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Gibt es verstecktes Leben auf dem Jupitermond?

Der Traum von Europa

Von Christian Pinter

All diese Welten könnt ihr in Besitz nehmen, bis auf den Jupitermond Europa. Versucht nie, dort zu landen. In Peter Hyams 1984 gedrehten Spielfilm "2010 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen" warnt eine rätselhafte außerirdische Macht die Menschheit vor allzu großer Neugierde; denn auf Europa, so erzählt der Film, entwickle sich gerade neues Leben.

Mit Roy Scheider und Helen Mirren in den Hauptrollen wollte Hyams an den älteren Kultfilm "2001 - Odyssee im Weltraum" anknüpfen. Beide Werke basieren auf Romanen von Arthur C. Clarke. Dieser hatte 1984 nicht zufällig gerade Europa zum Tabu erklärt: Aufnahmen von Raumsonden haben Wissenschaftler seit 1979 spekulieren lassen, ob sich unter Europas Eiskruste ein Weltmeer verstecken könnte. Die Indizien mehren sich.

Wassereis ist häufig im äußeren, extrem kalten Bereich des Sonnensystems. Doch erst flüssig wird es zu jenem Elixier, ohne das wir uns Leben nicht vorstellen können. Neben Saturns geheimnisvollem Mond Titan und unserem Nachbarplaneten Mars gilt Europa heute als "heißeste" Kandidatin zur Suche nach außerirdischem Leben.

Königstochter

Europa wurde 1610 entdeckt. Mit dem gerade konstruierten Fernrohr blickte Galileo Galilei zum Planeten Jupiter hoch. Zu seinem Erstaunen sah er am 7. Jänner zunächst drei, dann vier "kleine Sterne", die ihn umkreisten. Galilei taufte sie "Gestirne der Medici" und das Fürstengeschlecht bedankte sich herzlich. Seine Gesandten verbreiteten Galileis Fernrohre und Schriften in Europa. Der Mathematiker selbst wurde zum Hofphilosophen in Florenz ernannt.

Etwa gleichzeitig mit Galilei stieß Simon Marius auf das Quartett um Jupiter. Er schlug die politisch neutralen, auch heute noch gebräuchlichen Bezeichnungen "Io", "Europa", "Ganymed" und "Kallisto" vor. Damit spielte der Deutsche auf vier der vielen Liebschaften des Göttervaters Jupiter an. Die Griechen hatten ihn unter dem Namen "Zeus" verehrt.

Wie Ovids Metamorphosen erzählen, verliebte sich der mächtige Jupiter einst in die phönizische Königstochter Europa. Als sie mit Gefährtinnen am Meeresufer spielte, näherte er sich in Gestalt eines herrlichen, weißen Stiers. Seine kurzen Hörner sollen "durchscheinender als reine Edelsteine" gewesen sein. Europa streichelte ihn arglos, schwang sich sogar auf seinen Rücken.

Das Tier setzte die Füße ins Wasser, entfernte sich immer mehr vom Ufer und trug das Mädchen übers Meer bis an die Gestade Kretas. Hier erst gab sich der Gott zu erkennen; der Stier wurde an den Sternenhimmel versetzt. Mit Europa zeugte Jupiter nun Minos, den späteren Herrscher der Insel. Europa selbst wurde beim Volk so beliebt, dass man einen ganzen Kontinent nach ihr taufte. Vielleicht spiegelt der Mythos die Entstehung der ersten europäischen Hochkultur wider: aus Kleinasien eingewandert, betrieben die Minoer auf Kreta einen ausgeprägten Stierkult.

Die vier Monde Galileis sind mit Abstand Jupiters größte Satelliten geblieben, auch wenn man dort mittlerweile 13 weitere Trabanten entdeckt hat. Bei einer Erddistanz von bestenfalls 600 Mill. km zeigen sich aber auch Io, Europa, Ganymed und Kallisto im Fernrohr nur als praktisch ausdehnungslose Lichtpunkte. 1961 stellte man am Observatorium Pic-du-Midi in den Pyrenäen Karten ihrer Oberflächen her. Stundenlange Beobachtung am Riesenteleskop förderte gerade fünf verwaschene Flecke auf Europa zu Tage.

Besseren Blick hatten erst Raumsonden. Pioneer 10 und 11 schossen 1973 und 1974 an Jupiter vorbei, die beiden Voyagers folgten 1979. Voyager 2 porträtierte erstmals auch Europa aus der Nähe.

Astronomen erwarteten eine verkraterte Welt ähnlich dem etwa gleichgroßen Erdmond. Doch Europas Haut war glatt und glänzend, fast ohne Höhenunterschiede und zudem noch von einem wirren Netz heller und dunkler Linien überzogen. So etwas hatte man noch nie gesehen. Aufgeregt wurden Analogien wie "zerkratzte Billardkugel", "geplatztes Ei" oder "zerbrochener Glasball" formuliert.

1995 betrat Galileo die Bühne. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern raste die Sonde nicht an Jupiter vorbei, sondern schwenkte in eine Umlaufbahn um den Riesenplaneten ein. Sie führte ihn zwölfmal an Europa heran, erlaubte Detailstudien mit wenigen Metern Auflösung.

3.138 km Durchmesser machen Europa zur viertgrößten Begleiterin Jupiters. Sie umrundet ihn alle dreieinhalb Tage auf leicht exzentrischer Bahnellipse. Ähnlich wie im System Erde-Erdmond treten dabei starke Gezeitenkräfte auf. Mit seinen 318 Erdmassen hat der mächtigste aller Planeten den Satelliten gebundene Rotation aufgezwungen: Sie halten ihm stets die gleiche Hälfte hin. Die Wirkung der Monde auf Jupiter ist gering - nicht jedoch der gravitationelle Einfluss, den Io, Europa und Ganymed untereinander ausüben.

Ios Körper wird von all diesen Kräften so fest "durchgeknetet", dass er die resultierende Hitze nur in Form von gewaltigem Vulkanismus los wird. Vulkane erbrechen Material aus dem Mondinneren auf Ios Antlitz. Die distanziertere Europa kommt besser weg. Ihr Inneres - um einen eisernen Kern spannt sich ein Mantel aus Silikatgestein - wird zwar erwärmt; doch die an den Weltraum angrenzende Kruste ist eiskalt und völlig erstarrt.

Versetzen wir uns im Geist auf Europas eisige Oberfläche. Unsere Heimat, die Erde, ist zum bläulichen Lichtpunkt geschrumpft. Die Sonne schenkt uns nur noch 4 Prozent des gewohnten Lichts; zwei Drittel davon werden vom hellen Eis gleich wieder ins All reflektiert. Eindreiviertel Tage weilt ihr stechend weißes, winziges Scheibchen über dem Horizont, dann bricht die ebenso lange Nacht an.

Flink ziehen Europas Geschwistermonde über das Firmament. Io und Ganymed wirken eineinhalbmal größer als der Vollmond am irdischen Himmel. Sie leuchten auch fast so kräftig. Mühelos machen wir darauf Details aus. Die fernere Kallisto erscheint kleiner, aber immer noch gleißend.

Überwältigend ist Jupiter, jetzt nur noch 671.000 km von uns getrennt. Faustgroß und wie angenagelt hängt er über dem Horizont, sofern wir uns auf der ihm zugewandten Hemisphäre Europas befinden. Auf der anderen bekämen wir ihn nie zu Gesicht. Während er rasch um seine Achse rotiert, studieren wir Wirbelstrukturen in seinen Wolkenbändern. Alle elf Stunden zieht der Große Rote Fleck vorbei.

Jupiter durchläuft in nur dreieinhalb Tagen alle Lichtphasen, die wir vom Erdmond kennen. Als "Neujupiter" gerät er zum riesigen schwarzen Schild zwischen den Sternen. Als "Volljupiter" erhellt er Europa mit der Kraft von 100 Vollmonden.

Eisfelsen

Wir messen -170° C am Boden. Bei solchen Temperaturen ist Eis hart wie Fels und formt beständige Landschaften. Die Höhenunterschiede betragen aber nur wenige hundert Meter. Offenbar ist Europas Kruste nicht imstande, richtige Gebirge zu tragen. Diese Welt ist flacher als etwa das Weinviertel, ja sogar die glatteste im ganzen Sonnensystem. Ihr Eis schimmert bläulich-weiß. Rote und braune Töne verraten mineralische Beimengungen - auch Schwefel, der aus Europas Innerem oder vom Vulkanmond Io stammt.

Ständig prasselt harte Strahlung aus Jupiters Magnetfeld herab. Geladene Teilchen schlagen Moleküle aus dem Wassereis. Der leichte Wasserstoff entweicht, der Sauerstoff bildet die Parodie einer Atmosphäre - mit einem "Luftdruck", der nicht einmal ein Millionstel des irdischen erreicht. Erstes Fazit: An der Oberfläche Europas ist Leben nicht zu erwarten.

Wenigstens ist die Schwerkraft reduziert. Wer auf Erden 100 kg auf die Waage bringt, wiegt hier keine 14 kg. Entsprechend erleichtert hüpfen wir herum. Nur selten treffen wir auf den Wall eines großen Einschlagskraters. Im Gegensatz zu Ganymed oder Kallisto sind diese "Altersflecken" auf Europa rar. Obwohl alle Monde gemeinsam mit Jupiter vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden, wirkt Europas Antlitz nur ein paar Dutzend Jahrmillionen jung. Einzig sinnvolle Erklärung: die Oberfläche wird laufend oder periodisch erneuert.

Gebirgslinien

Wir queren eine der glatten, weiten Eisflächen. Immer wieder stoßen wir auf Europas Version eines "Gebirgskamms". Er erhebt sich nur 300 m hoch, zieht dafür aber tausende Kilometer weit dahin. Aus der Vogelperspektive zeigen sich manche dieser Linien schnurgerade, andere gebogen. Vermutlich quoll hier einst mineralisch verunreinigtes Material durch Risse im Eis an die Oberfläche. Es erstarrte und sank unter dem eigenen Gewicht teilweise wieder in die Tiefe. Assoziationen mit den mittelozeanischen Rücken auf unserem Heimatplaneten drängen sich auf: Dort steigt Magma aus dem Erdmantel empor und bildet neuen Meeresboden.

Nun betreten wir ein chaotisches Terrain, in dem Eisplatten mitsamt der sie durchkreuzenden Linien zerbrochen sind. Die Fragmente haben sich dann offenbar ein wenig verschoben und gegeneinander verdreht. Das Bild erinnert an Packeis in irdischen Polarmeeren. Doch um sich so zu bewegen, müssten die Blöcke einst in Wasser geschwommen oder wenigstens auf relativ warmen Eis dahingerutscht sein. Auch diese Beobachtung lenkt die Aufmerksamkeit auf den Boden unter unseren Füßen. Was liegt zwischen uns und Europas steinernem Mantel?

Möglicherweise ist es bloß eine 100 bis 150 km mächtige Schale aus festem Wassereis. Unsere Träume vom Leben auf Europa wären damit endgültig geplatzt.

Vielleicht fänden wir unter der dünnen Eiskruste aber einen verborgenen, flüssigen Ozean. Er könnte sogar den gesamten Mond umschließen und uns mit Gezeiten von 30 m Höhe überraschen. Unter der Eiskruste wären Meeresbewohner vor der harten Strahlung des Weltraums geschützt. Fehlendes Sonnenlicht würde durch Gezeitenwärme aus dem Mondinneren ersetzt, die Vulkane am Meeresboden antreibt.

Immerhin hat man seit 1979 an den finstersten Plätzen der irdischen Tiefsee ganze Kolonien von Bakterien, aber auch Würmer und Krabben gefunden - in unmittelbarer Umgebung heißer, mineralreicher Quellen. Ähnliche Nischen für Mikroorganismen wären auch auf Europa denkbar.

Gefrorener Ozean?

Es ist, als müssten wir aus ganz wenigen Einzelbildern eines Spielfilms die gesamte Handlung rekonstruieren. All unsere Beobachtungen beim Spaziergang auf Europa sind Indizien, aber keine Beweise für die Existenz eines versteckten Ozeans. Geysire haben wir vergeblich gesucht. Vergleichen wir Galileos Aufnahmen mit den älteren Voyager-Bildern, entdecken wir keine Veränderung: Europas Antlitz scheint ohne Regung.

Vielleicht ist das hypothetische Weltmeer wieder zu Eis erstarrt. Eine solche Katastrophe ausgerechnet während der letzten paar Millionen Jahre anzunehmen, erscheint uns zwar recht willkürlich - ganz auszuschließen wäre ein periodisches Wechselspiel von Verflüssigung und Vereisung aber nicht. Komplizierte zyklische Gezeiteneffekte könnten es bewirken.

Für ein noch immer flüssiges Meer spricht Europas überraschend intensives Magnetfeld. Es scheint von starken elektrischen Strömen im Untergrund zu stammen, die wiederum von Jupiters Magnetfeld induziert werden. Und solche Ströme entstehen am leichtesten in Salzwasser.

Zurück zur Erde: Jupiter gleißt jetzt ausgerechnet im Stier - so als wollte uns der Gott an sein Liebesabenteuer auf Kreta erinnern. Wir sehen Europa gleichsam "auf seinem Rücken reiten", wenn wir ein Fernglas, am besten ruhig auf einem Stativ montiert, zu ihm richten. Das Instrument zeigt seine großen Monde, etwa so, wie sie einst Galilei sah.

Hat sich der Abendstern Venus erst einmal im Westen verabschiedet, ist Jupiter hellster Lichtpunkt am Nachthimmel und somit kaum zu verwechseln. Eine Faustbreite rechts von ihm leuchtet der schwächere Saturn, Flugziel der Sonde Cassini. Sie zieht am 30. Dezember 2000 auch an Jupiter vorbei, leistet Galileo kurz Gesellschaft.

Europa erhält keinen Besuch. Definitive Antworten sind daher erst vom Europa-Orbiter zu erwarten. Er soll 2006 aufbrechen und die Kruste Europas mit Radarwellen durchdringen. Vielleicht findet er eine Stelle mit besonders dünnem Eis. Sie wäre für eine noch fernere Mission interessant, die Mini-Unterseebote absetzt. Die im Film "2010" ausgesprochene Warnung vor einer Landung auf dem Jupitermond wird die NASA wohl ignorieren.

Freitag, 24. November 2000

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