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Ein Hinweis auf den großen walisischen Lyriker Dylan Thomas

Dylan Thomas: Dichter und Trinker

Von Birgit Schwaner

Wer so lebt wie er, wird keine 90 und selten berühmt. Zuviel Alkohol, täglich Bier und Whisky. Ein zu feines Gehör. Dazu noch ein Dichter - kommt das zusammen, scheitern die meisten. Nach einigen Jahren spätestens. Müßig, zu überlegen, was wäre, wenn zum Beispiel Dylan Thomas noch lebte. Heuer würde er 90; aber wäre er unter "gesünderen" Umständen einer der bedeutendsten Dichter der Moderne geworden, der Autor von "Unter dem Milchwald"? Es ist, wie es ist, wie man es kennt: Lebensdauer gegen Kunst.

"1. I am a Welshman, 2. I am a drunkard, 3. I am a lover of the human race, especially of women." Dylan Thomas, nach eigener Aussage also vor allem Waliser, Trinker und Liebhaber von Frauen, wird am 27. Oktober 1914 in Swansea, einer Industriestadt in Südwales, geboren. Der Erste Weltkrieg hat im Sommer begonnen. Doch das Kind, Sohn eines literaturbegeisterten Gymnasiallehrers und der Tochter eines Bahninspektors, bemerkt nichts davon. So erinnert sich Dylan Thomas - der vollständig Dylan Marlais Thomas heißt und dessen walisischer Vorname "Dylan" übrigens "Meer" bedeutet:

"Im Anfang war die einzige 'Front', die ich kannte, die Front unseres Hauses, zu der man hinaufsehen konnte, wenn man durch den kleinen Gang zur Haustür hinaustrat. Ich konnte nicht verstehen, wieso so viele Leute von dort nie mehr zurückkamen. Aber später wurde ich größer und wusste mehr, wenn ich es auch noch immer nicht verstand, und trug im Cwmdonkin-Park ein hölzernes Schießgewehr und schoss den unsichtbaren, unbekannten Feind nieder wie eine Schar von wilden Vögeln."

Meer, Park und Vögel

Das Haus, in dem Dylan Thomas heranwächst, liegt in einer der schönsten Gegenden der "großartig hässlichen Seestadt" Swansea. Von den hoch gelegenen Zimmern aus sieht der Junge im Süden, über Dächer hinweg, das Meer bis zum Horizont. Und auf der anderen Seite liegt ein Park, der erwähnte Cwomdonkin-Park, mit Schafen, Vögeln, vielen geheimen Nischen, prächtigen Verstecken zwischen Büschen und Bäumen, mit, wie Thomas' Biograph Bill Read schreibt, "Steingarten, Kasperletheater, Erfrischungsbude, Musikpavillon, Trinkbrunnen und einem Teich".

Wegen einer Lungenschwäche muss das Kind oft zu Hause bleiben, wenn andere draußen spielen. Zumal es in Swansea häufig regnet. Dylan Thomas, der durch seinen Vater schon früh mit der englischen Literatur vertraut gemacht wird, liest, wie er einmal schreibt "wahllos und ununterbrochen, bis mir die Augen fast aus dem Kopf fielen". Sein Sprachgefühl und sein dichterisches Können führt er zum Teil auf diese intensiven, kindlichen Leseerfahrungen zurück.

Aber es bleibt nicht beim Lesen. 1925 veröffentlicht der Elfjährige in der Schülerzeitung sein erstes Gedicht. Er will Schriftsteller werden, doch von den Klassikern hält er (mit Ausnahmen wie Shakespeare) genauso wenig wie von den Wissenschaften - das Misstrauen gegenüber allem Akademischen wird ihn sein Leben lang begleiten.

Das einsame Lesen (viel zeitgenössische Lyrik) hat ein Ende, als der 14-jährige Dylan durch eine Rauferei auf dem Schulhof einen Freund findet: Daniel Jenkin Jones, der sich als Komponist und Dichter vorstellt und behauptet, er habe schon mit elf Jahren mehrere historische Romane verfasst . . . Die beiden Freunde erfinden Radioprogramme und -sprecher; unter dem Pseudonym "Walter Bram" schreiben sie gemeinsam Prosa und Lyrik: jeder formuliert abwechselnd eine Zeile - die der andere nicht ändern darf. Der Plan einer gemeinsamen Zeitschrift verpufft, als Dylan Thomas 1929 Mitarbeiter der Schülerzeitung des Swansear Gymnasiums wird, und 1930 zu deren Chefredakteur, bis er 1931 die Schule verlässt.

Bereits in dieser Zeit sind also seinen beiden Berufe festgelegt: der des Dichters und der des Journalisten - zum Geldverdienen. Fortan wird Dylan Thomas immer wieder auch Texte für Zeitungen verfassen, für Radio und Film arbeiten (müssen). Aufschlussreich für sein schon in jungen Jahren ausgeprägtes Sprachgefühl, ja, für die wirklichkeitskonstituierende Rolle, welche die Sprache, und mit ihr: der Klang der Wörter, die Aussagequalität der Laute, für Dylan Thomas spielte, mag eine Bemerkung von Daniel Jenkins sein:

"Dylans Geist war so ausschließlich von Sprache erfüllt, dass nicht einmal mehr für die Dinge, mit denen sie verknüpft ist, Raum blieb: Dompfaff und Gimpel, derselbe Vogel, waren für ihn etwas ebenso Verschiedenes wie ein Vogel Strauß und ein Kolibri." Noch 20 Jahre später, als Dylan bereits ein berühmter Dichter ist, füllt er Notizbuch um Notizbuch mit Varianten des immer gleichen Satzes. Es ist ihm längst zur Gewohnheit geworden, mehrere Jahre an einem Gedicht zu arbeiten, bis es ihm gelungen scheint, bis Klang und Aussage auf die beste Weise zueinander passen.

1931 verlässt er - mit nur einem Abschluss, in Englisch - die Schule und wird Reporter bei der "South Wales Daily Post", seine Artikel erscheinen meist anonym. Hier lernt er, der nach eigener Aussage "den Alkohol, den König der Dämonen" bereits als Gymnasiast kennen gelernt hatte, trinken, abends im Pub, im Kreis der älteren - zum Teil bewunderten - Kollegen, die ihn mit dem Metier eines Lokalreporters vertraut machen, der sich im Leichenschauhaus ebenso auskennen muss wie beim Treffen des örtlichen Gesangsvereins oder in der Sonntagsschule. Nach einjährigem Volontariat ist klar, dass der Dichter nicht zum täglichen Berichterstatter taugt, das heißt: taugen will. Man entlässt ihn, Begründung: Er kann nicht stenografieren.

"Ein großspuriger Jüngling"

Wer Dylan Thomas' Beschreibung seiner selbst aus dieser Zeit liest, weiß sofort, dass er sich eher einem anderen Umfeld zugehörig fühlen mochte:

"Von überdurchschnittlicher Größe. Über dem walisischen Durchschnitt, meine ich; er misst 1,69 Meter. Volle Lippen; stumpfe Nase; krauses mausbraunes Haar; ein Vorderzahn ausgeschlagen nach einem Spiel namens 'Cats and Dogs' in Mumbles in der 'Nixe'; gefällige Art; ein bisschen angeberhaft - kleidet sich erlesen und überspringt dafür das Frühstück. Sie kennen den Typ... ein großspuriger Jüngling, ein Bohemien aus der Provinz, um den Hals bauschig gebundene Künstlerkrawatte den Seidenschal der Schwester (nie erfuhr sie, wo er geblieben war), den Pullover flaschengrün eingefärbt, ein schwadronierendes, ehrgeiziges, abgebrüht tuendes Bürschchen; und zu allem übrigen noch kurzsichtig."

In diesen Jahren aber, zwischen 1931 und 1934 schreibt Dylan Thomas als Sechzehn- bis Achtzehnjäriger und 212 Gedichte, unter ihnen einige seiner bekanntesten und diejenigen, die in seinem ersten Gedichtband "18 Poems" enthalten sind. 1934 schließlich übersiedelt er nach London. Von allen möglichen, erzählbaren Anekdoten aus dem so genannten Bohème-Milieu (ein Wort, das das unstete Leben junger, unkonventioneller Menschen mit viel Phantasie und wenig Geld bezeichnet) sei hier keine erzählt. Der Dichter schrieb Rezensionen über "mystery thriller", begeisterte sich (im Sommer 1936, anlässlich einer großen Ausstellung in London) für den Surrealismus und erreichte die ein- oder andere Veröffentlichung seiner Gedichte in verschiedenen Zeitschriften. Sein Biograph Bill Read schreibt u. a.:

"Er lunchte mit T. S. Eliot und besprach mit ihm verschiedene Kuren gegen Rheumatismus. Später stellte T. S. Eliot, 'der Erzbischof', ihm einen namhaften Geldbetrag zur Verfügung. Übertreibend schildert Dylan seinen Londoner Lebensstil als wechselnden Geschlechtsverkehr, Saufen, bunte Hemden, zu viel Gerede und zu wenig Arbeit."

Von allen weiteren Bekanntschaften und Freundschaften, die der junge Dylan Thomas in London schloss und die ihm des öfteren über seine immerwährende Geldknappheit hinweghalfen, sei nur eine Begegnung erwähnt: Im April 1936 lernt der 21-jährige während einer Gesellschaft im Londoner Lokal "The Wheatsheaf" (Die Weizengarbe), seine zukünftige Frau, Caitlin Macnamara, kennen. Caitlin ist die Nachbarin eines befreundeten Malers, Dylan und sie verstehen sich sofort, verlieben sich so heftig ineinander, dass Dylan, heißt es, nach wenigen Stunden seinen Kopf auf ihren Schoß legt und sie die nächsten fünf Tage zusammen bleiben, wobei sie sich nur von "Flüssigkeiten" ernähren. Nach seinem Tod wird Caitlin einmal die Beziehung mit Dylan nicht als Liebes-, sondern als Trinkgeschichte bezeichnen - ein bitteres Fazit.

Die hübsche, blonde Frau teilt mit Dylan u. a. das Faible für ausgefallene Kleidung. Sie ist ein Jahr älter als er, in London geboren, und hatte als Tänzerin gearbeitet, auch etwas eurythmischen Tanz gelernt. Von Dylan Thomas ist die Bemerkung überliefert, er und Caitlin hätten vom ersten Moment an gewusst, dass sie heiraten würden. Und so geschah es, während eines Sommerurlaubs im Juli 1937, in Penzance in Cornwall.

Mehrere Monate vorher, im November 1936, war Dylan Thomas' erster Lyrikband "18 Poems" erschienen und hatte ihn in Fachkreisen bekannt gemacht. Vor allem die exzentrische Schriftstellerin Edith Sitwell zollte ihm in einer Rezension große Anerkennung und sagte ihm, "wenn er nur seinem Hang zur Dunkelheit kräftig genug entgegen arbeitet", eine Zukunft als großer Dichter voraus: "Mir ist kein junger Lyriker aus unseren Tagen bekannt, dessen dichterische Begabung diesen Zug ins Große hat."

Wobei die Verse von Dylan Thomas manchen zu romantisch erschienen, verglichen mit der damals als auf der Höhe der Zeit geltenden modernen Lyrik, den intellektuelleren Versen eines T. S. Eliot, Ezra Pound oder W. H. Auden etwa. Die Gedichte des jungen Walisers kennzeichnet oft surrealer Bilderreichtum und eine liedhafte Sprache, die in Melodie, Rhythmus und Klang formal äußerst ausgearbeitet ist. Dylan Thomas, der immer wieder betonte, dass ein Dichter den Bezug zu seinen Lesern (und zum Leben) nicht verlieren dürfe, griff hier vor allem allgemeine "Menschheitsthemen" auf, Geburt und Tod, Liebe, Angst . . .

Inspiration holte er sich, der so gerne den Menschen zuhört, wahrscheinlich im Pub. Auch als er bereits mit Caitlin zwei Kinder hatte und die Familie an wechselnden Orten in Wales wohnte, verbrachte er, wie seine Frau sagte, "den besten Teil des Morgens (...) in der Küche der Dorfkneipe, schloss Wetten auf Pferde ab und lauschte, ja tatsächlich, lauschte mit offenem Mund dem Klatsch und den Skandalgeschichten und trank langsam aber regelmäßig dieses eklig schale Welsh Bitter."

Dann ging er nach Hause, aß für sich - ohne Frau und Kinder - und verbrachte den Nachmittag in seinem jeweiligen Arbeitszimmer und schrieb. Er hatte die Angewohnheit, die verworfenen Fassungen eines Textes zusammenzurollen und auf den Fußboden zu werfen. Gegen 19 Uhr, am Ende der Arbeit, war der Boden meistens mit Papierröllchen übersät.

Träume und Tagträume

Besonders "Unter dem Milchwald", das Werk, das man im deutschsprachigen Raum vor allem mit Dylan Thomas verbindet, lässt sich mit dem Bild des von Caitlin geschilderten, trinkenden, in dunklen Pubs herumhängenden Dichters in Einklang bringen. Das "Radiostück mit dem Untertitel "Spiel für Stimmen", 1954 von der BBC uraufgeführt, ist ein zuhöchst und zutiefst poetischer Text, der die

Träume und Tagträume der Bewohner eines kleinen südwalisischen Städchens zum Gegenstand hat. Vorbild waren Swansea und der Ort Laugharne, in dem Dylan Thomas seit 1949 mit seiner Familie lebte. Seinen fiktiven Ort nannte Dylan Thomas "Llareggub", was, von hinten gelesen, so der Dichter, "bugger all" heißt - "alle Sodomiten". Was auf den Abgrund

der Träume deutet, deren Schilderung so wunderbar einsetzt, auch noch in der Übersetzung von Erich Fried:

"Anfangen wo es anfängt: Es ist Frühling, mondlose Nacht in der kleinen Stadt, sternlos und bibelschwarz, die Kopfpflasterstraßen still, und der geduckte Liebespärchen- und Kaninchenwald humpelt unsichtbar hinab zur schlehenschwarzen, zähen, schwarzen, krähenschwarzen, fischerbootschaukelnden See. ...".

So scheint sich auch Dylan Thomas stets am Rande eines Abgrunds befunden zu haben. "Unless I learn the night, I shall go mad" lautet eine wiederkehrende Zeile in einem seiner schönsten Gedichte. Man könnte sie frei so übersetzten: Wenn ich nicht lerne, die Nacht zu ertragen (erkennen), werde ich verrückt. Gemeint war die Nacht des eigenen Geistes.

1953, während einer umjubelten Vortragsreise (er war zudem ein hervorragender Sprecher und Leser eigener Gedichte) fiel er - nach 18 Gläsern Whisky, die er gegen seine Leibschmerzen innerhalb einer Stunde heruntergekippt hatte - ins Koma und starb fünf Tage später, am 9. November.

Was bleibt, ist sein Werk. Nur - der Dichter hätte es vielleicht anders gewollt. Es heißt, am Tag vor seinem Tod habe er sich noch zehn Jahre gewünscht, um wenigstens noch seinen Sohn heranwachsen zu sehen.

Literatur:

Bill Read: Dylan Thomas, Rowohlt-Monographie, Reinbek bei Hamburg 1968.

Dylan Thomas: Under Milk Wood, Stuttgart 1989.

  • Unter dem Milchwald. Ganz früh eines Morgens. Blick aufs Meer. (Deutsch von Erich Fried), München 1979.
  • Windabgeworfenes Licht. Gedichte. Englisch und Deutsch (diverse Übersetzer), München 1995.

Freitag, 11. Juni 2004

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