Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Der Moraltheologe Volker Eid über die Gültigkeit der Zehn Gebote in Zeiten der Biomedizin

Heiligt der Zweck die Mittel?

Von Hans Dieter Viering

Die Naturwissenschaft, die unser Leben besser, schmerzfrei und länger machen kann, stellt die herkömmliche christliche Moral, die Zehn Gebote, ernsthaft in Frage. Durch die Erkenntnisse der Biomedizin werden wir vielfach gezwungen, unsere Moral und unsere gesellschaftlichen Lebensmuster neu zu ordnen. Darüber sprach die "Wiener Zeitung" mit Volker Eid, Professor für Moraltheologie an der Universität Bamberg (D).

Wiener Zeitung: Das erste Gebot: Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Nun haben die Christen aber drei Götter, Gott Vater, Gott Sohn und Heiliger Geist. Widerspricht diese Lehre nicht dem Gebot?

Volker Eid: Nein, es geht hier nicht um drei Götter nebeneinander, sondern um Gott Vater Sohn und Geist. Das sind drei wesentliche Aspekte des einen Gottes. Der Vater als der, der sich dem Menschen ermutigend zuneigt, der Sohn, der als Jesus von Nazareth erwiesen hat, wie dieser Vater eine gerechte Lebenschance für jeden Menschen will; der Geist als die Lebenskraft, die sich dem Menschen anbietet.

W. Z.: Das zweite Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen. Im Namen Gottes ist aber viel Unheil auf der Welt angerichtet worden - und wird noch angerichtet. Gott will den nicht ungestraft lassen, heißt es weiter, der seinen Namen missbraucht. Es hat den Anschein, als ob die Strafe Gottes die Falschen trifft.

Eid: Ja, gerade auch in der Geschichte der Christenheit wurde im Namen Gottes furchtbares Unheil angerichtet. Es gilt aber, dass der Gott, welcher die Lebenschance gerade der in die Armut, in den Hunger, in die Trauer hinein gezwungenen Menschen entsprechend der Bergpredigt Jesu vehement verteidigt, der schärfste Widersacher jeglicher Menschenverachtung, Folter und Ausbeutung ist.

W. Z.: Das dritte Gebot: Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Die Christen feiern jedoch den Sonntag als Ruhetag. Wie erklären sie diesen Verstoß gegen das Gebot?

Eid: Wir sind ja nicht magischen religiösen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Die Juden feiern den Samstag als Sabbat, der Islam hat sich den Freitag erwählt, die Christen haben den Tag der Auferstehung Jesu, also den Sonntag. Wichtig ist an der Feier eines jeden Sabbat die Unterbrechung, die gewährleisten soll, dass Menschen einmal in sich gehen können, dass sie ihr Leben bedenken und vielleicht einmal überlegen, ob nicht "Gott" ihnen auch heute etwas Wichtiges bedeutet.

W. Z.: Wird das vierte Gebot: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, schwanken, wenn durch die Biomedizin die Menschen viel älter werden können?

Eid: Damit haben wir das Problem, dass in unserer Gesellschaft Jugendlichkeit und jugendliche Leistungsfähigkeit sehr hoch gepriesen werden und z. B. bei der Arbeitssuche mit ausschlaggebend sind. Erfolg muss man haben, man muss cool sein, was immer solche Schlagworte auch bedeuten. Man muss sich klar machen, dass es hier nicht nur darum geht, Vater und Mutter zu ehren, dass es vielmehr darum geht, die Menschen, die nicht mehr im Arbeitsprozess stehen, ihre "gesellschaftliche Wertigkeit" verlieren, dass sie vielleicht selber zu sich sagen: du fällst nur noch zur Last, zumal dann, wenn sie pflegebedürftig werden. Ich denke, dass es gerade angesichts der zunehmenden Lebensdauer und der Umkehrung der Alterspyramide darauf ankommt, zwischen den Generationen eine wirklich respektvolle Solidarität zu erzeugen.

W. Z.: Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten, kann so absolut nicht gelten, wenn durch die embryonalen Stammzellen viele Leben gerettet werden können.

Eid: Ja, diese Frage ist natürlich brennend. Es ist wahr, dass man mit Hilfe von embryonalen Stammzellen heute schon viele schwerwiegende Krankheiten heilen oder zumindest lindern kann. Der Standpunkt, den die theologischen Ethiken, sowohl evangelische wie katholische, vertreten, ist aber, dass immer zu prüfen ist, ob ein zweifellos hochrangiger Zweck auch Mittel heiligt, die zumindest sehr problematisch sind, wie die Züchtung von Embryonen, von menschlichem Leben zu allein therapeutischen Zwecken, ohne jede Chance eigener Lebensentfaltung. Ich möchte kein abschließendes Urteil abgeben, aber doch darauf verweisen, dass wir uns diesem Problem ernsthaft und respektvoll stellen müssen: Darf menschliches Leben pragmatisch "verwendet" werden?

Noch gilt hier zu Lande, dass wir den Schutz menschlichen Lebens von Anfang an, also von der Keimverschmelzung an, unbedingt gewährleisten müssen. Aber gleichzeitig kann man nicht übersehen, dass in dieser Welt abertausendfach schon therapeutisches Klonen stattfindet und auch mit therapeutischen Zwecken Embryonen gezüchtet werden. Ich meine, dass es darauf ankommt, nicht einfach nur ja oder nein zu sagen, sondern dass in ernsthaftem interdisziplinärem Gespräch zwischen den Wissenschaften, also zwischen Medizin, Philosophie, Ethik, Sozialwissenschaften, Politik und auch Theologie, die Risiken und Probleme aufmerksam bedacht werden müssen. Es muss in unserer Gesellschaft auch ein Gespür dafür entwickelt werden, dass Embryonen kein "Material" sind, sondern genuines menschliches Leben.

W. Z.: Das sechste Gebot: Du sollst nicht ehebrechen, ist doch zu überdenken, wenn durch die Biomedizin die Menschen 100 Jahre und älter werden können.

Eid: In der Tat hört man aus den Sozialwissenschaften die These, die gegenüber früher viel längere Lebensdauer erhöhe auch die Ehedauer in einer Weise, auf die wir durch die Evolution nicht vorbereitet seien. Ich meine, dass wir solchen angeblichen Gesetzmäßigkeiten nicht schlicht unterworfen sind, dass es vielmehr darauf ankommt, Partnerschaft zu gestalten. Das erfordert Fantasie und Engagement.

Denn keine Partnerschaft bleibt ewig krisenfrei; sie kann auch leicht erlahmen. Auf jeden Fall ist es eine Aufgabe, nicht zuletzt auch der Kirchen, für eine wesentlich bessere Befähigung zu partnerschaftlichem Leben zu sorgen: den Alltag gestalten, ehrliche Kompromisse finden, mit Konflikten einfühlsam umgehen und vieles andere mehr. Auch die Fähigkeit der Versöhnung ist wichtig.

W. Z.: Wird nicht auch das siebte Gebot: Du sollst nicht stehlen, durch die Chancen der Biomedizin zweifelhaft?

Eid: Jenseits der unmittelbaren Richtigkeit des Diebstahl-Verbots ist es wichtig, sich der Tatsache zu stellen, dass die Menschen der reichen Länder auf Kosten der Mitmenschen in den armen Ländern leben und dass in diesen so genannten armen Ländern eine große Chancenlosigkeit besteht, gerade auch was den Zugang zu medizinischen Hilfen angeht: Reiche leben länger, Arme sterben sehr früh. In den armen Ländern sterben jeden Tag Zigtausende von Kindern an Impfmangel und an Hunger. Das ist ein Skandal ohnegleichen. Wäre es Diebstahl, wenn sich die Armen und Chancenlosen eines Tages aufmachten, um sich ihre Rechte, ihre Würde, ihre Lebenschancen einfach zu nehmen? Also hier ist wirklich ein Denken in großen Zusammenhängen notwendig, das die gleichberechtigten Bedürfnisse der Unterprivilegierten anerkennt. Gerade auch aus der Sicht des christlichen Glaubens ist zu sagen: Gott ist an der Seite derer, die weniger Chancen haben.

W. Z.: Das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten, ist wohl unumstritten.

Eid: Es ist unumstritten, aber man muss es richtig auslegen. Das heißt, es geht hier nicht um das Verbot, irgendetwas Böses über einen Menschen herum zu erzählen, obwohl es auch ganz wichtig ist, Andere nicht sozial verächtlich zu machen. Aber ich will auf unsere gegenwärtige gesellschaftliche Situation verweisen. Es kommt darauf an, dass wir uns hüten vor Ideologien, vor fundamentalistischen und gar rassistischen Unterstellungen, gerade auch im Blick auf die hinlänglich bekannte Fremdenproblematik. Wir müssen uns vor Pauschalurteilen hüten und wir müssen ein sehr viel höheres Maß an Selbstkritik und Vorurteilskritik einführen.

Es geht nicht darum, Konflikte zu leugnen, sondern, Gerechtigkeit zu verwirklichen, auf die wir alle angewiesen sind. Das christliche Gebot der Nächstenliebe verlangt nichts Unmögliches, sondern den gerade in demokratischer und pluralistischer Gesellschaft notwendigen Respekt vor einander.

W. Z.: Steht das neunte und zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus noch alles was der Nächste hat, nicht ebenfalls zur Diskussion, wenn die Lebenszeit erheblich verlängert werden kann?

Eid: Nun ja, wir haben das Problem in unserer Gesellschaft, dass sehr viel Konkurrenzdenken besteht. Es wird dadurch erzeugt, dass ein großes Gefälle hinsichtlich der Reichtumsverteilung und der Ressourcenverteilung festzustellen ist. Das Stichwort Arbeitslosigkeit muss hier erwähnt werden, um deutlich zu machen, wie verschieden die Chancen verteilt sind. Ich plädiere nicht für eine pauschale Umverteilung, denn wir leben davon, dass Einige mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten das Gemeinwohl fördern, nicht zuletzt auch das Bruttosozialprodukt. Denn von beiden hängt die soziale Gerechtigkeit ab, hängt die Chance ab, dass junge Menschen eine gute Ausbildung erhalten und Familien eine Chance für ein gutes Zusammenleben.

Es wird darauf ankommen, den Zugang zur gesellschaftlichen Betätigung, das heißt zum sozialen Engagement, sehr viel mehr zu erweitern. Hausfrauenarbeit ist nicht "nur" Hausfrauenarbeit sondern sie ist eine ganz wichtige Arbeit, nicht nur für die Familie sondern auch gesellschaftlich, und ein Ehrenamt ist eine wichtige Sache. Denn der soziale Stellenwert und damit das Selbstwertgefühl von Menschen hängt auch davon ab, dass sie in ihrer Gesellschaft gewürdigt werden.

Freitag, 16. Februar 2001

Aktuell

erlesen: Zwei verwandte Meister der kleinen Form
Kronauer, Brigitte: Sprache, Klang und Blick
Zum Werk der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer
Mann, Erika: Des Dichters Liebling
Zum 100. Geburtstag von Thomas Manns ältester Tochter Erika

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum