Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Selbstsüchtige Moleküle

Der Biologe Richard Dawkins entzaubert die Evolution und vertieft das Staunen
Von Peter Markl

Wer eine erste Erklärung dafür sucht, warum bei der Erwähnung von Richard Dawkins viele Biologen immer noch ostentativ kühl reagieren, braucht nur seine Website zu besuchen: da ist jemand, der offensichtlich gut aussieht, als Schüler des Nobelpreisträgers Niko Tinbergen begann und zu einem der prominentesten Evolutionstheoretiker der Welt wurde; der mit einer schönen und in England berühmten Schauspielerin verheiratet ist, ein bewundernswerter (und dadurch auch reich gewordener) Schreiber und ein gefürchteter Polemiker ist, mit wenig Geduld, wo er bedeutend vorgebrachte verwirrte Ideen vermutet. Schon das hätte ihn nicht gerade für eine allseits geschätzte Rolle im ziemlich konformistischen akademischen Getriebe prädestiniert.

Evolution als Religionsersatz

Dazu kommt noch, dass er ein militanter Atheist ist, der eine Welt zeichnet, welche auch die Liebhaber einer religiös nur noch getönten Weltsicht schockiert und da sind viele von denen nicht ausgeschlossen, denen eine entsprechend interpretierte Evolutionstheorie als Religionsersatz dient. Am Ende seines berühmten Essays über "Gottes Nutzenfunktion" konstatiert Dawkins: "Das Universum, das wir beobachten, hat genau die Eigenschaften, die wir erwarten würden, wenn es, von niemandem geplant, keinen Sinn hat, weder Gut noch Böse kennt, und nichts ist als blinde, unbarmherzige Gleichgültigkeit."

Wie Dawkins die Argumente diskutiert, mit denen viele versuchen, diesem Schluss zu entgehen, erweckt bei seinen Diskussionspartnern immer wieder auch den Eindruck, dass er nicht nur ihre Ansichten für falsch, sondern sie selbst auch einfach für dumm hält. Andrew Brown hat in seinem unterhaltsamen Buch "Darwin Wars", in dem er auch auf Dawkins Auseinandersetzungen mit kaum weniger prominenten (und nicht minder gut schreibenden) Fachkollegen wie Stephen Jay Gould eingeht, sehr gut charakterisiert, was Richard Dawkins von anderen führenden Evolutionstheoretikern, auf deren Arbeit sich Dawkins immer wieder bezieht, unterscheidet etwa von dem vor kurzem verstorbenen George Hamilton, der die Grundlagen der heute weitgehend akzeptierten Vorstellungen über die Evolution von Altruismus schuf, oder dem großen alten John Maynard Smith, dessen "Theory of Evolution" als Penguin-Taschenbuch erschien: "George Hamilton hat nie versucht, seine Ideen zu popularisieren. Im Gegensatz dazu hat Maynard Smith ein populäres Lehrbuch geschrieben. Es ist wunderbar klar und genau. Aber er ging von der Annahme aus, dass der Leser etwas lernen will. Dawkins aber schreibt, als ob das, was er zu sagen hat, für jeden von überwältigender Bedeutung ist, ob man etwas davon erfahren will oder nicht. Ich kenne niemanden, der eines seiner Bücher gelesen und es nicht sprühend vor Ideen weggelegt hätte. Einige dieser Ideen können ganz falsch sein oder auch nebensächlich aber das gilt schließlich für jeden Autor. Und es gibt sehr wenige andere, denen es so gut wie Dawkins gelungen ist, den Weg zu einer ganz neuen Art von Fragen über die Welt frei zu machen."

Andrew Brown hat auch auf etwas hingewiesen, das einen weiteren Teil der erregten Diskussionen um Dawkins erklärt: "Wenn so viel ansteckender Enthusiasmus schon nicht durch seine Gene erklärt werden kann, lass uns eine andere Art von Geschichte vorschlagen: Als er 1941 in Nairobi geboren wurde, hatten sich die Feen um die Wiege versammelt. Die gute Fee gab ihm Intelligenz, gutes Aussehen, Charme und einen Lehrstuhl in Oxford, den man speziell für ihn einrichten würde. Die böse Fee sah ihn sich eine Weile an und sagte dann: Ich gebe ihm die Gabe, Metaphern zu erfinden."

Der Fluch der bösen Fee begann sich auszuwirken, als Dawkins in den späten Sechzigerjahren Niko Tinbergen, der gerade für ein Jahr beurlaubt worden war, vertrat: er übernahm damals eine Anfängervorlesung über Evolutionstheorie und beschloss, gleich damit einzusteigen, dass er erklärte, was an der Idee der Gruppenselektion seiner Ansicht nach nicht stimmen konnte, woran sich fugenlos eine Diskussion der Grundlagen der Theorie der natürlichen Selektion anschloss: "Damals ist mir alle diese Rhetorik eingefallen von den Genen, die von Generation zu Generation springen und die Körper nur Instrumente zur Erzeugung der nächsten Generation von Genen dabei zurücklassen. Ich habe diese Rhetorik dann auch in Vorlesungen verwendet, die ich in Berkeley, Kalifornien hielt. Als ich dann nach Oxford zurückging, dachte ich, dass es eine gute Idee sei, alles das auch als Buch niederzuschreiben."

Egoistische Gene

So entstand Dawkins berühmtes und mancherorts berüchtigtes Buch: "Das egoistische Gen", in dem sich metaphernreiche Sätze finden wie zum Beispiel dieser: "Wir sind Überlebensmaschinen, Roboter, blind programmiert zur Erhaltung selbstsüchtiger Moleküle, die Gene genannt werden." Besonders wenn man die Metaphern aus dem Zusammenhang reißt, bieten sie Gelegenheit zur Empörung. Man empfand es als Entwürdigung von Menschen, sie als blind programmierte Roboter zu sehen und warnte vor denjenigen, die diese Metaphern ernst nehmen und darangehen könnten, die Roboter umzuprogrammieren oder als für bestimmte Zwecke unbrauchbar zu eliminieren. Viel von der Kritik war ihrerseits Rhetorik, mit der man auf gewollte oder ungewollte Missverständnisse reagierte, man muss schließlich nicht zu den Eingeweihten zählen um zu erkennen, dass es sich um eine Metapher handeln muss, wenn jemand ein Molekül "egoistisch" nennt.

Die Frage nach der Rolle von Metaphern und danach, ob die Naturwissenschaft wirklich die Welt in unverantwortbarer Weise entzaubert und dadurch zu einem öden Ort von deprimierender Trostlosigkeit macht, steht im Zentrum von Dawkins jüngstem, nun auch auf Deutsch vorliegenden Buch mit dem Titel "Der entzauberte Regenbogen".

Dawkins, heute erster Inhaber des von Microsoft 1995 gestifteten Charles-Simonyi-Lehrstuhls für öffentliche Wissenschaft, bezieht sich in seinem Titel auf ein Gedicht, das der englische Romantiker John Keats 1820 schrieb, in dem er klagt: "Flieht nicht alle Magie / Vorm bloßen Hauch kalter Philosophie? / Stolz stand am Himmel einst der Regenbogen: / Bekannt sind Bau, Textur; sind einbezogen / in einen Katalog der Alltagsdinge./ Philosophie stutzt eine Engelsschwinge,/ Ficht Wunder an durch Regeln und Axiome, / Leert die beseelte Luft, den Schacht der Gnome - / Entzaubert den Regenbogen . . ."

Keats war in dieser Haltung nicht allein, die englischen Romantiker hatten alle ein gebrochenes Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Coleridge zum Beispiel hatte eine Abneigung speziell gegen Newton. Er verstieg sich zu der Behauptung: "Die Seelen von 500 Newtons würden gebraucht, um die Begabung eines Shakespeare oder Milton aufzuwiegen." Naturwissenschaftsfeindlichkeit in verschiedenen Abstufungen war keinesfalls eine Eigenheit der englischen Romantiker. Literaturbegeisterte, welche sich die Mühen der Naturwissenschaften nicht antun wollen, zitieren hierzuland nicht selten mit Zustimmung Novalis, der ein wunderschönes Gedicht schrieb, in dem Ähnliches anklingt: "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / sind Schlüssel aller Kreaturen, / wenn die, so singen oder küssen, / mehr als die Tiefgelehrten wissen / . . . Dann fliegt vor einem geheimen Wort / das ganze verkehrte Wesen fort."

Dawkins Buch ist der beredte Versuch, zu zeigen, dass die Naturwissenschaften die Welt nicht etwa entzaubern, sondern das Staunen nur noch vertiefen und ein Plädoyer dafür, dass Schriftsteller sich darauf einlassen sollten. Die Zerlegung des Lichts des Regenbogens in Spektrallinien möge zwar einige bewährte poetische Metaphern jetzt blasser aussehen lassen, aber der "Strichcode" der Spektrallinien hat Unerhörtes über Werden und Vergehen der Sterne und des Kosmos erkennen lassen.

Informiertes Staunen ist tiefer als uninformiertes Überraschtsein etwa die Überraschung durch vermeintlich bedeutungsträchtige Zufälle im Alltag, oder die Koinzidenzen, welche juridische Experten zu unrecht beeindrucken, wenn sie den "Strichcode" der DANN-Analysen interpretieren sollen gegen beides hilft eine Dosis Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Uninformiertes Staunen

Dawkins polemisiert sehr unterhaltsam nicht nur gegen alle, denen - wie etwa Astrologen oder Geistersehern uninformiertes Staunen zur Geschäftsgrundlage geworden ist, sondern auch gegen diejenigen im Publikum, welche sich die kalkulierten Schauer nicht durch Wissenschaft verderben lassen wollen. Und er kommt wieder auf die Legitimität von Metaphern zurück: nachdem er sich in einem Kapitel der verdrießlichen Praxis mancher Autoren annimmt, ihre Wissenschaft "mit wolkigen Symbolen von höchster Romantik" aufzumöbeln (alte intellektuelle Sparingpartner wie Steven Jay Gould kommen dabei erneut in den Scheinwerferkegel), verteidigt er einmal mehr seine Rhetorik von den "egoistischen" Genen, die man doch auch als "egoistische Kooperatoren" sehen muss.

Dawkins fügt dann ein Kapitel an, das seine erhellende Fähigkeit, Altes in neuem Licht zu sehen, erneut demonstriert: Er unterstreicht, dass das Genom eines Lebewesens nicht nur eine Bauanleitung zum Bau der nächsten Generation ist, sondern auch eine Art genetisches Totenbuch, in dem die Erfahrungen aller evolutionären Vorfahren ihre Spuren hinterlassen haben.

Die letzten beiden Kapitel widmet er Erwägungen über das Gehirn, der Koevolution zwischen Gehirn und Sprache, sowie der Evolution anderer Gehirnleistungen. Es verblüfft etwas, dass Dawkins sein Buch nicht enden lässt, ohne eine Metapher zu hätscheln, welche wahrscheinlich die verzichtbarste aus seiner Metaphernschmiede ist: die vage Metapher von Gedankeninhalten als "Meme" - eine Art von "Kulturgenen", die er bei der Erkundung der (nicht minder vagen bis falschen) Analogie zwischen genetischer und kultureller Evolution anfangs wohl nur halbernst in die Welt gesetzt hat.

Dort haben die Meme mittlerweile ein verdrießliches Eigenleben entwickelt, das Dawkins jetzt offensichtlich mit mehr Beachtung verfolgt, als man ihm zugetraut hätte. Dawkins jüngstes Buch ist eine würdige Fortsetzung der Serie seiner Bücher: klar, kenntnisreich, gut und mit so viel Fantasie geschreiben, dass es schwer fällt, es aus der Hand zu legen.

Richard Dawkins: Der entzauberte Regenbogen. Wissenschaft, Aberglaube und die Kraft der Fantasie. Deutsch von Sebastian Vogel. 416 Seiten, Rowohlt-Verlag GmbH. 2000. ISBN 3 498 01312 2

Freitag, 28. April 2000

Aktuell

Geschlecht: Uneindeutig
Mann oder Frau? – Alex Jürgen ist "ein bisschen dazwischen"
Kriege, Lügen und Videos
Wozu dienen Schreckensbilder? – Befunde über den Kriegs- und Krisenjournalismus
Von Alcopops bis Zickenalarm
Der neue Duden (23. Auflage), der umfangreichste aller Zeiten, enthält 125.000 Wörter

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum