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Vom matschigen Tod der gentechnisch optimierten Flavr-Savr-Tomate

Paradeprodukt Paradeiser?

Von Peter Markl

Wahrscheinlich hatten die meisten in Erinnerung an die kurze Karriere der ersten gentechnisch modifizierten Tomate nur mehr ein etwas gequältes Lächeln dafür übrig, als unlängst die Meldung um die Welt ging, dass man nun eine zweite gentechnisch veränderte Tomate zusammengebastelt hat - Vorläuferin einer neuen Art von Pflanzen, die auf salzreichen Böden wachsen können. Das Lächeln wäre vorschnell, denn man schätzt, dass weltweit etwa ein Viertel der Böden, die bewässert werden müssen, zu viel Salz enthalten und daher landwirtschaftlich nur mehr eingeschränkt nutzbar sind. Das eingesetzte Wasser enthält oft kleine Mengen von Salz, die sich im Lauf der Zeit in den Böden ansammeln, nachdem das Wasser verdampft ist.

Die neue Tomate, ein Produkt von Eduardo Blumfeld von der Universität von Kalifornien und Hong-Xia Zhang von der Universität Toronto, schafft es nicht nur auf salzreichen Böden zu wachsen: man kann mit ihnen die Böden auch entsalzen und gewinnbringende Tomaten-

ernten erzielen. Die neuen Pflanzen tolerieren an die 50 Mal mehr Salz als andere Tomaten, so dass sie selbst dann noch wachsen können, wenn man sie mit Wasser bewässert, das etwa die Hälfte der Menge an Salz enthält, die man in Meerwasser findet.

Wegen der enormen Bedeutung für die Welternährung versucht man natürlich schon seit 30 Jahren die Salztoleranz von Nutzpflanzen zu erhöhen, bisher aber hielten sich die Erfolge in frustrierend engen Grenzen. Die Versuche waren so wenig ermutigend, dass die meisten Gen-Bastler resignierten und ihre Misserfolge damit erklärten, dass Salztoleranz anscheinend eine Eigenschaft ist, bei deren Ausprägung eine so große Zahl von Genen mitwirkt, dass die heutige Gentechnik überfordert ist.

1985 aber entdeckte Eduardo Blumwald ein Transport-Protein, welches Natrium-Ionen in Vakuolen transportieren kann, die man in vielen Pflanzenzellen findet, so dass das Natrium in den Vakuolen angereichert wird. Blumwald konnte dann das Gen, welches für das Transport-Protein kodiert, in der "gläsernen Pflanze" der Genetiker, der Arabidopsis thaliana (vulgo "Gänsekresse") identifizieren und es auch isolieren. 1999 gelang es Blumwald dann, eine hoch salztolerante Gänsekresse zu züchten, indem er die Pflanze durch den Einbau einer Promotorsequenz dazu brachte, die Expression des Gens zu erhöhen.

Jetzt ist dem Team das auch mit Tomaten - und damit der ersten Nutzpflanze - gelungen. Das Erstaunlichste an den neuen Tomaten aber ist die Verteilung des Salzes in diesen Pflanzen: man findet es nur in den Vakuolen der Blätter. Die Tomaten selbst - so wird berichtet - schmecken wie alle anderen Tomaten auch.

Die Botschaft hört man wohl, doch allein, man mag es nicht so recht glauben, da das Aroma kaum einer anderen Pflanze unter den Triumphen der Pflanzenzüchter - genetisch oder auch nicht - so gelitten hat wie gerade das Aroma der Tomaten. Wer heute in eines der handelsüblichen Produkte hinein beißt, kann sich wahrscheinlich nicht mehr erklären, wieso die rote Pracht einmal wegen ihres wunderbaren Aromas "Paradiesapfel" genannt worden war. Und spätestens dann erinnert man sich, dass es ja schon einmal eine gentechnisch modifizierte Tomate gegeben hat, die Flavr-Savr-Tomate - so getauft, weil sie ihr Aroma lange Zeit erhalten konnte. Warum, so fragt man sich, ist es um sie so still geworden?

Unzulängliche Marktnische

Belinda Martineau, auf Pflanzen spezialisierte Molekulargenetikerin, arbeitete von 1988 bis 1995 bei Calgene, der kalifornischen Firma, welche die Flavr-Savr-Tomate produziert hat, und war dabei für einen Teil der Forschungsarbeiten und alle Untersuchungen zuständig, welche notwendig waren, um die neue Tomate auf den Markt bringen zu dürfen. Calgene ist mittlerweile verblichen und daran hatte die Flavr-Savr-Tomate einen wesentlichen Anteil - nicht etwa weil an der Genetik etwas nicht gestimmt hätte oder es irgendeinen Hinweis darauf gab, dass es doch ein Sicherheitsrisiko gäbe, oder dass die Leute auf Grund von Vorurteilen nicht bereit gewesen wären, die Tomaten zu kaufen. Im Gegenteil: bei der Markteinführung der Tomate war die Neugierde so groß, dass man in Kalifornien anfangs nicht mehr als zwei Tomaten pro Nase zugeteilt bekam.

Erst später hat ein Feldzug der Gegner von gentechnisch modifizierten Lebensmitteln dazu geführt, dass einige der größten Lebensmittelhandelsfirmen deklarierten, dass sie keine gentechnisch modifizierten Lebensmittel verkaufen wollten. Zu dem Zeitpunkt aber war die Flavr-Savr-Tomate für sie bereits gestorben - ein zwar sehr fotogenes Produkt, das aber wirklich nicht dramatisch besser schmeckte oder eklatant länger haltbar war, so dass solche Vorteile die Nachteile der Präsenz der Tomaten in den Läden überwogen hatte: ein Teil der Kunden war nämlich mittlerweile skeptisch geworden und reagierte immer irritierter.

Vor allem aber: diese Tomate war ein Produkt, das nicht hielt, was sich die smarten Typen aus der Marketing-Abteilung von Calgene eingeredet hatten, bevor sie damit hausieren gingen. Für sie war - wie Belinda Martineau schreibt - Flavr Savr das, "was der Firma weltweiten Ruhm verschafft hatte, die Hauptstütze ihrer Hoffnung für die Zukunft und letztlich auch die Ursache des Scheiterns der Firma".

Die Manager hatten nämlich für ihr Paradekind eine überzeugende Marktnische ausgemacht: wenn die Flavr-Savr-Tomate nun wirklich auch nach drei oder vier Wochen Lagerung bei Zimmertemperatur, nach denen konventionelle Tomaten bereits deutlich zu schrumpeln beginnen, noch "erntefrisch" aussahen - und man andererseits in den USA bereit war, solche Tomaten um den zweieinhalbfachen Preis zu kaufen, dann war das doch offensichtlich das Marktsegment, das man ansteuern musste.

Wieso frisch geerntete Tomaten im Einzelhandel so teuer sind - dafür interessierte sich niemand aus der dynamischen Manager Crew. Man beschloss, dass Calgene die Flavr Savr Tomate auch in Massen produzieren und verteilen sollte. Leider ging man dabei von einer Annahme aus, vor der einige aus der Entwicklungsabteilung der Firma gewarnt hatten: sie wiesen darauf hin, dass es eine Sache ist, eine Tomate zu produzieren, die sich in den Regalen länger fotogen hielt, - eine ziemlich andere aber, ob diese Tomaten auch in ihrer Struktur so fest sind, dass man sie so transportieren kann, wie die zu früh geernteten gewöhnlichen Tomaten, über deren Geschmack alle Welt lästerte, soweit sie nicht gerade Tomaten zu transportieren hatte. Dass "rispengereift" und "transportgeeignet" zwei verschiedene Eigenschaften sind, hat das Calgene Management dann selbst auf sehr schmerzhafte Art herausgefunden.

Wie Belinda Martineau, die anscheinend zu denen gehört hatte, welche davor gewarnt hatten, mit nachfühlbarer Genugtuung die Szene beschreibt, welche alle Diskussionen beendete, ist nicht ohne Komik: "Der erste Transport-Test mit in Mexiko gepflanzten Tomaten war eine Katastrophe. Man wollte dabei nicht nur testen, ob das Flavr-Savr-Gen es möglich macht, rispengereifte Tomaten über 2.000 Meilen auf einem Lastwagen nach Chicago zu fahren, sondern auch, ob das in großen Transportbehältern möglich sei, aus denen man erst vor Ort dann die kleineren Transporte zu den Händlern abpackt. Als der Lastwagen in Chicago ankommen sollte, wurde er von einer kleinen Gruppe von Calgene-Angestellten, unter ihnen Dan Wagster und der kaufmännische Direktor Kenneth G. Moonie, einigermaßen unruhig erwartet. Wie der Test ausgegangen war, war bereits klar, bevor der Lastwagen zum Stillstand gekommen war: was da hinten herausquoll, war reines Tomatenpüree. Die ganze Ladung war jenseits irgendeiner Möglichkeit, davon noch etwas zu retten. Einer der Calgene Angestellten murmelte fassungslos immer wieder: 'Das war's, das war's'. Zwei andere begannen mit dem Versuch, mit Schneeschaufeln die Sauerei in Abfallbehälter zu füllen. Dan Webster stand in seinem dreiteiligen Anzug da und sah entschieden blasser aus, als vor der Ankunft des Lastwagens. Er philosophierte über Gläser, die halb gefüllt sind: 'Wir sind dabei zu lernen', sagte er, 'das ist alles nur Teil des Lernprozesses, in dem wir uns befinden'. Kenneth Moonie antwortete darauf nur: 'Alles was wir jetzt lernen, ist nur, wie man diese gottverdammten Tomaten wegschaufelt'."

Schwierige Tomatenindustrie

Belinda Martineau hat dazu nur mehr einen eher lakonischen Kommentar. "Und das war", so schreibt sie, "nur der Anfang. Bei Calgene hat man sich dann noch für ein paar Jahre damit beschäftigt, die Fähigkeit, Tomaten herumzuschaufeln und damit Abfallbehälter zu füllen, weiter zu entwickeln. Ganz im Gegensatz zu den anfänglichen Hoffnungen der Firma, konnte das Flavr-Savr-Gen rispengereifte Früchte nicht mechanisch so stabil halten, dass sie wie die unreif geernteten Tomaten verpackt und transportiert werden können. Die Transportabteilung von Calgene musste die firmeneigene Tomate genau so sanft - und teuer - verpacken und handhaben wie andere, rispengereifte Tomaten.

Die Firma hat so gelernt, warum es in den USA die Industrie Mitte der sechziger Jahre aufgegeben hat, sich mit rispengereiften Tomaten herumzuschlagen. Wenn man Leuten glaubt, die in der Tomatenindustrie weitaus mehr Erfahrung haben, als es irgendeiner bei Calgene hatte, ist es - verglichen mit dem Vorhaben einer Reform der Tomatenindustrie - leicht, Tomaten genetisch zu modifizieren. Calgene, mit seiner spärlichen Erfahrung im Vermarkten von Tomaten, hat es nicht geschafft, mit seinem marginalen, aber eben neuen Produkt, Geld zu verdienen."

Der Rest ist schnell erzählt: "Im Frühjahr 1997 hat Monsanto die Firma gekauft. Monsanto hat dann die Flavr-Savr-Tomate aufgegeben - vielleicht, weil man dort Erfahrungen aus erster Hand darüber hatte, wie viel Geld man im Tomatengeschäft verlieren kann."

Heute gibt es genetisch modifizierte Tomaten jedenfalls weder in den USA noch in Europa im Einzelhandel zu kaufen.

Literatur:

Belinda Martineau: Food Fight. The short, unhappy life of the Flavr Savr tomato. The Sciences, Vol. 41 (2001) (No.2), 24 - 29.

Freitag, 31. August 2001

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