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Im Regenwald von Nigeria wartet eine Fundstätte auf Forscher

Hochkulturen im Dschungel

Von Georg Breuer

Die lange vorherrschende Meinung, dass die Bewohner tropischer Dschungel bis in die jüngste Vergangenheit in der Regel vor allem als Sammler und Jäger lebten und
allenfalls da und dort ein wenig Wanderfeldwirtschaft betrieben haben, wird durch neue Erkenntnisse widerlegt. Die Mayas, die im Regenwald von Zentralamerika eine alte Hochkultur hatten, wurden lange
Zeit als Ausnahme angesehen. Doch im letzten Jahrzehnt hat man auch in den Urwäldern des Amazonasgebiets viele Spuren alter Kulturen gefunden. Ebenso gibt es auch im Regenwald von Nigeria solche
Überreste, deren Existenz zwar seit langem bekannt ist, die aber bisher kaum beachtet wurden.

Etwa eine Autofahrstunde von Lagos, der Hauptstadt von Nigeria, entfernt steht im Urwald ein Komplex von Erdwällen mit einer Gesamtlänge von insgesamt 160 km, die ein Territorium von der Größe von
Groß-London einschließen. Die Wälle sind bis zu 10 m hoch und vor ihnen sind außen tiefe Gräben. Es gibt Wachtürme und Baracken für die Wächter. Altersbestimmungen ergaben, dass diese Wälle vor rund
1.200 Jahren errichtet worden sind, also etwa zu der Zeit, als Karl der Große in Westeuropa regiert hat.

Die Angehörigen des Yoruba-Stammes, die vor etwa 6.000 Jahren aus der weiter nördlich gelegenen Savanne in den Urwald vorgedrungen sind, bezeichnen dieses Gebiet als Sungbos Eredo. Eredo heißt Graben
und Bilikisu Sungbo war laut mündlicher Überlieferung · schriftliche Aufzeichnungen gibt es nicht · eine Königin, die als Witwe kinderlos gestorben ist. Ihr Grabmal steht in Ijebu-Ode, einer kleinen
Stadt innerhalb des von den Erdwällen umfassten Gebiets, und wird auch heute noch alljährlich von tausenden Pilgern aufgesucht. Als Nigerianer gegen Ende des vorigen Jahrhunderts begonnen haben, die
mündlichen Überlieferungen ihrer Volksstämme aufzuzeichnen, wurde die Vermutung geäußert, dass Sungbo die biblische Königin von Saba gewesen sein könnte. Nach den nun vorliegenden Altersbestimmungen
ist jedoch klar, dass die Königin von Saba gut 2.000 Jahre vor Sungbo gelebt hat.

In Nigeria gibt es drei Universitäten mit archäologischen Instituten. Aber keines von ihnen hat bisher einen Versuch unternommen, diese Überreste einer Kultur der eigenen Vorfahren genauer zu
untersuchen. In den Hochschulen der Industriestaaten besteht dafür auch wenig Interesse. Lediglich der Geograph Patrick Darling von der Universität Bournemouth, England, hat seit 30 Jahren immer
wieder an ihrer Erforschung gearbeitet und gelegentlich dafür auch Stipendien von nigerianischen Stellen bekommen. Die Bemühungen eines einzelnen Wissenschafters reichen jedoch für die Erforschung
eines so großen Komplexes bei weitem nicht aus. Unterdessen sind bereits Teile dieser alten Erdwälle von den Bulldozern moderner Holzfällerunternehmen zerstört worden.

250 km östlich von Lagos gibt es in der Nähe der Stadt Benin noch viel mehr Erdwälle mit einer Gesamtlänge von 16.000 km, etwa dreimal so lang wie die Chinesische Mauer. Sie sind in der Zeit von 800
bis 1500 n. Chr. nach und nach errichtet worden. Es handelt sich um einen Komplex von an die 500 Siedlungen, die insgesamt 6.500 km² einnehmen. Keine einzige von ihnen ist so groß wie Sungbos Eredo,
die ältesten im Zentrum sind ziemlich klein, gegen die Peripherie zu umfassen die später errichteten Wälle größere Flächen. Bisher hat Darling nur von etwa einem Zehntel dieses Komplexes genaue
Landkarten herstellen können.

Für die Errichtung dieser Erdwälle musste etwa 100-mal so viel Material bewegt werden wie für den Bau der Cheopspyramide. Dafür waren insgesamt etwa 150 Millionen menschliche Arbeitsstunden
erforderlich. Über den Zweck der Wälle gibt es nur Vermutungen. Im Dschungel hat die Errichtung von Festungen weit weniger Sinn als im offenen Land, sagt Darling. Krieg wird dort ganz anders geführt.
Der Geograph spekuliert, dass die Wälle vielleicht den Bewohnern ein Gefühl der Sicherheit vor aus dem Urwald kommenden bösen Geistern geben sollten. Noch heute gebe es Zeremonien, die so gedeutet
werden könnten.

Freitag, 29. Oktober 1999

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