vernetzt zu nutzen. Die Durchführung eines so strukturierten Arbeitsprozesses nennt Beer eine "Syntegration".

Die Wahrung des Prinzips der Integrität, kombiniert mit der Nutzung von Synergieeffekten, hat der Methode ihren Namen gegeben: Syntegrity ist ein Wortgebilde aus "synergistischer Tensegrität". Die Methode für die Strukturierung von Zusammenarbeit basiert auf der gleichen Architektonik, wie sie Buckminster Fuller für die geodätischen Dome verwendet hat.

Druck und Zug

"Fuller hat argumentiert, dass Tensegrity oder das gleichzeitige Auftreten von Zug und Druck ein omnipräsenter Aspekt der Natur ist," erklärt Martin Pfiffner vom Management Zentrum St. Gallen, der seit einigen Jahren eng mit Stafford Beer an der Umsetzung dieses Prinzips arbeitet und das Verfahren in namhaften europäischen Unternehmen umsetzt, "Beer überträgt diesen Aspekt auf ein soziales System: Auch eine Gruppe von Personen sucht nach der Kompression ihrer geteilten Auffassung in eine geschlossene Aussage, die mehr als nur ein Konsens im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners darstellt. Und sie ist gleichzeitig der Zugspannung ausgesetzt, die überhaupt erst Diskussion sowie Argument und Gegenargument hervorruft."

Auch globale Fragen wären nach kybernetischen Prinzipien wesentlich besser zu lösen, erklärt Stafford Beer, der bereits 1975 das schillernde Leben des Top-Executives, inklusive Cadillac, Villa und Swimming-Pool, ganz bewusst gegen die Einsamkeit und Einfachheit eines abgeschiedenen Dorfes in Wales eintauschte.

So sieht er die aktuellen Probleme der New Economy und den Absturz der Börsen ebenfalls als Ergebnis des Reduktionismus - wobei man den Inhalt reduziert habe, jedoch nicht die Komplexität. "Es wurde von virtueller Realität gesprochen - der ganze Boom war letztendlich virtuell. Es fehlte die ganzheitliche Sicht der Dinge."

Für Stafford Beer, der neben seiner wissenschaftlichen und unternehmerischen Tätigkeit auch heute noch Yoga und Meditation praktiziert, Lyrik schreibt und Bilder malt, ist ganzheitliches Denken ein wesentlicher Bestandteil seiner Weltsicht: "Mein Mitgefühl gilt jenen auf der Welt, die hungern und keine medizinische Versorgung haben - jenem größeren Teil der Welt also, der von Problemen mit der New Economy und dem Börsenkrach nichts bemerkt hat. Das ist der Kontext, in den wir unsere Betrachtungen und unsere Suche nach Lösungen stellen müssen."

Freitag, 07. September 2001

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