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Exit aus dem Elfenbeinturm

„Wissenschaften@Öffentlichkeiten" · Neue Wege

in die Wissensgesellschaft /
Von Martin Bernhofer

Am Beginn des 21. Jahrhunderts ist von einer „Forschungsexplosion" ebenso die Rede wie von zunehmender Wissenschafts- und Technologieskepsis. Die Fortschritte der
Biowissenschaften liefern permanent neue Schlagzeilen. Bisherige Grenzen des Wissens stehen offen. Das Humangenom-Projekt wird, viel früher als ursprünglich vermutet, das menschliche Erbgut komplett
lesbar machen. Andererseits glaubt in den westlichen Industriestaaten nur noch rund ein Viertel der Bevölkerung, dass starker technischer Fortschritt die Zukunftsprobleme lösen kann. Schon in den
siebziger Jahren wurden mit den Grenzen des Wachstums auch die Grenzen technologischer Entwicklung kritisch diskutiert. Nicht nur wenn es um spektakuläre Projekte wie das Klonen von Lebewesen oder
die Erzeugung menschenähnlicher Intelligenz in Computern geht, kommen Technologieangst und Wissenschaftsfeindlichkeit immer wieder zum Vorschein.

Neue Untersuchungen belegen ein Nebeneinander von Ängsten und Hoffnungen, die mit Wissenschaft und Technik verbunden werden. Dabei halten sich positive und skeptische Einstellungen in etwa die Waage.
In dieser Situation ist die Fähigkeit zur Aufklärung und Reflexion über Wissenschaft in besonderer Weise gefragt: im Sinne der Bürger und im Sinne eines Fortschritts, der nicht nur sich selbst zum
Ziel hat.

Auch wenn es sich bei der „Wissensgesellschaft" noch um ein Projekt handelt, das aus den Orientierungsnöten und Defiziten der „Informationsgesellschaft" herausführen soll, ist doch bereits deutlich
geworden, dass die modernen Gesellschaften in wachsendem Ausmaß auf wissenschaftlichem Wissen beruhen. Dieses Wissen muss produziert werden und ist in wesentlichen Bereichen wie der
Grundlagenforschung und der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses von staatlicher Förderung abhängig. Diese wiederum setzt die Legitimation und Zustimmung durch die Öffentlichkeit voraus. In
besonderem Maße gilt das für teure Großprojekte, die einer eigenen „Öffentlichkeitsarbeit" bedürfen. Im gegenwärtigen Trend müssen Universitäten und Forschungsinstitute zunehmend die Vorantwortung
dafür übernehmen, finanzielle Mittel nicht nur zu verwalten, sondern auch selbst zu beschaffen. Damit werden die öffentliche Präsentation und die Vermittlung der eigenen Arbeit zu einer wichtigen
Voraussetzung des Erfolges.

Die Menschen erleben permanent die Auswirkungen von Wissenschaft und Forschung in ihrem Alltag. Eine Vielzahl der neuen Produkte, die konsumiert werden, der Veränderungen von Arbeit und Freizeit,
sind das Ergebnis von wissenschaftlicher Forschung. Wissenschaftler treten als Experten in Medien auf und bieten Erklärungen für Phänomene an, mit denen Sorgen und Ängste, aber auch Hoffnungen
verbunden werden. Trotz der komplexen Durchdringung des Alltags durch Wissenschaft und Forschung und ungeachtet der Personifizierung der Wissenschaft in der Figur des Experten, bestehen weiterhin
große Distanzen und Barrieren. Noch immer wird „die" Wissenschaft abgehoben in einer eigenen Sphäre und abgeschottet gegenüber „dem Leben draußen" wahrgenommen. Immer häufiger aber und lautstark
untermalt, dringen die Fragen der Öffentlichkeit, vermittelt durch den Journalismus, in diese Sphäre ein. Dabei werden Barrieren im gegenseitigen Verständnis sichtbar, die auch als sprachliche
Barrieren erlebt werden. Übersetzungen sind also gefragt, gute Übersetzer aber sind rar.

Wie lassen sich Wissenschaft und Öffentlichkeit verbinden, ist eine häufig diskutierte Frage. Im angelsächsischen Raum hat die sich daran anknüpfende Debatte früher als im deutschsprachigen Raum
eingesetzt. Die Lücke, die zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit klafft, wird im Englischen mit dem Begriff der scientific illiteracy bezeichnet, die durch das Bemühen um Public
understanding of science aufgefüllt werden soll. Dieser Begriff bezeichnet eine Form der Information und Aufklärung über Wissenschaft und Technik, die aus der Auseinandersetzung über
gesellschaftlich so brisante Fragen wie die Kernenergie wesentliche Impulse gewonnen hat.

„Scientific literacy"

Das Anliegen der Aufklärung ist aber nicht nur in so kontroversen Fragen wie der Kernenergie oder der Gentechnik auch mit dem Problem der Legitimation und der Akzeptanz von Wissenschaft verbunden.
Dabei ist die grundsätzliche Frage deutlich geworden: Soll Aufklärung nur dazu dienen, Akzeptanz für die Projekte und die Produkte der Wissenschaft zu erzeugen, oder lässt sich damit auch eine
Rückwirkung in die Wissenschaften selbst erzielen? Eine „Selbstaufklärung" der Wissenschaft durch ihre öffentliche Vermittlung und Diskussion? Der Rechtshistoriker und Präsident der Berlin-
Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon, bringt es dahin gehend auf den Punkt, dass das neue Verständnis die Wissenschaft fördern, aber auch den Interessen der (mündigen) Bürger
dienen sollte: „Die angelsächsischen Bemühungen um die Scientific literacy und das Public understanding of science haben wir entweder überhaupt nicht rezipiert oder nur zaghaft und unter dem
randständigen Gesichtspunkt, eine bessere Wissenschaftsakzeptanz zu erreichen als sie die Wissenschaftsjournalisten zustandezubringen in der Lage sind. Solche Akzeptanz, sprich: Kritikminderung am
und reibungslosere Finanzierung des Wissenschaftssystems ist wahrlich von großer Bedeutung. Aber es ist doch ebenso evident, dass eine Alphabetisierungskampagne nicht nur die Lesefähigkeit der
Betroffenen zu steigern beabsichtigt, sondern dass das gestiegene Verständnis sie auch zum produktiven und eigennützigen Einsatz des Verstandenen veranlassen soll."

Eine Analyse der aktuellen Situation zeigt, dass die einzelnen wissenschaftlichen Institutionen, Disziplinen und Fachrichtungen unterschiedliche Status- und Vermittlungsprobleme in ihrem Verhältnis
zur „Öffentlichkeit" haben. Die Biowissenschaften etwa haben Hochkonjunktur. Sie sehen sich zwar mit kritischen Fragen und Einwänden konfrontiert, die sich aber, in Summe, nicht auf die Investitionen
auswirken. Nicht nur die als „Orchideendisziplinen" geziehenen Geisteswissenschaften müssen dagegen herbe Fragen nach ihrem gesellschaftlichen Nutzen, nach ihrer Aktualität und den in sie
investierten Mitteln beantworten. Dazwischen liegt ein großes Spektrum an konkurrierenden Fächern, die sich in neuen, unterschiedliche Bereiche und Disziplinen umfassenden „Feldern" organisieren und
damit verbunden um das kostbare Gut der öffentlichen Wahrnehmung zu buhlen beginnen. Öffentliche (das heißt hier wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische) Relevanz wird zum neuen Schlüssel
der Mittelzuteilung.

Andererseits muss auch das Konzept der „Öffentlichkeit", das in den philosophischen Traditionen der Aufklärung wurzelt, einer kritischen Revision unterzogen werden. Im Zeitalter des Internet, der
zahlreichen Spartenkanäle und medialen Subkulturen kann nicht mehr von einer homogenen Öffentlichkeit gesprochen werden, die als gemeinsames Forum für die wichtigen politischen, kulturellen,
ökonomischen oder wissenschaftlichen Belange und Anliegen einer Gesellschaft dienen könnte. Vielmehr sind eine Aufsplitterung und eine Vielzahl von neuen Öffentlichkeiten zu konstatieren.
„Öffentlichkeit" ist ein Begriff, der in dieser Situation immer wieder neu zu definieren ist. Er umfasst Formen und Möglichkeiten des Informationsaustausches, bei denen die Qualität der angebotenen
Informationen, ihre Authentizität und die Möglichkeit ihrer Verfälschung ebenso eine Rolle spielen wie der freie Zugang und die Medien der Vermittlung.

Mit dem Begriff „Öffentlichkeit" ist aber zugleich eine Überhöhung dieses Konzeptes verbunden, die in dem englischen Wort „public" nicht mitschwingt. Wer von Public understanding of science
spricht, meint damit ebenfalls die Verbindung und die Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, gerät aber nicht in die Gefahr, ein homogenes Konzept dieser „Öffentlichkeit" zu
unterstellen. Bei „Öffentlichkeit" und ihrem Plural, den „Öffentlichkeiten", handelt es sich um Konstruktionen und Konstruktionsversuche und nicht um ein für allemal gegebene und abgesicherte
Konstellationen der Vermittlung und des pluralistischen Informationsaustausches. Diese Konstruktionen bewusst zu machen, ein Bewusstsein für die Institutionen, Schauplätze, Kanäle und Hierarchien des
Informations- und Wissensaustausches zu schaffen, ist auch eine wichtige Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus, der neben der Vermittlung von Fakten auch die Reflexion darüber zu leisten hat; der
nicht nur Ergebnisse und Entdeckungen, sondern auch deren Kontexte berücksichtigen sollte, wo immer diese von öffentlichem Interesse sind.

Konflikt statt Meinung

So wie es bei der Wissensproduktion auch um die Frage geht, wie Wissen überhaupt zustande kommt und Wissenschaft funktioniert, sollte umgekehrt auch deutlich werden, dass Öffentlichkeit nicht mit
„öffentlicher Meinung" verwechselt werden sollte. Öffentlichkeit verlangt Auseinandersetzung, Widerspruch und konstruktiven Streit. Die öffentliche Meinung dagegen will die herrschende Meinung sein,
wie der Publizist Claus Koch pointiert feststellt: „Sie möchte nur Meinung als solche zum Ausdruck bringen und dadurch beruhigen. Mit dem öffentlichen Konflikt, ohne den es keine Öffentlichkeit
gibt, hat sie nichts im Sinn. Ihr ist ja auch nichts am Bürger gelegen, sondern nur am Meinungsäußerer, den man in die allgemeine Meinung einschmelzen kann. Deswegen gibt sie sich gerne zwecklos und
nennt sich objektiv. Die Öffentlichkeit ist immer von Zwecken erfüllt, die einander nicht ertragen können. Und wenn zum Schluss Frieden, Gesetz und Vertrag hergestellt werden, ist daran nichts
Objektives. Der nächste Konflikt, der die gefundene Friedensregelung wieder in Frage stellt, wartet ja immer schon."

Was hier als Voraussetzung und Essenz von Demokratie deutlich wird: Die Aufklärung und das Auflösen von instrumentalisierbaren Vorurteilen und die konstruktiv geführte, öffentliche Auseinandersetzung
über notwendige Veränderungen und über das Neue könnte auch für den öffentlichen Diskurs über Wissenschaft einige Anregungen bieten. Ein solcher Diskurs setzt umfassende Information der „Bürger"
voraus, er vermeidet nicht, sondern sucht die vorbehaltlose Auseinandersetzung über verbreitete Vorurteile; er wird sich aber nicht entfalten können, wenn sich die Wissenschaften nur so weit öffnen,
wie es der öffentliche Druck verlangt; wenn sie nicht von sich aus bereit sind, über ihre eigenen Produktionsbedingungen, damit aber auch über die Bedingtheit ihrer Ergebnisse und Erkenntnisse zu
reflektieren · und zwar öffentlich.

Andernfalls verstellen auf Seiten der Medien Vorurteile, Informationsmängel und Vermittlungsdefizite ebenso die Möglichkeiten des „public understanding of science" wie ein falsch verstandener Begriff
von Objektivität und Unfehlbarkeit auf Seiten der Wissenschaften. Auf diese Weise würde eine Aura konserviert, zu der sich zwar kaum ein Wissenschafter mehr explizit zu bekennen wagt, die aber nach
wie vor zur Abschottung in manchen auch labortechnisch kostspielig eingerichteten „Elfenbeintürmen" beiträgt.

Bei der Frage nach dem Zusammenhang von „Wissenschaften@Öffentlichkeiten" ist insbesondere die Form der medialen Vermittlung zu beachten: Neue Medien bedingen neue Formen des Diskurses (oder dessen
Versagen), der Artikulation, des Austausches und der Wahrnehmung (oder deren Überforderung). Neben den neuen Potenzialen beinhaltet jedes Medium auch seine eigenen Grenzen der Öffentlichkeit, zu
deren Konstruktion es beiträgt. Die Klammer bzw. der „-affe" zwischen „Wisssenschaften@Öfffentlichkeiten" signalisiert, dass es sich nicht nur um einen Plural und um die Vielfalt beider Bereiche,
sondern auch um eine mediale Verbindung und Vermittlung unter neuen Vorzeichen handelt.

Die Frage lautet deshalb,

· wie sich die einzelnen wissenschaftlichen „Kulturen" und Disziplinen in ihren Vermittlungsbemühungen und Präsentationsformen zu einander und zu der Vielfalt neuer (Medien-)Öffentlichkeiten
verhalten;

· wie und in welchen neuen Kontexten „Öffentlichkeit" und Öffentlichkeiten konstituiert werden können, die als Plattform und Forum für die Vermittlung und die Diskussion wissenschaftlicher Fragen
dienen können, deren Verständnis für eine Gesellschaft unverzichtbar ist.

Martin Bernhofer ist Wissenschaftsredakteur im ORF und für die Planung und Organisation von wissenschaftlichen Symposien, Projekten und Kooperationen zuständig.

Freitag, 31. März 2000

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