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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Ein allzu eilig geschriebenes Buch bringt wenig Licht ins Dunkel

Öko-Irrtümer

Von Peter Markl

Wieder einmal ist es Dioxin, diesmal inmitten der Sommerhitze und ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der redaktionsinterne „Experte" auf Urlaub ist. Der Leser · so schwant dem Redakteur
· hat vielleicht alles vergessen, was schon über Dioxin gesagt und geschrieben wurde oder er fühlt sich inmitten der widersprechenden Meldungen einfach überfordert. Also schnell einen „Kasten", in
dem harte Informationen zu Dioxin zusammengefaßt sind.

So oder ähnlich muß es in der Redaktion einer großen Wiener Tageszeitung zugegangen sein, als vor kurzem eine Dioxin-Kontamination entdeckt wurde. Nur: Von den sieben Sätzen, die dann im
Informationskasten zu lesen waren, war nur einer ohne schweren sachlichen Fehler.

Der Redakteur war offensichtlich selbst unter denjenigen, die im Stakkato widersprechender Aussagen einfach nicht mehr durchblicken. Das Problem ist nur zu offensichtlich. Man kann dazu ja leicht
einen kleinen Selbsttest machen. Zum Beispiel: Was ist eigentlich herausgekommen bei der Diskussion um folgende Probleme, die einmal „heiß" waren:

Ist Formaldehyd nun bei Menschen krebserregend, wie man immer wieder lesen konnte, oder sind das mittlerweile widerlegte Vermutungen?

Werden nun wirklich die Polkappen abschmelzen und den Meeresspiegel dramatisch ansteigen lassen, oder sind das nur Prognosen, die aus in der Zwischenzeit überholten Klimamodellen abgeleitet wurden?

Wenn schon immer vom Klima die Rede ist: Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings, wie ein berühmter Chaos-Forscher einmal so plastisch ausführte, wirklich einen Hurrican verursachen, oder sind
Schmetterlinge für das Klima ungefährlich?

Wieso hört man jetzt nichts mehr vom „Pseudokrupp", jener durch Luftverunreinigungen verursachten Erkrankung der Atemwege, die Kinder nach Luft ringen läßt? Sie galt doch eine zeitlang als der
bestürzendste Beleg dafür, wie die Industrie · zum Beispiel im Ruhrgebiet · die Atemluft zur Gefahrenquelle macht?

Falls Sie es vergessen haben sollten oder auf Grund voreingenommener Selektion nie erfahren haben: Formaldehyd ist bei Menschen nicht krebserregend, die Polkappen waren nur in den frühen
Computermodellen in Gefahr, abzuschmelzen, Schmetterlinge sind · wie Sie wahrscheinlich immer vermutet haben · aus vielerlei Gründen für das Klima ungefährlich (da hat eine nur für Computermodelle
erhellende Metapher ein auswucherndes Eigenleben entwickelt). Und wenn man heute vom Pseudokrupp kaum mehr hört, dann geht das vor allem darauf zurück, daß er als Bestandteil von
Umwelthorrorszenarien unbrauchbar geworden ist: er ist, wie man seither herausgefunden hat, eine Virusinfektion.

Antworten auf Umweltfragen

Es wäre zweifelsfrei nützlich, wenn es so etwas wie ein verläßliches Lexikon zu umstrittenen Umweltfragen gäbe · etwas, zu dem man greifen kann, wenn man wissen will, was der Stand der
Problemsituation zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Natürlich gibt es reine Sachlexika, aber die verläßlichen unter ihnen sind nicht gerade verführerisch. Was man sucht, wäre nicht akademisch trocken
und daher wenig publikumswirksam, sondern Thema für Thema aufgehängt an dem, was Schlagzeilen geliefert hat.

Ein Buch mit Intentionen in dieser Richtung ist vor kurzem erschienen:

Dirk Maxeiner und Michael MierschLexikon der Öko-Irrtümer. Überraschende Fakten zu Energie, Gentechnik, Gesundheit, Klima, Ozon, Wald und vielen anderen Umweltthemen.

Eichborn-Verlag 1998, ISBN-3-8218-0586-2.

Um es gleich zu sagen: was man sich gewünscht hätte, ist auch dieses Buch nicht geworden. Das liegt an der Biographie der Autoren. Sowohl Dirk Maxeiner als auch Michael Miersch sind Journalisten,
die sich auf Umweltthemen spezialisiert haben. Dirk Maxeiner war sogar Chefredakteur der Zeitschrift „natur", gemeinsam haben sie „Öko-Optimismus" verfaßt, ein Buch, das 1996 zum
„Wissenschaftsbuch des Jahres" gewählt wurde.

(Man hätte · selbst im knappen Klappentext · gerne erfahren von wem, und wäre später dankbar gewesen für jeden Hinweis, worin denn nun die „publizistischen Konzepte" bestehen, die er mit Michael
Miersch entwickelt hat: marktgerechte eilige Collagen mit gelegentlich fragwürdigem Bezug zu Wahrheit und Realität können ja nicht als konzeptionelle Neuheit gelten, da viele der seit Jahren von
Umweltbewegten angefertigten und vertriebenen Bücher dasselbe publizistische Konzept verfolgen.)

Maxeiner und Miersch liegen mit Funktionären und Publizisten aus der Umweltbewegung im Streit. Da viele von ihnen immer wieder in schweißtreibenden Posen moralischer Überlegenheit ihre sachlich
gelegentlich schwach fundierten Anliegen vertreten, ist nachempfindbar, daß die Autoren darauf einigermaßen allergisch reagieren. Anderseits aber kann man unschwer ihre Kritiker aus den
Umweltorganisationen verstehen · schließlich sind Maxeiner und Miersch im Besitz eines Zettelkastens, in dem sie die pappigsten Sprüche der Öko-Apokalytiker und Fundamentalisten gesammelt haben ·
eine Art Kapital, von dem die Autoren, die zu einer Art Geschäftsstörung ansetzen, zehren.

Wunde Punkte

Leider aber sieht auch die Gegenrechnung nicht gut aus: die Experten aus den Umweltorganisationen treffen mit ihrer Kritik an den Quellen und oft wirklich fragwürdiger Passagen und Praktiken sehr
wunde Punkte · und das in durchaus nicht nebensächlichen Fragen. Und das ist schade, denn in den letzten Monaten hat sich auch in Österreich der Wind gewendet.

Bisher konnte auch die unwahrscheinlichste Horrormeldung in dem einen oder anderen Massenmedium einen arglosen Nachbeter finden. Jetzt beginnen sich immer mehr der Nachrichtenkonsumenten zu fragen,
ob denn auch stimmt, was ihnen da vorgesetzt wird. Manchmal ist nur zu offensichtlich, daß nicht alles gleichzeitig stimmen kann, was da behauptet wird.

Maxeiner und Miersch bringen dafür ein amüsantes Beispiel: Am 10. Dezember 1997 wollten die Autoren der „Globus"-Sendung im Ersten Deutschen Fernsehen mit der Meldung die Zuschauer vor den
Schirmen halten, daß die Klimakatastrophe dazu führt, daß der Südpol abschmilzt und daher die Pinguine immer seltener werden. (Pinguine sind so niedliche Tiere, daß sich von ihnen immer Bildmaterial
im Archiv auftreiben läßt · die Klimaänderungen selbst sind nicht so fotogen).

Die Leser des „Geo" konnten jedoch im selben Monat lesen, daß es nunmehr in der Antarktis über 100 Millionen Pinguine gibt, weil nach der Dezimierung der Wale dort ein Riesenangebot an Krill
übrig geblieben ist.

Es dürfte heute nur mehr wenige wache Zeitgenossen geben, die noch so naiv sind, die Auseinandersetzung in Umweltfragen als einen Kampf zwischen egoistischen Söldnern der unverantwortlichen Industrie
mit selbstlosen Aktivisten aus den Umweltorganisationen zu sehen. Greenpeace · zum Beispiel · ist heute ein internationaler Konzern, dessen Sorgen um neue vermarktbare „Produkte" und die Eroberung
neuer Märkte sich kaum von den Sorgen unterscheiden, die andere Konzerne haben. Heute gibt es zwischen Umweltorganisationen wie Greenpeace und großen Konzernen auf weiten Gebieten überlappende
Interessen. Angesichts des sich verengenden Aktionshorizonts · verengt durch den enger werdenden ökonomischen Spielraum in einer oft naiv glorifizierten Dominanz eines kaum eingeschränkten
Kapitalismus · wäre nichts wünschenswerter als eine umweltideologische Abrüstung. Dazu aber · so fürchte ich · trägt das Buch von Dirk Maxeiner und Michael Miersch auf Grund seiner überzogenen
Polemik wahrscheinlich wenig bei.

Vielleicht ist der überzogen polemische Ton eine Folge der psychologischen Verletzungen, welche sie im publizistischen Handgemenge mit den Sprechern der Umweltbewegung erlitten haben. Vielleicht aber
ist der Ton auch nur Resultat einer kühlen Kalkulation: man zielt auf ein Publikum aus der Industrie und Wissenschaft, welches solche Verletzungen vor allem durch die moralischen Posen von Leuten
erfahren hat, die von den Sachfragen oft viel weniger verstanden als die von ihnen Kritisierten.

Viele haben unter der Unterstellung gelitten, daß ihre abweichende Meinung leicht erklärbar sei, da sie von den düsteren Mächten der Industrie gekauft seien. (In der Endphase der Diskussion um das
Gentechnik-Volksbegehren hatten viele Wissenschafter den Eindruck, daß man zwar bereit war, unermüdlich die „Bringpflicht" der Wissenschaft ins Treffen zu führen, auf das Gebrachte dann aber oft
nicht einmal hinsehen wollte.)

Autoren auf dem Kriegspfad

Dirk Maxeiner und Michael Miersch diskutieren in ihrem polemischen Rundumschlag eine so große Zahl von Themen, daß darauf unmöglich im Einzelnen eingegangen werden kann.

Dabei werden alle die korrekturbedürftigen Vorstellungen, die in den alternden Zettelkästen der Redakteure nisten, aufgegriffen. Da die Autoren aber nun einmal auf Kriegspfad sind, setzen sie
ihrerseits sehr korrekturbedürftige Thesen in die Welt. Der Versuch, herauszufinden, wie sie auf solche Thesen verfallen konnten, führt unmittelbar zum Kardinalfehler des Buches · nämlich die Art,
wie da mit Literatur umgegangen wird.

Die Autoren schreiben im Vorwort, daß es ihnen vor allem darum ging, skeptische Gegenstimmen zu herrschenden Mythen und Vorstellungen „zu einem Gegenbild zusammenzufügen, das den Leser stimuliert,
sich anschließend selbst eine Meinung zu machen". Sie selbst haben ihre Mühen in Grenzen gehalten: der umfangreichste Teil der Literatur, auf die sie sich beziehen, bildet eine Sammlung von
Hinweisen auf Artikel in der „Zeit", der „Frankfurter Allgemeinen" und ähnlichen Zeitungen mit einigem Anspruch.

Es hätte das Buch sehr viel nützlicher gemacht, wenn sie die Originalliteratur angeführt hätten, über die in diesen Artikeln ja nur referiert wird. Nicht unbedingt hochtechnische Originalartikel,
aber doch wenigstens die Übersichtsartikel in Zeitschriften wie „Spektrum der Wissenschaft", „Science" und zahlreichen anderen · Artikel, die eine informierte Kritik von Fachkollegen
überstanden haben und nicht nur einer Prüfung mit den Instrumenten standhielten, welche die Autoren im Gefolge des Publizisten Burkhard Müller-Ullrich guten Journalisten als Selektionsinstrumente
zuschreiben: wache Intelligenz, Ad-hoc-Plausibilitätsprüfungen, Lebenserfahrung, Allgemeinbildung und die vier Grundrechnungsarten.

Wissen, was alles nicht geht

Das alles gehört natürlich zum Rüstzeug von Wissenschaftern und Journalisten, aber · für sich allein · genügt es nicht zur Beurteilung neuer wissenschaftlicher Hypothesen. (Niels Bohr hat einmal
konstatiert, daß ein Fachmann jemand ist, der auf einem Gebiet weiß, was alles nicht geht.

Dieses zu einer kritischen Beurteilung unerläßliche Wissen, läßt sich schwer anlesen: in der Literatur finden sich davon nur Spuren.) In guten Übersichtsartikeln wird die Problemsituation kritisch
dargestellt und die wichtigsten Resultate der Forschung zu vielen der in diesem Buch diskutierten Themen sogar besser und pointierter angeführt. (Ein Beispiel für solche Artikel wären die
Übersichtsarbeiten von Bruce Ames, Richard Doll oder J. Cairs zum Thema Krebsentstehung · ein Kapitel, das in diesem Buch ziemlich verwirrend ist, auch wenn einige der Resultate der Arbeit der
erwähnten Autoren referiert werden.)

Was man in diesem Buch findet, ist zu oft eine Beschreibung des Inhalts eines Artikels in einer Qualitätszeitung, die über einen Übersichtsartikel referiert, in dem die Resultate wichtiger
Originalarbeiten kritisch zusammengefaßt wurden.

Was so skeptisch macht, ist das Nebeneinander von Belegen der wahrhaft unterschiedlichsten Qualität, die nur eines gemeinsam haben: daß sie gegen eine in der Umweltbewegung gängige These sprechen.

Man hat einmal angemerkt, daß es die Aufgabe der Philosophie sein könnte, den Mist aus den Diskussionen zu entfernen.

Dieses Buch hat sich für die Diskussion von Umweltfragen Ähnliches vorgenommen und ist dabei ein gutes Stück weit gekommen. Das Buch macht allerdings stellenweise den Eindruck einer zu eilig
zusammengebastelten polemischen Collage. Es wird kaum Leser geben, die nicht an manchen Stellen lebhaft zustimmen und sich an anderen sehr ärgern.

Im günstigsten Fall kann der Ärger fruchtbar werden, wenn er dazu anregt, nun doch herauszufinden, wie die Problemsituation heute wirklich ist. Aber gerade da · so steht zu befürchten · hilft dieses
Buch nicht viel weiter. Und das ist eine verpaßte Chance.

Freitag, 14. August 1998

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