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Zwischen Tradition und Moderne: die japanische Stadt Kyoto

Geisha und Godzilla

Von Linda Stift

Was macht man als erstes, wenn man ein neues Hotelzimmer betritt? Fernsehgerät einschalten, Programme durchzappen. Passend zu Kyoto läuft gerade ein Shogun-Drama. Eine schöne Dame mit aufgestecktem Haar sitzt, entspannt vor sich hinsummend, im heißen Bad. Von hinten nähert sich der Bösewicht, im Kimonoärmel blitzt der Dolch. Doch bevor er zustechen kann, schnell eine Werbeunterbrechung: ein Bleichmittel für die asiatische Frauenhaut, mit Helligkeitsgarantie nach zwei Wochen Anwendung, von derselben Kosmetikfirma, die in Europa bräunende Lotions vertreibt.

Mehr als 1.000 Jahre lang war Kyoto Sitz des Kaiserhauses (von 794 bis 1868). Dass der Meji-Tenno 1868 die Residenz nach Edo, das heutige Tokio, verlegte, haben ihm die Kyoter bis heute nicht verziehen. Immer noch herrscht eine gewisse Distanziertheit gegenüber Tokio. Man versuchte sich den rasanten Modernisierungsprozessen in den japanischen Großstädten zu entziehen, was auf Dauer jedoch nicht gelingen konnte. Dennoch sind für Handel und Industrie immer noch eher die benachbarten Städte Osaka und Kobe zuständig. Geld kommt vor allem durch japanische Touristen in die Stadt.

Historische Substanz

Kyoto ist Japans "offizielles Furusato", das Heimatdorf, der idyllische Ursprungsort der Kindheit, in den jeder Japaner sofort ziehen würde, müsste er nicht anderswo Geld verdienen. Das japanische Kult-Monster Godzilla, ein Riesensaurier, durch Atombombenversuche aus seinem Jahrmillionen dauerenden Schlaf gerissen, wagte es erst knapp 40 Jahre nach seiner Entstehung, sich über diesen mythischen Ort herzumachen, und das auch nur, weil sein Sohn, Godzilla junior, in Gefahr war.

Was macht man als zweites im Hotelzimmer? Richtig. Aus dem Fenster schauen. Man befindet sich nicht in irgendeinem Hotel, sondern im Herzen modernster Architektur: im Bahnhofshotel. Keine Spur von Rotlichtviertel, keine dunklen Gestalten. Das Kyoter Bahnhofshotel ist ein Komplex aus Stahl und Glas, der sich über den Bahnhof spannt. Mit Gitternetzstreben versehene gläserne Tunnel verbinden das Hotel mit der Bahnhofshalle und dem angeschlossenen Einkaufscenter. Luxuriös wie das Park Hyatt aus dem Film "Lost in Translation" legt es einem mit seinen riesigen Panoramafenstern die Stadt zu Füßen. Nach dem Vorbild der chinesischen Stadt Xi'an wurde Kyoto im Schachbrettmuster angelegt, was die Orientierung sehr erleichtert.

Von der Atombombe verschont (weil im Gremium der amerikanischen Luftwaffe, das während des Zweiten Weltkrieges die Bombenziele festlegte, Japan-Spezialisten saßen, die Kyoto wegen seiner Kulturschätze nicht bombardieren wollten), ist die Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern noch immer von historischer Substanz geprägt. Das heißt allerdings nicht, dass sie keine moderne Großstadt wäre. Mehrstöckige Pagoden neben riesigen Schloten, shintoistische Schreine und buddhistische Tempel (insgesamt mehr als 2.000) neben Reklametafeln: Moderne und Tradition stehen dicht nebeneinander, aufgrund unzulänglicher Bauvorschriften sind Tankstellen neben Reisfeldern keine Seltenheit.

Um sich von Großstadtdschungel und Shogun-Drama zu erholen, besucht man am besten den Ryoanji-Tempel mit seinem berühmten Zen-Steingarten. Mehrere große Steingruppen stehen in einem täglich sorgfältig geharkten Meer von Kieseln. Die Steingruppen sind so angeordnet, dass von keinem Blickwinkel aus alle Steine auf einmal zu sehen bzw. zu zählen sind. Übrigens, wer auf die profane Idee käme, die Steine zu zählen, ist ohnedies hoffnungslos in westlicher Denkungsart verfangen. Die Japaner denken mit einigem Stolz in Gleichnissen und Metaphern.

Durch fruchtlose Zählversuche hungrig und durstig geworden, labt man sich am besten an den Kiosken, die in allen großen Tempel- und Gartenanlagen zu finden sind. Besonders zu empfehlen: germteigartige Gebilde, mit einer Füllung aus süßem, rotem Bohnenmus, der Lieblingsfülle der Japaner. Alles, was irgendwie kugelförmig ist und nach Teig aussieht, ist mit diesem Mus gefüllt. Dazu heißen, salzigen Tee, als Geschmacksausgleich.

Wer nach dem Steingarten Lust auf Grün und Wasser verspürt, findet beides in der Anlage rund um den Kinkakuji-Pavillon. Sie gilt als Paradebeispiel für eine harmonische Verbindung von Tempel-Architektur und Gartenkunst. Der Pavillon wurde im 14. Jahrhundert vom Shogun Achihaga Yochimitsu errichtet und ganz mit Blattgold überzogen. Vor 50 Jahren brannte er völlig nieder. Die Anlage wurde zum Symbol des untergegangenen, alten Japan. Der Mönch, der den Brand gelegt hatte, wurde zu einer literarischen Figur in dem Roman "Der Tempelbrand" des rechtskonservativen Autors Yukio Mishima, jenes Autors, der 1970 öffentlich Harakiri beging, um gegen Japans Verwestlichung zu protestieren. Sein Harakiri verlief allerdings nicht reibungslos: Mishimas Helfer, der ihm nach dem Bauchaufschnitt den Kopf abschlagen sollte, benötigte mehrere Anläufe, bis ihm das endlich gelang. Inzwischen wurde der Pavillon wieder aufgebaut, mitsamt dem Blattgold, das in der Sonne leuchtet.

Ein weiterer touristischer Höhepunkt ist der Sanjusangendo-Tempel gegenüber dem Nationalmuseum: Hier wird die tausendhändige Kannon verehrt, die Göttin der Barmherzigkeit. Sie ist drei Meter hoch, hölzern, mit Gold überzogen. Sie wird flankiert von 1.000 bunt lackierten und vergoldeten Kannonstatuen in Menschengröße, die auf einer mehrstufigen Tribüne stehen. Man könnte Stunden bei den 700 Jahre alten Statuen verbringen, jede ist individuell gestaltet und zeigt ein anderes Gesicht. Allerdings hat keine der Statuen 1.000 Hände, sondern nur 42, also 40 Extrahände, was aber ausreicht, um ein Lebewesen aus fünfundzwanzig Bedrängnissituationen zu retten (25 × 40 = 1.000 - das Zahlensymbol der völligen Perfektion und der uneingeschränkten Liebe Kannons). Der Besucher schreibt auf Holztäfelchen seine Wünsche und hofft auf Kannons Barmherzigkeit. Alle paar Wochen werden die Täfelchen in einem rituellen Feuer verbrannt.

Das Leben der Shogune

Wer wissen will, wie Shogune wirklich gelebt haben, besuche das Nijo-Schloss, das Shogunschloss (Shogun = der Erste General) mit dem flüsterndem Nachtigallenparkett. Das Parkett ist so gelegt, dass jeder Schritt, sei er noch so vorsichtig gesetzt, ein nachtigallenähnliches Gezwitscher verursacht: ein unbemerktes Eindringen von feindlichen Ninjas (Spionen) ist somit unmöglich. Die Räume sind durch Schiebetüren miteinander verbunden und können je nach Bedarf vergrößert oder verkleinert werden. Lebensgroße Wachspuppen veranschaulichen das Leben in der Shogun-Residenz: Der Shogun sitzt auf einer erhöhten Tribüne, links und rechts vor ihm sind die Samurais aufgereiht, die sich ehrfurchtsvoll vor ihm verbeugen. Im nächsten Raum sitzt der Shogun in der Mitte, die erste Dame des Hauses und eine Hofdame vor ihm, das Essen servierend, oder, wie im Shogun-Drama, ihm entsetzliche Nachrichten überbringend.

Die Privatgemächer des Shogun durften nur von auserwählten Frauen betreten werden, Männer galten als unzuverlässig (Ninja-Gefahr!). Die Räume sind leer, wie überhaupt die japanischen Zimmer tendenziell leer sind und erst durch die Absicht, mit der man sie betritt, mit Zweck erfüllt werden. Wandschirme, Lacktischchen und Ruhebetten mit einer Unmenge Seidendecken und Lampen muss man sich dazudenken. Möbel und Gebrauchsgegenstände werden erst bei Bedarf aus versteckten Wandschränken geholt.

Kimono und Pseudomaiko

Ein Spaziergang durch die Altstadt Kyotos, das Gion-Viertel, versetzt einen erneut in vergangene Zeiten. In das Jahr 1000 beispielsweise, die Blütezeit der Heian-Periode, in der Prinz Genji, Sohn des Kaisers und einer Nebenfrau, sein höfisches Unwesen trieb und seine zahlreichen Liebschaften koordinieren musste. Die schönsten Läden fordern hier zum Stöbern zwischen Lackkästchen, Tuschesteinen oder japanischem Papier auf. Damit ausgerüstet, kann man Gedichte an seine Liebsten verfassen, genauso wie Prinz Genji, zu dessen Hauptbeschäftigung das Liebesgedichteschreiben gehörte. Am besten auf Chinesisch, denn das Gesellschaftsleben am Hof orientierte sich am chinesischen Vorbild.

Nirgendwo sonst in Japan tragen die Frauen so häufig den Kimono wie in Kyoto, mit den dazugehörigen Flip-Flop-ähnlichen Schuhen und weißen Socken. Zu feierlichen Anlässen, ja auch nur bei Verwandtenbesuchen ist es durchaus üblich, sich so zu kleiden, obwohl das kunstvolle Binden des Obi, der meterlangen Schärpe über dem Kimono, Stunden in Anspruch nehmen kann - je nachdem, ob er zum Schmetterling, zur Garnele oder "nur" zum Kissen gebunden wird. Die ansässige Kimonomanufaktur mit ihren Modeschauen ist nicht nur von Touristen gut besucht.

Aber nicht jede Geisha oder Maiko (eine Art Geishalehrling) im Gion-Viertel ist auch echt. Manchmal tauchen Pseudogeishas auf. Zu erkennen sind sie an ihren bunten Papierschirmen. So etwas würde eine echte Geisha nie tragen! Wem es nicht zu kindisch ist, der kann sich als Geisha, Maiko oder Samurai verkleiden lassen und eine Stunde lang in Kyoto "in full costume" spazieren gehen. Dann ist man selbst eine Pseudogeisha. Angeblich wird man in weniger als 60 Minuten geschminkt, frisiert und in einen Kimono plus Obi gewickelt. Hoffentlich in der korrekten Wickelreihenfolge: die linke Seite des Kimonos muss um die rechte geschlagen werden. Umgekehrt wickelt man nur Leichen!

Zurück im Hotel: Diesmal läuft der Godzillafilm ("Gojira") aus dem Jahr 1954. Godzilla wälzt sich in stockdunkler Nacht über Tokio - Kyoto ist erst morgen dran.

Informationen: Studiosus Reisen München: Japan-Höhepunkte; Tel: 0049/89/500 60 0; Fax: 0049/89/500 60 100., Riessstraße 25, D-80992 München; E-Mail: info@studiosus.com; http://www.studiosus.com

Freitag, 16. Juli 2004

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