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Was zeigen die Leuchtbilder der Hirnforschung?

Messen im Neuronengewitter

Von Peter Markl

Gelegentlich sind es wissenschaftliche Arbeiten, deren Sinn Außenseitern wegen ihrer ebenso unvermeidlichen wie undurchdringlichen Fachsprache schlechthin unzugänglich scheint, in denen alte Rätsel gelöst und für die Forschung Schneisen in die Zukunft geschlagen werden.

Die Arbeit, welche jüngst ein Team vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen in der renommierten englischen Wissenschaftszeitschrift "Nature" veröffentlichte, ist von dieser Art: eine, wie ein bewundernder Kollege in einem beigefügten Kommentar schrieb, "experimentelle 'tour de force'", die zum ersten Mal klar macht, was man eigentlich auf all den tomographischen Magnetresonanz-Abbildungen der menschlichen Hirnaktivität sieht, welche selbst Magazin-Leser faszinieren.

Leuchtende Hirnregionen

Was man sieht, sind Querschnitte durch ein Hirn bei der Ausführung einer kognitiven Aufgabe, in denen die aktiven Hirnregionen geradezu "aufzuleuchten" scheinen. Diesen Eindruck verdankt man natürlich nicht der Neuronentätigkeit in diesen Hirnregionen, sondern den Computerprogrammierern, welche die Regionen umso leuchtender eingefärbt haben, je stärker die Signale waren, die sie von dort empfangen konnten.

Für Außenseiter ist es einigermaßen überraschend zu hören, dass dabei etwas Fundamentales bisher offen blieb: die Frage nämlich, wie im Detail diese Signale zustande kommen. Deshalb waren auch die Zweifel darüber nie verschwunden, wie viel Information über die Aktivität der Neuronen aus diesen Signalen herauszulesen ist. Schon 1881, also vor bereits mehr als 100 Jahren, hatte der italienische Neurochirurg A. Mosso bei neurochirurgischen Operationen beobachtet, dass die Hirnregionen mit verstärkter mentaler Aktivität stärker zu pulsieren schienen, was er sich dadurch erklärte, dass die Aktivität der Neuronen in diesen Zentren offenbar von einer verstärkten Durchblutung begleitet sei.

Seht die Signale

Das ist eine plausible Annahme: das Blut transportiert Sauerstoff zu den einzelnen Zellen, wo er zur Energiegewinnung durch "Verbrennung" von Glucose einsetzt wird. Das Hirn hat, wie man heute weiß, einen enormen Energieverbrauch: selbst in Abwesenheit starker neuronaler Aktivität verbraucht das Hirn bis zu 20 Prozent des Sauerstoffbedarfs des gesamten Körpers, obwohl es nur 2 Prozent der Masse des Körpers ausmacht.

Trotzdem kann diese einfache Erklärung für das immer wieder beobachtete Nebeneinander von verstärkter Neuronenaktivität und gesteigertem Antransport von Glucose und Sauerstoff durch verstärkte Durchblutung nicht die ganze Wahrheit sein: eine detaillierte Bilanz zeigt, dass nach abrupten Steigerungen der Hirnaktivität die Durchblutung und die Konzentration des Sauerstoffs in den aktiven Regionen viel stärker steigen, als es zur Kompensation des Sauerstoffverbrauchs notwendig wäre. Im Gegenteil: es herrscht ein Überangebot an Sauerstoff.

Man erklärt das dadurch, dass in Zeiten akuter Energie-Not die Zellen sich die plötzlich benötigte Energie auf einem anderen Weg verschaffen: sie erzeugen Energie dann durch Glykolyse, dem anaeroben Abbau von Glukose durch ein System von Enzymen, wodurch Energie verfügbar wird, ohne dafür Sauerstoff einsetzen zu müssen. Es gibt auch bereits eine Vermutung, wieso es zu dem vermehrten Einsatz der Glykolyse als Energiequelle kommen könnte: Nervenzellen kommunizieren an den Synapsen untereinander durch ein chemisches Signalsystem.

Sogenannte Neurotransmitter-Moleküle werden von einer Nervenzelle ausgesandt, überqueren dann einen Spalt, der die beiden Nervenzellen trennt, und docken danach an speziellen Rezeptormolekülen an der Oberfläche der nächsten Nervenzelle an.

Im Hirn ist es meist die Aminosäure Glutamat, welche die Botschaft weiterreicht, dass die aussendende Nervenzelle in einem angeregten Zustand ist. Nachdem die Botschaft angekommen ist, werden die Glutamatmoleküle zum Recyklieren an eine Zelle in der Nachbarschaft weitergereicht: dort, in den sogenannten Astrocyten, die keine Nervenzellen sind, wird Glutamat in Glutamin umgewandelt, eine chemische Reaktion, zu der man Energie aufwenden muss.

Und diese Energie beschaffen sich die Astrocyten durch Glykolyse. Der Sauerstoffgehalt des Blutes scheint also vor allem deshalb zu steigen, weil die Astrocyten dabei sind, alle die Neurotransmitter ganz ohne Sauerstoff zu verarbeiten, welche die Botschaft von der Existenz eines angeregten Zustands der Nervenzellen in einer Region verbreitet haben. Deshalb kommt es jedenfalls zu einem Überschuss an Sauerstoff gebunden an Hämoglobin, gelöst im Blut.

Es sind die lokalen Änderungen in der Sauerstoffkonzentration im Blut, die man mit der funktionellen Magnetresonanztomographie aufspüren kann. "Nackte" Hämoglobinmoleküle haben andere magnetische Eigenschaften als Hämoglobin-Sauerstoffkomplexe. Diese Differenz lässt sich messen. Es sind jedoch aufwendige Messungen, die noch dazu sehr präzise sein müssen: bei den üblichen Geräten ändert sich die Größe des Signals nur um 0,1 bis 1 Prozent, wenn eine Hirnregion aktiviert wird.

Sauerstoffspuren

Leider aber ist dieses Differenzsignal nicht allein von der Sauerstoff-Konzentration abhängig, sondern auch von einer ganzen Reihe weiterer Faktoren, etwa dem Blutvolumen und der Geometrie

und Durchströmungsgeschwindigkeit der Blutgefäße, von denen man Signale registrieren kann. (Die Experten sind daher vorsichtig: Sie behaupten nur, dass die beobachtbaren Signale vom Sauerstoffbeladungsgrad abhängige Signale sind. (BOLD signals: blood oxygen-level-dependent signals.)

Von welchen anderen Faktoren diese Abhängigkeit der Signalgröße im Detail bestimmt wird, und vor allem auch die Antwort auf die zentrale Frage, über welche Mechanismen die Aktivität der Neuronen die gemessenen Signale beeinflusst, war bisher noch weitgehend unklar. Das Tübinger Team hat nun diese Frage in einer Art konzentrischer Attacke weitgehend geklärt.

Man hat dazu die Resultate von Techniken, mit denen man über im Hirn geeignet platzierte Mikroelektroden die Aktivität von Neuronen direkt messen kann, mit den Resultaten kombiniert, die man durch eine gleichzeitige Messung mittels eines neu entwickelten, extrem hochgezüchteten Magnetresonanztomographen erhielt.

Man kann solche Versuche natürlich nicht an Menschen machen, so dass man auf Versuche mit Affen angewiesen ist. Sie wurden in Tübingen an Makaken durchgeführt, wobei peinlich darauf geachtet wurde, dass sie für die Tiere schmerzfrei und mit möglichst wenig Stress verbunden waren.

Das Tübinger Team um Nikos Logothetis hat sich auf die Verfolgung der neuronalen Aktivität in den Hirnregionen spezialisiert, in denen visuelle Signale verarbeitet werden. Man hat den Versuchstieren daher als Input die optischen Reize eines Schachbrettmusters geboten. Die millimetergenaue Lokalisation der informationsverarbeitenden Regionen ist natürlich nur möglich, wenn die Tiere während der Versuche still halten, weshalb solche Versuche lange Zeit einfach als unmöglich galten. In Tübingen hat man sie möglich gemacht, indem man die Tiere mit den raffiniertesten und schonendsten Methoden der heutigen klinischen Medizin so anästhesierte, dass sie sich zwar nicht bewegen, wohl aber noch sehen konnten. Erst dann wurden die immobilisierten Tiere so positioniert, dass die genaue Position ihres Kopfes reproduzierbar war. Die Tiere tauchen erst nach dem Experiment aus ihrer Narkose wieder auf und sind 15 Minuten später wieder bei vollem Bewusstsein - ohne erkennbare Nachwirkungen.

Prof. Nikos Logothetis, Leiter der Arbeitsgruppe, ist begeistert von dem, was die Anästhesisten erreicht haben: "Weil diese so vorsichtig anästhesierten Tiere in einem so unglaublich stabilen physiologischen Zustand sind, sind die Versuchsresultate, die man mit ihnen erhalten kann, viel exakter als die Resultate, die man mit wachen Tieren erhält."

Dass die neue Tübinger Technik hochauflösende Bilder in bislang nie erreichter Qualität liefern kann, hat seinen Grund auch in der Magnetresonanz-Maschine, welche die Bruker Medizintechnik dazu in Zusammenarbeit mit dem Tübinger Team gebaut hat: der eingesetzte Magnet liefert eine Feldstärke von 4,7 Tesla und damit eine an die drei Mal so hohe Feldstärke wie die Geräte, die man in modernen Spitälern findet.

Messtechnische Raffinesse

Nicht minder raffiniert waren die elektrischen Messtechniken, welche das Tübinger Team zur gleichzeitigen und viel direkteren Messung der neuronalen Aktivität einsetzen konnte. Mittels der Elektroden bestimmte, steil ansteigende Aktionspotentiale werden durch unmittelbaren Ja-Nein-Reaktionen von Neuronen auf einen Reiz verursacht: sie sind ein Reflex dessen, was die angeregten Neuronen an Output produzieren. Die viel langsameren Änderungen im Potential lokaler Felder spiegeln den Input in die Neuronen und die Signalverarbeitung in den Neuronen wieder.

Der in Tübingen erstmals möglich gewordene Vergleich der Resultate der elektrophysiologischen Potentialmessungen mit den Resultaten der gleichzeitig aufgenommenen Abbildungen der gleichen Hirnregionen durch hochauflösende Magnetresonanztomographie demonstriert nun, das die Anregungsmuster, die man in diesen Abbildungen sieht, in erster Linie den Input in die Neuronen dieser Region und die Signalverarbeitung in diesen Neuronen widerspiegelt.

Die in Tübingen ausgearbeiteten Messverfahren zur gleichzeitigen Durchführung elektrophysiologischer Messungen, begleitet von der nicht invasiven Registrierung der gleichen Hirnaktivität mittels hochauflösender, funktioneller Magnetresonanztomographie machen es jetzt möglich, die Resultate von Versuchen an Affen auf ihre Übertragbarkeit auf Menschen zu testen. Das visuelle System von Affen ist, so weit man es jetzt herausgefunden hat, dem der Menschen in seiner Leistungsfähigkeit und der Art der Informationsverarbeitung sehr ähnlich. Es gibt allerdings Unterschiede. Und deren Ausmaß lässt sich durch die neuen Techniken besser abstecken als je vorher.

Literatur:

Marcus E. Raichle: Bold insights. Nature 412 (12. Juli 2001), 128-130;

Nikos K. Logothetis, Jon Pauls, Torsten Trinath und Axel Oeltermann: Neurophysiological Investigation of the Basis of the fMRI Signal. Nature 412 (12. Juli 2001), 150-157.

Freitag, 03. August 2001

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