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Die Wissenschaft muss ihren Weg in die Öffentlichkeit jenseits gängiger Marketing-Strategien finden /

Tiefgang statt Hochglanz

Von Peter Weingart

In der „Zeit" vom 4. Februar 1999 erschien ein Bericht über die Jahrestagung der amerikanischen Wissenschaftsgesellschaft AAAS, auf der ausgerechnet ein
Europäer, der Wissenschaftsberater des englischen Premierministers, Robert May, die spannendste Rede gehalten habe. Es reiche nicht mehr, dass „eine Versammlung gut angezogener, älterer Experten
dem Publikum sagt: ,So liegen die Dinge, glaubt uns.`" Vielmehr müsse die Politik besser beraten, das Publikum mehr einbezogen und seitens der Wissenschaft gelernt werden, „mit dem Vertrauen
der Bürger besser umzugehen." May stellte eine Diagnose, die in der Wissenschaft noch längst nicht überall angekommen ist, obgleich ihre Ursachen über zwanzig Jahre zurückreichen und sie in der
einschlägigen Literatur auch ebenso lange verfügbar ist: eine naturgegebene Autorität wissenschaftlicher Expertise gibt es nicht mehr. „Es ist unwiderruflich vorbei." Die Schlussfolgerung
daraus drängt sich unmittelbar auf. May: „Wir dürfen nicht mehr nur Weisheiten verteilen, sondern müssen den Austausch verschiedener Meinungen moderieren."

Es geht also um das Verhältnis der Wissenschaft zur Öffentlichkeit, aber die Form ist strittig. Die von May kritisierte Form ist diejenige, die seit dem 19. Jahrhundert besteht: in einer noch
vordemokratischen Gesellschaft hat die Wissenschaft beinahe die ihr auch von der Öffentlichkeit zugeschriebene Rolle und Autorität eines höheren Standes. Die von May eingeklagte Form ist die der
demokratischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts angemessene: Die Wissenschaft ist gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig, sie genießt noch immer eine hohe Anerkennung als Institution.
Sie gilt aber nicht als prinzipiell neutral, interesselos und deshalb glaubwürdig, sondern sie kann ihre Glaubwürdigkeit in der Konkurrenz um Aufmerksamkeit mit der Politik und den Medien schnell
gefährden. Deshalb muss sie den Umgang mit der Öffentlichkeit im Stil des politischen Dialogs unter Gleichen pflegen, sie muss die Sichtweisen und Interessen der Gesprächspartner kennen und
respektieren und auf sich selbst beziehen.

Dieter Simon, der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, hat in eine ähnliche Richtung gewiesen, wenn er neben die Popularisierung und Aufklärung über Chancen und
Risiken, die mit Wissenschaft verbunden sind, auch die „Emanzipation der Öffentlichkeit von der Wissenschaft" als Aufgabe der Wissenschaftler beschrieb, um „die Öffentlichkeit aus dem
würdelosen Zustand der Besinnungslosigkeit . . . zu befreien".

Die nunmehr auch in Deutschland angelangte „Public understanding of science"-Bewegung schließt an mehrere Vorläufer an. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, getragen von einer Welle der
Fortschrittsbegeisterung und des in den gebildeten Schichten verbreiteten Szientismus, hatten popularisierende Zeitschriften und Bücher Hochkonjunktur. In dieser Zeit war die Popularisierung der
Wissenschaft erfolgreich, deren Publikum, etwas pauschal gesagt, ein interessiertes Bildungsbürgertum war. Die zweite Bewegung dieser Art entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem in den USA.
Als 1957 mit dem sowjetischen „Sputnik" der erste Satellit in eine Erdumlaufbahn gebracht worden war, löste dieses Ereignis einen Schock über den vermeintlichen Rückstand der amerikanischen gegenüber
der sowjetischen Wissenschaft aus. Die Reaktion war unter anderem eine großangelegte Kampagne, mit der die Wissenschaft über die Medien in das Bewusstsein der Bevölkerung gebracht werden sollte, mit
dem Ziel, das öffentliche Interesse an ihr, die Zahl der Absolventen in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern sowie die Bereitschaft zur Förderung der Forschung zu erhöhen. Die dieser
Kampagne zugrundeliegende Überzeugung war, dass es nur eines besseren Verständnisses der Wissenschaft in der Öffentlichkeit bedürfe, um dann auch eine entsprechend größere Bereitschaft zu ihrer
Unterstützung zu erzeugen. Den Medien kam wiederum die Rolle der Übersetzer und der Propagandisten zu. Sie hatten die Erkenntnisse der Wissenschaft in geeigneter Weise, populär und publikumsgerecht,
darzustellen. Damit führten sie, aus der Sicht der Wissenschaft, die der Aufklärung zugehörige Tradition der Popularisierung fort.

Grenzen der Vermittlung

Die jüngste Bewegung, die nunmehr unter der Bezeichnung Public understanding of science entstanden ist, muss zum einen im Zusammenhang mit einer seit den siebziger Jahren zunehmenden
öffentlichen Wissenschaftsskepsis und vor allem gegen die Kernkraft und die Biotechnologie gerichteten Technikfeindlichkeit gesehen werden, zum anderen mit einer spätestens seit Ende des Kalten
Krieges wirksam gewordenen Hinwendung der Forschungsförderung auf angewandte Forschung und kurzfristige Erträge, die einer Aufkündigung des „Gesellschaftsvertrages" für die Wissenschaft
gleichzukommen droht.

Vordergründig geht es bei der Repräsentation der Wissenschaft gegenüber der Öffentlichkeit immer nur um die Verbreitung wissenschaftlichen Wissens, sei es in den Lehrplänen der Schulen, sei es in den
populären Darstellungen, die von Wissenschaftlern oder von darauf spezialisierten Autoren verfasst werden. Eine typische Implikation des traditionellen Popularisierungskonzepts ist die eines passiven
und zumeist auch unspezifizierten Publikums. Das Publikum wird als rezeptiv wahrgenommen, den Vermittlungsinstanzen, also den popularisierend tätigen „Übersetzern", populärwissenschaftlichen Autoren
oder den modernen Medien, wird keine eigenständige Funktion und Wahrnehmung zugebilligt.

Es gibt aber auch Rückkopplungsbeziehungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie den Medien · und diese Beziehungen können nicht ohne Folgen für die Wissenschaft selbst bleiben. Ein naives
Aufklärungskonzept negiert damit alle Erfahrungen, die mit Aufklärung und Popularisierung schon gemacht wurden. Höhere Bildung und bessere Informationen führen eben nicht automatisch zu größerer
Zustimmung, sondern stärken die Kritikfähigkeit und die Bereitschaft, diese zu äußern. Allein dieser Umstand lässt deutlich werden, dass Public Relations-Konzepte mit dem Ziel der bloßen
Imagepflege für die Wissenschaft von falschen Voraussetzungen ausgehen und zum Scheitern verurteilt sind.

Mit Marketingstrategien und „Imagekosmetik" folgt die Wissenschaft einem Modetrend, der die Konkurrenz um Aufmerksamkeit in der Welt des Kommerzes bestimmt. Es wird gar nicht darüber nachgedacht,
dass die Produkte dieser Welt und damit auch die Klienten sowie die Strategien der Erzeugung von Glaubwürdigkeit und Überzeugung ganz andere sind, als die in der Welt der Wissenschaft. So trägt das
Konzert von Glanzpapierprospekten, Designerpublikationen und medienträchtigen Konferenzen in erster Linie zu einer abermaligen Erhöhung der Konkurrenz um Aufmerksamkeit bei, die im übrigen nicht mehr
zwischen glaubwürdiger Erkenntnis und interessierter Werbung unterscheiden lässt.

Unaufhebbare Assymetrie

Freilich muss eine Besonderheit des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit berücksichtigt werden: Die Asymmetrie zwischen Laien und Experten, zwischen Alltagswissen und
wissenschaftlichem Wissen, ist unaufhebbar, sie definiert gerade das Verhältnis. Alle wiederholten Versuche, diese Asymmetrie einzuebnen, sind zum Scheitern verurteilt oder haben gravierende
gesellschaftliche Folgen. Aufgrund dieser Befunde lassen sich eine Reihe von Konzepten der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit als in ihren möglichen Wirkungen sehr beschränkt oder
gar als vollkommen wirkungslos erweisen:

Õ Public Relations-Kampagnen mit dem Ziel der Imagepflege bestimmter Forschungsbereiche (z. B. Chemie) müssen mit der Komplexität der individuellen Rezeptionsmechanismen rechnen. In ähnlicher
Weise sind Versuche, öffentliche Aufmerksamkeit durch Sensationalisierung zu erlangen, riskant, weil sie dem vorherrschenden Schema widersprechen, wonach Wissenschaft als Institution Vertrauen
genießt, einzelne Forschungsbereiche jedoch skeptisch betrachtet werden (vgl. Klimadebatte).

Õ Popularisierungen in der Presse, im Fernsehen, aber auch in Museen müssen mit einer Divergenz zwischen den Intentionen der Wissenschaft und den Wahrnehmungsmustern der Rezipienten rechnen. Die
Annahme einer Linearität ist falsch.

Õ Trainings- und Ausbildungsprogramme für Vermittler, vor allem für Wissenschaftsjournalisten, die von seiten der Wissenschaft in der Hoffnung durchgeführt werden, dass damit die Qualität der
Darstellungen erhöht wird, sind in ihrer möglichen Wirkung eng begrenzt, weil die Kluft zwischen dem Generalistentum der Journalisten und den Erwartungen der Spezialisten unüberwindbar und die
Operationsweisen der Medien nicht an die der Wissenschaft angleichbar sind. Das gilt analog für die Trainigsprogramme, in denen Wissenschaftlern vermittelt wird, wie sie journalistisch schreiben
müssen, um sich (in den Medien) verständlich zu machen. Über diesen Typ der Vermittlung lassen sich also bestenfalls graduelle Verbesserungen erreichen.

Die gängigen Rezepte der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit kranken zum einen an den unüberwindlichen systemischen Barrieren etwa zwischen der Wissenschaft und den Medien. Sie
kranken aber zum anderen auch an einer seitens der Wissenschaft gepflegten überholten Vorstellung von der gesellschaftlichen Wissensordnung. In dieser dem späten 19. Jahrhundert entstammenden Ordnung
hatte die Wissenschaft das Wahrheitsmonopol und damit auch eine allgemeine Anweisungsbefugnis, gepaart mit dem entsprechenden elitären Bewusstsein ihrer Vertreter, deren Publikum, wo nicht sie
selbst, eine ihre Leistungen bewundernde Klientel in Wirtschaft und Politik war. In den medial vernetzten Massendemokratien des ausgehenden 20. Jahrhunderts gilt diese Ordnung nicht mehr. Die
Autorität der Experten gilt nur noch fallweise, ein besonderer Sozialstatus verbindet sich nicht mehr mit der Tätigkeit in der Wissensindustrie, und Publikumserfolg wird weitgehend von den Medien
bestimmt, folglich auch nach deren Kriterien.

Einseitig paternalistische Aufklärungskonzepte sind angesichts dessen nicht mehr adäquat, und Dialog muss als zweiseitiges Gespräch auch wirklich ernst genommen werden, sei es mit den Medien, der
Politik oder der Wirtschaft. Aufklärung muss auch in die Richtung der Wissenschaft gehen: Anpassung der Erwartungen aufgrund einer besseren Kenntnis zum Beispiel der Arbeitsbedingungen der Medien
oder der Instrumentalisierung von Wissen in der Politik, das heißt, es muss ein Verständnis für die Kontexte geschaffen werden, in denen Wissenschaft vermittelt und verwertet wird.

Die Konzeption des Public understanding of science (PUS), die sich aus den vorangehend erläuterten Absichten, den Erfahrungen und der Forschungslage ergibt, lässt sich am angemessensten als die
einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit (beziehungsweise Teilen der Wissenschaft und jeweils unterschiedlichen Öffentlichkeiten) charakterisieren, also einer nach beiden Seiten
hin offenen Vermittlung. Die grundlegende Annahme, die diese Konzeption des PUS von den zuvor charakterisierten unterscheidet, ist die, dass es sich bei Wissenschaft und Medien um zwei
unterschiedliche Sozialsysteme mit unterschiedlichen Funktionen und Operationsmodi handelt. Eine Vermittlung zwischen ihnen im Sinne einer in eine Richtung weisenden Übersetzung ist zum Scheitern
verurteilt. Vermittlung kann vielmehr nur als eine Funktion verstanden werden, die auf die verschiedenen Systemrationalitäten Rücksicht nimmt und auf der Grundlage ihrer genaueren Kenntnis operiert.

Eigenes Berufsfeld nötig

Die Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ist folglich ein eigenständiger Handlungsbereich, der sich durch spezifische Handlungskompetenzen und die dazu erforderlichen
Wissensbestände auszeichnet. PUS muss also als ein auf die praktischen Aufgaben der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gerichtetes Tätigkeitsfeld verstanden werden. Längerfristig
ist denkbar, dass PUS (sicher unter einer geeigneteren Bezeichnung) zu einem eigenständigen Berufsfeld mit spezifischen Kenntnissen und Kompetenzen der in ihm tätigen Personen wird. Im Rahmen der
angestrebten Vermittlungsfunktion sind spezielle Kenntnisse unter anderem zu folgenden Problemen erforderlich, wobei dieser Katalog nur vorläufige Beispiele aufführt:

Õ Rezeptionsmuster der Öffentlichkeit beziehungsweise unterschiedlicher Öffentlichkeiten gegenüber Informationen aus der Wissenschaft;

Õ Interne Arbeitsbedingungen der Medien (Print, TV, Funk, Museen) und deren Selektionswirkung bei der Verarbeitung von Informationen aus der Wissenschaft;

Õ Interne Arbeitsbedingungen der Wissenschaft (Wissenschaft als soziale Organisation, Wissenschaftler als Handelnde, interne Politik der Wissenschaft) und deren Wirkung auf die Öffentlichkeit;

Õ Wechselwirkungen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Werten;

Õ Rückwirkungen der Öffentlichkeitsorientierung auf die Wissenschaft.

Damit sind spezifische Forschungsbereiche im weiteren Rahmen der Medien- und Kommunikationsforschung, der Wissenschaftsforschung, der Medien- und Wissenschaftspsychologie benannt. In jedem Fall
handelt es sich um reflexive Forschungen, die sowohl die Wissenschaft selbst als auch ihre gesellschaftliche Umwelt betreffen. Sie sind, in Deutschland zumal, unterentwickelt. Reflexion auf die
Wissenschaft wird vorschnell als Kritik und Nestbeschmutzung verstanden. Auch das ist inzwischen in den Medien bekannt: In dem oben zitierten Artikel in der „Zeit" wird der Dialog der
Wissenschaft mit der Öffentlichkeit als „jahrelang vernachlässigt" charakterisiert. Gerade die aus den USA vorgegebenen Muster der werbewirksamen Selbstdarstellung gelten als nicht länger
wegweisend, weil sie letztlich die Glaubwürdigkeit untergraben, anstatt sie zu fördern. Statt Werberummel sollte mehr Tiefgang inszeniert werden, meint die „Zeit". Das kann nur bedeuten, dass
die Wissenschaft mit den ihr eigenen Mitteln auf die Voraussetzungen ihrer gesellschaftlichen Einbettung reflektiert. Dazu gehört zuallererst die Einsicht, dass nicht Wahrheit „an sich" die
hinreichende Voraussetzung ist, sondern die Art und Weise, wie sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, welchen Wert sie am Markt erringen kann, welche politischen Entscheidungen sie begründen
hilft.

Peter Weingart ist Vorstand am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; sein Beitrag ist
in gekürzter Form der Zeitschrift „Gegenworte" entnommen.

Freitag, 31. März 2000

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