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Alptraum Atommüll

Kann man Spaltprodukte in Reaktoren beseitigen?

Von Georg Breuer

Die Auseinandersetzungen um den geplanten Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie haben mit eindringlicher Deutlichkeit die noch immer nicht gelösten Probleme des Atommülls in Erinnerung
gerufen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert entstehen in Reaktoren hochradioaktive Abfallprodukte. Das Problem einer sicheren Endlagerung dieses Atommülls ist jedoch bisher in keinem Land gelöst.

Nach dem heutigen Stand der Technik müßten diese Substanzen für Hunderttausende bis Millionen Jahre so sicher gelagert werden, daß sie nicht in die Umwelt entweichen können. Doch bis heute hat noch
niemand einen Weg gefunden, wie man das bewerkstelligen könnte. Und der Müllberg wird von Jahr zu Jahr größer. Atomstrom ist billig. Wenn Österreich aufgrund von EU-Bestimmungen demnächst gezwungen
sein wird, seinen Markt für ausländische Stromanbieter zu öffnen, von denen viele auch Kraftwerksreaktoren betreiben, wird der Strom aus manchen unserer umweltfreundlichen Wasserkraftwerke nicht mehr
konkurrenzfähig sein. Doch der Atomstrom kann nur deshalb so billig sein, weil die langfristigen Lasten für die Endlagerung des Atommülls nicht den Betreibern der Reaktoren, sondern den Steuerzahlern
Tausender künftiger Generationen aufgebürdet werden.

Was ist Atommüll?

Atomreaktoren erzeugen ihre Energie durch Kernspaltung von Uran oder anderen spaltbaren schweren Elementen. Als Spaltprodukte entstehen die verschiedensten hochradioaktiven Isotope von
mittelschweren Elementen. Die Halbwertszeiten dieser Spaltprodukte, also die Zeitspanne, in der sich die Hälfte eines solchen Isotops durch radioaktive Teilchenstrahlung in ein anderes Element
umwandelt, liegen zwischen Sekundenbruchteilen und Hunderttausenden Jahren.

Die kurzlebigen Spaltprodukte entsorgen sich sozusagen von selbst. Sie haben sich nach einigen Tagen, Wochen oder Monaten bis auf winzige Reste in stabile ungefährliche Elemente umgewandelt. Aber
radioaktive Isotope von Strontium oder Caesium, die vom Organismus leicht aufgenommen werden und Krebs verursachen, haben Halbwertszeiten von einigen Jahrzehnten. Nach einigen
Jahrhunderten ist also noch ein Tausendstel der ursprünglichen Menge vorhanden, und das kann noch immer genug sein, um die Umwelt gefährlich zu verseuchen.

Unter den besonders langlebigen Spaltprodukten ist Technetium-99 mit einer Halbwertszeit von 200.000 Jahren. In den Reaktoren in aller Welt entstehen zurzeit pro Jahr etwa 6 t dieses Isotops.
Es ist in Wasser löslich und kann in die Nahrungskette gelangen. In einigen Meeresregionen in der Umgebung von Nuklearanlagen hat sich die Konzentration dieses Stoffes im Meerwasser zwischen den
sechziger Jahren und heute etwa verhundertfacht.

Bombenrohstoff Plutonium

Neben den Spaltprodukten entstehen in jedem Uranreaktor auch beträchtliche Mengen von Plutonium. Die Halbwertszeit des häufigsten Plutonium-Isotops beträgt 24.000 Jahre. Es ist
hochradioaktiv; wenn auch nur ein winziges Staubkörnchen davon in die Atemwege oder in die Blutbahn gelangt, löst es Krebs aus.

Bei jedem Transport ausgebrannter Brennstäbe in eine Wiederaufarbeitungsanlage wird dieses stark strahlende Gemisch aus Uran, Spaltprodukten und Plutonium über große Entfernungen befördert, darunter
von Japan nach Frankreich. Bei solchen Transporten in sogenannten Castor-Behältern gelangt laut Messungen der letzten Jahre weit mehr Strahlung nach außen als nach geltenden Bestimmungen zulässig
ist. Ein größerer Unfall bei einem solchen Transport könnte verhängnisvolle Folgen haben.

In der Wiederaufarbeitungsanlage werden die Spaltprodukte und das Plutonium vom verbliebenen Uran abgetrennt. Das Plutonium wird vor allem zur Herstellung von Kernwaffen verwendet, auch wenn das
nicht immer klar ausgesprochen wird. Daß Frankreich heute die drittgrößte Atommacht der Welt ist, hängt untrennbar damit zusammen, daß es einen Großteil seiner elektrischen Energie in Reaktoren
herstellt, die zugleich das für die Bomben benötigte Plutonium liefern.

Eine friedliche Nutzung von Plutonium als Reaktorbrennstoff ist möglich, aber kostenaufwendig. Das Sicherheitsrisiko ist bei solchen Reaktoren größer als bei Uranreaktoren. Und in den Reaktoren
entsteht wiederum neuer Atommüll und neues spaltbares Material. Der Müllberg, für den man irgendwann ein Endlager finden muß, wird noch größer.

Ein Verzicht auf Wiederaufarbeitung, wie er nun in Deutschland angestrebt wird, beendet diesen Teufelskreis. Er unterbindet auch die Möglichkeit, daß das Plutonium auf den schwarzen Markt gelangt, in
Staaten, die insgeheim Atomwaffen herstellen wollen, oder in die Hände von Terroristen. Aber ein solcher Verzicht, der auch Plutonium sozusagen zu Atommüll macht, bedeutet, daß sich die Menge der
langlebigen radioaktiven Substanzen, für die ein sicheres Endlager gefunden werden muß, mehr als verdoppelt.

Das Problem einer Wiederverwertung oder sicheren Endlagerung von Plutonium besteht aber nicht nur für die Betreiber von Reaktoren. Wenn die zwischen der ehemaligen Sowjetunion und den USA
abgeschlossenen, aber zum Teil noch immer nicht ratifizierten Abrüstungsverträge endlich verwirklicht werden, sollen viele Tausende Kernwaffen unbrauchbar gemacht werden. Die Raketen, die die Bomben
befördern sollten, kann man zerstören, die Bomben selbst kann man in ihre Bestandteile zerlegen. Das Risiko eines von niemandem gewollten Kriegsausbruchs durch Mißverständnisse oder Computerfehler
könnte so beträchtlich verringert werden. Aber was soll mit dem Plutonium geschehen? So lange es irgendwo gelagert ist, kann es sehr rasch wieder zu neuen Atombomben zusammengebaut werden.

Entsorgungsreaktoren?

In den letzten Jahren haben sich Gruppen von Wissenschaftern im amerikanischen Atomforschungszentrum in Los Alamos und im europäischen Forschungszentrum CERN in Genf mit diesen Problemen
beschäftigt. Sie haben einige neue Ideen entwickelt, deren Durchführbarkeit nun überprüft werden muß.

Das amerikanische Team unter Leitung von Francesco Venneri schlägt die Entwicklung eines neuartigen Reaktortyps vor, bei dem die Energie nicht durch Kernspaltung entsteht, sondern von außen durch
einen Teilchenbeschleuniger geliefert wird. Den kann man jederzeit abschalten, die Anlage kann also nicht außer Kontrolle geraten. Im Inneren eines dicken Bleimantels, der Strahlung nach außen
abschirmt, sollen Plutonium und Spaltprodukte den Teilchenstrahlen ausgesetzt werden. Das Plutonium würde dadurch in mittelschwere Elemente gespalten, ohne daß neues spaltbares Material entsteht.

Die Frequenzen des Teilchenbeschleunigers sind regulierbar. Man kann ihn daher zeitweise so einstellen, daß besonders langlebige Spaltprodukte wie Technetium-99 Resonanzerscheinungen zeigen und auf
die Strahlung besonders gut ansprechen, so daß sie in andere kurzlebige oder stabile Substanzen umgewandelt werden. Die Mischung muß mehrere Jahre lang im Reaktor bleiben. Dann würde man noch nicht
abgebautes Plutonium nach einem neuartigen Verfahren vom Atommüll abtrennen und neuerlich in den Reaktor bringen.

Die Abwärme des Reaktors kann zur Stromerzeugung verwendet werden. Er würde aber wohl kaum mehr Strom produzieren können, als der Teilchenbeschleuniger benötigt. Die Aufgabe dieser Anlage ist nicht
die Energieproduktion, sondern die Lösung der Entsorgungsprobleme. Wenn sie so funktioniert, wie ihre Erfinder erwarten, dann muß der in einem solchen Reaktor entstehende Atommüll nicht mehr für
Hunderttausende Jahre sicher gelagert werden · sondern „nur" noch für einige Jahrhunderte. Vor allem aber würde erstmals eine Möglichkeit geschaffen, Plutonium zu vernichten, so daß es nicht wieder
für den Bau von Kernwaffen verwendet werden kann.

Thorium-Reaktoren?

Das CERN-Projekt strebt die Entwicklung eines Reaktors mit Thorium statt Uran als hauptsächlichem Brennstoff an. In einem solchen Reaktor würden nur geringe Mengen von Plutonium entstehen. Man
könnte dem Brennstoff sogar Plutonium beimischen, um es loszuwerden. Auch Spaltprodukte sollen in diesem Reaktor abgebaut werden. Der Thorium-Reaktor könnte wirtschaftlich Strom produzieren und es
würde zugleich weniger Atommüll entstehen als in herkömmlichen Reaktoren. Aber ein Weg zum Ausstieg aus der Kernenergie ist das sicherlich nicht.

Vorläufig sind das Projekte, die nur auf dem Papier bestehen. Ob sie sich verwirklichen lassen und zu welchen Kosten · und wie es mit ihrer Umweltverträglichkeit aussehen würde, wird erst die Zukunft
zeigen.

Literatur: „New Scientist", 16. Jänner 1999, Seite 30.

Freitag, 14. Mai 1999

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