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Die heikle Rolle des Dritten

Zur Geschichte und Diplomatie der Friedensvermittlung
Von Christine Herner

In Nahost müsste längst der Tausendjährige Friede ausgebrochen sein, gemessen an der Zahl der Vermittler, die sich dort schon die Klinke in die Hand gaben. Joschka Fischer war da, Javier Solana, Colin Powell - und zuletzt sogar Präsident George Bush höchstpersönlich, um nur die prominentesten zu nennen. Bloß: kurz vorbeischauen, medienwirksam die Hände schütteln, Unterstützung versprechen oder Druck machen ist noch keine Friedensvermittlung.

Vorurteile, Gerüchte, Ungesagtes - all das macht schon Menschen zu schaffen, die einander gut kennen und mögen; wie viel mehr erst "Feinden", die verschiedenen Kulturen angehören und nichts mehr fürchten, als vor der Öffentlichkeit ihr Gesicht zu verlieren? Es lässt sich nur andeutungsweise erahnen, was ein Friedensvermittler zu leisten hat: Manchmal bedeutet ein Nicken beim einen Zustimmung, beim anderen genau das Gegenteil; Ruhe kann Unsicherheit und Interesselosigkeit signalisieren, oder aber respektvolles Verhalten. Und was ein Lächeln alles bedeuten kann! Die mehrschichtige Kommunikation mit defensiven Rückzügen, offenen Provokationen oder teils ganz subtilen Reaktionen ist oft verwirrend. Folge: Vermittler reagieren häufig falsch, geben entweder aus Hilflosigkeit verfrüht auf oder handeln überstürzt und unüberlegt. Schlimmstenfalls eskaliert der Konflikt.

Krieg mit Argumenten

Der Dreißigjährige Krieg hätte wohl noch viel länger gedauert, hätten nicht zwei herausragende Köpfe den Westfälischen Frieden ausgehandelt. Als der päpstliche Gesandte Fabio Chigi und der venezianische Spitzendiplomat Alvise Contarini 1643 in Münster und Osnabrück eintrafen, erwartete sie eine Fron, die fünf geschlagene Jahre dauern sollte, aber immerhin den Grundstein für eine neue Friedensordnung in Europa legte. Contarini nannte sie später eine Art "Krieg", nicht mit Waffen, sondern "mit Argumenten, Überredungs- und Rechtfertigungsbemühungen". Und auch Fabio Chigis Nerven lagen häufig blank, wenn der Kaiser, Spanien oder Frankreich immer wieder versuchten, seine Worte für ihre Zwecke zu missbrauchen. Dieses Münster sei "ein reines Warenhaus für Unredlichkeit, Doppelzüngigkeit und Lügenhaftigkeit", klagte er, obwohl er ein diplomatisches Naturtalent war. Dass so viele auseinander strebende Interessen - es gab rund 148 Delegationen mit jeweils mehr als 100 Personen! - sich letztlich doch in einem gemeinsamen Willen fanden, bezeichnete Contarini als ein wahres "Weltwunder".

Ein "Weltwunder" war es auch, als am 13. September 1993 der damalige israelische Ministerpräsident Ytzhak Rabin und Palästinenserführer Yasser Arafat das Oslo I Abkommen unterzeichneten; nach Ansicht einiger Experten die letzte greifbare Chance auf Frieden in dieser Krisenregion. Es war ein historischer Moment, bei dem die Welt buchstäblich den Atem anhielt. Dabei wäre kurz vorher noch beinahe alles geplatzt, denn Israelis und Palästinenser konnten sich nicht über den exakten Status Jerichos einigen; beide Seiten knallten mit den Türen, drohten mit Abbruch. Als die Verhandlungen eine Woche später in heilloser Verwirrung endeten, wollte Rabin die Sache endgültig abblasen - dem "Terroristen" Arafat war eben nicht zu trauen! Doch dann geschah das Unglaubliche - dank Johan Jorgen Holst. Der norwegische Außenminister war gerade mit einer Delegation bei Arafat in Tunis, von wo er den Israelis signalisierte: Weiter machen, Arafat meint es ernst! Und tatsächlich, was keiner mehr für möglich gehalten hatte, wurde Realität, ein Abkommen, das vorsah, Modellzonen für ein sicheres Zusammenleben der verfeindeten Völker zu schaffen.

Dieser von Holst so klug dirigierte Friedensprozess - er wurde nach Holsts Tod 1994 und Rabins Ermordung 1995 jäh abgebrochen - harrt noch immer der Nachahmung. Holst war als Außenminister des kleinen, am historischen Zwist nicht beteiligten Norwegen für beide Konfliktparteien äußerst glaubwürdig. Des weiteren nutzte er geschickt die guten Beziehungen norwegischer Sozialwissenschaftler zu Forschungseinrichtungen in Israel und Palästina; diese hatten - vorerst ohne Wissen der Elitepolitiker - erste Gespräche ins Rollen gebracht.

In 14 Gesprächsrunden, von denen kein Wort nach außen drang, konnte Holst auf das starre Ritual verzichten, die immer gleichen Personen miteinander verhandeln zu lassen. Und er selbst war zur rechten Zeit am rechten Ort, ohne mit geräuschvoller Pendeldiplomatie Staub aufzuwirbeln und damit bestenfalls das eigene Image zu verbessern. Gute Vermittlungsarbeit versucht den Feinden klar zu machen, dass in jedem noch so vertrackten Konflikt Chancen stecken - und dass der Feind "keine Hörner trage", wie es Nelson Mandela einmal ausdrückte. Die Treffen mit Arafat fühlten sich für Rabin anfänglich so an, "wie zum Zahnarzt zu gehen. Die Angst vorher war viel schlimmer als die Behandlung".

Beim Oslo II Abkommen 1995 war alles wesentlich entspannter: Arafat klopfte Rabin vor laufender Kamera auf den Rücken. Und Rabin riskierte nach Arafats Rede ein Späßchen: Ob er vielleicht einen Schuss jüdisches Blut habe, denn in der Regel seien es Juden, die als gute Redner bekannt seien? Es war das größte Kompliment, zu dem Rabin gegenüber dem Ex-Feind fähig war. Er erntete schallendes Gelächter.

Holst war in gewissem Sinne Rabins und Arafats Helfer auf ihrem "Gang nach Canossa". Sich der Demutsgeste zu unterwerfen und dem Erzfeind die Hand zu geben, war mit Holsts Begleitung einfach leichter.

Als König Heinrich IV. im eisigen Winter 1076 den historischen Gang nach Canossa antrat, war auch er nicht ohne Beistand. Er und Papst Gregor fochten den Investiturstreit gnadenlos aus, hatten sich sogar gegenseitig für abgesetzt erklärt. Doch als Heinrich demütig das Knie beugte, geschah dies keineswegs aus Feigheit; er wollte es nicht zu einem bewaffneten Konflikt kommen lassen. Und während er draußen vor großem Publikum klagte und um Erbarmen flehte, wurde drinnen mit dem Papst verhandelt: die Burgherrin, Markgräfin Mathilde von Tuszien, verwendete sich für Heinrich, ebenso der Abt Hugo von Cluny; als Heinrichs Taufpate und Gregors Vertrauter war gerade er für beide Seiten akzeptabel, kurzum der ideale Vermittler. Und tatsächlich: Der unnachgiebige Papst wandelte sich binnen drei Tagen zum verzeihenden Priester.

Ritual des Fußfalles

Die "deditio" (Unterwerfung), ein von Heinrich usurpiertes Adelsprivileg, war im Mittelalter ein höchst kreatives Instrument des Konfliktmanagements, denn je mächtiger äußere Feinde waren, desto wichtiger war der Frieden nach innen. Beklagte Bismarck den demütigen(den) Fußfall als "nationales Trauma", so war er in Wahrheit ein gesellschaftlich akzeptiertes, zudem publikumswirksames Ritual, ein Schauspiel, das der Mailänder Adel vor Barbarossa ebenso absolvierte wie Lothar vor seinem Vater Ludwig dem Frommen (778 bis 840) oder Herzog Eberhard von Franken gegenüber Otto dem Großen. Nichts blieb bei einem solchen Rührstück dem Zufall überlassen: Der "verlorene Sohn" hatte bestimmte Leistungen zu erbringen, die von hochrangigen Vermittlern detailliert ausgehandelt wurden - Barfüßigkeit und härenes Hemd galten als Standard. Im Gegenzug garantierte der Herrscher vorab meist Gnade, auch wenn er dann - wie Barbarossa - genoss, "sein Antlitz unbeweglich wie einen Stein" zu halten.

Es ist eigentlich schade um diesen Brauch: Ein Saddam Hussein, ein George Bush, ein Ariel Scharon oder sonst eine politische Größe im Wollsack auf dem Fernsehbildschirm, das wäre doch eine Attraktion! Könnte uns das Mittelalter nicht als Vorbild dienen?

Auch die Mediation ist ein uraltes universelles Prinzip, das heute gerne als eine Art Neuerfindung des Rades gefeiert wird. Wo zweie sich streiten, vermittelt besser der Dritte, empfahlen schon die Griechen. Solon, einer der Sieben Weisen des antiken Griechenland, vermittelte im 6. Jh. v. Chr., von den Athenern gewählt, zwischen dem verarmten, teils in Schuldknechtschaft geratenen Kleinbauernstand und dem Grund besitzenden Adel. Solon fand Kompromisslösungen, die beide Seiten leben ließen. Aristoteles lobte ihn später, er habe, statt sich die Alleinherrschaft anzueignen, vorgezogen, "sein Vaterland zu retten und ihm die bestmöglichen Gesetze zu geben".

Auch in traditionellen Kulturen findet man das schlichtende Eingreifen Dritter häufig. In Hawaii heißt es "ho-oponopono", "die Dinge in Ordnung bringen": Bei einem familiären Konflikt laden Familienmitglieder in einer Zeremonie einen Ältesten oder anderen hochrangigen Vermittler ein, der die Streitparteien auffordert, ihre Gefühle öffentlich darzulegen, und sie ermutigt, sich zu entschuldigen und einander zu vergeben. Auch Bibel, Koran und jüdischer Talmud legen den Gläubigen Vermittlung und Versöhnung dringlich ans Herz: Maimonides (1135 bis 1204), der größte jüdische Philosoph des Mittelalters, macht deutlich, dass der Ausgang eines Prozesses mit Gewinnern und Verlierern den Konflikt verewigen kann, während ein Kompromiss die Basis für Versöhnung ist. Und der heilige Paulus liest den Korinthern per Brief die Leviten: "...Ich sage das, damit ihr euch schämt. Gibt es denn unter euch wirklich keinen, der die Gabe hat, zwischen Brüdern zu schlichten?"

Einer, der die Gabe hat, ist Jimmy Carter, der dafür auch den Friedensnobelpreis des Jahres 2002 erhielt. Die Mediation Jimmy Carters zwischen Menachem Begin und Anwar el Sadat in Camp David gilt als größte außenpolitische Tat seiner Amtszeit als US-Präsident. Denn dabei - da sind sich alle Experten einig - standen nicht die Begehrlichkeiten einer Supermacht im Vordergrund, wie es das Wesen der "power mediation" ist.

Man denke nur an Theodore Roosevelt, einen von Carters Vorgängern, der 1905 den Friedensschluss im Russisch-Japanischen Krieg herbeiführte. Das Titelbild von "Harper's Weekly" mit einem triumphierenden Roosevelt zwischen dem grollenden Mikado und einem düsteren Zaren ließ damals keinen Zweifel daran aufkommen, wem der Frieden am meisten nützte. Allein zwischen 1945 und 1989 traten die Vereinigten Staaten weltweit in 87 Fällen in der Vermittlerrolle auf, naturgemäß nicht immer aus purer Friedensliebe . . .

Carters "Shuttle-Mediation"

Jimmy Carter, dem gläubigen Menschen, ging es offenbar um mehr als um Macht. Was er sich vorgenommen hatte, war extrem schwierig: Begin und Sadat "konnten" einfach nicht miteinander. In den dreizehn Tagen saßen sie nur dreimal zusammen am Verhandlungstisch, und jedes Mal endete es in einer Katastrophe. So betrieb Carter schließlich eine zeitaufwändige "Shuttle-Mediation" zwischen verschiedenen Zimmern. Außerdem hatte er seine Hausaufgaben gemacht: er nutzte alle ihm zugänglichen Informationsquellen über die vielen Facetten des Nahost-Konflikts, über die Mentalität der beteiligten Kulturen und natürlich über die Protagonisten: "Ich wollte alles über Begin und Sadat wissen", schreibt Carter in seinen Memoiren. "Was hatte sie zu Führern gemacht? Was war die Wurzel ihrer Ambitionen? Welche Ziele im Leben verfolgten sie? Welche Ereignisse der vergangenen Jahre hatten ihren Charakter mitgeformt? Was war ihr religiöser Glaube?"

Carter war unaufhörlich bemüht, Spannung abzubauen, Vertrauen zu schaffen, und er scheute auch nicht davor zurück, gezielt zu manipulieren, wenn es der Sache diente. Als am Schluss der Friedensschluss doch noch zu scheitern drohte, griff er zu einem Trick: Begin hatte Carter gebeten, Fotografien von den drei Politikern als Andenken für seine Enkel zu signieren. Jetzt setzte Carter den gesamten bürokratischen Apparat der USA in Bewegung, um die Namen dieser Enkelkinder herauszufinden. Als er die Fotos persönlich zu Begin brachte und dieser die Namen las, brach er in Tränen aus. Die Botschaft war unmissverständlich: Wenn du jetzt nicht für Frieden sorgst, werden noch deine Enkel unter dem Krieg zu leiden haben!

Carters Engagement zahlte sich aus: Der Friedensvertrag von 1978 zwischen Ägypten und Israel hält bis heute.
Unter diesem Titel ist soeben ein Buch des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung erschienen, das speziell Österreichs Rolle in einer zukunftsfähigen Friedens- und Sicherheitspolitik erörtert. Mit Beiträgen u. a. von Gerald Mader, Erwin Lanc und Manfred Rotter. (Agenda Verlag, Münster 2003, 348 Seiten.)

Freitag, 22. August 2003

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