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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Wie profitorientiert darf Grundlagenforschung sein?

Goldenes Genom

Von Peter Markl

Bei der Voraufführung letzten Juni schien doch alles noch halbwegs in Ordnung. Auch die Besetzung hätte prominenter nicht sein können: die führenden Staatsmänner von zwei wissenschaftlichen Großmächten, flankiert von den Wissenschaftlern als den eigentlichen Helden, verkündeten in einer Art transatlantischem Pas de deux und in getragenem Ton, dass man demnächst das ganze menschliche Genom durchbuchstabiert haben werde.

Wenig später entzweiten sich die Stars und wollten nicht mehr gemeinsam auftreten. Also beschloss man, unter dem Druck der Vorreklame, nur den Titel des Stücks beizubehalten, die Aufführung mit ein paar neuen Zusätzen zu garnieren und das Schwergewicht des Bühnengeschehens auf neue Aspekte der bekannten Handlung zu verlegen. So kam es auch und ging über die zwei renommiertesten Bühnen der wissenschaftlichen Welt: in der englischen "Nature" erschien eine Sequenz des menschlichen Genoms, die das mit öffentlichen Geldern finanzierte Human Genome Project erarbeitet hat, in der amerikanischen "Science" dagegen eine Sequenz, die aus den Labors der privaten Celera Genomics stammt.

Wem gehört das Genom?

Natürlich kann nicht der geringste Zweifel sein, dass es sich bei den beiden Veröffentlichungen um Meilensteine der Wissenschaftsgeschichte handelt - Informationen, deren wissenschaftliche Fruchtbarkeit schon heute faszinierend ist und in den kommenden Jahren überwältigende Folgen zeitigen wird. Auf lange Frist bilden die neuen Erkenntnisse die Basis von Wissen, welches das Weltbild verändern und die Welt prägen wird.

Der unmittelbare Anlass der beiden Veröffentlichungen aktualisiert allerdings ein Problem, das bei der Voraufführung durch politischen Druck eben nur kaschiert werden konnte: die Frage nämlich, wem die Basensequenz des menschlichen Genoms gehören soll. Ist sie ein gemeinsames Erbe aller Menschen oder etwas, das eine private Firma nur in Rationen zugänglich machen darf? Und vor allem auch: ist das, was jetzt in der "Science" veröffentlicht wurde, noch eine wissenschaftliche "Veröffentlichung" im herkömmlichen Sinn, wie es die Veröffentlichung in der "Nature" ist? Die Basensequenz des öffentlichen Human Genome Project (HGP) ist allen zugänglich, "Science" hat sich dagegen nach längeren Diskussionen mit Celara darauf eingelassen, die Celera-Sequenz zu "veröffentlichen", obwohl die Firma den Zugang zu dieser Information nicht ohne Kompromisse und nur rationiert gestatten will. Darf das Schule machen?

Die Verschränkung der beiden Projekte ist schon jetzt einigermaßen brisant: Celara hat in seiner Basensequenz alle die mit öffentlichem Geld erarbeitete Information integriert. Die Genanalytiker des Human Genome Project haben sich auf ihre Buchstabenfolge erst festgelegt, nachdem sie einen bestimmten Abschnitt der DNA im Durchschnitt 7,5-mal durchbuchstabiert hatten. Celera hat sich das erspart: nachdem man 5,1-mal die Basensequenz gelesen hatte, fettete man das Resultat durch die öffentlich bereits verfügbare Information aus den 7,5 Ablesungen des HGP auf.

John Sulston, einer der führenden Wissenschaftler im HGP, konstatiert jedenfalls, dass mehr als die Hälfte der Daten in der letzten Celera-Version aus dem Human Genome Project stammen. Die Frage ist dann eben: Sollte ein Resultat, in das die Früchte von öffentlich finanzierten Forschungsarbeiten in so hohem Ausmaß eingegangen sind, nicht auch ohne Einschränkungen öffentlich verfügbar sein?

Darüber gehen die Ansichten weit auseinander und es steht zu befürchten, dass die Anhänger des Privatkapitals einmal mehr ihre Barden an die sichtbareren Stellen postieren können. Das klingt dann so wie im "Economist" (vom 17. Februar): "Wenn die Forschung nach Profit strebt, ist das Resultat oft mehr und bessere Wissenschaft."

"Das Genom bleibt gemeinsames Erbe. Die Aktivitäten von Celera hindern andere Leute ja nicht daran, dieses öffentliche Wissen zu verwerten, ja man kann es aus Verkaufsgründen sogar anders verpacken, als es Celera getan hat. Genome sind keine Erfindungen und können daher auch nicht patentiert werden. Celera hat kein Eigentumsrecht am menschlichen Genom als solches, wohl aber über seine Version dieses Genoms. Um es kurz zu machen: dass Celera auf Profit aus ist, war gut für die Wissenschaft und für die Menschheit."

(Der Fairness halber sei eingeschoben, dass im "Economist" normalerweise ganz exzellente Wissenschaftsseiten zu finden sind, deren Redakteure einigermaßen betreten zur Kenntnis genommen haben dürften, wie einfach für den Leitartikler, wenn er's kurz macht, doch alles das ist, was sonst weltweit Sorgen verursacht.)

Der "Economist" hatte leider in dieser Aufgabe auch keinen Platz dafür übrig, daran zu erinnern, dass es nicht etwa die profitorientierte Forschung war, die das Startsignal zur modernen Gentechnologie beisteuerte. Das gelang in einem Universitätslaboratorium im Rahmen eines Forschungsprojekts, das für die Manager des Risikokapitals bestenfalls Beleg für die Irrelevanz der akademischen Grundlagenforschung gewesen wäre. Den Anstoß dazu, ein so gewaltiges Vorhaben wie die Aufklärung der mehr als drei Milliarden Bausteine des menschlichen Genoms in Angriff zu nehmen, kam auch von den akademischen Tagträumern.

Beschleunigte Suche

Die von Craig Venter gegründete Celera ist erst 6 Jahre später, nämlich 1998, in dieses Gebiet eingestiegen, als Venter dämmerte, dass eine andere Methode zur Sequenzierung eigentlich schneller sein müsste: Damals verkündete Craig Venter, dass Celera schon 2001 das menschliche Genom durchbuchstabiert haben würde, was die Wissenschaftler des HGP erst für 2005 in Aussicht gestellt hatten.

Die Konkurrenz durch Craig Venters Park von Sequenziermaschinen hat das öffentliche Projekt zweifellos beschleunigt, und das auch deshalb, weil man befürchtete, Venter wollte die von ihm identifizierten Gene alle sofort patentieren lassen. Es gibt sarkastische Stimmen, die darauf hinweisen, wie schön es doch sei, jetzt zwei Gott sei Dank sehr ähnliche Datensätze zur Verfügung zu haben, und die auch anfügen, wie schlecht man heute dastünde, wenn man das Geld der Steuerzahler nicht dazu bereitgestellt hätte, das menschliche Genom aufzuklären, so dass Venter und seine Geldgeber jetzt zu Kompromissen bei der Zugänglichkeit der Daten gezwungen waren.

Die Frage, welches der beiden Teams über die bessere Methode verfügte, ist allerdings offen und in einem gewissen Sinn weder sehr wichtig noch wirklich entscheidbar: Celera hatte in der letzten Phase des Wettkampfs auf eine Methode zurückgegriffen, die eigentlich eine Modifikation der Methode der Konkurrenz war und auch nur deshalb eingesetzt werden konnte, weil Celera viele der Daten des HGP bereits zur Verfügung hatte.

John Sulston (HGP) findet, dass die beiden Sequenzen einander sehr ähnlich sind, obwohl er eigentlich angenommen hätte, dass die Celera-Version viel besser sein müsste, da sie ja die HGP-Daten bereits berücksichtigen konnte.

Craig Venter versteht nicht, wie Sulston auf so eine Idee kommen konnte, da die Einbeziehung der HGP-Daten, von denen 3-5 Prozent vollkommen durcheinander gewesen seien, zwar gelegentlich Verbesserungen brachte, aber das schon vorhandene Gesamtbild nicht geändert hätte.

Die beiden heute vorliegenden Genomsequenzen ergänzen einander bis zu einem gewissen Grad. Die Sequenz des Human Genome Project wird nicht als endgültige Version angekündigt, da bisher nur ungefähr 33 Prozent der Gene "finalisiert" worden seien, und finalisiert heißt in diesem Zusammenhang "so gut analysiert, dass sich in einem Sequenzabschnitt unter 10.000 Basen nicht mehr als eine falsche Base oder Positionierung befindet". In zwei Jahren sollte auch der Rest "finalisiert" worden sein.

Celera vermeidet natürlich alle Vokabel, die nach Vorläufigkeit klingen, und findet die eigene Sequenz deutlich überlegen, aber die HGP-Konkurrenz weist darauf hin, dass auch diese Sequenz nur vorläufig sein kann, da sie aus einer Aneinanderreihung relativ kleiner Brocken kontinuierlicher Basensequenzen besteht - die längste davon umfasst 2 Millionen Basenpaare, zwischen denen 170.033 Lücken klaffen. Die längste Basensequenz beim HGP ist 28,5 Millionen Basenpaare lang und man findet nur 149.821 Lücken.

Wettlauf der Computer

In all dem Getöse ist fast untergegangen, dass inmitten der Geschichte auch eine ganz altmodisch wirkende Episode verborgen ist: die Geschichte von Jim Kent, dem Graduate Student, der Unglaubliches vollbracht hat. In nur vier Wochen schrieb er ein Programm, für das, so sein Vorgesetzter, fünf bis zehn Programmierer mindestens sechs Monate oder ein Jahr gebraucht hätten. Es geht dabei um jenes Programm, mit dem man die durchsequenzierten Bruchstücke - es sind etwa 400.000 - zu einer langen linearen Sequenz zusammenfügt. Craig Venter und sein Team haben sich dazu den mit vier Terabyte Arbeitsspeicher größten Computer zugelegt, der für nicht militärische Anwendungen verfügbar ist. James Kent überredete seinen Chef dazu, die Universität von Kalifornien dazu zu bringen, für 250.000 Dollar 100 Computer mit Pentium-II-Prozessoren zu kaufen. Am 22. Mai begann er seine Arbeit am Programm, so manche Nacht durchwachte er mit zur Linderung der Schmerzen eisgekühlten Handgelenken. Aber bis 22. Juni hatte er nicht nur 10.000 Zeilen Computerprogramm geschrieben, sondern auch den erfolgreichen ersten Lauf des Programms hinter sich. Er schrieb dann einen speziellen Browser, mit dem man, so man nicht Celara-Abonnent war, den ersten Blick auf den Entwurf des Genoms werfen konnte. Am 7. Juli wurde dieser Browser ins World Wide Web gestellt. Heute registriert man dort pro Tag etwa 20.000 Zugriffe.

Das Thema hat übrigens jetzt auch das deutsche Feuilleton erreicht, vor allem das der "Frankfurter Allgemeinen". Sie hat Peter Sloterdijk, dessen philosophische Bücher in den vergangenen Jahren in Länge und Informationsdichte fast so etwas wie ein philosophisches Analogon zum menschlichen Genom waren, auf Craig Venter angesetzt.

Bei einem chinesischen Essen in Lyon ist er ihm auf den Leib gerückt. Und zwar so gründlich, dass die amerikanische Botschafterin - verblüfft von der Tatsache, dass Sloterdijk an Venter alles andere ungleich mehr interessierte als dessen Arbeit am menschlichen Genom - den Philosophen in schon nicht mehr durch gesellschaftliche Konventionen gedeckter Lautstärke aufforderte, den Mann doch endlich in Ruhe zu lassen.

Aber es hat sich ausgezahlt: Sloterdijk hat herausgefunden, dass der Mann ein wenig Angst vor dem Tod hat und eine größere Jacht kaufen will. Ein Naturwissenschaftler wäre auf so etwas nie gekommen.

Literatur: "New Scientist" vom

17. Februar 2001; "Nature" vom 12. Februar 2001. "Science" vom 16. Februar 2001. "New York

Times" vom 13. Februar 2001.

Freitag, 02. März 2001

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