USA=böse, Russland=gut
In Russland sei bei den Menschenrechten noch etwas zu retten, in den USA nicht mehr. So konnte man es etwa im Wiener "Kurier" lesen. Kein Zweifel: Das Blatt drückt damit ein Empfinden aus, das sehr viele Europäer teilen. Dies war auch an den Reaktionen auf die jüngsten Auslandsreisen des Bundeskanzlers ablesbar: Wolfgang Schüssel hat in Moskau wie in Washington nach üblicher Sitte primär die positiven Seiten der Kontakte herausgearbeitet; an seinem Auftritt in Moskau gab es kaum Kritik, seine Visite in Washington hat hingegen wie auf Knopfdruck Zorngeheul ausgelöst.
Die Berichte über inoffizielle US-Gefängnisse in Europa, über Folterungen von Gefangenen, über nicht korrekt angemeldete Flugzeuge: All das, was seit Wochen aus amerikanischen Zeitungen nach Europa dringt, ist deprimierend und ernüchternd. Kritische Reaktionen sind daher über die übliche politische Wadlbeißerei von Oppositionsparteien hinaus legitim. Auch an vielen anderen Details lässt sich ablesen: Den Vereinigten Staaten steigt die unangefochtene Vorherrschaft in den Kopf, die sie seit dem Sieg im Kalten Krieg innehaben.
Dennoch sind die erwähnten Reaktionen eine Verzerrung der Realität. Denn auch die bösesten Berichte über illegale amerikanische Gefängnisse sind nicht vergleichbar mit den Tausenden Tschetschenen, die in russischen Gefängnissen ohne viel Medienecho umgebracht worden sind. In den USA decken die Medien alle Skandale auf, in Russland werden die letzten Reste von Medienfreiheit beseitigt. In den USA müssen der Stabschef des Vizepräsidenten und der Fraktionschef der Regierungspartei vor Gericht, in Russland geht man acht Jahre ins Gefängnis, wenn man eine Kreml-unabhängige Oppositionspartei fördert. Der Verbleib der US-Truppen in Afghanistan und im Irak ist von demokratisch legitimierten Regierungen erwünscht; die russische Armee hält gegen den Willen der dortigen Regierungen große Teile Moldawiens und Georgiens besetzt.
Bei aller notwendigen Kritik sollte man sich doch das klare Denken nicht abgewöhnen.
Samstag, 10. Dezember 2005
Kommentare zum Artikel:
09.12.2005 Verhältnis EU-USA
Mit Ihrer Glosse, s.g.Herr Chefredakteur gehe ich konform. Was ist der Grund? Meiner Meinung nach kommen aus den USA keine vielfältigen Berichte mehr nach Europa, sondern nur einseitige Meinungen aus dem demokratischen Lager. Wir Europäer haben garnicht die Möglichkeit, uns eine eigene Meinung zu bilden. Wir fressen die demokratische Krot. Warum dominiert die demokrat. Seite so die europäische Medienszene? Das riecht doch nach Manipulation!
Dkfm. Werner Köhler
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