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Vor 250 Jahren erblickte Karoline Herschel, „erste Astronomin", das Licht der Welt /

Des Astronomen Schwester

Von Christian Pinter

Karoline Lukretia Herschel misst keine 130 cm. Mit zehn Jahren leidet sie an Typhus. Dann wächst sie nicht mehr. Weder hübsch noch reich werde sie wohl niemals einen Ehemann finden, meint
ihr Vater. Von seinen zehn Kindern überleben vier Söhne und zwei Töchter. Um sie zu versorgen, braucht die Mutter Hilfe. Karoline wird mit Hausarbeit eingedeckt, putzt, wäscht und bügelt. Das Leben
der am 16. März 1750 geborenen scheint vorgezeichnet: Bestenfalls darf sie hoffen, Haushälterin bei nobleren Herrschaften zu werden.

Vater Isaak Herschel ist Musiker und legt Wert auf entsprechende Ausbildung seiner Kinder. Besonders begabt ist Wilhelm. Mit vier lernt er Violine, mit 15 tritt er als Militärmusiker in die Garde
Georg II. ein. Als der Siebenjährige Krieg ausbricht, holt der aus Hannover stammende englische König seine Garde zu sich. Die Franzosen besetzen jedoch Hannover · so ist Wilhelm die Rückkehr
verwehrt. In England schlägt er sich zunächst als Notenschreiber durch. 1766 wird er Organist, dann Chorleiter im renommierten Kurort Bath.

Er verdient genug, um Karoline zu sich zu holen. Nun muss die 22-jährige seinen Haushalt führen; doch Wilhelm lehrt sie außerdem Gesang und verschafft ihr ein Engagement als Sopranistin. An bis zu
fünf Abenden in der Woche singt die zerbrechlich wirkende Frau, unter anderem Solopartien in Händels Oratorien Judas Makkabäus und Messias. Die Einladung zum Musikfestival nach Birmingham schlägt sie
1777 aus · sie will nur unter Leitung ihres Bruders auftreten.

Routinearbeit

Wilhelm bringt Werke von Corelli, Geminiani, Avison und Haydn zur Aufführung, komponiert Symphonien und Konzerte für Oboe. Karoline bewundert ihn. Neben der Musik hat er eine zweite, große Liebe
entdeckt. Wann immer es die Zeit erlaubt, betrachtet er den Sternenhimmel. Gute Instrumente sind nicht erschwinglich, daher stellt er seine Fernrohre selbst her. Mit einem dieser Eigenbauteleskope
stößt er am Abend des 13. März 1781 auf ein seltsames, grünliches Objekt, das etwas ausgedehnter wirkt als die anderen Fixsterne.

Zunächst erzählt er Karoline vom Fund eines neuen Kometen. Doch die Bewegung am Himmel zeigt, dass er einen siebenten Planeten entdeckt hat. Der Radius des Sonnensystem ist damit schlagartig
verdoppelt. Wilhelm tauft den Wandelstern · den man später Uranus nennt · „Georgium sidus", „Georgsstern". König Georg III. ist geschmeichelt. Er macht Wilhelm zum Hofastronomen und gewährt ihm ein
jährliches Gehalt von 200 Pfund.

Um in Reichweite des Hofs zu bleiben, ziehen die Herschels mehrmals um. Mit dem berufsmäßigen Musizieren ist damit Schluss. Das Haushaltseinkommen schrumpft dramatisch. Zum Ausgleich startet Wilhelm
die „Serienherstellung" von Fernrohroptiken und Teleskopen. Gemeinsam mit Karoline fertigt er einen Metallspiegel nach dem anderen an. Die Wohnung gerät zur Werkstatt. Heißes Metall ergießt sich auf
den Flur, Steine bersten wie Granaten. In jeder freien Minute wird gearbeitet. Einmal füttert Karoline ihren Bruder sogar, da dieser das Werkstück nicht aus den Händen legen will.

Mindestens 70 Spiegel verkauft Herschel. Der spanische König zahlt 3.150, Napoleons Bruder 2.310 Pfund. Die Höfe in Wien und Russland stehen ebenso auf der Kundenliste, wie der Italiener Giuseppe
Piazzi, der später den aller ersten Kleinplaneten entdecken wird.

Nachts harrt Karoline mit Wilhelm im Freien aus, notiert bei möglichst schwacher Beleuchtung jedes Wort, das der Bruder am Fernrohr von sich gibt. Manchmal ist es bitter kalt; Karolines Tinte friert
ein. Am nächsten Morgen schreitet sie zur Reinschrift. Sie kalkuliert die genauen Himmelskoordinaten aller Objekte, die Wilhelm betrachtet. Dazu hat er ihr sphärische Geometrie beigebracht. Außerdem
korrigiert sie den Sternkatalog von John Flamsteed und kopiert Unterlagen, die der Bruder zum Forschen benötigt. Jahrzehntelang nimmt sie ihm die Routinearbeiten ab.

„Gutherziges Geschöpf"

Herschel fahndet nach diffusen Flecken am Himmelszelt und ist überzeugt, dass viele dieser Nebel Millionen Lichtjahre entfernt sind. Im Teleskop ähnelt ihr Anblick oft jenem von Kometen, die ab
und zu in Sonnennähe auftauchen. Wilhelm ermuntert seine Schwester, selbst nach Himmelsvagabunden Ausschau zu halten. Er gibt ihr dazu ein kleines Teleskop.

Karoline beginnt mit dem systematischen Absuchen des Firmaments. Sie kommt langsam voran, denn die Arbeit für Wilhelm geht vor. Am ehesten findet sie Zeit, wenn er verreist. Am 1. August 1786 gelingt
ihr der erste Fund. Zurückhaltend schreibt sie dem Sekretär der Königlichen Astronomischen Gesellschaft. Aufgrund der Freundschaft, die zwischen diesem und ihrem Bruder bestehe, wage sie es, ihn in
Abwesenheit Wilhelms mit einer „unvollkommenen Beschreibung eines Kometen zu behelligen".

Es ist der erste, der je von einer Frau entdeckt wurde. Der „First Lady's Comet" bringt Karoline Ruhm. Zeitungen berichten über sie, beschreiben sie als „klein", „sanft", „bescheiden", und
„einfallsreich" oder nennen sie ein „vorzüglichstes" und „gutherziges Geschöpf". Georg III. gewährt nun auch ihr ein regelmäßiges Gehalt. Sie bekommt 50 Pfund · als Assistentin ihres Bruders.

Karoline findet weitere sieben Kometen. Nebenbei gehen ihr auch Nebel ins Netz. Es sind Sternansammlungen innerhalb unserer Milchstraße oder ferne, fremde Galaxien. Sie bleibt bescheiden. In
Anspielung auf die langwierige Herstellung der Metallspiegel bezeichnet sie sich nur als „Instrument", dessen Mühe zu schärfen ihr Bruder gehabt hätte.

Es trifft sie, als dieser 1788 Mary Pitt, verwitwete Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns, heiratet. Die Last des Haushalts ist Karoline nun genommen; dennoch braucht sie Zeit, sich mit der neuen
Situation abzufinden.

Viele der 200 gegossenen Metallspiegel werden, weil optisch unzulänglich, gleich wieder eingeschmolzen. Für den damals größten Spiegel der Welt mit 120 cm Durchmesser sind sogar drei Versuche und
neue Poliermaschinen nötig. 1789 kommt endlich ein gelungenes Exemplar ans hintere Ende einer 12 Meter langen Holzröhre. Seilzüge richten diese inmitten einer himmelsstürmenden Konstruktion aus
Balken und Leitern auf. Wieder arbeitet Karoline die Nächte durch, sitzt mehrere Meter unter dem Holzkäfig, der ihren Bruder trägt.

1792 kommt Wilhelms Sohn zur Welt. Karoline unterrichtet ihn, macht mit ihm gemeinsam chemische und physikalische Experimente. Der vielseitig interessierte John Herschel wird die Arbeit des Vaters
später unter südlichem Himmel fortsetzen.

Wilhelm, Karolines geliebter Bruder und Mentor, stirbt 1822. Nach einem halben Jahrhundert kehrt sie nach Hannover zurück. Dort gibt sie den großen, auf Wilhelms Studien fußenden und 2.500 Objekte
umfassenden Nebelkatalog heraus. Der Astronom Mädler sucht sie ebenso auf, wie der Naturforscher Humboldt und der Mathematiker Gauß.

Vor seiner Abreise ins südliche Afrika besucht sie ihr Neffe John. Wäre sie drei oder vier Jahrzehnte jünger, würde sie ihn begleiten, versichert Karoline. Die 82-jährige ist morgens und mittags zwar
erschöpft, gewinnt später aber an Lebhaftigkeit. Um zehn Uhr nachts singe und tanze sie sogar, erzählt John.

An ihrem 97. Geburtstag unterhält sie noch zwei Stunden lang Kronprinz und Kronprinzessin, singt ihnen eine Komposition Wilhelms vor. Doch ein knappes Jahr später, am 9. Jänner 1848, stirbt die
unverheiratet gebliebene Karoline Lukretia Herschel. Posthum wird ihr zu Ehren ein 1888 vom Österreicher Johann Palisa in Wien entdeckter, 13 km durchmessender Kleinplanet „Lucretia" getauft. Auch
ein ebenso kleiner Mondkrater im Regenmeer erhält ihren Namen.

Zugeteilte Venus

Oft wird Karoline Herschel als „erste Astronomin" bezeichnet. Doch Katharina Elisabetha Hevelius stand schon ein Jahrhundert zuvor auf den Dächern Danzigs, um ihrem Mann beim Vermessen des Himmels
zu helfen. Aus nachgelassenen Papieren gab sie 1690 einen neuen Sternkatalog heraus.

Karoline steckte noch in Kinderschuhen, als sich Nicole-Reine Lépaute, Gattin des Königlichen Uhrmachers in Paris, mit Pendelschwingungen befasste. Dann wandte sie sich dem für 1759 wieder erwarteten
Kometen Halley zu. Um die Bahnstörungen durch Jupiter und Saturn zu ermitteln, sollten exakte Planetenpositionen über einen Zeitraum von 150 Jahren kalkuliert werden. Im Auftrag des Pariser
Observatoriums rechnete Lépaute sechs Monate lang, manchmal auch während der Mahlzeiten. Ohne ihre Hilfe, so der Sternwartedirektor, hätte man die Arbeit nicht in Angriff nehmen können.

Von Bildungsmöglichkeiten meist ausgeschlossen und ohne die nötigen Forschungsmittel wie Fachliteratur oder Teleskope finden Frauen zunächst nur vereinzelt Zugang zur Himmelskunde. Wenn, dann sind
sie Ehefrauen, Schwestern oder Töchter männlicher Astronomen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts betreten sie häufiger Observatorien.

Maria Mitchell besucht zunächst die Privatschule ihres naturwissenschaftlich sehr interessierten Vaters und assistiert ihm bereits im Alter von zwölf Jahren bei Himmelsbeobachtungen. Er ist 1835
einer der aller ersten, der den erneut wiederkehrenden Kometen Halley beobachtet. Sie wird kurz danach Bibliothekarin und „verschlingt" Bücher über Himmelsmechanik. Als die 29-jährige am Abend des
1. Oktober 1847 mit ihrem Vater den Himmel mustert, entdeckt sie im Teleskop einen neuen Kometen. Die „erste US-Astronomin" rechnet in Folge für das Jahrbuch „Nautical Almanac", wo man ihr
ausgerechnet die Venus zuteilt. Später unterrichtet Mitchell Frauen am Vassar-College in Astronomie.

„Pickerings Harem"

1857 bringt Mitchell die erste gelungene Aufnahme eines Fixsterns von George Bond mit nach Europa, wo sie auch Karolines Neffen John trifft. Die Himmelsfotografie bringt neue, zwiespältige Chancen
für Frauen. Immer empfindlichere Fotoplatten halten bald Unmengen von Sternpünktchen fest. Um der resultierenden Datenflut beizukommen, reichen Hilfskräfte ohne allzu viel Vorwissen.

18 Observatorien schließen sich dem 1887 vorgeschlagenen, übrigens nie abgeschlossenen Projekt Carte du Ciel an. Mit einheitlichen Teleskopen wollen sie den gesamten Himmel ablichten und aus den
Platten Positionen und Helligkeiten von hundert Millionen Sternen ableiten. Die Rechenarbeit muss dafür geradezu industrialisiert werden.

Ohne billige Helferinnen könnten vor allem kleinere Sternwarten nicht mitmachen. Das Vatikan-Observatorium setzt Nonnen ein. „Weltliche" Frauen rechnen in Toulouse, Bordeaux, Catania, Greenwich und
Potsdam, in Cordoba, Kapstadt und Perth. 35 sind es in Paris, 33 in Melbourne. Insgesamt 19 arbeiten in Helsinki · als man dort das Projekt nach 37 Jahren einstellt, ist ihre astronomische Karriere
zu Ende.

In den USA setzt man hingegen mehr auf Astrophysik, will nicht Positionen, sondern Zusammensetzung und Aufbau der Sterne erforschen. So montiert man Objektivprismen vor die Teleskope. Jede Fotoplatte
zeigt nun Hunderte, winzige Spektren. Um deren Spektrallinien zu vermessen, braucht man ebenfalls Assistentinnen.

Von 165 Frauen, die zwischen 1875 und 1920 auf den Lohnlisten amerikanischer Sternwarten stehen, arbeiten viele am Harvard Observatorium in Cambridge, Massachusetts. Es bereitet einen Katalog mit
Spektralangaben zu einer Viertelmillion Sterne vor. Direktor Edward Pickering schart hierfür einen Kreis von Frauen um sich, der von manchen männlichen Kollegen „Pickerings Harem" genannt wird.

Gesucht wird ein Schema, um die vielen Spektren zu klassifizieren. Williamina Fleming erarbeitet 1890 ein System von 22 Klassen, die sie in alphabetischer Reihenfolge „A", „B", „C", „D" u.s.w. nennt.
Über die Einordnung eines Sterns entscheidet die Stärke seiner Wasserstofflinie.

Annie Cannon bezieht später auch Linien anderer Elemente ein. Sie fasst mehrere von Flemings Klassen zusammen, gruppiert die verbleibenden um. Ihre 1922 international anerkannte Reihe heißt „O, B, A,
F, G, K, M". Sie spiegelt die Oberflächentemperatur der fernen Sonnen wieder, wobei O-Sterne am heißesten, M- Sterne am kühlsten sind. Astrophysiker Henry Russell formuliert dazu den Merkspruch: „Oh,
Be A Fine Girl Kiss Me".

Ebenfalls in Harvard erkennt Henrietta Leavitt 1912 den Zusammenhang zwischen der Lichtwechseldauer bestimmter veränderlicher Sterne und ihrer wahren Leuchtkraft. Je heller ein solcher Cepheide auf
Aufnahmen der Kleinen Magellanschen Wolke erscheint, desto länger seine Periode. 1923 misst Edwin Hubble Cepheiden-Perioden im Andromedanebel und kann dank Leavitts Entdeckung erstmals die Entfernung
einer fremden Milchstraße abstecken. Ohne Kenntnis von Galaxiendistanzen wäre die Expansion des Universums nicht nachzuweisen.

Bis 1925 gibt es nur zwei Dutzend Doktorinnen der Astronomie in den USA. 75 Jahre später schätzt man den Frauenanteil in der Himmelskunde auf 10 bis 20 Prozent. Karoline Herschel wurde übrigens noch
zu Lebzeiten von der Königlichen Astronomischen Gesellschaft in England zum Ehrenmitglied ernannt. Eine ordentliche Mitgliedschaft war für Frauen nicht vorgesehen.

Freitag, 24. März 2000

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