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Gondeln in New Yorks Straßen?

Der Meeresspiegel könnte künftig mehr als zehn Meter steigen
Von Georg Breuer

Wird man in einigen hundert Jahren in den Straßen von New York mit Gondeln fahren wie heute in Venedig? Oder vielleicht mit Elektrobooten? Oder werden Stadtteile, die dann unter dem Meeresspiegel liegen werden, mit Deichen und Dämmen geschützt werden wie heute beträchtliche Teile der Niederlande? Oder wird es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten für dieses Problem völlig neuartige Lösungen geben, die wir uns heute genau so wenig vorstellen können, wie sich Menschen vor 300 Jahren hätten Autos, Fernseher oder Computer vorstellen können?

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Einige Jahrhunderte oder gar ein Jahrtausend sind nach den Zeitmaßstäben der menschlichen Geschichte eine sehr lange Periode - viel zu lange, als dass man Aussagen über die bis dahin zu erwartenden wissenschaftlichen, technischen oder auch gesellschaftlichen Entwicklungen machen könnte. Für die Klimaforschung gelten jedoch andere Zeitmaßstäbe. Da kann man mit ziemlicher Sicherheit voraussagen, dass Entwicklungen, die bereits vollzogen sind oder heute vor sich gehen, Spätfolgen haben werden, die erst in einigen Jahrhunderten oder nach einem Jahrtausend in vollem Umfang in Erscheinung treten werden. Und diese Prognosen behalten auch dann ihre Gültigkeit, wenn sich die Staaten dieser Erde im Verlauf des gerade beginnenden Jahrhunderts vielleicht doch noch auf irgendwelche Maßnahmen zur Begrenzung des Treibhauseffekts werden einigen können - was ihnen auf bisherigen Klimakonferenzen, zuletzt im November 2000 in Den Haag ja leider nicht gelungen ist.

Ob die viele heiße Luft, die auf diesen Konferenzen produziert worden ist, nicht auch schon selbst zur weltweiten Erwärmung beiträgt, ist von den Fachleuten meines Wissens noch nicht untersucht worden. Dass solche Konferenzbeschlüsse, wenn überhaupt jemals welche zustande kommen, dann auch noch durchgeführt werden müssen, ist ein weiteres Problem, das vermutlich noch mehrere Generationen beschäftigen wird.

Kein Grund zur Beruhigung

Ein Bereich, in dem langfristige Prognosen möglich sind, ist der Anstieg des Meeresspiegels. Schon vor vier Jahren hat eine von der UNO eingesetzte Kommission für Probleme des Klimawandels (IPCC = Intergovernmental Panel on Climate Change) vorhergesagt, dass bei der in diesem Jahrhundert zu erwartenden Verdopplung des CO2-Gehalts der Atmosphäre der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um 15 bis 100 Zentimeter steigen wird. Das klingt nicht sehr alarmierend, doch nun ist eine neue längerfristige Prognose erstellt worden, die wesentlich düsterere Perspektiven zeigt. In diesem Dokument, das zur Zeit von Fachleuten in aller Welt begutachtet wird und das im Mai 2001 veröffentlicht werden soll, wird laut einem Bericht in "New Scientist" (25. November 2000, S. 5) vorausgesagt, dass der Meeresspiegel auch dann noch viele Jahrhunderte lang weiter steigen wird, wenn es im Verlauf der nächsten Jahrzehnte gelingen sollte, die weltweite Erwärmung auf dem dann erreichten Niveau zu stoppen. Bis zum Jahr 3000 würde dann das Meeresniveau um 7 bis 13 Meter höher sein als heute. Wenn es nicht gelingt, die Treibhausgasemissionen einzubremsen, wird der Anstieg noch rascher und größer sein.

Von einem solchen Anstieg des Meeresspiegels wären Gebiete bedroht, in denen zurzeit mehr als eine Milliarde Menschen leben. Mehr als ein Dutzend kleiner Inselstaaten würden total überflutet und von der Landkarte verschwinden.

Für den Anstieg des Meeresspiegels gibt es zwei Gründe: das Abschmelzen von Gletschereis und die Ausdehnung des Ozeanwassers infolge der Erwärmung. Der zweite Faktor wird oft unterschätzt, denn bei Prognosen für die nächsten 100 Jahre zieht man nur die Ausdehnung der oberen Wasserschichten in Betracht, die bis zur Oberfläche zirkulieren und sich daher verhältnismäßig rasch, das heißt im Verlaufe einiger Jahrzehnte, an die Erwärmung der Atmosphäre anpassen. Bei einem Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur um 3 Grad Celsius würde der durch die Erwärmung der oberflächennahen Wasserschichten verursachte Anstieg des Meeresspiegels etwa 5 bis 15 Zentimeter betragen.

Nach und nach erreicht die Erwärmung jedoch auch die tieferen Schichten der Ozeane. Das wird insgesamt etwa tausend Jahre dauern, doch es ist ein unaufhaltsamer Prozess. Auch wenn die Temperatur der Atmosphäre nicht weiter ansteigt, wird diese Erwärmung in den Tiefen der Ozeane noch viele Jahrhunderte lang andauern. Das wird schließlich zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 0,5 bis 4 Meter führen. Noch mehr ins Gewicht fällt das Abschmelzen von Gletschereis. In den Alpen ist das Volumen der Eismassen seit 1850 um mehr als 60 Prozent zurückgegangen ("Naturwissenschaftliche Rundschau", 8/1997, S. 299). Von anderen Gebirgen gibt es keine so weit zurückreichenden Daten, der Trend ist jedoch für alle Gletscher in niedrigen und mittleren Breiten gleich. Allerdings würde ein totales Abschmelzen aller Gletscher dieser Regionen den Meeresspiegel nur um einige Dezimeter erhöhen.

In den hohen Breiten ist die Entwicklung anders verlaufen. Noch Ende der achtziger Jahre haben Satellitenmessungen der NASA ergeben, dass die Eisdecke in Grönland seit den siebziger Jahren alljährlich um mehr als 20 Zentimeter dicker geworden ist ("Science", Bd. 246, S. 1587, 1989). Auch da war die Ursache die weltweite Erwärmung, die zu stärkerer Wasserverdunstung und mehr Niederschlägen geführt hat, aber in Grönland damals noch immer nicht ausreichte, um ein Abschmelzen der Gletscher zu verursachen. Unterdessen ist jedoch auch dort eine Trendumkehr eingetreten. Seit Ende der neunziger Jahre werden die grönländischen Gletscher kleiner. Die neue IPCC-Studie sagt voraus, dass die Eisdecke über Grönland in langer Perspektive verschwinden wird, wenn die Erwärmung dort mehr als 2,7 Grad Celsius betragen würde. Eine Erwärmung in diesem Ausmaß ist nach heutigen Prognosen wahrscheinlich. Damit würde ein Prozess eingeleitet, der zwar viele Jahrhunderte dauern würde, der aber, wenn er einmal begonnen hat, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr aufzuhalten ist. Je nach dem Ausmaß der weiteren Erwärmung wird er schneller oder langsamer vor sich gehen, aber im Endergebnis wird der Meeresspiegel durch das Abschmelzen der grönländischen Eisdecke um etwa 7 Meter steigen.

Von den ungeheuren Eismassen auf der kontinentalen Ostantarktis wird angenommen, dass sie die zu erwartende Erwärmung ohne nennenswerte Verluste überstehen können. Über die Zukunft der Gletscher in der gebirgigen West-Antarktis gehen die Meinungen der Experten jedoch auseinander. Es könnte sein, dass diese im Verlauf der nächsten tausend Jahre ebenfalls 3 bis 6 Meter zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen werden.

Aus für den Golfstrom?

Das Abschmelzen der grönländischen Eismassen wird wahrscheinlich eine Behinderung der "Pumpen" bringen, die den Golfstrom antreiben, und die könnte schon in diesem Jahrhundert beginnen. Der Golfstrom kommt aus dem heißen Golf von Mexiko, wo mehr Wasser verdunstet, als durch Flüsse zugeführt wird. Sein Wasser ist deshalb salzreich. Auf dem Weg in den Nordatlantik kühlt es allmählich ab und wird so aufgrund seines hohen Salzgehalts schließlich schwerer als das "ortsansässige" Wasser des Nordmeers mit gleicher Temperatur. In zwei Regionen in der Nähe von Island und Grönland sinkt das Golfstromwasser rasch in die Tiefe und strömt dann am Boden des Atlantik bis zur Antarktis. Durch dieses Absinken des Wassers entsteht eine Saugwirkung, die der Hauptantrieb für den Golfstrom ist. Wenn es zu einem starken Abschmelzen der grönländischen Gletscher kommt und viel Süßwasser in die umliegenden Meere gelangt, könnte dadurch das Golfstromwasser verdünnt und sein Salzgehalt vermindert werden. Die "Pumpen", die den Strom antreiben, würden dann nur schwächer oder gar nicht mehr funktionieren ("New Scientist", 8. Februar 1997, S. 26).

Wie sich dadurch die weltweite Zirkulation der Meeres- und Luftströmungen verändern würde, kann niemand vorhersagen. Für West- und Nordeuropa würde eine solche Entwicklung aller Wahrscheinlichkeit nach eine deutliche Abkühlung bei gleichzeitiger weltweiter Erwärmung bringen (siehe "Wiener Zeitung", EXTRA, 8./9. Jänner 1999). Doch das bedeutet vermutlich nicht einfach eine Rückkehr zu Bedingungen, wie sie vor fünfzig Jahren bei uns normal waren.

Für die Generationen unserer Kinder und Enkel wird der zu erwartende Anstieg des Meeresspiegels voraussichtlich noch kein sehr schwerwiegendes Problem sein. Man kann daher argumentieren, dass man die Entwicklung geeigneter Abwehrmaßnahmen den Menschen künftiger Jahrhunderte überlassen sollte, die dafür wohl über bessere technische Voraussetzungen verfügen werden. Doch die Ursachen dieser Entwicklungen wird man dann nicht mehr beseitigen können. Die sind von den Menschen verursacht worden, die heute leben. Wir nehmen damit eine Hypothek auf, für die unsere fernen Nachkommen dereinst werden zahlen müssen.

Wohin mit den Menschen?

Die wohlhabenden Länder werden vermutlich imstande sein, diese Probleme irgendwie zu lösen. Aber was werden die armen Länder machen, die nach allen bisherigen Entwicklungstrends in einigen Jahrhunderten wahrscheinlich noch immer arm sein werden? Wenn ein Dutzend Inselstaaten von der Landkarte verschwindet, ist das für deren Bewohner sehr traurig.

Aber im Weltmaßstab gesehen ist es bei gutem Willen kein großes Problem, für die einigen zehntausend davon betroffenen Menschen eine neue Heimat zu finden.

Doch was soll in Bangladesh geschehen, einem heute schon sehr dicht besiedelten Staat, wo sich die Bevölkerung in diesem Jahrhundert vermutlich noch einmal nahezu verdoppeln wird, wenn immer mehr Land überflutet wird und viele Millionen ihre Heimat verlieren werden?

Weltweit werden in den kommenden Jahrhunderten wahrscheinlich hunderte Millionen Menschen umgesiedelt werden müssen. Wo sollen sie hingehen?

Gewiss, mit der weltweiten Erwärmung werden sich in den nördlichen Regionen von Amerika, europäisch Russland und Asien die Grenzen des Pflanzenwuchses und der Permafrostböden polwärts verschieben und in Gebirgen nach oben.

Das wird nach Übergangsschwierigkeiten zusätzliches bewohnbares und landwirtschaftlich nutzbares Land bringen. Doch die Größe dieser Flächen sollte nicht überschätzt werden. Sie sind jedenfalls viel kleiner als jene, die von Überflutung bedroht sind - und unter diesen sind ganz besonders fruchtbare Regionen.

Freitag, 09. Februar 2001

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