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Systeme zur chemischen Analyse und Synthese werden bald auf einen kleinen Chip passen

Labor in der Westentasche

Von Peter Markl

Es gibt manchmal Situationen, in denen es darauf ankäme, ein chemisches Laboratorium in der Tasche tragen zu können. Davon träumen Ärzte, die am Bett eines Patienten
stehen, dessen Lage sich dramatisch zuspitzt, so daß nur noch eine schnelle, punktgenaue Intervention helfen könnte, wie sie auf Grund von Informationen möglich wäre, die das Analysenlaboratorium
liefern könnte · wenn für die Beschaffung dieser Information noch Zeit wäre. Davon träumen auch Kriminalbeamte, welche einen Verdächtigen vor sich haben und die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen
schnell prüfen könnten, wenn sie einen Schnelltest zur Verfügung hätten, mit dem sie eine Probe seiner DNA mit den Spuren von DNA vergleichen könnten, die der Täter am Tatort zurückgelassen hat. Das
könnte zumindest das Schicksal der meisten Personen erleichtern, die in Tatverdacht geraten sind, obwohl sie die Tat nicht begangen haben. Solche tragbaren Labors könnten auch die Suche nach den
Verursachern von Umweltschäden effektiver machen, weil dann die Fahnder nicht auf die Analysenresultate aus dem Laboratorium warten müßten, sondern bereits vor Ort wüßten, ob sie sinnlose Proben
sammeln oder auf der rechten Spur sind.

Trend zur Miniaturisierung

Worauf sich alle diese Träume richten, ist eine Entwicklung, die in den letzten Jahren begonnen hat und wahrscheinlich in den kommenden Jahrzehnten in den analytischen Laboratorien und bei den
Instrumentenherstellern zu tiefgreifenden Veränderungen führen wird: viele Systeme zur chemischen Analyse und Synthese werden so weit miniaturisiert werden, daß man sie auf einen 3 x 3 cm großen Chip
packen kann.

Miniaturisierung ist der große Trend. Es geht dabei um viel Geld · und das Rennen ist noch offen. George M. Whiteside, Spezialist für synthetische organische Chemie an der Harvarduniversität, glaubt,
daß die ersten auch kommerziell nutzbaren Produkte Analysensysteme sein werden, die viel billiger sein sollten als die heutigen · so billig, daß die Instrumentenhersteller von Verkäufern weniger
teurer Geräte zu Herstellern von „Massenprodukten" werden könnten.

Die Instrumentenhersteller sind davon noch nicht so überzeugt, und das kann ihnen niemand verdenken, da es heute in Mode gekommen ist, Venture-Kapital dadurch anzulocken, daß man neue Entwicklungen,
deren Umrisse sich erst abzeichnen, in Tönen anpreist, die man bisher eher für Techniken bereit hielt, die sich in der Praxis schon einige Zeit bewährt haben. Das enorme Entwicklungspotential der
neuen Techniken ist jedoch unbestreitbar, und das große Interesse geht nicht zuletzt darauf zurück, daß die in Reichweite gekommenen analytischen Techniken auf einigen Gebieten schnelle und billige
Analysen versprechen. Vor allem aber: sie werden in der pharmazeutischen Industrie auf ihrer Suche nach den biotechnischen Medikamenten eingesetzt werden, welche aus der durch das Human-Genom-Project
verfügbar gemachten genetischen Information Geld machen sollen.

Der große Durchbruch kam 1991, als Stephen Fodor und seine Kollegen von der Affymax, einer auf die Entdeckung von Medikamenten spezialisierten Firma, eine Methode entwickelt hatten, mit der sie die
lithographische Technik, mit der man Computer-Chips produziert, dazu einsetzen konnten, auf der Silizium-Oberfläche eines Chips · dicht gepackt und nach Plan angeordnet · Moleküle zu fixieren, die
aus einem Gemisch von Molekülen durch eine starke Wechselwirkung ganz bestimmte andere Moleküle herausfischen können.

Bindet man zum Beispiel Peptide an die Silizium-Oberfläche, so können sie in einem Gemisch von DNA-Fragmenten diejenigen aufspüren, die einen Teil des Bauplans enthalten, nach dem das Peptid gebaut
wurde. Man kann so Gene identifizieren, die den Bauplan für ein medizinisch interessantes Protein enthalten. Mit dieser Technik konnte man auf einem Chip einige tausend verschiedene Oligonukleotide
anordnen · jedes Nukleotid eine spezifische Sonde für ein bestimmtes Molekül in der Probe.

Derartige Chips haben es einer kleinen pharmazeutischen Biotech-Firma in San Francisco bereits erspart, viele Millionen Dollar auf dem Marsch in eine Sackgasse zu verlieren. Die Tularik glaubte auf
eine wahre Goldmine gestoßen zu sein, als sie eine Verbindung synthetisiert hatte, welche in Zellkulturen die Konzentration an LDL-Lipoproteinen drastisch senkte. Diese Lipoproteine stehen seit
langem im Verdacht, zur Arterienverkalkung und damit zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen entscheidend beizutragen. Da man aus guten Gründen kein Medikament auf den Markt bringen kann, dessen
Wirkungsmechnismus nicht hinreichend geklärt ist, hätte der nächste Schritt eigentlich in der Aufklärung dieses Wirkungsmechanismus' bestanden · eine mitunter sehr schwierige Aufgabe, die Jahre
dauern kann.

Patrick Baeurle wollte das abkürzen, indem er den langwierigen Weg über konventionelle Biochemie vermied und sofort den Weg über die Gene ging: er wollte sich sofort ansehen, welche Gene durch diese
Verbindung angeschaltet würden. Da konnte die Synteni, eine andere der jungen Biotech-Firmen in San Francisco, weiterhelfen: sie produzierte DNA-Chips, mit denen man feststellen konnte, welche Gene
durch das neue Pharmakon aktiviert würden. Man verglich das Muster der angeschalteten Gene mit dem Gen-Muster, welches ein verwandtes Medikament aktivierte.

Das Resultat war ein überraschender Schock: die beiden Muster waren nicht wie erwartet ähnlich, sondern grundverschieden. Der Vergleich mit anderen Aktivierungsmustern vertiefte den Schock: was man
sah, war dem Aktivierungsmuster einer Verbindung aus einer ganz anderen Verbindungsklasse sehr ähnlich. Auf diese Verbindungsklasse hatte man früher viele Hoffnung gesetzt, bevor man nach jahrelanger
Forschung entdeckte, daß ihre Nebenwirkungen nicht hinzunehmen waren. Der Befund war natürlich der plötzliche Tod dieses Projekts · ein trauriges Analysenresultat, das aber Millionen Dollar
Fehlinvestitionen erspart hat.

Die DNA-Chips bieten vor allem zwei Hauptvorteile, die ihnen ihren Markt sichern werden: man braucht nur sehr wenig Probematerial und kann auf einem einzigen Chip Tausende von Analysen unterbringen,
so daß ein hoher Probendurchsatz möglich wird. Das sind jedoch nicht die einzigen Vorteile der neuen Chip-Technologie: verglichen mit den herkömmlichen Analysentechnologien, werden die Chips mit nur
geringen Kosten herzustellen sein, die Analysen viel weniger an Reagentien brauchen und die Entsorgungskosten der Lösungsmittel entsprechend gering sein.

Inhomogene Umweltproben

Das gilt natürlich auch für die Chips, welche Miniaturisierungen viel komplexerer Analysengeräte darstellen · bis hin zu den Gesamtanalysensystemen, untergebracht auf einem einzigen Chip. Dafür
gibt es bereits Beispiele, wie z. B. einen Mikrochip, in dem man ein Gerät zur Kapillarelektrophorese eingeätzt hat. Man kann damit Substanzen trennen, die sich durch die Geschwindigkeit
unterscheiden, mit der sie in einem elektrischen Feld wandern. Im allgemeinen aber ist man bei der Miniaturisierung der komplexeren Instrumente zur Analyse organischer Verbindungen in realistischen
Proben wie Serumproben oder Abwasserproben weitaus langsamer vorangekommen als bei den DNA-Chips. Das liegt nicht zuletzt an den Proben: die DNA-Chips können mit homogenen flüssigen Proben beschickt
werden, während alle realistischen Umweltproben in einem bestimmten Ausmaß inhomogen sind. Jedes kleine Staubteilchen, das man mit der Probe in den Chip einführt, kann bereits dazu beitragen, die
Mikrokanäle zu verstopfen, und man hat es noch nicht geschafft, verläßliche Mikropumpen zu konstruieren, welche genügend Druck liefern können, um Flüssigkeit durch eine dicht gepackte Trennsäule zu
pumpen.

Erfolge hat man beim Bau der Totalanalysensysteme im Mikromaßstab daher vor allem bei Geräten erreicht, bei denen sich die notwendigen Trennungen und die Detektion in der Gasphase abspielen, wie das
in einem Gas-Chromatographen der Fall ist. Die Trennung von Molekülen ist jedoch nicht das für die Trennung im Mikromaßstab herausfordernde Analysenproblem: man kann in miniaturisierter Form auch
Viren, Bakterien oder Zellen trennen · eine Technik, die sich zur Identifikation pathogener Organismen einsetzen läßt. Ein solches System ist bereits am Markt und kann von den Wasserwerken dazu
eingesetzt werden, zu testen, ob das Wasser mit ansteckenden Mikroorganismen wie Cyclosporidium infiziert wurde.

Freitag, 14. Mai 1999

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