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Über Wissenschaftsbegriff und Wissenschaftspolitik

im Dritten Reich

Erkenntnis als Wille zur Macht

Von Martin Luksan

Alfred Rosenberg wertete im „Mythos des 20. Jahrhunderts" den Intellekt als Erkenntnismittel überraschend auf. Er konstruierte einen Gegensatz von Wille und
Trieb, den der Wille durch das Werk überwindet. Auf seiner höchsten Stufe (der der Wissenschaft) „zündet sich der Wille ein Licht an, das ist der Intellekt." Dieser Intellekt ist ein Produkt
des Willens, weshalb sich auch ein denkungeübter Nazi, so er Wert darauf legt und Wissenschaft betreibt, als „intellektfähig" verstehen darf.

Dieser merkwürdige Intellekt war nicht nur dem Wissenschaftler, sondern auch dem Bonzen erlaubt. Er diente aber stets dem „Höchsten": der höchsten Einsicht, der höchsten Forschung, die ein „Volks-
" respektive „Rasse-Interesse" an der Wahrheit beachtete. Ein solches Interesse war bei einem Fach wie Physik oder Mikrobiologie nur eine komische, weil gänzlich unerfüllbare Forderung, die
es aber den Machthabern erlaubte, relativ willkürlich die eine Forschung zu fördern, die andere „abzudrehen".

Bei der Einweihung des Berliner „Hauses der Wissenschaft" im Oktober 1939 wiesen die verschiedenen Fachsparten bereits auf die „kriegsbedingte Forschung" hin. Die Physik genauso wie die Biologie, die
Geologie genauso wie die Elektrotechnik. Die referierenden Professoren vergaßen aber den Zusatz nicht, dass gerade die zweckfreie Forschung den „völkischen Wert der Wissenschaft" bestätigen würde.
Sie wollten sich offensichtlich den Freiraum bewahren, wo die ergebnisreiche und sinnvolle Forschung gedeiht. Die Mischung von kriegsbedingter Forschung und zweckfreier Wissenschaft blieb bis
Kriegsende bestimmend.

Hitlers notorische Missachtung der deutschen Professorenschaft wurde etwa von Goebbels, der sich noch 1943 das „Ehrendoktorat" von „seiner" Universität (Heidelberg) holte, oder von Himmler, der
Universitätsprofessoren sogar umgarnte, um sie für „Das Ahnenerbe" zu gewinnen, nicht geteilt. Auch Rosenberg war eher ein Verächter der akademisch-universitären Welt als der einzelnen
Wissenschaften. Das Hitler'sche Verdikt, öffentlich geäußert, „Leider, man braucht sie ja, sonst könnte man sie eines Tages, ich weiß nicht, ausrotten", bewirkte aber immerhin, dass keines der
nationalsozialistischen Wissenschaftsprogramme, von Professoren formuliert, jemals im „Namen des Führers" oder auch nur der Partei präsentiert wurde.

Die „Gleichschaltung" der Universitäten durch die Anwendung des Arier-Paragraphen für „Berufsbeamte" führte zum Verlust der jüdische Fachkräfte. Ihr Wegfallen brachte eine Qualitätsverminderung von
Lehre und Forschung und einen Rückgang der Studierenden. Dem jährlich wachsenden Akademiker-Nachwuchs-Schwund trat 1939 der Reichserziehungsminister Bernhard Rust mit einer Studienzeitverkürzung,
einem Vierjahresplan und der Gründung des Reichsforschungsrates (RFR) entgegen. Ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn kamen diese Maßnahmen aber zu spät, um dem Deutschen Reich mehr Jungakademiker zu
schenken.

Der Griff der Nazis nach den Universitäten, Hochschulen, Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften war uneinheitlich. Die verschiedenen Machtgruppen waren an den verschiedenen Fachsparten
unterschiedlich interessiert und hatten außerdem ein unterschiedliches Naheverhältnis zur akademischen Welt. Besonders unverständig für Belange der Wissenschaft war der Wissenschaftsminister (Rust),
der es nicht einmal verstand, die ihm zugewiesenen Universitäten und Hochschulen strikt in seinem Einflussbereich zu halten. 1936 half er dabei mit, den Physiker Johannes Stark als Präsidenten der
„Deutschen Forschungsgemeinschaft" (DFG) zu ersetzen.

Der Nachfolger von Stark wurde der SS-Mann Rudolf Mentzel, der sich 1939 auch als Leiter des „Amtes Wissenschaft" im Ministerium des Rust festsetzte. Bei der Einweihung des „Hauses der
Wissenschaften" (siehe oben) war er der Gastgeber für die Geladenen. Durch ihn, der vor allem „Das Ahnenerbe" förderte, wurde die (finanzielle) Übermacht der SS-Forschung gegenüber dem „Amt
Rosenberg" durchgesetzt.

Obwohl die Hochschulen und Universitäten ohnehin mit Parteigenossen besetzt waren, blieben sie heiß umkämpft. Ein Rektor, Dekan oder Vorstand eines Instituts beachtete auch als Pg. in erster Linie
die Zwänge seiner Anstalt, wenn er Lehrpläne gestaltete, Forschungen bewertete oder Posten besetzte; deshalb fanden die speziellen Machtgruppen noch genügend Raum für Einflussnahmen vor. Rudolf Hess
in seiner Doppelfunktion als Stellvertreter des Führers und Leiter der Parteikanzlei hatte Einfluss auf das Ministerium. Das Ministerium verwaltete die Universitäten und hatte Einfluss auf DFG und
RFR, die das Gros des Forschungsgeldes verteilten. Das „Amt Rosenberg", das primär die Partei schulen sollte, beanspruchte Forschungsgeld und nahm Einfluss auf die philosophischen Dekanate. Und die
SS, die durch „Arisierungen" und Einsatz von Zwangsarbeit zu einer Wirtschaftsmacht geworden war, forschte ebenfalls und unterwanderte das Ministerium, die Forschungsgemeinschaften und die
Universitäten.

Je länger der Krieg dauerte, desto vielfältiger wurden die Forschungen der SS. Ihr Umfang kann nicht auf das wissenschaftliche Renommierstreben des Heinrich Himmler zurückgeführt werden. Lediglich
„Das Ahnenerbe", anfangs eine Einrichtung für geisteswissenschaftliche Forschung, war dem Chef der SS und aller Polizeien eine Herzensangelegenheit gewesen. Aber auch hier hatte der Kampf um die
wissenschaftliche Autorität eine Rolle gespielt. 1934 hatte sich Rosenberg in die Ausgrabungen der SS bei den Externsteinen einschalten wollen, was verhindert worden war. Daraufhin hatte Himmler
vergebens um ein „Reichsinstitut für Frühgeschichte" angesucht und dann in Berlin „Das Ahnenerbe" als Verein gegründet.

Im Unterschied zur Physik war die Frühgeschichte für eine nazistische Ideologisierung gut geeignet. Objekte der Forschung wie die Jägerhorde, die Sesshaftigkeit und die

ersten Städte reichten weit hinter die Anfänge des Christentums zurück. Vor allem Nazis, die weiterreichende, ideologische Absichten verfolgten, hatten frühgeschichtliche Fantasien. Es ist kein
Zufall, dass ausgerechnet im Bereich der Frühgeschichte die Kontrahenten Rosenberg und Himmler ihren größten Kompetenzstreit austrugen. Durch Aussagen dieses Faches konnte ein „der Rasse dienender
Forscher" die Weltanschauung wissenschaftlich bestärken.

Ideologisch ähnlich „dankbar" war die Völkerkunde, deren (germanistische) Abspaltung, die Volkskunde, erst in der Nazi-Zeit als Universitätsfach eingerichtet wurde. 1937 gründeten Rosenbergs Leute
die „Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Volkskunde", in die auch Himmler als Mitglied eintrat. Seine Mitgliedschaft erhielt 1939 zusätzliches Gewicht, als ihn Hitler zum „Reichskommissar für die
Festigung deutschen Volkstums" ernannte. Die Arbeitsgemeinschaft versuchte, die Volkskunde in den Rang einer zentralen Wissenschaft zu erheben (zu einem „Bollwerk der Weltanschauung" zu machen), was
aber nicht gelang. Trotz dieser Kooperation zwischen Rosenberg und Himmler gab es bei Ausgrabungsprojekten, Schulungskursen, Hochschultagen, Lehrstuhl-Besetzungen immer wieder Streit, den in der
Regel Himmler für sich entschied.

„Das Ahnenerbe" begann 1935 relativ harmlos mit Ausgrabungen und Sinnbildforschung. Dann wurde 1938 die Geschäftsführung und die wissenschaftliche Leitung des Vereins ausgewechselt und das AE
„gedieh" zu einer Einrichtung von über 40 Abteilungen, die zum Teil ernsthaft forschten. Ab 1943 wurde innerhalb des Vereins ein „Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung" geschaffen, das
einen Teil der Menschenversuche in den KZ koordinierte. Der AE-Geschäftsführer Wolfram Sievers übernahm persönlich die Leitung dieses Instituts und wurde 1948 dafür hingerichtet.

Die medizinische Forschung im Dritten Reich ist äußerst zwiespältig. Auf der einen Seite die Erfolge in der Krebsforschung und in der Gehirnforschung, auf der anderen Seite die Versuche am
„Material des Untermenschen". Auch wenn man die Erziehung der deutschen Ärzte zu „biologischen Soldaten", die Schaffung des „außerrechtlichen Bereichs" der Konzentrationslager und den Notstand des
Krieges sehr hoch veranschlagt, bleibt der Rassismus der Gesellschaft vor 1933 zu beachten. So hatte etwa die Forschungsanstalt für Psychiatrie in München systematisch Menschenversuche geplant, deren
Durchführung die Gesetzeslage verboten hatte. Dann kamen die Nazis und die Unterscheidung zwischen „wertvollen" und „wertlosen" Menschen war plötzlich legalisiert. Dadurch war sie administrierbar
geworden und der einschlägig forschende Arzt hatte jede Menge „nicht-einwilligungsbereiter" Testpersonen zur Verfügung.

Alles in allem war der Begriff von Wissenschaft so sehr übersteigert, dass die Frage der „ethischen Verträglichkeit" von Forschung nirgendwo gestellt wurde. Die erfolgreiche Technikforschung im
Dritten Reich wurde bekanntlich durch die tödlichsten Formen der Sklavenarbeit, genannt „Einsatz von Fremdarbeit", mitermöglicht. In Bereichen wie Raketentechnik, Krebsforschung und Pflanzengenetik
war die Forschungsorganisation keineswegs miserabel (wie in „Erinnerungsbüchern" gern betont wird), sondern nur sehr teuer, wobei der mörderische Gebrauch von Menschen gar nicht zu Buche schlug.
Ungeachtet der kriegsbedingten Notlage wurden die Geldmittel für Forschung im Dritten Reich bis 1944 Jahr für Jahr gesteigert.

Die aus ihrem „Minderrang" (gegenüber den Naturwissenschaften) emporgehobenen Geisteswissenschaften wurden teilweise als „Religionsersatz" verwendet. Die Naturwissenschaften wurden realistisch
gesehen, freilich innerhalb des Bildes vom autarken und zugleich expandierenden Deutschland, das Forschungsziele in allen Wissenschaften bestimmte. Rein ideologische Projekte wurden den
Naturwissenschaften nicht bezahlt, jedoch wurde aus Gründen der Ideologie reelle Forschung eingestellt. Das bekannteste Beispiel ist die Kernforschung, die trotz ihres Fortschritts 1938 in
Deutschland kein Geld mehr erhielt.

Die Kontrolle über die deutschen Universitäten hat weder der gebildete Rosenberg noch der halbgebildete Himmler erlangt. Hier war das Interesse der Universitätslehrer an ihrer Arbeit (und an ihrem
Status) zu groß, um es dem Interesse der Partei oder dem der „Schutzstaffel" unterzuordnen. Trotzdem eine allgemeine Neigung zur SS, denn von Rosenbergs „Hohen Schulen" befürchtete man nicht ohne
Grund, sie würden eines Tages die akademisch-wissenschaftliche Welt der Universitäten weitgehend ersetzen.

Freitag, 24. März 2000

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